Das Traumschiff kennt keine Klimakrise
Die hohe Nachfrage nach Klima-Themen beantworten öffentlich-rechtliche Sender kaum. Vor allem das ZDF hält sich zurück.
Programmdaten-Analyse von „Klima vor Acht“: Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens reflektiert öffentliche Interesse an Klima-Themen nicht angemessen.
Beschäftigen sich die Öffentlich-Rechtlichen ausreichend mit der Klimakrise? Laut einer quantitativen Programmdaten-Analyse des Vereins „KLIMA vor acht“ berichten sie im Vergleich zur Corona-Krise weniger als das öffentliche Interesse verlangen würde. Besonders auffallend ist die Zurückhaltung beim Hauptsender ZDF.
„Klima vor acht“ verglich im Rahmen seiner Analyse die Berichterstattung zum Thema „Corona“ mit dem zum Thema „Klima“. Während die Zahl der inhaltlich relevanten Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beim Corona weitgehend dem „öffentlichen Interesse“ folgte, war das beim Thema Klima überwiegend nicht der Fall.
Das Bewertungskriterium „öffentliches Interesse“ leitet der Verein aus der Themen-Relevanz ab, die die Forschungsgruppe Wahlen in einer repräsentativen Langzeitbefragung mit der offenen Fragestellung ermittelt: „Was ist Ihrer Meinung nach gegenwärtig das wichtigste Problem in Deutschland?”.
Insbesondere im Jahr 2021 reagierten die Sender demnach nicht sensibel auf das veränderte öffentliche Interesse: Während das Interesse der Öffentlichkeit an Corona-Themen abebbte, wurde noch über längere Zeit intensiv berichtet. Auf die seit Jahresanfang stark gestiegene Nachfrage nach Klimathemen reagierten die Sender bis Mitte Oktober kaum.
1,6 Millionen Sendungen ausgewertet
Für die Auswertung wurden alle Daten der öffentlich einsehbaren ARD- beziehungsweise ZDF-Programmübersicht entnommen. Dafür wurde ein Webcrawler eingesetzt – das ist ein kleines Such- und Auswerteprogramm -, das nach der Zeichenfolge „klima“ und „corona“ in den Titeln, Untertiteln und den folgenden Programmdetails der Online-Programmübersichten suchte.
Dabei wurde ein Programmeintrag jeweils nur einmal berücksichtigt, auch wenn die Zeichenfolge mehrfach in Titel, Untertitel oder in den Details auftauchte. Wiederholungen von Sendungen wurden gezählt. Sondersendungen zählten so viel wie normale Sendungen, die Sendedauer spielte keine Rolle. Transformationsthemen wie Verkehrswende oder Energiewende wurden nur erfasst, wenn auch der Begriff „Klima“ genannt wurde.
Für die Analyse wurden rund 1,6 Millionen Sendungen im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 15. Oktober 2021 ausgewertet. Berücksichtigt wurden alle ZDF und ARD angeschlossenen Kanäle, also alle dritten Programme sowie ONE, KIKA, arte, 3sat und phoenix. Eine Heatmap zeigt, dass Klima-Themen bei fast allen Sendern seit dem Beginn der Schulstreiks im Jahr 2019 deutlich zunahmen.
Auffallende Zurückhaltung: ZDF und KIKA
Bei den Sendern ONE, ZDF, ZDFinfo und ZDFneo veränderte sich hingegen kaum etwas – das ZDF reagierte 2019 immerhin auf die Fridays-for-Future-Schulstreiks. Im Kinderkanal KIKA wurden Informationen zu Klimathemen im Jahr 2019 sogar deutlich zurückgefahren und reichten auch 2021 nicht an das Niveau von 2016 heran. 3sat, ARD-alpha, arte, phoenix und tagesschau25 berichteten hingegen vergleichsweise sehr oft über Klima-bezogene Themen.
Eine Heatmap zeigt die Anzahl der Sendungen pro Sender und Jahr an: Je dunkler die Farbe, desto höher die Zahl der Sendungen. Verhältnismäßig viele Sendungen strahlten demnach die Spartenkanäle 3sat, ARD-alpha und phoenix aus. Wenig Programm zur Klimakrise sendeten KIKA, ONE und ZDFneo. Auch das Hauptprogramm des ZDF bewegte sich am unteren Ende des Spektrums – im Schnitt wurde dort 2020 nicht einmal jeden dritten Tag eine Sendung zum Thema Klima ausgestrahlt.
Während die Sender auf den Dürresommer 2018 und auch auf die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 nicht mehr mit Klima-bezogenen Sendungen reagierte, war das bei den Weltklimakonferenzen seit 2018, insbesondere aber beim Globalen Klimastreik 2019 und dem zeitgleich verabschiedeten Klimapaket der Bundesregierung anders. Auch die von der ARD 2020 gesendete Themenwoche zur Klimakrise schlägt sich in der Auswertung von Klima vor Acht deutlich nieder.
„Bevölkerung problembewusster als die öffentlich-rechtlichen Medien“
Auf Twitter stieß die Programmdaten-Analyse mit dem Hastag #KlimaMedienKrise auf große Resonanz – weist sie doch auf größere Probleme hin, die quantitativ allerdings schwerer zu erfassen sind. Der ZDF-Wettermoderator Özden Terli betonte, dass „False Balance“, also immer zwei Seiten zu hören – auch wenn es zu einem naturwissenschaftlichen Fakt keine zweite Meinung geben kann -, „massiv schädlich“ sei: „Wenn Klimaleugner als Kritiker in Talskshows sitzen & auch als solche behandelt werden, läuft etwas gewaltig schief.“
Die Umwelt- und Klimajournalistin Annika Joeres schrieb: „Oft wird Klima-Journalist:innen vorgeworfen, sie hätten elitäre Agenda, die Menschen nicht interessiere. Das Gegenteil stimmt: Das Publikum interessiert sich mehr für #Klimakrise & Lösungen als es Fernsehprogramm spiegelt.“ Für den Filmemacher und Autor Mario Sixtus ist klar: „Das ist wirklich eine Schande: Die Bevölkerung ist längst problembewusster in Sachen Klimakatastrophe als die öffentlich-rechtlichen Medien, die per Staatsvertrag für Informationen und News dazu zuständig wären.“
Der Biodiversitäts- und Klima-Wissenschaftler Wolfgang Cramer schließlich hält die Programmdaten-Analyse für „präzise“ und macht darauf aufmerksam, dass das öffentliche Interesse nicht nur an der Klimakrise, sondern auch an der Biodiversitätskrise von den Medien „nicht wirklich mit Informationen beantwortet“ werde.