Wildtierkriminalität: Mit Informationen und Informanten gegen das illegale Töten
Hunderte streng geschützte Tiere werden jährlich illegal getötet, darunter Wolf, Luchs, Fischotter und Rotmilan. Das europäische Forschungsprojekt wildLIFEcrime will die Strafverfolgung verbessern.
Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie„Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“.
Bär, Wolf, Luchs, Fischotter und Biber, Seeadler, Kaiseradler, Rotmilan und Rohrweihe: Sie alle sind in Europa streng geschützt. Dennoch werden sie aus unterschiedlichen Gründen vergiftet, erschlagen oder erschossen. Allein in Deutschland sind seit 2005 mehr als 2400 getötete Greifvögel dokumentiert. Expert:innen schätzen die tatsächliche Zahl der strafbaren Tötungen von Greifvögeln auf das Zehnfache. Die illegale Verfolgung ist damit wahrscheinlich die häufigste Todesursache streng geschützter Greifvögel. Auch bei den großen Säugetieren nehmen die Meldungen illegaler Tötungen zu: Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland wurden hierzulande 83 Wölfe illegal getötet, 36 davon allein in den vergangenen drei Jahren.
13 Partner aus Deutschland und Österreich – darunter Universitäten, ein Leibniz-Institut, das österreichische Bundeskriminalamt, deutsche Polizeipräsidien und Tierschutzverbände – haben sich deshalb zum Projekt wildLIFEcrime zusammengeschlossen. Sie wollen bis 2028 Wege aufzeigen, wie sich die Wildtierkriminalität verringern lässt, um gefährdete Arten besser zu schützen. Dazu könnten Hilfestellungen für Strafverfolgungsbehörden ebenso zählen wie Vorschläge zu legalen Ermittlungsmethoden und neue Passagen für Gesetzestexte.
Was sind die Gründe für Wildtierkriminalität?
„Die Gründe sind sehr unterschiedlich“, berichtet Sönke Gerhold, der an der Universität Bremen zu Tier- und Tierschutzrecht forscht und nebenberuflich als Strafverteidiger arbeitet. „Manche Jäger sehen in den Tieren eine Konkurrenz. Für Geflügelzüchter und Weidetierhalter sind sie eine gefühlte Bedrohung.“ In anderen Fällen gehe es um wirtschaftliche Interessen bei Bauanträgen: „Wenn eine bedrohte Art dort lebt, darf nicht gebaut werden. Wenn das Tier weg ist, dann schon – und keiner weiß, wie es passiert ist“, so Gerhold. Nicht zuletzt spielt die Lust auf Trophäen eine wichtige Rolle. Keineswegs soll das Projekt jedoch die Jägerschaft oder Weidetierhalter:innen im Allgemeinen unter Generalverdacht stellen. „Wildtierkriminalität umfasst zudem nicht nur Tötungen, sondern etwa auch Brutstörungen – alle Straftaten zu Lasten von besonders geschützten Tieren.“
Warum werden nur so wenige Tötungen bekannt und verfolgt?
„Die Tötung ist verboten. Aber wer sich nicht daran hält, kann recht sicher sein davonzukommen“, sagt Gerhold. Dafür gebe es mehrere Ursachen. Zunächst ist es für Laien, die ein totes Tier finden, nicht einfach zu entscheiden, ob ein Verbrechen vorliegt: Woran erkenne ich, ob es ein Siebenschläfer oder eine Maus ist? Welche Art ist geschützt und welche besonders streng geschützt? Was sind die Indizien, ob ein Tier an Altersschwäche, Krankheit, Gift oder einem Schuss gestorben ist?
„Oft geht es um Spuren, die schnell verschwinden, und darum, die Spuren vor Ort zu sichern“, erklärt der Forscher. Rund 30 unterschiedliche Giftstoffe konnte die Polizei bei vergifteten Greifvögeln in Deutschland nachweisen. „Wird ein Greifvogel mit Nahrungsresten am Schnabel oder Verfärbungen im Schnabelbereich gefunden, deutet das zum Beispiel auf Vergiftung hin. Der Kadaver darf dann keinesfalls angefasst werden.“ Im Forschungsprojekt sollen Kriterien für Polizei und Bevölkerung zusammengestellt werden. Anhand dieser soll sich beim Fund eines geschützten Tieres leichter erkennen lassen, ob das Tier getötet wurde. Zuletzt konnten die Behörden lediglich sieben Prozent aller Fälle aufklären, in denen Greifvögel in Deutschland illegal verfolgt wurden.
Warum sind die Verbrechen so schwer aufzuklären?
„Die Taten werden meist in freier Wildbahn und häufig nachts begangen“, weiß Gerhold. Theoretisch könnte man zum Beispiel untersuchen, welches Mobiltelefon nachts als wahrscheinlich einziges an der Fundstelle mitten im Wald in einen Mobilfunkmast eingeloggt war. „Wir schauen uns daher im Projekt an, was rechtlich möglich ist und was noch nicht versucht worden ist.“
Werde ein Luchs im Wald getötet, dort vergraben und die Patronen wieder eingesammelt, dann gebe es allerdings kaum objektive Beweismittel. „Aber Personen reden über ihre Taten, wo sie sich sicher fühlen. Oder sie machen Andeutungen, dass es jetzt ein Problem weniger gäbe“, schildert der Jurist. Weil viele Menschen den Frieden in der Nachbarschaft nicht gefährden wollen oder Sorge haben, aus der Jagdgemeinschaft verstoßen zu werden, zeigen sie betreffende Person jedoch nicht an.
„Immer, wenn ein Wildtierverbrechen zur Anzeige kam, ging das auf einen Hinweis aus der Bevölkerung und anschließende Durchsuchungserfolge zurück“, berichtet Gerhold. Er plädiert deshalb für mehr anonyme Möglichkeiten, Wildtierkriminalität zu melden. Einige gibt es bereits, etwa bei Birdlife Österreich oder bei Tatort Natur in Bayern.Das Forschungsprojekt bietet auf seiner Website jetzt eine weitere Möglichkeit für alle geschützten Arten.
Am Beispiel Luchs hat sich ein Team der Uni Bremen die Strafverfolgung schon einmal näher angesehen. Zwischen 2013 und 2023 wurden in Deutschland zwölf Luchse illegal getötet. „Die Behörden haben die Taten überwiegend ernst genommen und motiviert ermittelt“, versichert Gerhold. „Aber oft wussten sie nicht so richtig, was sie tun sollen oder können.“
Sind die Gesetze gegen Wildtierkriminalität streng genug?
„Es gibt Strafnormen und Bußgeldnormen, im Bundesnaturschutzgesetz, im Tierschutzgesetz, im Jagdgesetz, im Waffengesetz und auch im Strafgesetzbuch“, zählt Gerhold die zahlreichen rechtlichen Möglichkeiten auf. Die möglichen Sanktionen reichen von Geldstrafen in Höhe von fünf Tagessätzen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
In Deutschland ist noch nie jemand rechtskräftig für die Tötung eines Luchses verurteilt worden. Das hat das Team der Uni Bremen durch eine Analyse der Strafprozesse herausgefunden. Ebenfalls berichtet das Team vom Projekt wildLIFEcime, dass bis heute niemand für illegale Greifvogelverfolgung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Was muss besser werden?
Ein großes Problem sieht Gerhold darin, dass im Jagdgesetz der Besitz von Trophäen erlaubt ist. Demnach dürfte sich ein Jäger einen Luchs als Trophäe ins Kaminzimmer stellen, wenn das Tier bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Ob das Tier tatsächlich so zu Tode gekommen ist oder erschossen wurde, lässt sich kaum überprüfen.
Das Europarecht sagt zudem in der Artenschutzgrundverordnung und weiteren Richtlinien, dass geschützte Tiere – und auch deren Trophäen – nicht besessen werden dürfen. „Dieses Recht wird oft nicht umgesetzt“, weiß der Jurist. „Wenn die Jagdlobby sagt, laut Jagdrecht darf ich den Luchs besitzen, dann muss die Polizei sich gut auskennen um zu wissen, dass der Vorrang aus dem Europarecht greift.“ Gerhold fordert daher eine Klarstellung, dass niemand Trophäen streng geschützter Arten besitzen darf.
Sinnvoll fände der Forscher es zudem, den Artenschutz nicht über Positivlisten zu definieren, die ausführen, welche Arten wie stark geschützt sind. „Diese Kataloge der geschützten Arten sind unglaublich lang und für verschiedene Straftaten unterschiedlich.“ Einfacher fände er Negativlisten: Alle Tiere sind streng geschützt, sofern sie nicht explizit ausgenommen sind. „Dann müsste man bei einem Tier, das man nicht kennt, zunächst davon ausgehen, dass es streng geschützt ist, und hätte sofort die Pflicht zu ermitteln.“
Das Projekt „Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“ wird gefördert von der Hering Stiftung Natur und Mensch.