Wir brauchen mehr guten Umweltjournalismus
Warum heute jede Redaktion ein Umweltressort haben sollte und wieso UmweltjournalistInnen kritischer werden müssen
Früher galten sie als die Nerds der Redaktion, als Waldschrate und Baumumarmer. In den Redaktionssitzungen waren ihre Themen oft die letzten, die verhandelt wurden, wenn die übrigen KollegInnen eigentlich schon drauf und dran waren, Stifte und Zettel einzupacken, im Kopf längst bei den eigenen Geschichten. Man nahm UmweltjournalistInnen nicht für voll, weder in den Redaktionen noch außerhalb davon. Weil man ihre Themen nicht für voll nahm.
Der Klimawandel änderte das. Je stärker die Temperaturkurven stiegen, je deutlicher die Folgen der Erwärmung sich zeigten, desto mehr änderte sich auch das Klima in den Redaktionen. Es wurde deutlich, dass Schäden an der Umwelt Schäden an ganz anderer Stelle auslösen können: in der Wirtschaft, in der internationalen Zusammenarbeit, in der Flüchtlingspolitik, in der bloßen menschlichen Existenz. Kurz, es wurde deutlich, dass wir von Natur und Umwelt existenziell abhängig sind.
Die Berichterstattung über Klimawandel und andere Umweltprobleme hat denn auch deutlich zugenommen. Der Begriff Nachhaltigkeit etwa taucht heute doppelt so häufig in Medien auf wie noch vor 20 Jahren, wie eine Studie der Leuphana-Universität Lüneburg bereits 2016 ermittelte. Dennoch leisten sich viele Tageszeitungen immer noch mehr Berichterstattung über Börsenkurse und Aktiengeschäfte als über Natur und Klima.
Kaum eine Publikation hat eine eigene Umweltseite. Umweltaspekte spielen in vielen Berichten über Neubauprojekte, Firmenbewertungen oder Verkehrsplanung kaum eine Rolle. Bei der Berichterstattung über den Klimawandel erhält das Foto einer 16-jährigen Zugreisenden mehr mediale Aufmerksamkeit als die UN-Klimakonferenz, an der sie teilgenommen hat. Berichterstattung über die Umwelt scheint nach wie vor wenig sexy zu sein.
Das ist ein fundamentaler Fehler. Ein stabiles Klima und wirksam geschützte biologische Vielfalt: Sie sind unsere Lebensgrundlagen. Es geht alle etwas an, wenn sie zerstört werden. Deshalb brauchen wir mehr Umweltjournalismus – und wir brauchen auch einen anderen.
Zur Vorbereitung für diesen Artikel habe ich mit einigen meiner KollegInnen bei RiffReporter gesprochen. In unserer journalistischen Genossenschaft sind über 100 AutorInnen Mitglieder, mehr als 30 von ihnen publizieren vorwiegend zu Umwelt, Klima, Natur. Sie sind also UmweltjournalistInnen, auch wenn sie nicht unbedingt alle so genannt werden möchten, weil ihnen das zu kurz gegriffen erscheint, da sie ihr Metier meist holistisch betrachten.
„Über Umweltprobleme zu berichten ist oft undankbar. Man kommt nicht mit spektakulären Bildern oder anrührenden, süffigen Geschichten zurück, sondern braucht Infografiken, Statistiken, ExpertInnen-Interviews.“
Sie berichten über den Klimawandel und seine gesellschaftlichen Folgen, über die Verschmutzung von Flüssen, die Zukunft der Wälder, über die vielfältigen Bedrohungen der Artenvielfalt, aber auch über die Freuden des Vogelbeobachtens. Sie decken Missstände auf oder schreiben Essays über ihr Verhältnis zur Natur. Ich habe sie gefragt, was sie antreibt, wo sie auf Probleme stoßen bei ihrer Arbeit, was anders werden sollte. Interessant war: Viele Ansichten deckten sich. Einige der Antworten meiner KollegInnen finden sich in diesem Text wieder, kursiv geschrieben. Warum sollte ich in eigene Worte fassen, was andere schon so stark formuliert haben?
Es ist schön, dass die Berichterstattung über Umweltthemen zugenommen hat. Aber es reicht nicht. Verlage müssen erkennen, dass Berichterstattung über unsere Lebensgrundlagen nicht nur „nice to have“, also eigentlich Luxus ist, sondern den klassischen Ressorts an Bedeutung mindestens ebenbürtig. Umwelt ist nicht nur ein Thema, sondern ein Geflecht, das alle anderen Themen umspannt und durchdringt. Es wäre an der Zeit, dies in den Arbeitsabläufen abzubilden – und die UmweltjournalistInnen endlich mitten in der Redaktion zu platzieren, am besten an ressortübergreifenden Reporter-Tischen. Auch, weil die für Umwelt zuständigen KollegInnen sich stärker mit anderen Feldern vernetzen und in ihren eigenen Berichten wirtschaftliche und kulturelle Aspekte häufiger berücksichtigen sollten.
Es braucht interdisziplinäre Teams, und es braucht, außer Sachkenntnis, auch handwerkliche Kreativität und den Mut, neue Techniken der Präsentation und ungewöhnliche Erzählformen auszuprobieren. Wir brauchen Umweltjournalismus, der sich der besten stilistischen und dramaturgischen Kniffe bedient. Also mal ehrlich, was gibt es denn Spannenderes als einem real existierenden Klimawandel zuzusehen? Das hat alle Elemente eines Thrillers, nur fühlen sich viele davon gar nicht betroffen!
Wir sind nicht neutral. Stehen wir dazu
Kaum jemand, der Umweltthemen bearbeitet, bleibt neutral. Viele wollen es auch gar nicht sein. Die Liebe zur Natur und die Lust am Beobachten habe sie zu ihren Themen geführt, sagte eine meiner Kolleginnen. Mehrfach erklärten mir die KollegInnen: Ich beziehe Position, auch in Artikeln. Und versicherten zugleich, dass sie, bei aller klaren Haltung, ihre Fakten genauso penibel recherchieren wie alle anderen, verschiedene Akteure befragen, die Interessen aller Beteiligten hinterfragen – ob Fabrikbesitzer oder Umweltaktivist. Ich muss die Menschheit nicht bekehren. Aber gut informieren.
Beide Seiten anzuhören bedeutet nicht zwangsläufig, jeder Seite gleich viel Raum geben zu müssen. Gerade die Auseinandersetzung mit jenen, die den menschlichen Ursprung des Klimawandels leugnen, hat in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass Argumente in bestimmten Kreisen kaum noch Gehör finden. Mit bloßen Zahlen, Statistiken und wissenschaftlich belegten Fakten sind die drohenden und bereits realen Umweltveränderungen, auch und gerade die des Klimas, offensichtlich nicht so zu vermitteln, dass sie Bürger und Politiker zum Handeln bewegen. Position zu beziehen, sich dem Konflikt, der dann folgt – in Redaktionskonferenzen, auf Social Media, in persönlichen Gesprächen – auch auszusetzen: Das könnte dazu beitragen, diese Passivität zu überwinden.
Wo Umwelt erlebbar wird, entwickelt sich Bindung
Wenn wir über uns und unser Verhältnis zur Umwelt berichten wollen, müssen wir uns herauswagen – nicht nur in die Natur. Sondern auch fort von den klassischen Formen der Berichterstattung, die heute oft nicht mehr die nötige Resonanz erzeugen. Nach 30 Jahren Umweltjournalismus erlebe ich es zunehmend, dass Debatten sich wiederholen und sich einfach nichts Grundsätzliches ändert. Die Leute sind der Melodie überdrüssig. Also müssen wir neue Töne anschlagen. Und ausprobieren, welcher Song die Menschen wieder zuhören lässt. Die immer gleiche Art, über bevorstehende Katastrophen zu berichten, die für viele Menschen nach wie vor weit weg erscheinen, findet jedenfalls immer weniger Gehör.
„Bei der Berichterstattung über den Klimawandel erhält das Foto einer 16-jährigen Zugreisenden mehr mediale Aufmerksamkeit als die UN-Klimakonferenz, an der sie teilgenommen hat.“
Wir müssen Experimente wagen. Es gibt dafür viele spannende Ansätze: Mein Kollege Gerhard Richter etwa setzt sich mit einer Reiseschreibmaschine und einem Klapptisch mitten in die Natur – oder das, was von ihr übrig geblieben ist – und lässt diese Umgebung auf sich wirken. So entstehen wortgewaltige Essays über Monokulturen, Mülldeponien, Truppenübungsplätze oder Verkehrsinseln. Eine Kontemplation, die Natur erlebbar macht. Und nur wer Natur erlebt, kann eine Beziehung zu ihr entwickeln. Diese Beziehung wiederum motiviert, das Erlebte zu schützen. Liebe zur Natur finde ich auch eine grundlegendere Motivation als die Angst vor deren Zerstörung.
JournalistInnen, die über Natur schreiben, haben einen großen Vorteil: Sie können direkt vor der Haustür recherchieren. Denn Biodiversität ist mehr als der Schutz der Eisbären oder der tropischen Regenwälder. Eine spannende Option etwa ist der Sensorjournalismus. Das Team um Jakob Vicari und Astrid Csuraji etwa belauscht Bienen und Kühe mit Sensoren. Warum nicht die Luftqualität an verschiedenen Orten in einer Kleinstadt messen? Oder den Sauerstoffgehalt der lokalen Flüsse tickern? Umwelt beginnt spätestens dann, wenn ich die Tür aufmache. Diese Erkenntnis kann man wunderbar mit LeserInnen-Aktionen verbinden, auch auf Social Media.
Und ja, auch Service funktioniert ganz gut mit Umweltthemen: Wann sollten wir eine Wiese mähen, um die darin und davon lebenden Insekten bestmöglich zu schützen? Wie verwandle ich meinen Stadtbalkon in ein Wildbienen-Büfett und welche Fische darf man trotz weltweiter Überfischung der Ozeane noch guten Gewissens verzehren?
Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass der Umweltjournalismus hierzulande nicht allzu oft seine Zähne zeigt. Wir sind manchmal zu defensiv, zu harmoniesüchtig. Es fehlt die Konfliktfreude. Vielleicht haben die KollegInnen Angst, dass man ihnen Aktivismus vorwirft, vielleicht fehlt ihnen oft die Zeit, sicherlich fehlen ihnen sehr oft die Mittel und der Rückhalt der Redaktion. Investigative UmweltjournalistInnen in Deutschland kann man an einer Hand abzählen.
Wenn über Natur geschrieben wird, dann meist als Nischenthema und auch wenig kritisch. Da wird eilig ein Umweltverband angerufen und das gedruckt, was die sagen. Wirklich kritische Recherche, auch gegenüber den „Guten“, gibt es so gut wie gar nicht. Dabei wäre gerade das im Umweltjournalismus wichtiger als je zuvor: aufdecken, den Finger in die Wunde legen – und auch zu denjenigen Distanz wahren, die man als UmweltjournalistIn, nicht zu Unrecht, häufig als Verbündete betrachtet.
Auch Naturschutzorganisationen haben millionenschwere Marketing-Budgets, sie stellen ganz gerne auch mal jene Fakten prominent nach vorne, die zu ihrer aktuellen Kampagne gut passen. Auch hier müssen UmweltjournalistInnen kritisch sein, kritisch bleiben. Das mag bisweilen schwer sein, weil die Szene klein ist und man sich nach Jahren der Arbeit in dem Feld oft gut kennt, bisweilen per Du ist. Aber das gilt für Politik- und WirtschaftsjournalistInnen auch.
Helfen könnte hier auch, wenn wir das Ressortdenken für solche Geschichten verlassen. Ein Team aus Politik-, Wirtschafts- und UmweltjournalistInnen, das gemeinsam große Storys recherchiert und gelegentlich einen Skandal aufdeckt, würde wohl jeder Redaktion gut zu Gesicht stehen.
Es ist kompliziert. Lassen wir das zu
Was den Umweltjournalismus oft unbeliebt macht, ist seine Komplexität. Es ist schwierig, ihn auf eine pointierte Zeile zuzuspitzen. Selbst gut gemeinte Ideen können woanders negative Folgen haben. Im Umweltjournalismus gibt es selten schwarz und weiß. Der Ausbau von Windrädern ist gut fürs Klima, aber schlecht für seltene Vogelarten und Fledermäuse. Ein Landwirt, der mit Monokulturwirtschaft Rebhuhn und Feldhamster die Lebensgrundlage nimmt, macht das bestimmt nicht, weil er ein böser Mensch ist, sondern weil er vielfältigen Zwängen unterworfen ist, die bis auf EU-Ebene reichen.
„Auch Naturschutzorganisationen haben millionenschwere Marketing-Budgets, sie stellen gerne jene Fakten nach vorne, die zu ihrer aktuellen Kampagne gut passen“
Mit einem „So einfach ist das leider nicht“ hat man sich aber noch selten in der Chefetage viele Freunde gemacht. Und doch: Wir sollten den Mut haben, genau diese Probleme offenzulegen. Beim Umweltjournalismus muss man in Zusammenhängen denken. Und das heißt: Man muss diese Zusammenhänge aufzeigen. Aufdröseln. Wenn es sein muss, bis ins Detail. In einem Longread, einer Videokolumne. In einer Serie, einem Podcast. Wenn Virologen als Gesprächspartner funktionieren, warum nicht auch UmweltforscherInnen?
Noch schwieriger für viele RedaktionsleiterInnen ist es, dass die für Umwelt zuständigen KollegInnen oft mit Themen um die Ecke kommen, die in den Routinen einer Redaktion eigentlich keine sind. Weil sie keine abgeschlossene Geschichte ergeben, keinen großen Knall, keinen aktuellen Aufhänger haben. Nur eine Tendenz aufzeigen. Etwa die, dass die Wälder immer trockener werden. Und diese Trockenheit zu Krankheiten führen könnte. Und diese Krankheiten zu weiteren Problemen. Man braucht einen langen Atem – nicht nur als UmweltjournalistIn, sondern auch als RedaktionsleiterIn, die die Aufgabe hat, ihren Mitarbeitenden Recherchen zu Themen zu ermöglichen, die auf den ersten Blick wie Nicht-Themen aussehen.
Wir brauchen mehr Mut zur unabgeschlossenen Geschichte. Und auch zur Wiederholung. Dass die Umwelt-KollegInnen Themen vorschlagen, die jedes Jahr wieder anstehen, eben im Lauf des Jahreszyklus, mag nerven – hat man doch alles schon mal gehört, wo ist das Neue? Aber es ist wichtig, und darauf kommt es doch an. Ich finde, dass dies der Preis für die Privilegien ist, die unsere Verfassung der Presse einräumt: dass sie der Gesellschaft etwas Wichtiges zurückgeben – auch wenn diese Gesellschaft das (noch) nicht hören mag.
Über Umweltprobleme zu berichten ist oft undankbar. Man kommt nicht mit spektakulären Bildern oder anrührenden, süffigen Geschichten zurück, sondern braucht Infografiken, Statistiken, ExpertInnen-Interviews, um das Thema „rüberzubringen“. Es kann auch mal ziemlich kompliziert werden, und nicht immer haben die LeserInnen und UserInnen auf unsere Themen gewartet. Das gilt sogar für das vergleichsweise anschauliche Themengebiet Biodiversität. Den Wolf und den Wald haben alle lieb. Beim Insektensterben, der Gefährdung von Meeresböden durch Schleppnetzfischerei oder den Auswirkungen von Windrädern auf Fledermäuse wird es schon schwieriger.
Aber unsere LeserInnen und UserInnen halten das aus. Sie sind in der Lage dazu, auch trocken wirkende Aspekte zu verarbeiten. Bisweilen vergessen wir das. Wir glauben, wir müssten die Welt in kleine Häppchen aufteilen und wie Kanapees servieren. Müssen wir nicht. Die Menschen sind lernbereit, und viele von ihnen sind zumindest noch im Gespräch mit denjenigen, die uns bereits den Rücken gekehrt haben. Also: Bieten wir ihnen etwas!
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der September-Ausgabe des Magazins „journalist“.