Die letzten wilden Feuerlilien: Was sie über die Frühgeschichte der Menschheit erzählen
Ein Pflanzenkenner aus Niedersachsen wollte die Herkunft einer seltenen Wildlilie erforschen. Und stieß dabei auf eine Spur, die viele Jahrtausende zurückführt – in die Vergangenheit unserer eigenen Spezies
Auf einem Acker in der Elbtalaue, südöstlich von Hamburg, wächst eine Pflanze, die es vermutlich nirgends sonst auf der Welt gibt. Wenn die gut zwei Dutzend Exemplare ihre Blüten öffnen, Mitte Juni, dann sieht es aus, als hätten Morgen- und Abendsonne einen Schwarm Funken über den Acker verstreut. Die Blüten haben den Durchmesser einer Untertasse; keine heimische Pflanze bringt größere hervor. Ihre Farbe ist ein flammendes Orangerot; diesem verdankt die Pflanze auch ihren Namen: Feuerlilie. Ihre genaue wissenschaftliche Bezeichnung: Lilium buchenavii var. govelini.
Wenn Sie jetzt sagen, Moment, Feuerlilien kenn' ich doch, stehen im Pflanzenbestimmungsbuch, wachsen sogar in meinem Garten – ich werde Ihnen nicht widersprechen. Denn der Name „Feuerlilie“ bezeichnet weniger eine Art als eine Gruppe von Pflanzen, zu der auch Zuchtformen für den Garten gehören. In dieser Geschichte soll es jedoch ausschließlich um wildwachsende Feuerlilien gehen. Vor allem um eine Art und ihre Unterart, die Sie bislang in keinem Bestimmungsbuch finden werden – weil sie erst vor Kurzem entdeckt worden sind.
Noch eines vorweg: Diese Geschichte wird nicht nur von Botanik handeln. Sondern auch von uns. Von einer Beziehung, die diese schönen Pflanzen auf verborgene, aber auch faszinierende Weise mit unserer eigenen Spezies verbindet.
Diese Beziehung reicht viele hundert, womöglich gar Zehntausende von Jahren zurück. Vieles an ihr liegt noch im Dunkel. Und vielleicht wäre die Pflanze selbst bis heute unentdeckt geblieben – wäre nicht Jürgen Koch aus Ebstorf bei Lüneburg an einem Frühsommertag des Jahres 2008 zufällig in ein Funkloch gefahren.
Ein Fest für Lilien und ihre Liebhaber
Koch, Jahrgang 1956, promovierter Agrarwissenschaftler, ist gerade mit dem Auto Richtung Hamburg unterwegs, als das Autoradio knackt und rauscht. Koch dreht am Suchknopf, gerät an einen Lokalsender, der Veranstaltungstipps durchgibt, will schon weiterdrehen – da hört er, dass am Wochenende in Govelin, einem Dorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg, ein Lilienfest stattfinden soll. Schon ist er ganz Ohr.
Denn Lilien sind Kochs große alte Liebe; schon als Schüler hat er sie entdeckt. Er schätzt sie wegen ihrer Schönheit, der Farbenpracht ihrer Blüten, und weil ihn ihre Gestalt – aufrecht, unverzweigt, aus einem prallen Zwiebel-„Schoß“ emporwachsend – entfernt an die eines Menschen erinnert.
Aber das ist nicht der einzige Grund.
Als Agrarwissenschaftler gehört Koch zu jener Art von Pflanzenkennern, die weniger die Vielfalt der Natur im Blick haben als vielmehr ihren praktischen Nutzen; die züchterischen Potenziale, die in den Genen bestimmter Arten stecken. Im Hauptberuf hat er Winterrapssorten und andere Kulturpflanzen für verschiedene Saatgutfirmen entwickelt.
Die Gattung Lilium entdeckte er schon in den 1970er Jahren beim Durchblättern eines Katalogs für Gartenpflanzen – und erkannte bald, welch dankbare Objekte die rund 100 Lilien-Arten für Züchter sind. Viele davon lassen sich leicht kreuzen und bringen Hybride mit ungewöhnlichen Farbkombinationen hervor.
Einige davon kultiviert Koch in seinem Garten, vor allem südchinesische Arten und Hybride – Ostasien ist das Zentrum der weltweiten Lilienvielfalt. Die europäischen Wildarten, zu denen außer Feuer- noch Madonnen- und Türkenbundlilien zählen, hat er dagegen lange kaum auf dem Schirm gehabt.
Bis zu jenem Sommertag 2008, als er zum ersten Mal nach Govelin kommt.
Wo Ortolane singen und Lämmersalat sprießt
Rund 70 Hektar Land, auf dem Dutzende, wenn nicht Hunderte wilder Feuerlilien blühen – im Getreide, aber auch am Wegesrand. Um sie herum eine Fülle wilder Kräuter, deren Namen wegen ihrer Seltenheit meist nur noch Botanikern geläufig sind: Lämmersalat, Ackerfrauenmantel, Kleiner Mäuseschwanz und Breitblättriger Hohlzahn, eine Art, die in Niedersachsen nur noch an zwei Stellen vorkommt. Zwischen den Kräutern Myriaden von Käfern und Grashüpfern, am Himmel darüber Rotmilane, Lerchen, Pirole und der europaweit bedrohte Ortolan.
Diese Vielfalt kommt nicht von ungefähr. Harry und Christel Bergmann, deren Familie den Goveliner Hof seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Erbfolge bewirtschaftet, haben den größten Teil ihrer Felder dem Naturschutz zur Verfügung gestellt. Sie bearbeiten diese so, dass Wildkräuter, Insekten und Vögel darauf beste Lebensbedingungen vorfinden – vor allem solche Arten, die durch die Intensivierung der Landwirtschaft in ihrer Existenz bedroht sind. Dafür erhalten sie Fördermittel vom Land Niedersachsen.
Wie alle Besucher des Hofs ist Jürgen Koch fasziniert von der Artenfülle – und natürlich vom Anblick der blühenden Lilien. Die Pracht spricht jedoch auch den Pflanzenzuchtexperten in ihm an. Und der hat Fragen.
Wieso gibt es gerade hier in Govelin so viele Feuerlilien? Und wie kommen sie überhaupt hierher?
Bergmanns wissen es nicht. Die Lilien sprießen auf ihren Feldern, seit sie zurückdenken können, und sie waren vermutlich schon da, als ihre Vorfahren vor rund 150 Jahren das heutige Hofgebäude errichteten. Von pflanzenkundigen Besuchern ihres Hofs haben sie erfahren, dass Feuerlilien in ganz Norddeutschland vorkommen – wenn auch nur an wenigen, verstreuten Standorten.
Fremd oder heimisch? Ein Datum entscheidet
Wenn eine Familie seit Jahrhunderten am selben Ort lebt, darf sie sich in der Regel zu den Alteingesessenen zählen. Für nichtmenschliche Lebewesen gilt das jedoch nicht. Laut gängiger biologischer Definition verdienen nur jene Tier- und Pflanzenarten das Prädikat „heimisch“, die nachweislich schon vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, also vor 1492, in der „alten Welt“ vorkamen. Alle anderen gelten als vom Menschen eingeführte Neubürger, wissenschaftlich „Neobiota“. Forscher und Naturschützer schenken ihnen in der Regel weniger Beachtung als heimischen Arten – es sei denn, sie breiten sich zu schnell aus und drohen diese zu verdrängen.
Als Jürgen Koch in botanischen Fachbüchern nach Antworten auf seine Fragen nach dem Ursprung der norddeutschen Feuerlilien sucht, stellt er überrascht fest: Auch diese gelten nach herrschender Lehrmeinung als Neobiota. Genau gesagt als „Gartenflüchtlinge“, also Nachfahren von Gewächsen, die Menschen irgendwann an ihren natürlichen Standorten abgesammelt und in Beete gesetzt haben. Von wo die Pflanzen wiederum ausgebüxt sind, um sich in der umliegenden Landschaft breit zu machen – dort, wo sie von Natur aus nicht hingehören.
Ein zweiter Blick auf überholtes Wissen
Auf den ersten Blick hat diese Theorie einiges für sich. Das Hauptverbreitungsgebiet der europäischen Feuerlilien reicht von den Pyrenäen über Alpen und Apennin bis nach Kroatien. Das nördlichste bekannte Vorkommen liegt im Harz, und von dort können die Lilien kaum von selbst den Sprung an die Elbe geschafft haben: Die schweren Lößböden, die dazwischen liegen, sind für ihre Wurzeln kaum zu durchdringen. Dazu kommt die ungewöhnliche äußere Erscheinung der Lilien: Mit ihren großen, leuchtenden Blüten wirken sie in der farblich eher gedeckten Landschaft der Elbtalaue wie temperamentvolle Südländerinnen, die sich auf das Jahrestreffen eines niedersächsischen Landfrauenvereins verirrt haben.
Koch findet aber, dass die norddeutschen Feuerlilien einen zweiten, gründlicheren Blick verdient haben. Er beginnt, sie auf eigene Faust zu untersuchen – und kommt bald zu dem Schluss, dass die geltende Lehrmeinung über sie so nicht stimmen kann.
Ich habe Jürgen Koch ein paarmal auf Exkursionen zu Lilien-Biotopen begleitet, auch seinen Garten kennengelernt. Und habe jedes Mal bemerkt, wie vergleichsweise oberflächlich mein Blick auf die Natur ist. Koch betrachtet Pflanzen nicht nur, er seziert sie förmlich mit den Augen.
Die Farbe der Blüte – ist sie einheitlich oder changiert sie zwischen orangerot und safrangelb? Die schwarzen Markierungen in ihrem Inneren: eher punkt- oder strichförmig?
Die Blätter – sind sie ungewöhnlich schmal und lang? Und ist ihre Unterseite glatt oder mit feinen Härchen bedeckt?
Äußere Details verraten genetische Eigenart
Die kleinen Brutzwiebeln, auch Bulbillen genannt: Wachsen sie nur am Stängel oder auch im Blütenstand, sprießen sie nur an ausgewachsenen Exemplaren oder auch an Jungpflanzen?
Koch hat die Lilien nicht nur optisch analysiert, sondern zusätzlich Bestäubungsversuche unternommen – um zu prüfen, ob sich die äußeren Unterschiede der Pflanzen auch in ihren Genen widerspiegeln. Über sechs Jahre hat er intensiv beobachtet, experimentiert, Daten ausgewertet. Es gibt vermutlich keine größere wild wachsende Feuerlilienpopulation zwischen Ems, Elbe, Nordharz und Westbrandenburg, die er noch nicht persönlich inspiziert, zum Teil mit anderen Exemplaren aus der Region gekreuzt hat.
Seine Befunde lassen nur einen Schluss zu: Die Feuerlilien des norddeutschen Tieflands bilden eine eigene Art, von Koch Lilium buchenavii getauft, nach dem 1906 verstorbenen Botaniker Franz Georg Buchenau. Die Buchenau-Feuerlilien unterscheiden sich äußerlich und genetisch deutlich von Lilium bulbiferum, alsoden Feuerlilien, die weiter südlich in den Bergen wachsen. Und sie haben eine eigene Unterart hervorgebracht: Lilium buchenavii var. govelini. Diese gedeiht ausschließlich auf einem einzigen Acker in der Elbtalaue, in Govelin.
Die „roggelelies“ heißen nicht zufällig so
Jürgen Koch betont, vorsichtig wie er ist, dass seine Forschungen noch am Anfang stehen. Die genaue Herkunft der norddeutschen Feuerlilien, sagt er, sei noch nicht geklärt. Doch eines sei schon jetzt erwiesen: dass ihre Geschichte länger zurückreiche, bewegter und komplizierter sei als bisher vermutet. Das belegten nicht nur seine Daten. Das legten auch historische Quellen nahe.
Auf diese hat ihn zuerst ein niederländischer Lilienfreund hingewiesen. Fred Bos, Lehrer und Pflanzenkundler aus Leidenschaft, beschäftigt sich schon seit den 1980er Jahren mit den roggelelies – so heißen die Feuerlilien in seiner Heimat. Bos hat herausgefunden, dass dieser Name nicht von ungefähr kommt.
Roggen war früher eine der häufigsten Ackerpflanzen der Niederlande wie der gesamten norddeutschen Tiefebene. Bauern haben ihn schon vor gut 5000 Jahren vor allem auf der Geest angebaut, dem breiten Band aus sandig-kiesigen Ablagerungen, das die Gletscher der vorletzten Eiszeit zwischen Flandern und dem südlichen Dänemark hinterlassen haben. Der genügsame, trockenresistente Roggen gedieh als einziges Getreide auf diesen Böden. Die Bauern düngten sie mit Schafsdung und mühsam abgeplaggtem Heidekraut, aber die Erträge blieben dennoch mager.
Früher lästiges Unkraut – heute Rarität
Feuerlilien, wie die meisten Wildkräuter eher Hungerkünstler, lieben jedoch die kargen norddeutsch-niederländischen Altmoränen. Und der traditionelle Roggenanbau darauf war für sie ein doppelter Glücksfall: Zum einen, weil sie zwischen dem locker wachsenden Getreide genug Licht bekamen, zum anderen, weil die Bauern bei der Ernte mit Sicheln, später einfachen Mähmaschinen die Lilienstängel mitsamt ihren Brutzwiebelchen über den gesamten Acker verteilten. Und weil die Pflugscharen meist nur oberflächlich in die Erde drangen, blieben die Mutterzwiebeln darin unversehrt und konnten reichlich neue Ausläufer treiben.
So wirksam förderten die Landwirte ihre ungebetenen Feldgäste, dass diese es sich sogar „leisten“ konnten, ihre Fortpflanzungsstrategie zu ändern – und die energieaufwändige Produktion von Samen im Laufe der Zeit weitgehend einstellten. Die Vermehrung klappte auch so: Noch bis in die 1950er Jahre galten Feuerlilien in den Niederlanden und Norddeutschland als Ackerunkraut, das jeder Bekämpfung widerstand.
Das änderte sich jedoch, als zur gleichen Zeit die Intensivierung der Landwirtschaft Fahrt aufnahm. Dank Kunstdünger und üppiger Bewässerung gediehen von da an auch auf den mageren Geestböden Weizen, Kartoffeln und Mais. Die alten Roggenfelder verschwanden – und mit ihnen die Lilien, denen auch die modernen, tief pflügenden Landmaschinen kaum eine Chance ließen. Einige Pflanzen überdauerten auf Wegrandstreifen und Brachen, aber meist nur kurz: Wie alle Ackerwildkräuter sind Feuerlilien darauf angewiesen, dass ihnen Mähwerkzeuge oder Weidetiere regelmäßig „den Kopf frei“ halten. Sonst werden sie schnell von nährstoffliebenden Stauden oder Gebüsch überwuchert.
Die Menschen vergessen. Aber die Lilien erinnern sich
Es hat schon fast etwas Tragisches: Dass eine Pflanze, die sich über Hunderte, womöglich Tausende von Jahren perfekt an menschliche Landbearbeitung angepasst hat, binnen weniger Jahrzehnte an den Rand des Aussterbens gerät – wiederum durch Menschenhand. Jürgen Koch verzeichnet zurzeit nur noch wenige Dutzend größere Feuerlilien-Standorte in Norddeutschland; an Waldrändern, auf Industriebrachen und speziellen Naturschutzäckern wie denen in Govelin.
Menschen haben ein so kurzes Gedächtnis. Innerhalb von zwei, drei Generationen vergessen sie, was sie jemals mit einer Pflanze verbunden hat.
Aber die Pflanzen wissen es noch. Denn ihre Erinnerung reicht nicht nur Tausende, sondern Zehntausende Jahre zurück. Und wenn man sie zu entschlüsseln versteht, beginnen sie zu „erzählen“ – und geben Erstaunliches preis.
Jürgen Koch hat festgestellt, dass alle europäischen Feuerlilien, die Arten des Tieflands ebenso wie der Berge, ein gemeinsames Merkmal haben: Ihre Zwiebeln sind, für eine Wildpflanze, ungewöhnlich groß und kompakt; sie zerfallen nicht in einzelne Schuppen, wenn man sie ausgräbt. Das, sagt Koch, sei ein deutliches Zeichen, dass bei ihrer Entwicklung Menschen die Hand im Spiel hatten. Menschen, die Lilien nicht um ihrer Schönheit willen kultivierten. Sondern um sie zu essen.
Die Zwiebeln, die aus Fernost kamen
Das klingt auf Anhieb nach einer ziemlich verwegenen Theorie. Für die aber laut Koch gleich zwei starke Indizien sprechen. Das erste: Lilienzwiebeln fast aller botanischen Arten sind sehr nahrhaft und lecker; überall, wo sie von Natur aus wachsen, sammeln und verzehren die indigenen Völker sie. Noch heute gehören Lilienzwiebeln zum festen Sortiment vieler asiatischer Wochenmärkte.
In Ostasien wachsen – zweites Indiz – auch die genetisch nächsten Verwandten der europäischen Feuerlilien. Weshalb es naheliegt, dass auch diese ursprünglich von dort stammen. Wie sie hierher kamen? Kochs Vermutung: Zusammen mit Jägern und Sammlern, die vor 40.000 oder mehr Jahren von Ostasien aus Richtung Westen aufgebrochen sind.
Diese frühen Migranten betrieben noch keinen Ackerbau (der kam erst vor etwa 12.000 Jahren auf), aber sie wussten, dass aus einer Lilienschuppe, an geeigneter Stelle in die Erde gesteckt, in drei bis fünf Jahren eine essbare Zwiebel wächst. Und dass man für die nächste Aussaat am besten die Schuppen der größten, festesten Zwiebeln verwendet.
Lilien essen – wie Kartoffeln und Sellerie
Als die Wanderer aus dem Osten, genau gesagt ihre Nachkommen, Tausende Jahre später in Europa eintrafen, hatten sich die mitgereisten Feuerlilien durch kontinuierliche Selektion bereits zu prachtvollen Kulturpflanzen entwickelt. Zu Gewächsen, die sich von ihren Wildformen ähnlich weit entfernt hatten wie etwa Roggen und Weizen von den Wildgetreidearten aus der Frühzeit des Ackerbaus. Und wer weiß – wenn sich das Pflanzenwissen der Zuwanderer auch unter den damaligen Bewohnern Europas herumgesprochen hätte, vielleicht wären Lilienzwiebeln heute ein so selbstverständlicher Teil unserer Esskultur wie Kartoffeln, Möhren oder Sellerie.
Hätte, wäre, vielleicht. Es ist nicht so gekommen, und deshalb ist Jürgen Kochs Theorie vom Ursprung der europäischen Feuerlilien bislang eben nur eine Theorie. Noch sind keine archäologischen Funde aufgetaucht, die sie stützen könnten. Die einzigen handfesten Belege dafür sind die Lilien selbst.
Es wird höchste Zeit, dass sie ihre ganze Geschichte erzählen. Und Jürgen Koch hat sich vorgenommen, diese ans Licht zu bringen – gemeinsam mit zwei lilienbegeisterten Fachleuten: Nikolai Friesen, dem Kustos des Botanischen Gartens Osnabrück, und Lisa Grützmacher, Doktorandin im Fach Botanik. Mithilfe eines Forschungsstipendiums wollen die drei das Genom der Feuerlilien näher erkunden – ein Projekt, das die Ressourcen eines einzelnen ehrenamtlichen Pflanzenkundlers bei weitem übersteigen würde, denn dieses Genom ist etwa zehnmal so groß wie das des Homo sapiens. Auch die drei Lilienexperten zusammen werden lediglich ein paar Ausschnitte daraus entschlüsseln können, aber schon diese könnten Antworten auf grundsätzliche Fragen liefern: etwa, wie eng die verschiedenen europäischen Feuerlilienarten miteinander verwandt sind, und ob sie womöglich nicht nur einmal, sondern in mehreren Wellen nach Europa eingeführt wurden.
Letzte Zuflucht Gartenbeet?
Wenn die Wissenschaft die angeblichen „Gartenflüchtlinge“ endlich auch offiziell als eigene Spezies anerkennt – dann, so Kochs zusätzliche Hoffnung, werden die zuständigen Behörden sich auch mehr für ihren Schutz engagieren. Denn der ist dringlicher denn je.
Den Acker, auf dem Lilium buchenavii var. govelini wächst, hat die Familie Bergmann nur gepachtet – bis 2025. Im ungünstigsten Fall wird ein neuer Pächter die Fläche danach umpflügen und Mais oder eine andere einträgliche Feldfrucht darauf pflanzen. Das wäre ein bitterer Verlust für die Artenvielfalt in Deutschland. Allerdings – kleiner Trost – kein unvermeidbarer.
Feuerlilien lassen sich leicht vermehren, und sie gedeihen in jedem gut durchlässigen Gartenboden. Es dürfte nicht schwer sein, eine ausreichend große Zahl von Lilienfreundinnen und -freunden zu finden, die den vom Acker Verdrängten Asyl gewähren – natürlich unter Aufsicht der für die Region zuständigen Naturschutzbehörde. Bis die offene Landschaft ihnen und anderen bedrohten Wildkräutern eines hoffentlich nicht zu fernen Tages wieder genug Lebensraum bietet, könnten sie überdauern – als Gartenflüchtlinge im direktesten Sinne des Wortes.
Ich würde ihnen sofort einen Platz in meinen Beeten freiräumen.