IZW-Forscher Krone „Die Bahnstrecke wäre ein Todesurteil mit Ansage für viele Adler“

Eine zweite Zugverbindung soll Berlin und die Ferieninsel Usedom verbinden. Doch die Strecke würde eine der wertvollsten Naturlandschaften Deutschlands zerschneiden und die größte mitteleuropäische Population des seltenen Seeadlers gefährden. Der Seeadlerexperte Oliver Krone über die Gefahren des Projekts für die Natur.

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Kämpfende Seeadler im Schneegestöber

Eine neue Bahnverbindung soll den Süden Usedoms mit Berlin verbinden. Wie bedeutend sind der Anklamer Stadtbruch und die weitere Umgebung entlang der geplanten Bahnstrecke für Seeadler?

Das Gebiet Anklamer Stadtbruch und der Süden Usedoms sind für die Seeadlerpopulation in Mecklenburg-Vorpommern und für ganz Deutschland von herausragender Bedeutung. Selbst international finden wir kaum ein Gebiet, in dem die Dichte der Seeadler so hoch ist wie in dieser Region.

Was macht die Region zu einem solchen Magneten für einen der größten Greifvögel Europas?

Das liegt vor allem an der für Seeadler idealen Lebensraumausstattung mit flachen und fischreichen Wasserflächen. Auch die ruhigen Bereiche im Süden Usedoms mit ihren ungestörten Wäldern und langen Küstenabschnitten am Oderhaff sind sehr wichtige Lebensräume für die Seeadler.

Was befürchten Sie, sollte die Bahnstrecke gebaut werden?

Wenig zerschnittene Lebensräume sind in Deutschland sehr selten geworden. Eine Zerschneidung des Gebietes durch eine aktive Bahnstrecke würde die Lebensräume der Seeadler zerstören und zu einer sehr hohen Sterblichkeit unter den Adlern führen. Davon wären übrigens nicht nur die in der engeren Umgebung brütenden Paare betroffen, sondern auch viele weitere Vögel aus einem viel größeren Einzugsgebiet. Denn in ihren ersten Lebensjahren ziehen Adler über große Strecken dorthin, wo sie gute Nahrungsgrundlagen finden – und die Region entlang der Bahnstrecke ist in dieser Hinsicht erste Wahl. Eine Bahnstrecke dort wäre eine Todesfalle, ein Todesurteil für viele Adler mit Ansage..

Porträtfoto Oliver Krone
Oliver Krone

Eine Bahntrasse ist doch besser als eine Autobahn – und für Tiere weniger gefährlich, würde man denken …

Was die Gefährlichkeit für Seeadler angeht, leider nicht. Deutlich mehr getötete Seeadler werden an Bahnstrecken tot aufgefunden als an Straßen – und das, obwohl die großen Vögel an Straßen viel leichter zu finden sind als entlang der nur selten von Menschen aufgesuchten Bahntrassen durch die Natur.

Was macht die Trassen so gefährlich für die Adler?

Seeadler sind Aasfresser – und die vielen Tiere, die von Zügen erfasst werden – vom Hasen bis zum Hirsch – sind buchstäblich ein gefundenes Fressen für die Vögel. Hier liegt übrigens auch ein wichtiger Grund, warum Bahnstrecken für die Vögel gefährlicher sind als beispielsweise Autobahnen. Dort werden Tierkadaver nämlich rasch von den Autobahnmeistereien beseitigt.

Ein Seeadler mit einem erbeuteten Fisch fliegt dicht über die Wasseroberfläche
Seeadler waren bereits fast ausgerottet. Das DDT-Verbot hat sie gerettet, aber viele Gefahren bestehen weiter. Die Kollisionsgefahr mit Zügen zählt zu den stärksten Gefährdungen.

Können sich die Adler nicht vor den heranbrausenden Zügen in Sicherheit bringen?

Die Vögel nehmen die Gefahr durchaus wahr. Wenn die Adler an einem Kadaver auf oder neben den Gleisen fressen, fliegen sie dann zwar meist vor dem herannahenden Zug auf. Die großen und schwerfälligen Tiere können aber selten entkommen und werden entweder direkt von der Lok erfasst oder seitlich in den fahrenden Zug hineingesogen. Beides endet tödlich für die Vögel.

Viele Seeadler, die tot aufgefunden werden, landen zur Untersuchung der Todesursache in Ihrem Labor. Wie bedeutsam ist die Todesursache Bahn für den Wappenvogel im Vergleich zu anderen Faktoren?

An unserer Statistik sehen wir, dass die Todesursache „Bahnopfer“ an Nummer Zwei der menschengemachten Todesursachen bei der Art steht. Nur Bleivergiftungen nach dem Verzehr von Aas, das von Jägern mit bleihaltiger Munition geschossen wurde, sorgen für noch mehr Opfer unter den Seeadlern. Sollte das von der EU angestrebte Bleiverbot in der Jagd kommen, rückt die Bahn sogar auf Platz Eins vor. Die Gefahr ist immens.

Wären technische Lösungen möglich, um die Verluste in einem „tragbaren“ Ausmaß zu halten – analog zu Abschalteinrichtungen bei Windrädern?

Technische Lösungen, um die Verluste der Seeadler an Bahntrassen in einem geringen Ausmaß zu halten, sind schwer vorstellbar. Eine mögliche Abgrenzung der Bahntrasse durch Zäune zum Beispiel wäre ein erheblicher ökologischer Eingriff in das Gebiet und würde die Bewegungen von größeren Säugetieren komplett unterbinden. Gerade weil technische Lösungen nicht zur Verfügung stehen, ist die Vorbeugung durch eine naturschutzgerechte Planung von Trassenverläufen ja so wichtig.

Neben den Seeadlern: Welche weiteren ökologischen Schäden drohen dem Gebiet um den Anklamer Stadtbruch und dem Süden Usedoms sonst noch, sollte die Bahn kommen?

Eine Bahntrasse hätte nicht nur Auswirkungen auf die Zerstörung der Lebensräume der Seeadler, sondern auf das gesamte Ökosystem. Neben der direkten Mortalität durch Kollisionen, die viele Tierarten betrifft, sind viele weitere Beeinträchtigungen des Gebietes zu befürchten, das zu den naturbelassensten Regionen Deutschlands zählt. Die Lärmbelastung und der Herbizid-Einsatz entlang der Bahntrasse gegen Wildpflanzen im und neben dem Gleisbett sind nur zwei Beispiele dafür.

Gibt es Alternativen zum Neubau der Trasse?

Niemand ist gegen Bahnverbindungen, das ist ganz klar. Und glücklicherweise gibt es hier eine mögliche Alternative zum Bau einer neuen Strecke im Süden Usedoms. Es bietet sich an, die vorhandene und schon befahrene Bahnstrecke im Norden auszubauen und so die gute Anbindung der Insel weiter zu verbessern. Mit der Usedomer Bäder Bahn (UBB) ist die ganze Insel bereits sehr gut erschlossen.

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