Zu viel Stickstoff überdüngt und verschmutzt die Erde - Wege aus der Krise

Es sind zu viel Nitrat, Stickoxide, Ammoniak und Lachgas im Umlauf. Welche Probleme schafft das, und wie kann man sie lösen?

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Brombeerranke im Vordergrund, im Hintergrund Brombeeren und Brennnesseln sowie einzelne Baumstämme.

Auf der internationalen Bühne wird in diesem Herbst mal wieder über die Klimakrise und über ein neues Abkommen zur Eindämmung der Plastikverschmutzung verhandelt. Beide Themen finden schon jetzt viel Beachtung in den Medien. Aber nur wenigen ist bewusst, dass noch ein weiteres Problem weit oben auf der Umweltagenda der Vereinten Nationen steht: die globale Stickstoffverschmutzung.

Unter dem Motto #Beatnitrogenpollution macht das Umweltprogramm der Vereinten Nationen auf das bislang vernachlässigte Problem aufmerksam: In vielen Regionen der Welt sind Luft, Böden sowie Meere und andere Gewässer mit Stickstoffverbindungen überlastet. Das hat drastische Folgen für die Gesundheit von Menschen wie auch für die Natur.

Eine blonde Frau mit Brille lächelt in die Kamera, links neben ihr steht das Buch „Globale Überdosis“. Rechte: Sven Preger
Wie aus der heiß umkämpften Mangelware Stickstoff eine Überdosis wurde und was sich dagegen tun lässt, erzählt Anne Preger im „Wissensbuch des Jahres 2023“.

Ist Stickstoff schädlich?

Es kommt auf die Form an, den Ort und die Dosis. Eigentlich ist das Element Stickstoff lebensnotwendig. Es steckt in jeder lebenden Zelle, etwa in Form von Eiweißen und Erbgut. Doch die Menschheit überlastet den Stoffwechsel der Erde mit zu viel „reaktivem“ Stickstoff. Gemeint sind damit unter anderem Ammoniak, Stickoxide, klimaschädliches Lachgas, Nitrat oder Proteine.

Zu viel reaktiver Stickstoff im Umlauf …

  • überdüngt Lebensräume an Land und im Wasser und verringert die Artenvielfalt.
  • erhöht die Dürreanfälligkeit von Bäumen.
  • verschmutzt das Grundwasser und kann so die Trinkwassergewinnung verteuern.
  • erwärmt auf mittlere Sicht die Erde.
  • schädigt die Ozonschicht, die vor schädlicher UV-Strahlung der Sonne schützt.
  • verschmutzt die Luft, belastet so die menschliche Gesundheit und lässt Menschen früher sterben. Laut EU-Umweltagentur starben in der EU allein im Jahr 2020 knapp 50.000 Menschen vorzeitig, weil sie zu viele Stickoxide eingeatmet haben. Hinzu kommen Krankheiten und vorzeitige Todesfälle durch stickstoffhaltigen Feinstaub.
  • verursacht auf all diese Weise nach Schätzung der Vereinten Nationen weltweit jedes Jahr Schäden in Höhe von mehr als 340 Milliarden US-Dollar.

Was bei dieser globalen Überdüngung nicht mitzählt, ist Luftstickstoff, kurz N2. Diese Verbindung macht den Großteil unserer Luft aus und ist chemisch und biologisch gesehen unreaktiv. Diesen Vorrat zapft die Menschheit allerdings seit mehr als hundert Jahren in industriellem Maßstab an. Dabei entstehen aus dem trägen Luftstickstoff reaktionsfreudige Formen.

So bringt die Menschheit kontinuierlich mehr reaktiven Stickstoff neu in Umlauf als es durch sämtliche natürlichen Prozesse geschieht – wie etwa durch Gewitter. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem gigantischen Geoengineering-Experiment. Der Eingriff in den Stickstoff-Kreislauf der Erde ist so umfassend und tiefgreifend, dass nach Ansicht von Fachleuten die sogenannte planetare Belastungsgrenze für Stickstoff deutlich überschritten ist.

Spärlich bewachsene, trockene Sandfläche, im Hintergrund einzelne Bäume wie Kiefern und Birken, darüber ein blauer Himmel.
Damit der Sandtrockenrasen und die Heide auf der Hohen Ward bei Münster trotz Stickstoff-Einträgen aus der Luft als Lebensräume erhalten bleiben, ist hier auch schon der Bulldozer angerollt, um den nährstoff-angereicherten Oberboden abzuschieben.

Warum schadet zu viel Stickstoff der Natur und der Biodiversität?

In der Erdgeschichte war biologisch nutzbarer Stickstoff fast immer und fast überall Mangelware. Im Laufe der Evolution haben nicht nur Menschen, sondern auch Mikroben, Pilze, Pflanzen und Tiere verschiedenste Strategien entwickelt, um sich mit dem Element zu versorgen. Diese Vielfalt von Arten, aber auch ihrer Lebensräume ist durch Überdüngung in Gefahr. Denn von dieser profitieren überall nur einige wenige Arten. Sie verdrängen genügsamere Lebewesen.

Der Biologe Ingmar Staude von der Uni Leipzig hat auf Nachfrage extra nachgerechnet: In Deutschland steht jede dritte Pflanzenart als mehr oder weniger stark gefährdet auf der Roten Liste, bei den genügsamen ist es sogar jede zweite Art. Dass die meisten unser heimischen Wälder und Wiesen durch überhöhte Stickstoffeinträge geprägt sind, lässt sich vielerorts schon an der Vegetation erkennen – unter anderem wuchernden Brennnesseln und Brombeeren sowie starkem Aufkommen von Bärenklau, Springkraut oder Löwenzahn.

Egal ob Hochmoor, Wald, Bergflur, Magerrasen, Heide oder Mähwiese – rund zwei Drittel aller als wertvoll angesehenen Lebensräume in Deutschland sind durch Stickstoffeinträge stark bedroht. In der Europäischen Union sind es sogar drei Viertel. Die Niederlande befinden sich seit Jahren wegen deutlich überhöhter Stickstoff-Einträge in die Natur in einer „Stickstoffkrise“.

Die Extraportion Stickstoff geht flächendeckend auf Wälder und andere Lebensräume nieder – und zwar vor allem in Form von saurem Regen und Feinstaub. Beide enthalten Stickstoffverbindungen wie Nitrat- und Ammoniumsalze, die von Abgasen und Ausdünstungen von Dünger und Gülle herrühren. Diese Verbindungen lassen auch Böden versauern.

In Gewässern kann Überdüngung mit Stickstoff- und Phosphor-Verbindungen unter anderem zu Algenblüten und Sauerstoffarmut führen, die viele Unterwasserarten nicht oder nicht gut vertragen. Schon jetzt haben sich in den Weltmeeren rund 700 Todeszonen gebildet – vor allem in Küstengewässern, die weltweit zu rund 80 Prozent betroffen sind. Das zeigt auch diese interaktive Karte.

Eine kleine Pflanze mit runden Blättern, diese sind mit rötlichen Tentakeln besetzt.
Der rundblättrige Sonnentau fängt Insekten, um seinen Stickstoffbedarf zu decken. In überdüngten Mooren wird er durch konkurrenzstärkere Arten verdrängt.

Woher kommt die Verschmutzung durch zu viel Stickstoff?

Die meisten Stickstoffverbindungen gelangen durch die Produktion von Lebensmitteln in die Umwelt. Mehr als die Hälfte des weltweit auf Äckern eingesetzten Düngers landet im Schnitt nicht in den angebauten Pflanzen, sondern verschmutzt die Umwelt.

Vor allem die Tierhaltung trägt zur globalen Überdüngung bei. Das liegt auch an der schieren Menge an Nutztieren auf dem Planeten. Geht man nach der Biomasse, also dem Gewicht, dann machen Rinder, Schweine, Schafe und Haustiere inzwischen knapp 60 Prozent der weltweiten Säugetier-Biomasse aus, wilde Säugetiere bringen dagegen laut einer PNAS-Studie nur noch sechs Prozent auf die Waage. Bei den Vögeln macht Geflügel etwa 70 Prozent der weltweiten Vogel-Biomasse aus. Laut den Vereinten Nationen verursacht die Tierhaltung rund ein Drittel der weltweiten Stickstoff-Einträge aus menschlichen Quellen. Beim Anbau von Futterpflanzen gelangen viele Düngerreste in die Umwelt; aus Ställen und Gülle-Lagern dünsten große Mengen an Ammoniak aus. Daraus bildet sich unter anderem gesundheitsschädlicher Feinstaub. Neben der Landwirtschaft gehören Verkehr, fossile Energiegewinnung, Industrie und Abwasser zu den Hauptquellen der Belastung.

Was passiert mit Harnstoff und anderen Stickstoffverbindungen in Kläranlagen?

Kläranlagen entfernen zwar einen großen Teil der reaktiven Stickstoffverbindungen aus dem Wasser. Das ist grundsätzlich eine gute Nachricht für angrenzende Flüsse, in die das geklärte (aber immer noch nährstoffhaltige) Wasser eingeleitet wird. Beim Klären entstehen am Ende wieder Luftstickstoff und in sehr geringen Maße klimaschädliches Lachgas.

Der Nachteil der aktuellen Art der Abwasserreinigung: Wertvoller biologisch nutzbarer Stickstoff geht verloren und wird nicht im Kreislauf geführt und wieder zum Düngen eingesetzt. Vor allem menschlicher Urin enthält neben Phosphor und Kalium viel Stickstoff. Inzwischen versuchen Forschungsprojekte, den Kreislauf zwischen Acker, Teller und Toilette wieder zu schließen.

Daran arbeitet unter anderem das Projekt Zirkulierbar. In Brandenburg entsteht in Barnim bei Eberswalde eine Anlage, in der Inhalte aus Trockentoiletten ohne Umweg über eine Kläranlage zu Recyclingdünger verarbeitet werden. Laut dem Projekt ließe sich auf längere Sicht rund ein Viertel des deutschen Düngerbedarfs aus aufbereiteten menschlichen Ausscheidungen decken. Allerdings erschweren zurzeit rechtliche Hürden in Deutschland die Anwendung solcher Dünger aus menschlichen Ausscheidungen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen.

An einem Hang in den Bergen versprüht eine Landmaschine in hohem Bogen eine Düngerwolke.
Selbst hochgelegene Alpenregionen sind inzwischen durch Stickstoff-Einträge aus der Landwirtschaft sowie Industrie- und Verkehrsabgase aus dem Tal belastet. Dadurch nimmt der Artenreichtum der Pflanzen- und Insektenwelt immer mehr ab.

Was kann ich im Alltag gegen Stickstoff-Verschmutzung tun?

  1. Weniger tierische Produkte essen, vor allem weniger Fleisch.
  2. Besser haushalten und weniger Lebensmittel wegwerfen.
  3. Das eigene Mobilitätsverhalten anpassen. Unter anderem weniger Verbrennerauto fahren, dafür mehr Fahrrad, Bus und Bahn.
  4. Weniger Klamotten und anderen Kram neu kaufen. Denn deren Produktion und Transport setzen auch reaktiven Stickstoff frei. Beim Einkaufen nach Nachhaltigkeitslabeln Ausschau halten.
  5. Die Macht nutzen, die uns als Verbraucherin, Kunde und Wählerin zur Verfügung steht, um einen sorgfältigeren Umgang mit Stickstoff einzufordern.

(Auszug ausGlobale Überdosis, Quadriga-Verlag)

PS: Wer Gassi geht: Hundekot wirklich immer und überall mitnehmen. Laut der Studie eines Berliner Forschungsteams schaden draußen abgelegte Haufen der Umwelt unterm Strich mehr solche, die mitsamt Plastikbeutel im Restmüll entsorgt werden.

Wildbiene sitzt seitlich an einer rosa Kleeblüte.
Klee und andere Leguminosen können helfen, Düngermenge und Umweltverschmutzung zu reduzieren – bei gleichbleibenden Ernteerträgen. Diese Pflanzen nutzen einen Trick: Sie leben mit Mikroben zusammen, die Luftstickstoff nutzbar machen können.

Welche Lösungen gibt es sonst gegen die Stickstoffkrise?

Den eigenen Stickstoff-Fußabdruck kennenzulernen und zu verkleinern, kann ein erster Schritt sein. Doch es liegt nicht in der Macht von Einzelnen allein, die globale Stickstoffkrise zu lösen. Entscheidend ist, dass Landwirtinnen und Landwirte effizienter mit Kunstdünger und Gülle umgehen, damit mehr Dünger-Stickstoff am Ende in Form von Nahrung auf dem Teller landet und weniger in der Umwelt. In seiner Informationskampagne macht das Umweltprogramm der Vereinten Nationen darauf aufmerksam, dass die Verschmutzung der Umwelt mit Stickstoffverbindungen am Ende auch die Ernährungssicherheit gefährdet.

Letztlich ist es vor allem Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Belastung mit Stickstoffverbindungen spürbar kleiner wird, sodass die Natur besser geschützt ist und Menschen nicht durch das Einatmen von Stickoxiden und stickstoffhaltigem Feinstaub krank werden oder gar früher sterben. In der Umweltversammlung der Vereinten Nationen steht das Thema bereits seit einigen Jahren auf der Agenda. So haben sich im März 2022 mehr als 190 Länder der Erde bei einem Gipfeltreffen in Nairobi darauf verständigt, die Belastung der Erde mit Stickstoff-Verbindungen bis zum Jahr 2030 „signifikant zu reduzieren“.

Die Europäische Union will die Stickstoff-Belastung unter anderem über die sogenannten „Null-Schadstoff-Ziele für 2023“ verringern, damit Luft, Wasser und Natur sauberer werden und die Schäden und Gesundheitskosten durch Verschmutzung kleiner werden. Nach Ansicht der EU-Kommission hapert es allerdings weiterhin an der Umsetzung.

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