Nachhaltigkeitsexperten: Heftige Kritik an Taxonomie-Entwurf
Das Gremium, das die EU zu nachhaltigen Finanzen berät, kritisiert die Pläne Brüssels, Erdgas und Kernkraft als grüne „Brückentechnologie“ in die EU-Taxonomie aufzunehmen
In einer veröffentlichten Stellungnahme kritisiert die EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, ein Beratungsgremium der Europäischen Kommission, den Vorschlag der Exekutive, Erdgas und Atomkraft als grüne „Brückentechnologie“ in die EU-Taxonomie aufzunehmen.
Die EU-Taxonomie soll helfen, dass Anleger nachhaltige und nicht-nachhaltige Investments auf den ersten Blick identifizieren können. Geplant war eine Art „Gold-Standard“ für grüne Investments.
Dazu hatten die 57 Mitglieder der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, bestehend aus Nachhaltigkeitsexpertïnnen der Finanzwirtschaft, Vertreterïnnen der Industrie sowie Umweltgruppen, im Auftrag der EU Regeln für Geldanlagen entwickelt, die künftig als grün und nachhaltig gelten dürfen.
Schon bei einem vorigen Leak, der dem jetzigen Entwurf sehr ähnelt, warnten Umweltverbände vor einem „Greenwashing“ per Gesetz. Ähnlich deutlich wurde nun auch die Expertengruppe in ihrer Analyse.
Der Vorschlagsentwurf der Kommission, der am 31. Dezember 2021 veröffentlicht wurde, war bis Freitag (21. Januar) Gegenstand einer Konsultationsphase. Die EU-Länder und auch die Experten-Gruppe hatten nur drei Wochen Zeit, den Vorschlag zu analysieren und ihre Kommentare zu übermitteln.
Taxonomie-Vorschlag nicht geeignet Klimaziele zu erreichen
Nach dem Vorschlagsentwurf würden Gaskraftwerke ein „Übergangs“-Investitionslabel erhalten, wenn sie „ab dem 1. Januar 2026 mindestens 30 Prozent erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase und ab dem 1. Januar 2030 mindestens 55 Prozent erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase“ verwenden. Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, dass ab dem 1. Januar 2036 alle Gaskraftwerke auf erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase umgestellt werden müssen", um sich für das EU-Gütesiegel für grüne Investitionen zu qualifizieren.
Das Expertengremium ist allerdings der Ansicht, dass diese Kriterien nicht ausreichen, um die Einhaltung der EU-Klimagesetzgebung zu gewährleisten. Die EU hat sich vorgenommen bis 2050 ein Netto-Null-Ziel zu erreichen.
„Erdgas mag zwar in einer Übergangsphase genutzt werden, “ schreibt Nathan Fabian, der Vorsitzende der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, auf Twitter. Aber selbst bei den effizientesten neuen Gaskraftwerken, die 316 Gramm CO2-Äquivalente (CO2e) pro Kilowattstunde ausstoßen, sei die Energiegewinnung über den gesamten Lebenszyklus des Kraftwerks zu keinem Zeitpunktunter Taxonomie-Kriterien als grün anzusehen, so das Ergebnis der Analyse.
Folglich verursachen die vorgeschlagenen Kriterien für Gaskraftwerke „auch nach 2036 noch erhebliche Schäden im Vergleich zu den aktuellen und prognostizierten Kriterien“.
Stromerzeugung mit fossilen gasförmigen Brennstoffen könne nur dann als wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz gelten, wenn die Treibhausgas-Emissionen im ganzen Lebenszyklus unter 100 g CO2e/kWh liegen, so das Expertengremium. Dieser Wert gilt als nur erreichbar, wenn Kohlenstoffabscheidung und -speicherung zum Einsatz kommen.
Experten: Kernkraft widerspricht den Taxonomie-Regeln
Ebenso widersprach die Experten-Kommission dem Wunsch von Kernkraft-Befürwortern, dieser Technologie ein grünes Label zu verpassen.
Nach den Taxonomie-Regeln kann keine Technologie als umweltfreundlich gelten, wenn sie einem der sechs Umweltziele – Eindämmung des Klimawandels und Anpassung an den Klimawandel, Gewässerschutz, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Schutz der biologischen Vielfalt – „erheblichen Schaden“ zufügt. Den EU-Beraterïnnen zufolge trifft dieses „do no significant harm“-Prinzip auch nicht auf Kernenergie zu. Der Kommissionsentwurf widerspreche damit mehreren Zielen der Taxonomie, darunter dem Gewässerschutz, der Kreislaufwirtschaft, der Vermeidung von Umweltverschmutzung und dem Schutz der biologischen Vielfalt, heißt es in der Stellungnahme. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch ein Rechtsgutachten der österreichischen Regierung.
Andere Fördermechanismen für Erdgas-Kraftwerke entwickeln
Die EU-Berater erkennen zwar an, dass Kernkraft und Erdgas zu den Dekarbonisierungszielen der EU beitragen können. Eine Förderung sei jedoch mit anderen Rechtsinstrumenten zu erreichen; die Taxonomie sei nicht der richtige Platz dafür.
„Jetzt ist nicht die Zeit, die Grenzen der Klimaneutralität zu verwischen“, sagt Fabian. „Wenn mehr Instrumente benötigt werden, um die Zwischenschritte bei der Umstellung unserer Industrien auf Umweltziele zu beschreiben, sollten wir darauf achten, sie richtig zu entwickeln“, fügte er hinzu.
Der Bericht kann auch als Kritik an Deutschland betrachtet werden. Während Deutschland zwar der Einbeziehung von Kernkraft ablehnend gegenüber steht, hatte die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz in ihrer Rückmeldung an die EU zur Taxonomie eine klare Pro-Gas-Position vertreten.
Die Bundesregierung setzt sich darin dafür ein, beim Bau von neuen Gaskraftwerken konkrete „Zwischenziele“ für 2025 und 2030 für die Beimischung von CO2-armen Gasen wie grünem Wasserstoff zu streichen.
„Es ist natürlich inhaltlich richtig, wenn Deutschland in seiner Stellungnahme darauf hinweist, dass die im derzeitigen Entwurf geforderten Anteile grüner Gase im Zeitrahmen 2026–2035 noch gar nicht vorhanden sein werden“, sagt Jutta Paulus, Grünen-Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Mitglied im Umweltausschuss. „Die Konsequenz sollte jedoch sein, dass fossile Brennstoffe gar nicht in die Taxonomie aufgenommen werden.“ Dass „sogar Atomkraft trotz der unzweifelhaften Probleme bei Uranbergbau und Endlagerung sowie des nie auszuschließenden Risikos einer Nuklearkatastrophe ein grünes Label bekommen soll, welches auch noch für Laufzeitverlängerungen von Uralt-Reaktoren gelten soll“, setze dem Vorschlag „die Krone auf“, so Paulus. Um die Glaubwürdigkeit des EU-Labels zu retten, sollte die Kommission den vorliegenden Vorschlag ersatzlos zurückziehen, fordert die Grünen-Politikerin.
Österreich und Luxemburg wollen gegen den Entwurf klagen
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), begrüßt Deutschlands Nein zur Kernkraft. Die Stellungnahme der Bundesregierung zur Aufnahme fossiler Erdgaskraftwerke in die Liste nachhaltiger Finanzprodukte sei jedoch inkonsequent. Selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig sei, mache dies einen fossilen Energieträger noch lange nicht zu einer grünen Technologie, so Müller-Kraenner. Die DUH fordert von der Bundesregierung, sich der von Österreich und Luxemburg angekündigten Klage gegen den von der Kommission vorgelegten Taxonomie-Rechtsakt anzuschließen.