Wie Du Dir in diesem Frühling viele neue Vogelstimmen merken kannst

„Die Flugbegleiter“ bieten hilfreiche Tipps – und Unterstützung bei der Artbestimmung

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
14 Minuten
Eine Heckenbraunelle

Herrlich, dieses Vogelkonzert! Aber halt, wer singt da eigentlich?

Jedes Frühjahr nehmen es sich viele Menschen fest vor, jedes Frühjahr verzweifeln viele daran und geben wieder auf: Vogelstimmen auseinanderzuhalten, sie sich einzuprägen und beim nächsten Mal wieder zu erkennen – das ist keine einfache Sache.

Bei einigen Dutzend häufigen Vogelarten und insgesamt 254 Spezies, die bei uns als heimisch gelten, erscheint es Anfängern nahezu unmöglich, Land zu gewinnen. Die Rufe vieler Arten ähneln einander sehr. Andere Vögel singen wiederum so variantenreich, dass es unmöglich ist, sich eine klare Melodie zu merken.

Aber es lohnt sich, Vogelstimmen zu kennen. Das anfangs verwirrende Durcheinander wird zu einem echten Konzert, wenn man die einzelnen Rufe der richtigen Art zuordnen, wenn man Alarm von Balz und zum Beispiel die Singdrosseln von den Amseln unterscheiden kann.

Wer Vogelstimmen kennt, für den bekommt die Landschaft eine neue Tiefe: In der Ferne ruft ein Schwarzspecht, da muss ein alter Wald sein, dort ruft ein Wendehals, es gibt alte Obstbäume. Manche Arten, etwa Zilpzalp und Fitis, sind kaum anhand des Aussehens, aber sehr leicht anhand des Gesangs zu unterscheiden. Mit dem Gehör lässt sich eine ganze Landschaft im Nu kartieren, und man bemerkt Arten, die man kaum zu sehen bekommt.

Ein Wiedehopf im Landeanflug.
Ertönt ein charakteristisches hup-hup-hup, dann ist der Wiedehopf nicht weit.

Wie aber geht man vor, wenn man noch keine oder kaum Vogelstimmen kennt? Wie haben sich Vogelbeobachter diese Kenntnis erarbeitet, die den Gesang von Dutzenden oder allen Arten bei uns wie nebenher auseinanderhalten können? Braucht man dazu ein Elefantengedächtnis? Oder gibt es Kniffe, die helfen?

Wir Flugbegleiter teilen heute unsere Erfahrungen und einige Tipps. Denn wir wollen, dass Ihr Spass am Vogelstimmen-Erlernen habt und Fortschritte macht. Wir wollen Euch ermuntern, geduldig zu sein und wir wollen zeigen, dass auch Fortgeschrittene so ihre Probleme haben…

Christiane Habermalz lehnt an einem blauem Geländer. Im Hintergrund kann man einen Park und mehrstöckige Wohnhäuser erkennen.
Christiane Habermalz ist Korrespondentin für Kultur- und Bildungspolitik des Deutschlandfunk und interessiert sich für Vögel seit ihrer Kindheit. Im Deutschlandradio Kultur hat sie über viele Jahre die Themenwoche „Große Vogelschau“ verantwortet und beobachtet auch gerne die Vogelbeobachter.

„Es gibt Dur- und Mollvögel"

Christiane, wie merkst Du Dir Vogelstimmen?

Über alle möglichen Eselsbrücken, und dabei ist mir keine Merkhilfe zu peinlich. Das mag daran liegen, dass ich meine ersten Vogelstimmen als Kind von meiner Großmutter gelernt habe, die ganz groß war in Sinnsprüchen. Seitdem kann ich gar nicht mehr anders, als bei jedem Buchfinken glasklar das „Fritze, Fritze, magste Grützebeeren?“ rauszuhören. Obwohl ich eigentlich bis heute nicht weiß, was Grützebeeren eigentlich sind.

Die Goldammer singt natürlich „Wie wie wie hab ich dich lieeb!“. Die Dorngrasmücke ruft aufgeregt: „He da, du da, ja du da, was willstu?“ und der Karmingimpel sehr höflich „Nice to meet you!“ Das stammt natürlich nicht von meiner Großmutter, denn damals gab es noch keine Karmingimpel bei uns.

Hast Du einen besonderen Kniff oder Tipp, der anderen helfen könnte?

Ja, das Vogelkonzert wie menschgemachte Musik wahrzunehmen. Es gibt Dur- und Mollvögel. Die Dorngrasmücke ist ein klarer Dur-Vogel. Und der Fitis singt genau wie der Buchfink nur in Moll. Das Rotkehlchen singt immer im zitternden Vibrato, und das scharfe „Zick“ des Kernbeißers, immer ganz hoch oben in den Baumwipfeln, ist ein klarer Stakkato-Laut. Bei manchen Vögeln spielt auch die Persönlichkeit eine Rolle. Das keckernde Lachen von Grün- und Grauspecht klingt zum Beispiel sehr ähnlich – der Grünspecht jedoch ist ein klarer Optimist, der Grauspecht dagegen ein Pessimist, dessen Rufe am Ende ganz traurig verebben.

Gibt es Arten oder Gattungen, mit deren Stimme Du Dich immer noch schwer tust?

Der Vogel, der mich regelmäßig zur Verzweiflung bringt, ist der Kleiber. Er ist so variantenreich, dass ich immer wieder scheinbar unbekannten, seltenen Vogelrufen hinterherlaufe, nur um am Ende wieder vor einem Kleiber zu stehen. Manchmal denke ich, er denkt sich extra für mich noch was Neues aus, nur damit ich wieder blöd dastehe. Ein kleiner Fiesling unter den Vögeln. Das nur zum Thema Persönlichkeit.

Portrait von Markus Hofmann
Markus Hofmann, Vogelbeobachter mit Schweizer Feldornithologie-Diplom, hat als Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung über Umwelt- und Klimapolitik berichtet und arbeitet seit 2016 beim Schweizer Radio SRF

„Ich höre beim Joggen Aufnahmen an"

Markus, wie merkst Du Dir Vogelstimmen?

Ein Geheimrezept gibt es leider nicht, oder zumindest keines, das mir geholfen hätte. Wichtig aber ist: sich nicht zu überfordern. Ein Stimmenkonzert an einem Frühlingsmorgen kann einen Anfänger zur Verzweiflung treiben. Vor lauter Vogelgesang hört man gar keinen mehr. Also: Sich zunächst lediglich einen Piepmatz vornehmen und versuchen, sich diesen einzuprägen – zum Beispiel den häufigen und stimmfreudigen Zaunkönig, für den zudem eine einfache Eselsbrücke besteht: Der Kleinste ist der lauteste. Wie beim Lernen einer Fremdsprache lassen sich mit der Zeit die Worte beziehungsweise die Vogelstimmen voneinander unterscheiden und zuordnen. Und wie bei der Fremdsprache gilt auch bei den Vogelstimmen: repetieren, repetieren, repetieren.

Hast Du einen besonderen Kniff oder Tipp, der anderen helfen könnte?

Auf meinem Handy habe ich dank einschlägigen Apps das Vogelstimmen-Repertoire stets bei mir (z.B. „Zwitschern!“, „Kosmos Vogelführer“, „Die Flugrufe der Vögel Mitteleuropas“). So kann ich Wartezeiten oder langweilige Bahnfahrten bestens überbrücken. Manchmal höre ich sogar Vogelstimmen beim Joggen mit dem iPod. Ebenso gibt es gute, kostenlose Trainingsmöglichkeiten im Internet. Das Stimmentraining von Avimonitoring.ch* ist ausserhalb meiner Heimatstadt Zürich möglicherweise noch nicht bekannt. Umfassend und zum Üben ebenfalls sehr gut ist „Die grosse Kosmos Vogelstimmen DVD“. Allerdings: Keine Aufnahme, und sei sie noch so gut, ersetzt das Beobachten und Hören im Freien.

Gibt es Arten oder Gattungen, mit deren Stimme Du Dich immer noch schwer tust?

Oft verbinde ich mit einer bestimmten Vogelstimme ein Erlebnis, einen Sinneseindruck oder eine Landschaft. So hatte ich wie Christiane zu Beginn Mühe mit dem variantenreichen Kleiber. Während eines Waldspaziergangs erzählte mir eine äusserst erfahrene Vogelbeobachterin, dass sie sich auch sehr lange schwer tat mit dieser Vogelart. Genau in diesem Moment rief ein Kleiber – seit diesem Moment habe ich ihn im Ohr. Auch kann ich mich zum Beispiel gut an die Stelle – ein abschüssiges Waldstück – erinnern, an der ich zum ersten Mal die Melancholie des Misteldrossel-Gesangs bewusst hörte und mir einprägen konnte. Watvögel bereiten mir allerdings weiterhin ziemliche Schwierigkeiten. Aber als Schweizer und Binnenländer habe ich ja eine gute Ausrede: Die sind hier halt selten zu hören.

Danke, Markus. Der Kleiber scheint ja wirklich eine harte Nuss zu sein, Obwohl, das ist noch gar nichts gegen das, was Cord Riechelmann zu berichten weiß…

Der Star war der Vogel des Jahres 2018. Er ist ein besonders kreativer Sänger und baut Imitationen in seine Strophen ein. Da kann es schon mal passieren, dass es so klingt, als säßen ein Mäusebussard und ein Rotmilan nebeneinander.
Der Star war der Vogel des Jahres 2018. Er ist ein besonders kreativer Sänger und baut Imitationen in seine Strophen ein. Da kann es schon mal passieren, dass es so klingt, als säßen ein Mäusebussard und ein Rotmilan nebeneinander.

„Bussard oder Star?“

Cord, Du hast auf unsere Umfrage im Flugbegleiter-Team,, wer Tipps zum Stimmenlernen geben mag, ganz anders als alle anderen reagiert…

Ja, denn wer einmal nachts um zwei Uhr eine Nachtigall gehört hat, die exakt, megaexakt wie eine Amsel singt und dann einmal im Winter in einem Forschungsinstitut, in dem Nachtigallen gehalten wurden, ebenfalls nachts Alarm geschlagen hat, weil draußen auf dem Dach im Schnee hörbar eine Nachtigall sang, die sich dann aber als ein Zaunkönig entpuppte und wer dann gerade aktuell in einem Park, in dem Bussarde ihr Nest bauen, diese Bussarde morgens suchte und dabei dem Kontaktruf der Bussarde folgte, bis er feststellen mußte, dass die Superbussardrufe von zwei Staren vor ihrer Höhle gerufen wurden, um eben mich zu verarschen, der glaubt nicht mehr daran, dass man Vögel über ihre Laute identifizieren kann! Jedenfalls nichts übers Gehör allein.

Ein wichtiger Tipp: Trau, schau, wem! Ich falle jedes Jahr aufs Neue auf den Star in meinem Viertel herein, der wie ein Mäusebussard ruft. Einmal habe ich in der Uckermark Rotmilan, Mäusebussard und Turmfalken in einer Strophe gehört – da ahnte ich dann schon, wer das ist. Irgendwann hat man intus, mit welchen kleinen Fallen man rechnen muss. Danke, Cord! Jetzt fragen wir doch mal Johanna Romberg, die in ihrem Buch „Federnlesen“ so viel Spannendes über die Kunst des Vogelbeobachtens schreibt…

Foto von Johanna Romberg. Sie schützt ihre Augen mit ihren Händen vor der Sonne.
Sie war GEO-Redakteurin, ist Bestsellerautorin und mit Leib und Seele Vogelbeobachterin: Johanna Romberg, Mitgründerin der Flugbegleiter.

„Der Grünfink klingt wie ein frisch polierter Goldteller"

Johanna, wie merkst Du Dir denn Vogelstimmen?

Ich lasse in meinem Kopf Bilder entstehen.

Was heißt das genau?

Es passiert mir nicht mehr so oft, aber vor einiger Zeit hörte ich im Wald einen Vogelruf, den ich nicht kannte. Vier scharfe, schnurgerade Schnitte auf einem schwarzen Vorhang, durch die sehr helles Licht fiel. Alle gleich lang und in gleichem Abstand voneinander.

Die Beschreibung bezieht sich auf das Bild, das in meinem Kopf auftauchte, während ich dem Vogel zuhörte. Ich habe bei vielen, eigentlich den meisten heimischen Vogelstimmen solche Bilder vor Augen; sie entstehen von ganz allein, wenn man dem Vogel nur lange genug aufmerksam zuhört. Der Grünfink klingt wie ein frisch polierter Goldteller, der im Sonnenlicht glänzt. Das Rotkehlchen: wie ein Wassertropfen, der eine Glasscheibe hinunter rinnt. Der Fitis: wie ein Blatt, das langsam, hin und hertrudelnd, auf den Waldboden herabschwebt.

Ein Fitis steht auf einem Stein.
Fitis oder Zilpzalp? Die Zwillingsarten sind am einfachsten an ihrer Stimme zu unterscheiden. Der Zilpzalp sind, wie auch Uhu und Kuckuck, seinen Namen – übertroffen an Schlauheit nur vom Wachtelkönig, der seinen lateinischen Namen Crex crex in die nächtlichen Flussauen ruft. Im Bild ist übrigens ein Fitis zu sehen.

Sind solche Bilder nicht total subjektiv?

Ja, aber sie helfen, sich Stimmen so nachhaltig einzuprägen, dass man sie sich hinterher im Idealfall zu Hause im Kopf abspielen kann. Was unerlässlich ist, um sie zu identifizieren. Ich tue das am liebsten mithilfe der großartigen Datenbank xeno-canto.org*, in der so ziemlich sämtliche Gesänge und Laute abgespeichert sind, die jemals irgendein Vogel irgendwo auf der Welt von sich gegeben hat. Man braucht natürlich einen Anfangsverdacht, um in diesem Klangmeer die zum Kopf-Bild passende Stimme zu finden. Aber beim Biotop norddeutscher Mischwald ist die Zahl der möglichen Kandidaten überschaubar.

Und wenn Dir zu einer Vogelstimme kein Bild einfällt?

Wenn ich draußen eine Vogelstimme höre, zu der mir gerade kein Bild einfällt, notiere ich ihre Lautfolge auf Papier – in Punkten für kurze, Strichen für lange Töne, beides auf- und absteigend je nach Tonhöhe. Das funktioniert hervorragend als Gedächtnisstütze, außer bei Meisen. Ich kann Sumpf-, Weiden-, Hauben- und Kohlmeisen bis heute nicht immer sicher unterscheiden, weil deren Lautrepertoire so groß ist und die Klangfarbe ihrer Stimmen so ähnlich – meisig eben.

Und, konntest Du das Rätsel im Wald lösen?

Die vier Schnitte auf dem schwarzen Vorhang habe ich mithilfe des wunderbaren Vogelstimmenarchivs xeno-canto* eindeutig identifiziert: als Ruf des Waldbaumläufers.

Danke, Johanna. Wen wir unbedingt noch fragen müssen, ist Franz Lindinger aus Köln. Er war bei uns schon Protagonist einer Geschichte über Vogelmonitoring, hat uns schon tolle Bilder zur Verfügung gestellt – und wie sich beim gemeinsamen Brettspielen in Köln herausgestellt hat, hat er sich die Vogelstimmen in sehr kurzer Zeit angeeignet.

Links sind Notizen von Franz Lindinger um sich Vogelstimmen merken zu können. Rechts ist ein Portrait von ihm.
Ein Kenner und seine Hilfsmittel: Franz Lindinger mischt bildliche Darstellungen mit Eselsbrücken, um sich Vogelstimmen zu merken. Das Wintergoldhähnchen singt eben auch wie das W am Anfang des Namens.

„Das Wintergoldhähnchen singt wie ein W"

Franz, Du hast als Kind schon mal viele Vogelstimmen gekannt, aber dann erst vor einigen Jahren wieder damit angefangen – und jetzt bietest Du selbst in Köln Exkursionen an, auch mit uns Flugbegleitern. Du bist also in relativ kurzer Zeit zum echten Kenner geworden. Welche Tipps hast Du?

Ich habe für Euch eine Tippliste gemacht.

Na dann her damit!

  • Tipp 1: Geht mit Leuten raus, die Vogelstimmen kennen und lernt von ihnen.
  • Tipp 2: Nehmt Euch am Anfang wenige Arten vor und insbesondere die, die direkt im Garten, vom Balkon aus, auf dem Weg zur Arbeit etc. zu hören sind.
  • Tipp 3: Benutzt Quiz-Apps!
  • Tipp 4: Wenn man Apps benutzt, verwendet mehrere Apps, damit man sich nicht an eine spezielle Aufnahme gewöhnt.
  • Tipp 5: Versucht, Euch eigene Eselsbrücken zu bauen.
  • Tipp 6: Vergebt Kategorien: flötend, näselnd, laut, fein, hart, weich, metallisch, Triller und so weiter.
  • Tipp 7: Wiederholen, wiederholen, wiederholen.
Ein Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) sitzt auf einem Ast.
Wintergoldhähnchen (Regulus regulus).

Danke! Und auch an Dich die Frage: Hast Du einen besonderen Kniff oder Tipp, der anderen helfen könnte?

Es gibt bei mir nicht die eine Methode. Merksprüche sind weniger dabei, die gibt es ja eher für häufige Arten und die hat man dann eh bald drauf. Ausserdem wirken sie oft ein wenig altertümlich, wie „ich, ich bin ein Gardeoffizier". Allenfalls die Unterscheidung, dass der Gelbspötter „Doktor Knie, Doktor Knie“ singt und der Orpheusspötter nicht, versuche ich heranzuziehen. Aber beide bekomme ich nicht wirklich oft zu hören. Was ich manchmal mache sind Buchstaben im Namen mit den Gesängen zu verknüpfen: Feldschwirl = schnell; Schlagschwirl = langsam. Oder das Wintergoldhähnchen – es hat einen wellenförmigen, w-förmigen Gesang. Manchmal ist es reine Assoziation: Baumpieper klingt für mich wie „Starwars- Laser-Schüsse“.

Gibt es Arten oder Gattungen, mit deren Stimme Du Dich immer noch schwer tust?

Schwer tue ich mich mit den Rohrsängern. Da komme ich aber auch kaum dazu, sie in der Natur zu üben. Und dann gibt es noch den Star: Wer wäre auf seine Imitationen etwa von Greifvögeln noch nicht hereingefallen?

Danke, Franz!

„Der Gelbspötter klingt wie eine Flippermaschine aus den Achtzigern“

So, und jetzt bin ich (Christian Schwägerl) noch selbst an der Reihe, Euch ein paar Tipps zu geben.

Vorneweg: Ich bewundere Christiane für ihre Toleranz gegenüber Reimen, Merk- und Sinnsprüchen. Wenn ich mir aber vorstelle, durch die Landschaft zu gehen und von überall her „Fritze, Fritze, magste Grützebeeren?" oder „He da, du da, ja du da, was willstu?“ zu hören, dann würde mich das ziemlich schnell in den Wahnsinn treiben. Vorher wäre es aber wohl mit der Vogelbeobachtung vorbei. Außerdem höre ich überhaupt nicht, was Christiane hört. Der Buchfink soll „Fritze, Fritze, magste Grützebeeren?" rufen? Das entzieht sich schlicht meiner Wahrnehmung, beziehungsweise entzieht es sich meiner schlichten Wahrnehmung, oder was auch immer: Ich höre Vogelgesang und keine Sätze.

Abraten kann ich von Apps, die verheißen, Vogelstimmen automatisch per Smartphone-Aufnahme zu erkennen. Zumindest die Programme, die ich kenne, liefern sehr schlechte Ergebnisse. Zudem fingert man noch mehr mit seinem Handy herum, als man es ohnehin schon tut. Völlig blank bin ich auch bei den sehr analogen Umschreibungen von Gesängen, die ich in Vogelbüchern finde. Die Heckenbraunelle (der Titelvogel dieses Artikels) soll „TÜtelliTItelletiTÜtellüTOtelitelleTI“ von sich geben? Da könnte genausogut „DummdiDummDiDumm“ oder „Mahna mahna ba dee bedebe" stehen. Ich glaube, ich habe noch keine einzige dieser Lautmalereien je einem Vogel zuordnen können.

Ich bewundere Johannas Fähigkeit, metaphorische Bilder zu erzeugen, die aus japanischen Gedichtbänden stammen könnten:

Wie ein Blatt, das langsam, hin und hertrudelnd, auf den Waldboden herabschwebte, sang der Fitis.

Das könnte original von einem Zen-Mönch aus dem 14. Jahrhundert sein, Ich kann damit deutlich mehr anfangen als mit Grützebeeren und Kniedoktoren. Aber bis im Park mein Gehirn solche Bilder erzeugt hätte, ist der Vogel auch schon wieder über alle Berge.

Am ehesten spricht mich eine Mischung von Johannas und Franz’ Zeichnungen an, oder anders gesagt: Ich glaube, ich höre Vogelstimmen wie Musiker eine Partitur lesen. Nicht, dass ich dabei irgendwie Spezialist wäre. Aber wenn ich Vogelstimmenwanderungen leite, dann bediene ich mich gerne auch des Vokabulars aus der Musik: ansteigend, abfallend, piano, forte. Auch Dur und Moll-Tonarten, von denen Christiane sprach, finde ich sehr hilfreiche Vergleiche.

Am hilfreichsten aber sind für mich Rhythmen, die sich in meinem Gedächtnis festsetzen. Feldschwirl, Rohrschwirl, Schlagschwirl – sie zu unterscheiden ist kein Problem mehr, wenn man sich drei kleine, höchst unterschiedliche Percussionisten-Combos vorstellt, die diese Töne machen. Der Fokus auf Rhythmen funktioniert bei mir auch bei den melodischeren Arten. Zum Beispiel hat die Mönchsgrasmücke diese unverkennbaren Schlenker in ihrer Strophe, eine ganz besondere Betonung, wie ein Schlag auf die Basstrommel. Der Kleiber singt zwar auf viele verschiedene Arten, aber in der Regel mit einem ähnlichen Rhythmus, mal schneller, mal langsamer.

Beim Singen sehen – eine unschlagbare Kombi

Was mir auch hilft, ist es, Vogelgesang mit Musikstilen zu assoziieren: Die Meisen klingen klar und rein nach Johann Sebastian Bach, das Rotkehlchen geht in Richtung Chopin, die Rohrsänger in Richtung Schönberg und der Gelbspötter…der klingt wie eine Flippermaschine oder ein Commodore-64-Rechner beim Space-Invader-Spielen aus den 1980er Jahren…der Wachtelkönig und der Ziegenmelker wie Techno…

Wahrscheinlich werden jetzt viele denken, dass sie damit genauso wenig anfangen können wie ich mit den Sinnsprüchen. Aber das ist auch der Punkt: Wir nehmen die Welt unterschiedlich wahr, und deshalb liegt auch jedem ein anderer Weg, sich die Vogelstimmen zu merken. Der Trick ist es, diesen Weg überhaupt erst zu finden – und dann zu gehen.

Und damit sind wir bei dem, was Markus geschrieben hat: wiederholen, wiederholen, wiederholen! Und zwar am besten in freier Natur – und noch besser, wenn man den Vogel beim Singen sieht. Diese Kombination hat bei mir noch immer am schnellsten dazu geführt, dass ich mir eine Stimme dauerhaft gemerkt habe. Der Lerneffekt ist es wert, in eine tiefe Rückbeuge zu gehen, um einen Vogel ausfindig zu machen und zu beobachten, der irgendwo oben im Baum sitzt.

Habe ich einen Kniff?

Ja, im Winter das Vogelstimmen-Quiz der Schweizer Vogelwarte Sempach zu spielen oder sich in die unglaubliche Sammlung von Stimmen von Hans-Heiner Bergmann zu vertiefen, die es als App gibt! Das erleichtert den Wiedereinstieg im Frühling ungemein.

Gibt es Arten, mit denen ich immer noch Probleme habe?

Einige Nicht-Singvögel, zum Beispiel Enten. Deren Geräusche, inklusive der Fluggeräusche, sind so faszinierend wie ungewöhnlich. Das Schöne am Vogelstimmenlernen ist auch: Es gibt immer Neues zu entdecken. Kürzlich haben sich zum Beispiel ein paar vermeintliche Profis länger über ein Video unterhalten, auf dem ein rätselhafter Vogelgesang zu hören war. Am Ende kam heraus: Es war eine Kohlmeise.

Und noch ein Tipp: Vogelstimmen merken mit Sonogrammen

Darauf setzt Jonas Landolt: „In meinen Vogelstimmenkursen setze ich Sonogramme sehr regelmässig ein und die Rückmeldungen der Teilnehmenden sind sehr positiv. Das Video zeigt das Beispiel der Blaumeise. Zu Beginn meiner Birderkarriere wollte mir die Blaumeise einfach nicht bleiben. Nachdem ich das Sonogramm sah, habe ich sie nie mehr vergessen. Wir Menschen lernen (mehrheitlich) einfach viel besser optisch als akustisch!"

***

Wir Flugbegleiter hoffen, dass wir ein paar Anregungen geben konnten. Wenn das Vogelkonzert überwältigend wirkt, ist unser ganz einfacher Tipp: Cool bleiben, nicht aufgeben, sondern sich auf nur eine Stimme konzentrieren, den Vogel identifizieren und ihm dann ganz meditativ zuhören. Beim nächsten Mal ist dann ein anderer Vogel dran – samt Merkspruch, Sinnbild, Lautmalerei, Skizze, Partitur oder was auch immer dabei hilft, dass ein Vogelgesang unvergesslich wird.

Viel Freude in den kommenden, klangvollen Wochen!

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