Sie sind wieder da: Wieso die Rotmilane die Schweiz zurückerobern

Die prächtigen Greifvögel passen sich gut an die veränderte Umwelt an und stossen in neue Gebiete vor.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter: Markus Hofmann
12 Minuten
Ein Rotmilan vor dem blauen Himmel.

Ein Blick in die Krone der Kiefer, ein Griff an den rötlich-braunen Baumstamm, und schon klettert Valentijn van Bergen mit unglaublicher Behändigkeit daran in die Höhe. Eine Leiter benötigt er nicht. Die wäre in diesem abschüssigen Gelände auch nur schwer zu gebrauchen. Gesichert mit Seilen und geschützt mit einem Helm überwindet er rasch und sicher Meter um Meter. Sein Ziel: ein junger Rotmilan in einem Horst rund 25 Meter über dem Waldboden.

Es ist der Morgen eines schwül-warmen Juni-Tags im Norden der Schweiz, unweit der Grenze zu Deutschland. Das Städtchen Stein am Rhein liegt ganz in der Nähe. Das steile Waldstück ist umgeben von Feldern. Durch eine Lücke im Dach des Mischwaldes leuchtet der weisslich-blaue Himmel. Immer wieder erscheint dort ein Rotmilan. Der für diese Art typische gegabelte Schwanz ist im Gegenlicht gut erkennbar, und unüberhörbar ist die Stimme: ein auf- und absteigendes „Wii-uuh“.

Unter Beobachtung der Rotmilan-Eltern

Beobachtet dieser Rotmilan, wie sich Valentijn van Bergen gerade unaufhaltsam dem Nest nähert? „Wenn wir hochklettern, verlassen die Elterntiere ihre Nester und kreisen dann über uns. Aggressiv sind sie aber nicht“, sagt Lara Gross, die unten an der Kiefer steht und zu ihrem Kollegen hochblickt. Auch sie trägt einen Helm. Er schützt sie gegen möglicherweise herunterfallende Äste.

Da ertönt die Stimme von Valentijn van Bergen aus ihrem Mobiltelefon. Er ist oben beim Horst angekommen. Die schweisstreibende Kletterei war nicht vergeblich: Im Horst liegt ein junger Rotmilan. Nun kann die Vermessung des Jungvogels beginnen. Seine Daten werden einen weiteren Mosaikstein bilden, um eine Frage zu beantworten: Wieso breiten sich die Rotmilane so zügig aus in der Schweiz, nachdem sie im letzten Jahrhundert praktisch verschwunden waren?

In einer Lichtung kreist ein Rotmilan vor dem weisslich-blauen Himmel.
Über dem Horst kreist ein Rotmilan. Möglicherweise ist es ein Elternteil des Jungvogels, der gerade von Forschern untersucht wird.

Der Rotmilan ist ein europäischer Vogel. Nur in Europa brütet er. Deutschland, Frankreich und Spanien gehören zu den Ländern, in denen er am stärksten verbreitet ist. Aber auch im Vereinigten Königreich, im südlichen Schweden und eben in der Schweiz ist er häufig anzutreffen. 93 Prozent der Rotmilan-Weltpopulation leben in diesen sechs Ländern. Der Gesamtbestand wird auf 25.000 bis 33.000 Brutpaare geschätzt, die Hälfte davon lebt in Deutschland. Diesem Land kommt beim Schutz des Rotmilans deshalb eine besonders grosse Bedeutung zu.

Gerade ist der Rotmilan dort von der Vorwarnliste verschwunden und gilt nun als ungefährdet. Doch während die Bestände in Süddeutschland zunehmen, gehen sie in Ostdeutschland zurück. Solche Tendenzen sind in ganz Europa zu beobachten. Gemäss dem neuen Europäischen Brutvogelatlas ist zwar insgesamt eine positive Entwicklung erkennbar. Doch in gewissen Regionen gehen die Bestandszahlen zurück, so etwa in Portugal, Südspanien oder im Südosten Polens.

Zunahmen stellt man etwa in Dänemark, Schweden und Grossbritannien – und in der Schweiz fest. In diesem kleinen Land zählte die Schweizerische Vogelwarte für den aktuellen Brutvogelatlas 2800 bis 3500 Rotmilan-Brutpaare, also ca. ein Zehntel der Weltpopulation. Auch hier gilt der Rotmilan als nicht gefährdet. Noch vor wenigen Jahrzehnten zeigte sich allerdings ein ganz anderes Bild.

Beinahe ausgerottet

Wie anderen Greifvögeln wurde auch den Rotmilanen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gnadenlos nachgestellt. Einst weit verbreitet, wurden sie fast ausgerottet. Sie galten als Schädlinge, wurden vergiftet und mit der Flinte erlegt. 1925 stellte die Schweiz den Rotmilan unter Schutz. Doch die Bestände erholten sich zunächst nur langsam. Das Verbot, den Rotmilan zu erlegen oder seinen Horst zu plündern, setzte sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtig durch. 1969 brüteten dann erst rund 90 Rotmilan-Paare in der Schweiz.

Doch seither hat sich Erstaunliches getan. Die Rotmilane erobern die Schweiz Stück um Stück zurück und zwar in beachtlicher Geschwindigkeit. Sie fehlen lediglich in den Kantonen Genf und Tessin. Sonst brütet der Rotmilan inzwischen wieder überall. Er stösst gar in die Alpentäler vor und nistet vereinzelt auf über 1500 Meter Höhe.

Ein Rotmilan schreitet auf einer Wiese und hat die Flügel ausgebreitet.
Mit einer Spannweite von bis zu 1,65 Metern ist der Rotmilan einer der grössten Vögel der Schweiz.

Dennoch: Rotmilane bevorzugen die gemässigteren Zonen. Am höchsten sind die Bestandsdichten zwischen 400 und 900 Meter. Da können sich dann auch schon mal 124 Rotmilan-Paare 350 Quadratkilometer teilen wie in einer Region in der westlichen Schweiz. Auf einer Fläche von 6,25 Quadratkilometern zählte man dort gar 11 Bruten. Und nicht nur auf dem Land ist der Rotmilan zu sehen. Auch in Zürich und anderen Städten ist er keine Seltenheit mehr. Rotmilane sind in der Schweiz wieder zu einem gewohnten Anblick geworden.

Diese erfreuliche Entwicklung hat Ornithologinnen und Ornithologen auf den Plan gerufen, die genauer wissen wollen, was hinter der Ausbreitung steckt. In den 1990er Jahren begannen sie, Rotmilane zu beringen, vor allem in der Westschweiz, wo sie in den erwähnten hohen Dichten vorkommen. Rund 850 Nestlinge wurden so mit individuell gekennzeichneten Aluringen an den Beinen versehen. Wird ein beringter Vogel später wieder beobachtet oder tot aufgefunden, können daraus Schlüsse auf die Überlebensrate und den Bruterfolg gezogen werden.

500 Jungvögel mit GPS-Sendern ausgerüstet

Seit 2015 läuft ein Forschungsprojekt der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, um die Rotmilan-Ausbreitung noch präziser aufzuschlüsseln. Nun werden die Rotmilane nicht mehr nur beringt, sondern zusätzlich mit einem GPS-Logger ausgerüstet, der die Bewegungsdaten übers Mobilfunknetz oder per Funkverbindung überträgt und es so erlaubt, die Bewegungen der Vögel genau zu verfolgen.

So will man zum Beispiel untersuchen, wie Jungvögel nach dem Flüggewerden ihre Umgebung erkunden, wo und wieso sie später Brutversuche starten, wie sich das Nahrungsangebot auf den Bruterfolg auswirkt oder wie Umweltbedingungen das Zugverhalten beeinflussen. Bisher sind rund 500 Rotmilane in der Schweiz mit einem solchen solarbetriebenen Sender versehen worden. Dieses Jahr werden 48 Rotmilane besendert. Einer davon folgt heute.

Lara Gross vom Rotmilan-Forschungsprojekt sitzt auf dem Waldboden und erfasst die Daten des jungen Rotmilans mit einem Tablet.
Lara Gross erfasst die Daten des Rotmilans, die ihr Valentijn van Bergen direkt aus dem Horst übermittelt.

Valentijn van Bergen meldet von hoch oben in der Baumkrone über WhatsApp die Nummer des Rings, die er dem jungen Rotmilan am Bein befestigt hat – auf Englisch: „Die Sprache der Wissenschaft“, sagt Lara Gross und erfasst sogleich die Nummer mit einem Tabletcomputer. Dann folgen weitere Längenangaben, etwa für die Flügel, den Schwanz, die Schwingen sowie den Tarsus, also den Lauf des Vogels.

So gar nicht mehr königlich

Der junge Rotmilan lässt dies alles mit sich geschehen. Wegfliegen kann er nicht, da er noch nicht flügge ist. In rund zehn Tagen wird er mit den ersten Flugversuchen beginnen. Wie es für seine Art typisch ist, stellt er sich jetzt im Alter von ca. 38 Tagen bei Gefahr tot. Er legt sich auf den Bauch und verharrt ruhig – in der Hoffnung, die Bedrohung ziehe unverrichteter Dinge ab. „Wenn er so daliegt, entspricht er so gar nicht mehr seinem französischen Namen: Milan royal“, sagt Lara Gross.

Valentijn van Bergen aber hat nicht die Absicht, den königlichen Milan sogleich wieder in Ruhe zu lassen – und er stellt für ihn ja auch keine Gefahr dar. Van Bergen nimmt den reglosen Rotmilan aus dem Nest und steckt ihn einen dunkelgrünen Sack. An einem Seil lässt er den Sack vorsichtig hinab zu Lara Gross. Nun folgt der zweite Teil der Untersuchung.

Lara Gross löst den Sack vom Seil und schlängelt sich mit ihm in der Hand zwischen den Büschen hindurch ein paar Meter weiter den Wald hinab. Unten, wo das Gelände eben ist, wartet Patrick Scherler. Wie seine beiden Kollegen gehört er zum Rotmilan-Forschungsteam der Schweizerischen Vogelwarte. Soeben hat er seine Dissertation abgeschlossen, in der er untersuchte, welche Faktoren junge Rotmilane dazu antreiben, ihren Geburtsort zu verlassen und die Umgebung zu erkunden.

Der Ornithologie Patrick Scherler befestigt den GPS-Sender auf dem Rücken des Rotmilans, der sich tot stellt.
Mit geübten Handgriffen befestigt Patrick Scherler den solarbetriebenen GPS-Sender. Das Gerät wird den Vogel nicht behindern.

Patrick Scherler hat vor sich eine Decke ausgebreitet. Verschiedene Werkzeuge wie Zangen, Scheren und ein Lineal liegen bereit. Der junge Rotmilan, der weiterhin darum bemüht ist, möglichst nicht aufzufallen, soll mit einem Sender ausgerüstet werden. Scherler befühlt die Brust des Vogels: „Der Torso ist ausgewachsen. Das ist wichtig, um den Sender korrekt befestigen zu können.“

Denn der Sender, mit dem in Zukunft die Bewegungen des Rotmilans verfolgt werden sollen, wird dem Vogel wie ein Rucksack auf den Rücken geschnallt. Nähme der Brustumfang des Rotmilans noch deutlich zu, könnten die Gurte, mit denen der Sender befestigt wird, zu eng am Körper anliegen. Stören wird das 22 Gramm schwere Gerät den Rotmilan also nicht. „Es deutet bisher nichts darauf hin, dass die Sender die Vögel in irgendeiner Art behindern“, sagt Patrick Scherler.

Er rüstet nicht zum ersten Mal einen Rotmilan mit einem Sender aus. Mit sicheren Handgriffen stülpt er dem Rotmilan den Sender-Rucksack über und prüft sorgfältig nach, ob er richtig und sicher sitzt. Bald trägt der Rotmilan den Sender auf dem Rücken, die Solarzellen, die das Gerät mit Energie versorgen, zeigen ins Licht des Himmels.

Lara Gross hält den Vogel in den Armen, während ihm Patrick Scherler etwas Blut entnimmt.
Auch eine Blutentnahme muss der junge Rotmilan über sich ergehen lassen: im Dienste der Wissenschaft.

Nun muss der Rotmilan noch eine Blutprobe über sich ergehen lassen. Mit einer Nadel pikst Scherler den Jungvogel, den Lara Gross in den Armen hält, und nimmt ihm Blutstropfen ab, die er anschliessend auf bereitgelegten gläsernen Objektträgern und Filterpapieren verteilt.

Später wird anhand dieser Proben die DNA untersucht, was eine eindeutige Geschlechtsbestimmung ermöglicht. Denn äusserlich sind sich weibliche und männliche Tiere in diesem Alter kaum zu unterscheiden. Erst die erwachsenen Tiere unterscheiden sich: Die Weibchen sind in der Regel etwas grösser und schwerer als die Männchen.

Patrick Scherler trägt ein paar Blutstropfen auf Filterpapier auf.
Das Blut wird anschliessend untersucht. Anhand der DNA kann das Geschlecht des Rotmilans bestimmt werden.

Die Blutproben geben zudem Aufschluss darüber, wie es den Tieren geht: Ist die Zahl bestimmter weisser Blutkörperchen erhöht, kann dies auf Stress hindeuten. Äusserlich schätzen Lara Gross und Patrick Scherler den Gesundheitszustand des Rotmilans als gut ein. An den dunkelbraunen Federn sind kaum Hungerstreifen erkennbar. Solche hellen Einschlüsse entstehen beim Wachsen der Federn, wenn Jungvögel zu wenig Nahrung erhalten haben. Trotz des nassen Frühlings scheinen die Elterntiere den jungen Rotmilan ordentlich mit Futter versorgt zu haben.

Bevor der Rotmilan wieder zurück in seinen Horst gebracht wird, wird er noch von verschiedenen Seiten fotografisch dokumentiert. Dann bringt Lara Gross den Milan im Sack zur Kiefer. Valentijn van Bergen zieht ihn am Seil hoch und entlässt den Jungvogel in sein Nest.

Fürs Erste ist die Arbeit erledigt. Alles ist gut gegangen. Seit er 15 Jahre alt ist, steigt Valtentijn van Bergen zu Greifvogel-Nestern hoch. Patrick Scherler, der ebenfalls Erfahrung als Baumkletterer hat, bezeichnet ihn als einen der erfahrensten und besten „Greifvogel-Baumkletterer“. Trotz aller Routine war der heutige Tag auch für van Bergen ein besonderer. Denn er war bereits bei der Besenderung der Mutter dieses jungen Rotmilans 2015 dabei. „Nun hat sie zum ersten Mal erfolgreich gebrütet und wir können nun verfolgen, wie es ihrem Nachwuchs ergehen wird, “ sagt van Bergen, als er wieder festen Boden unter den Füssen hat.

Fressen, was vor den Schnabel kommt

Die Chancen für den noch jungen Rotmilan stehen nicht schlecht, in Zukunft eigene Junge aufzuziehen. „Die eher kleinräumig strukturierte Landschaft der Schweiz kommt dem Rotmilan entgegen“, sagt Patrick Scherler. Der Rotmilan mag es, wenn er für die Nahrungssuche nicht allzu lange Strecken fliegen muss. Wechseln sich wie in der Schweiz Wälder, in deren Rändern die Rotmilane auf hohen Bäumen brüten, mit Feldern und Siedlungen ab, wo sie Nahrung finden, ist das ideal. Der Rotmilan profitiert davon, dass früher im Jahr gemäht wird und die Fruchtfolgen häufiger wurden, was es ihm erleichtert, Kleinsäuger und Regenwürmer zu erbeuten.

Patrick Scherler hält den Rotmilan an den Beinen, um zu prüfen, ob der Rotmilan unverletzt ist.
Flugtest: Patrick Scherler prüft, ob der junge Rotmilan unverletzt ist und lässt ihn kurz mit den Flügeln schlagen.

Was die Nahrung betrifft, ist der Rotmilan nicht wählerisch. Da ist der Kulturfolger ganz Opportunist. Er frisst (fast) alles, was ihm vor den Schnabel kommt. Was gerade am einfachsten zu erbeuten ist und am häufigsten vorkommt, das fängt und frisst er auch. So reicht sein Speisezettel von Insekten und Regenwürmern bis zu Kleinsäugern. Aber auch Küchenabfälle und Aas verschmäht er nicht.

Apropos Aas: Die Schweiz verfügt über ein dichtes Strassennetz und die Anzahl an Fahrzeugen wird auch nicht weniger. So fällt manches Tier dem Verkehr zum Opfer, bleibt auf der Strasse liegen und wird damit zur Nahrung des Rotmilans. Allerdings ist er nicht davor gefeit, dann ebenfalls überfahren zu werden.

Der Rotmilan ist in der Schweiz sehr beliebt.

Ohnehin sind Ursachen, wie Rotmilane ums Leben kommen, ein wichtiges Zeichen dafür, wie erfolgreich sich eine Population ausbreiten kann. Viele Rotmilane überleben das erste Jahr nicht. Überstehen sie es aber, steigen ihre Chancen deutlich, noch ein paar weitere Jahre über die Runden zu kommen. Zwar hat man in der freien Natur Rotmilane entdeckt, die über 25 Jahre alt wurden. Doch im Schnitt leben Rotmilane rund fünf Jahre.

Der Mensch nimmt entscheidenden Einfluss auf die Sterblichkeit des Rotmilans. Anders als in einigen Mittelmeerländern kommen gezielte Abschüsse und Vergiftungen in der Schweiz kaum mehr vor. In einigen Regionen Europas wie etwa in Frankreich leiden Rotmilane zudem darunter, dass gegen Mäuse in der Landwirtschaft grossflächig mit Gift vorgegangen wird. Fressen die Rotmilane die vergifteten Kleinsäuger, droht ihnen ebenfalls der Gifttod.

Valentijn van Bergen, Patrick Scherler und Lara Gross packen ihre Ausrüstung im Wald zusammen.
Fürs Erste ist die Arbeit erledigt: Der Rotmilan ist wieder zurück im Horst. Valentijn van Bergen, Patrick Scherler und Lara Gross packen zusammen.

Da in der Schweiz der Jagd auf Kleinwild keine grosse Bedeutung zukommt, wird der Rotmilan auch nicht als Konkurrent betrachtet. Im Gegenteil: „Der Rotmilan ist in der Schweiz sehr beliebt“, sagt Patrick Scherler. Auch die Bauern mögen ihn: Er holt ja die Mäuse und das Aas von den Feldern. So titelte kürzlich die „Bauernzeitung“: „In der Schweiz gibt es viele, aber nicht zu viele Rotmilane.“

Manche Rotmilane erleiden allerdings den Stromtod, wenn sie Mittelspannungsmasten als Sitzgelegenheit nutzen, mit ihren langen Flügeln zwei stromführende Elemente berühren und so einen Kurzschluss auslösen. Ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle bei tödlichen Zusammenstössen spielen Windkraftwerke. Im Vergleich etwa zu Deutschland verfügt die Schweiz bisher allerdings nur über sehr wenige dieser Anlagen.

„In unserem Projekt gibt es zwei Fälle von Rotmilanen, die durch Windenergieanlagen möglicherweise ums Leben gekommen sind. Einer davon ist bestätigt, beim anderen besteht der Verdacht dazu“, sagt Patrick Scherler. In Deutschland hingegen sind Kollisionen mit Windrädern die häufigste gemeldete Todesursache des Rotmilans.

Rotmilane bleiben zunehmend auch im Winter in der Schweiz

Um der Kälte und dem Schnee zu entgehen, zieht es Rotmilane im Winter eigentlich in den Süden. Doch nun bleiben auch in den kalten Monaten viele Rotmilane in der Schweiz, so gut scheinen die Lebensbedingungen für sie hier zu sein. Mittlerweile überwintern hier über 3000 Rotmilane. Dazu beitragen könnte der Klimawandel: Liegt weniger Schnee, finden Rotmilane weiterhin genügend Nahrung.

Der junge Rotmilan liegt im Horst. Auf dem Rücken trägt er nun den GPS-Sender mit den Solarzellen.
Mit dem solarbetriebenen Sender auf dem Rücken liegt der junge Rotmilan wieder in seinem Horst.

Auch hilft ihnen ihre Beliebtheit bei der Bevölkerung, magere Zeiten zu überstehen. Viele Menschen in der Schweiz füttern Rotmilane mit Fleisch und Speiseresten. Gerade im Winter erleichtern solche Fütterungen den Greifvögeln das Überleben. Welche – vielleicht auch negativen – Auswirkungen diese Futterplätze auf den Rotmilan-Bestand haben, wird nun ebenfalls im Forschungsprojekt der Vogelwarte untersucht.

Das Maximum bereits errreicht?

Etliche Faktoren sprechen also dafür, dass sich der Rotmilan in der Schweiz weiterhin wohlfühlen wird. Aber wird der Bestand noch weiter zunehmen? „Möglicherweise ist das Maximum erreicht, wir können das noch nicht abschliessend beurteilen“, sagt Patrick Scherler, als wir mit dem Auto das Waldstück wieder verlassen. Er und seine beiden Kollegen müssen an diesem Tag noch einen weiteren jungen Rotmilan mit einem GPS-Sender ausrüsten.

Neben der Strasse pflügt ein Bauer mit dem Traktor seinen Acker. Hinter ihm, nur wenige Meter über der Erde, tanzt gaukelnd eine Gruppe von etwa 20 Milanen. Hier machen sie leichte Beute: Regenwürmer, die der Pflug an die Oberfläche holt.

Der Anblick von Rotmilan-Schwärmen mitten in der dichtbevölkerten Schweiz ist zum Glück keine Seltenheit mehr.

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Literatur:

Weitere Angaben zum Rotmilan-Forschungsprojekt der Schweizerischen Vogelwarte Sempach und den bereits abgeschlossenen Arbeiten finden Sie hier: Mechanismen der Populationsdynamik beim Rotmilan

Adrian Aebischer: Der Rotmilan. Ein faszinierender Greifvogel. Haupt Verlag, Bern 2009. Dieses Buch erscheint im Herbst in einer überarbeiteten Neuauflage. Neben Adrian Aebischer ist Patrick Scherler Co-Autor davon. Die Besprechung werden Sie im „Flugbegleiter“ lesen.

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