Glückliche Hühner im Megastall? Was eine Schweizer Expertin für Geflügelhaltung empfiehlt
Tausende Hühner auf engstem Raum, zum Teil mit blutig gehackten Wunden: Eine Schweizer Volksinitiative strebt ein Verbot der Massentierhaltung an. Aber was zählt wirklich, wenn man Hühner artgerecht halten will?
Die Schweizer essen massenhaft Hühnerfleisch und Eier. Etwas mehr als 14 Kilogramm und fast 190 Eier sind es pro Kopf und Jahr. Neben Einfuhren aus dem Ausland sorgen dafür zum grössten Teil die rund 13 Millionen Hühner in Schweizer Ställen; eine beachtliche Zahl bei 8.6 Millionen Einwohnern. Damit fällt das Mengenverhältnis nur etwas geringer aus als in Deutschland, wo mehr als doppelt so viele Hühner wie Menschen leben.
In der Schweiz soll nun die Massentierhaltung abgeschafft werden, nicht nur bei Hühnern, sondern bei allen Nutztieren. Die Massenhaltung sei mit der Würde des Tieres nicht vereinbar, heisst es in einer Volksinitiative, über die rund 5,5 Millionen Schweizerinnen und Schweizer am kommenden Sonntag abstimmen. Links-grüne Parteien sowie Tier- und Naturschutzorganisationen unterstützen das Anliegen. Parteien der Mitte und von rechts sowie der Schweizer Bauernverband lehnen es ab. Gemäss neuesten Umfragen wird die Initiative voraussichtlich scheitern.
Es soll nur noch Bio-Standard gelten
Was genau ist eine „Massentierhaltung“? Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Die Initiative zu ihrer Abschaffung bezeichnet sie als eine „industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird“. Die Gegner der Initiative sind der Meinung, dass in der Schweiz von Massentierhaltung keine Rede sein könne. Dies verhinderten die gesetzlich vorgegebenen Höchstbestände. Ausserdem, so das zweite Argument der Initiaitiven-Gegner: Die Tierhalter würden das Wohl der Tiere bereits beachten; die Tierschutzgesetze der Schweiz zählten zu den strengsten weltweit.
Nimmt man den Index der Nichtregierungsorganisation „World Animal Protection“ zum Massstab, so befindet sich die Schweiz mit fünf weiteren europäischen Ländern in der Gruppe, die beim Tierschutz am besten abschneidet. Deutschland liegt dahinter im Mittelfeld.
Tatsächlich sind die Tierzahlen pro Betrieb sind in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland um einiges kleiner. Etwa im Fall der Legehennen: In Deutschland ist mehr als jede dritte in einem Betrieb mit über 100.000 Tieren untergebracht; die meisten Betriebe halten zwischen 10.000 bis 30.000 Hennen. In der Schweiz dagegen sind maximal 18.000 Legehennen pro Betrieb erlaubt; nur rund ein Drittel lebt in Betrieben mit über 12.000 Tieren.
Sollte die Initiative angenommen werden, würde in der Schweiz für die Nutztierhaltung durchgehend ein Bio-Standard gelten. Für Legehennen hiesse das konkret, dass nur noch maximal 4000 Tiere pro Betrieb erlaubt wären, maximal 2000 pro Stall. Innerhalb von 25 Jahren müssten die Betriebe umstellen.
Es ist aber nicht nur die Herdengrösse, die darüber entscheidet, ob sich Hühner in einem Stall wohl fühlen. Für eine artgerechte Haltung müssen viele weitere Bedürfnisse des Huhns befriedigt werden. Welche dies sind, weiss die Geflügelexpertin Veronika Maurer, Agronomin und wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in der Schweiz. Markus Hofmann von den „Flugbegleitern“ hat mir ihr gesprochen.
Frau Maurer, was ist für Sie das Wichtigste bei der Hühnerhaltung?
Veronika Maurer: Zum einen sollten Hühner genügend Platz zur Verfügung haben. Und zum anderen benötigen sie Zugang zu einer vielfältigen Umgebung.
Wieso ist ausreichend Platz für Hühner so wichtig?
Damit sie sich aussuchen können, wo sie sich aufhalten wollen. Sie sollten sich auch gegenseitig ausweichen können. Und eine vielfältig gestaltete Umgebung gibt ihnen die Möglichkeit, ihre verschiedenen Verhaltensweisen auszuleben.
Brauchen Hühner also Beschäftigungsmöglichkeiten?
Ja, die brauchen sie. Man kann sich das anhand des typischen Tagesablaufs eines Legehuhns vergegenwärtigen. Am Morgen nach dem Aufwachen gehen die Hühner als Erstes fressen, wofür sie Futtereinrichtungen brauchen. Im Laufe des Vormittags legen sie ein Ei. Dafür benötigen die Hennen ein geschütztes Nest; dort soll es dunkel sein, und eine weiche Unterlage mit Einstreu ist ebenfalls nötig. Anschliessend lieben es Hühner, den Stall zu verlassen und im Freien im Boden zu Scharren und ein Sandbad zu nehmen. Auf Sitzstangen können sie sich ausruhen. Nach dem erneuten Fressen suchen sie ihre Schlafplätze auf. In der Natur würden sie dazu auf Bäume fliegen. Im Stall übernehmen diese Funktion erhöhte Sitzstangen.
Wie reagieren Hühner, wenn diese Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen?
Dann beschäftigen sie sich mit ihren Artgenossinnen und deren Gefieder. Es kann zu sogenanntem Federpicken kommen. Dies kann kleine Verletzungen verursachen, was Hühner wiederum so interessant finden, dass sie sich mit diesen Verletzungen beschäftigen: Sie picken sich blutig. Das ist fehlgeleitetes Futtersuchverhalten. Im Extremfall werden verletzte Hennen von ihren Artgenossinnen lebendig aufgefressen. Kannibalismus ist die Folge.
Kann man genau sagen, wie viel Fläche ein Huhn benötigt?
Das ist sehr schwierig zu bestimmen. Denn vielfältige Strukturen sind entscheidender als die Grösse des Stalls. Und man darf nicht vergessen: Hühner können auch die dritte Dimension nutzen. Elegante Fliegerinnen sind sie zwar nicht, aber dennoch bewegen sie sich gut in der Vertikalen. Sitzstangen werden gerne genutzt. Sind die verschiedenen Bereiche, in denen die Hühner ihr Verhalten wie Fressen, Eierlegen, Scharren usw. ausleben können, voneinander getrennt, können die Hühner Konflikten in der Herde ausweichen. Das trägt ebenfalls zum Wohlbefinden der Tiere bei.
Forschungsbedarf bei grossen Herden
Gibt es eine ideale Herdengrösse für Hühner?
Nimmt man die Natur zum Vorbild, dann bestünde eine ideale Herde aus einem Hahn und rund 20 Hennen.
In der Landwirtschaft sind die Herden in aller Regel aber um ein Vielfaches grösser.
Ja, aber man streitet sich darüber, was in einer grösseren Herde geschieht: Bilden sich dort Untergruppen, die immer den gleichen Ort nutzen? Oder mischen sich die Tiere zufällig? Das ist noch wenig erforscht. Es gibt Hinweise darauf, dass sich Hühner auch in grossen Herden ziemlich ortstreu verhalten.
Braucht es einen Hahn in einer Hühnerherde?
Für das Eierlegen ist er nicht nötig. Hennen legen auch unbefruchtet Eier. Ein Hahn hat aber auch andere Funktionen: So passt er auf, wenn die Hennen draussen sind. Er warnt vor Feinden wie Greifvögeln oder Füchsen. Und er lockt die Hennen zu Futterplätzen. Er übt also eine sehr aktive Rolle in der Herde aus. Im Biolandbau empfehlen wir deshalb, einen Hahn zu halten: einen bis drei Hähne pro 100 Hennen.
Der Vorfahr unseres Haushuhnes, das Bankivahuhn, wird im Schnitt zehn Jahre alt. Unsere Legehennen bleiben in der Regel nur rund ein Jahr am Leben, legen dabei rund 300 Eier, dann werden sie geschlachtet. Gibt es Möglichkeiten, diese Nutzung und damit das Leben der Legehennen zu verlängern?
Es stört mich persönlich sehr, dass sowohl in der konventionellen wie auch in der biologischen Geflügelhaltung die Legehennen meistens nach einem Jahr Eierlegen als wertlos gelten und geschlachtet werden. Ich bin der Meinung, dass man sie länger nutzen sollte. In letzter Zeit wird das erfreulicherweise häufiger getan.
Nimmt mit höherem Alter die Leistung der Legehenne ab?
Grundsätzlich ist es problemlos möglich, eine Legehenne sechs Monate länger Eier legen und damit auch sechs Monate länger leben zu lassen als heute üblich. Dies würde die Lebenszeit immerhin um das 1,5-Fache verlängern. Die Legeleistung geht dabei ein wenig zurück. Die Schalenfestigkeit nimmt ebenfalls ab. Denn die Hühner mobilisieren Kalk aus den Knochen, um ihre Eier zu bilden. Je älter die Hennen werden, desto kalkärmer sind die Knochen. Die Eier werden dadurch brüchiger, was beim Einsammeln und Einpacken Probleme verursacht.
Ein grausamer Nebeneffekt der Eierproduktion ist die Tötung der männlichen Küken. In Deutschland ist dies seit diesem Jahr verboten, stattdessen werden männliche Hühner-Embryonen schon im Ei bestimmt und aussortiert. Das Schweizer Label „Bio Suisse“ verbietet die Kükentötung ab 2026. Eine Alternative zur Tötung männlicher Tiere ist das Zweinutzungshuhn: Hier werden die Männchen zur Mast genutzt. Wird sich das Zweinutzungshuhn durchsetzen?
Züchterisch passiert in diesem Bereich derzeit erfreulicherweise sehr viel, sowohl bei grossen als auch kleinen Zuchtfirmen. Gerade auch in Deutschland gibt es beachtliche Zuchtfortschritte. Was es zu bedenken gibt: Die bisher in Massen verwendeten hochspezialisierten Hybridrassen, seien es Lege- oder Masthühner, sind unglaublich effizient. Die machen aus sehr wenig Futter sehr viel Eier oder Fleisch. Beim Zweinutzungshuhn geht man einen Kompromiss ein: Man kriegt etwas weniger oder kleinere Eier von den Hennen und die Hähne wachsen langsamer und haben meist kleinere Brustfilets. Da wird es bestimmt noch Verbesserungen geben. Die Produkte werden zudem teurer werden. Wenn man sich aber anschaut, für wie wenig Geld man heute im Supermarkt ein Brathähnchen oder ein Ei bekommt, sind höhere Preise meiner Meinung nach völlig gerechtfertigt.
Ob konventionell oder bio: Das Leben der meisten Hühner endet im Schlachthof. Worauf muss man bei der Schlachtung achten?
Sehr wichtig ist es, wie die Tiere im Stall vor der Schlachtung eingesammelt werden. Meistens geschieht dies in der Nacht. Das muss ruhig und ohne Hektik geschehen. Man sollte nicht zu viele Tiere auf einmal in die Hand nehmen, um sie in die Kisten für den Transport zu verpacken. Auch sollte der Schlachthof nicht zu weit von den Bauernhöfen entfernt sein. Kurze Transportwege sind wichtig, da die Hennen auf dem Transport weder Futter noch Tränken zur Verfügung haben. Einmal im Schlachthof angekommen, sollten die Tiere nicht zu lange auf die Tötung warten müssen.
Selber Hühner halten: eine gute Sache
Welche Trends erkennen Sie in der Bio-Geflügelhaltung?
Die mobile Haltung wird zunehmen. Es gibt nun mobile Ställe, die man mit dem Traktor ohne Probleme auf verschiedene Flächen stellen kann. Was die Gesundheit betrifft, ist das ein grosser Vorteil, da man so krankmachenden Keimen im Boden ausweichen kann. Auch die Nährstoffbelastung rund um den Stall nimmt ab, wenn die Hühner nicht immer am gleichen Standort verweilen. Somit werden in Zukunft die Herden wohl kleiner werden. Und der Trend zum Zweinutzungstier wird sich fortsetzen.
Hühner sind nicht nur bei Konsumentinnen und Bauern beliebt. Sie werden auch als Haustiere gehalten, gar mitten in der Stadt. Ist das eine gute Entwicklung?
Ich halte selber zwei Hühner. Eines ist etwa vier, das andere sechs Jahre alt. Diese Form der Hühnerhaltung ist eine gute Sache. Nicht weil die Leute selber so viele Eier produzieren, dass es weniger Hühner auf den Höfen braucht, sondern weil sich damit unser Verständnis für das Huhn verändert. Das Huhn war lange lediglich ein weggesperrtes Produktionstier. Die Industrialisierung der Tierhaltung wurde mit der mittlerweile verbotenen Käfighaltung von Legehennen ins Extrem getrieben. Die private Hühnerhaltung hilft zu erkennen, was für ein Tier das Huhn wirklich ist und welche Bedürfnisse es hat. Das begrüsse ich sehr. Wobei es auch hier teilweise zu weit geht: ein Huhn auf einem Balkon zu halten, ist etwas absurd.