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Wissenschaftsakademien verlangen, dass naturzerstörende Produkte teurer werden und Ökonomïnnen den Wert der Natur berücksichtigen
Wissenschaftsakademien verlangen, dass naturzerstörende Produkte teurer werden und Ökonomïnnen den Wert der Natur berücksichtigen
Gemeinsame Stellungnahme zum Gipfel der G7-Staaten mit harten Warnungen, scharfer Kritik und weitreichenden Forderungen
Die Wissenschaftsakademien der G7-Staaten haben die Regierungen der größten westlichen Industrienationen aufgefordert, den Schutz von Natur und Biodiversität endlich ernstzunehmen und ihre Wirtschaftsweise grundlegend zu verändern. Die Präsidentïnnen der Akademien verlangen dabei, ökonomische Praktiken und Konsummuster in Frage zu stellen und den Wert der Natur auf allen Ebenen nicht länger zu ignorieren, sondern in Bilanzen und Preisen zu integrieren.
So müsse der Preis von Produkten steigen, wenn für sie Natur zerstört werden. Vor allem der Fleischkonsum müsse sinken. In der gemeinsamen Stellungnahme der Akademien heißt es, man wolle auf Ausmaß und Folgen eines fortgesetzten Verlustes von Lebensvielfalt hinweisen und auf den dringenden Bedarf zum Handeln.
Entgegen ambitionierten Zielen sind unsere globalen und nationalen Antworten auf den Niedergang der Biodiversität auf schmerzhafte Weise unzureichend..
Die Akademien melden sich zu einem kritischen Zeitpunkt zu Wort: Inmitten von dramatischen Meldungen über die Zerstörung von Wäldern auf riesigen Flächen, existenziellen Gefahren für Korallenriffe durch die Klimakrise und neuen Erkenntnissen zum Insektenschwund in Europa entscheiden in diesem Jahr die Staaten der Erde über neue gemeinsame Ziele für den globalen Naturschutz.
Wissenschaftsakademien vereinen führende Forscherinnen und Forscher eines Landes in einer von Universitäten und Instituten getrennten Institution. In Akademien beraten oftmals Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen gemeinsam und entwickeln Stellungnahmen, mit denen sie ihr Wissen und ihre Einschätzungen in die öffentliche Debatte einbringen. In Deutschland ist die Nationale Akademie für Wissenschaften (Leopoldina) seit 2008 mit der Aufgabe betraut, Öffentlichkeit und Regierungen wissenschaftlichen Rat zu bieten.
2021 fallen wegweisende Entscheidungen zum Naturschutz
Ende 2021 wollen im chinesischen Kunming Vertreterïnnen von knapp 200 Ländern beim UN-Weltnaturschutzgipfel einen gemeinsamen Fahrplan für den Naturschutz bis 2030 vorlegen. Zudem findet Ende 2021 ein weiterer UN-Klimagipfel statt, bei dem es auch darum gehen wird, welche Rolle der Schutz zum Beispiel von Mooren, Feuchtgebieten und Wäldern für die CO2-Reduktion spielen kann.
Die mächtigen und reichen G7-Staaten – die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Japan – haben bei diesen Verhandlungen eine zentrale Rolle. Mitte Juni findet unter britischer Präsidentschaft ein weiteres Treffen der G7-Regierungschefs statt, auf das sich der Appell der Wissenschaftsakademien bezieht. Die Akademien erinnern die Staaten daran, dass sie zwar nur zehn Prozent der Weltbevölkerung stellen, aber für 40 Prozent des Konsums natürlicher Ressourcen verantwortlich seien.
Die Akademien nutzen die Gelegenheit, auf sehr grundlegende Fakten aufmerksam zu machen, die in vorherrschenden ökonomischen Theorien und Praktiken noch weitgehend ignoriert werden: "Wir Menschen sind innerhalb der Biosphäre entstanden und von ihr untrennbar und vollkommen abhängig", heißt es am Beginn der Stellungnahme.
Neue Ansätze, Biodiversität einen Wert zuzuweisen und diesen in Bilanzen zu integrieren, sind notwendig.
Die Biosphäre liefere uns Nahrung, Wasser, Schutz und viele andere Aspekte menschlichen Wohlbefindens. Sie sei aber wachsendem Stress ausgesetzt, etwa durch zunehmenden Konsum, steigende Bevölkerungszahlen und den Klimawandel. Neuartige Krankheitserreger wie Coronaviren könnten mit menschlichen Vordringen in Ökosysteme, Handel mit Wildtieren und intensiver Tierhaltung in Verbindung gebracht werden, warnen die Akademien.
Den Zustand der Natur beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als dramatisch: Die Erde habe seit dem Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren nicht mehr so rasch Biodiversität verloren wie jetzt, ein sechstes Massensterben von erdgeschichtlichem Ausmaß drohe. Bisherige Anstrengungen zum globalen Naturschutz beschreiben die Akademien als "auf schmerzhafte Weise unzureichend"
Änderungen auf allen Ebenen
Die Staatengemeinschaft habe keines der 20 Ziele erreicht, die sie sich 2010 beim UN-Weltnaturschutzgipfel im japanischen Nagoya gesetzt hatte. Seit der Ratifizierung der UN-Konvention für biologische Vielfalt infolge des "Erdgipfel" von Rio de Janeiro im Jahr 1992 sei ein Viertel der Regenwälder, die es damals noch gegeben habe, zerstört worden. Deshalb brauche es jetzt von der lokalen bis zur globalen Ebene grundlegende Änderungen in allen Bereichen, "technologisch, politisch, kulturell, ökonomisch und sozial". Der UN-Naturschutzgipfel Ende des Jahres biete dazu eine Gelegenheit, "die nicht verpasst werden darf."
Einen besonderen Schwerpunkt legen die Akademien auf wirtschaftliche Fragen. Sie nennen die sogenannte "Dasgupta Review" wegweisend. Darin hatte der Ökonom Partha Dasgupta von der Cambridge-Universität jüngst auf mehr als 600 Seiten dargelegt, dass der Schutz der Natur dringend in das Wirtschaftssystem integriert werden müsse. "Neue Ansätze, Biodiversität einen Wert zuzuweisen und diesen in Bilanzen zu integrieren, sind notwendig, damit Volkswirtschaften nicht länger ihr Wirtschaftswachstum von der langfristigen Nachhaltigkeit der Biosphäre abkoppeln", heißt es in der Stellungnahme.
Dies könne durch die Bilanzierung von Naturkapital, grüne Investments, die Anerkennung von Ökosystemleistungen oder Transparenzpflichten im Bereich des Naturschutzes erreicht werden. Solche Ansätze könnten aber nur ein Teil einer Lösung sein, zumal sie nur einen Teil des eigentlichen Wertes der Biodiversität erfassen könnten. Nötig sei es auch, das Konzept des Bruttosozialprodukts um den Schutz der Natur zu erweitern, da dieser für menschliches Wohlbefinden entscheidend sei.
Die Akademien fordern
- grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft, um Naturschutz zu integrieren
- den Schutz von Ökosystemen in Klimastrategien einzuarbeiten
- das Ausmaß des heutigen Konsums zu hinterfragen und Naturzerstörung in die Preise von Produkten einzubeziehen
- den Fleischkonsum zu reduzieren und Ernährung stärker auf pflanzliche Produkte auszurichten
Zudem sprechen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür aus, die Erforschung der Biodiversität auf allen Ebenen zu verstärken und dafür mehr Mittel bereitzustellen.
Für die Leopoldina hat deren Präsident Gerald Haug, ein Klimageologe vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, das Dokument unterzeichnet. Die unterzeichnenden Institutionen sind neben der Leopoldina die Royal Society of Canada, die französische Académie des Sciences, die italienische Accademia Nazionale dei Lincei, das Science Council of Japan, die britische Royal Society und die US-amerikanische National Academy of Sciences.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Der Fotokauf für diesen Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.