Entwicklungsminister Müller: „Pandemie bereitet in ärmeren Ländern Boden für Radikalisierung, Terror und Instabilität“

CSU-Politiker fordert schnelle Hilfen und globale Kooperation

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Das Bild zeigt Kenianer, die mit Wasserkanistern in einer Schlange stehen. Sie wollen sauberes Trinkwasser bekommen.

Die Coronakrise könnte in ärmeren Ländern zu wirtschaftlichem Kollaps und politischer Destabilisierung führen und Hunderte Millionen Menschen gefährden, warnt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im Interview. Es brauche deshalb dringend Aufmerksamkeit für die Folgen der Pandemie außerhalb von Deutschland und anderen westlichen Staaten. Müller fordert Hilfen beim Thema Schulden, Kooperation bei der Impfstoffverteilung und zudem neue Prioritäten bei der Globalisierung.

Das Interview führte Andreas Rinke, Chefkorrespondent der Nachrichtenagentur Reuters in Berlin.

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Wir reden in der deutschen Öffentlichkeit vor allem über die Pandemiebekämpfung bei uns. Was bedeutet das Coronavirus für Entwicklungsländer?

Müller: Die Entwicklungsländer sind massiv betroffen. Das Virus ist in allen Staaten angekommen und es trifft die Ärmsten am stärksten. In Malawi gibt es beispielsweise nur hundert Intensivbetten für 18 Millionen Menschen. In Äthiopien rund 150 solcher Betten – bei einer Einwohnerzahl von 100 Millionen Menschen. Ausreichend vorbereitete Krankenhäuser gibt es ohnehin nur in den Großstädten. Auf dem Land ist die Gesundheitsversorgung katastrophal. Zum Vergleich: Deutschland hat bis zu 40.000 Intensivbetten. Wir müssen deshalb die Gesundheitsstrukturen in den ärmeren Ländern sehr schnell stärken und eine dramatische Wirtschaftskrise verhindern. Ansonsten drohen Hunger, Armut, Not, Unruhen und der Sturz von Regierungen. Das hätte enorme Auswirkungen auch auf uns. Im Übrigen ist dies in unserem ureigenen Interesse: Besiegen wir die Pandemie nicht weltweit, wird sie immer wieder zu uns zurückkommen.

Viele Länder sind schon heute stark verschuldet. Was sollte man tun?

Müller: Viele Entwicklungs- und auch Schwellenländer werden gleich mehrfach getroffen. Zu der Gesundheitskrise kommen dramatische Liquiditätsprobleme. In den letzten Wochen sind bereits 100 Milliarden Dollar Kapital abgeflossen, globale Lieferketten – etwa bei Textilien und Rohstoffen – brechen auseinander. Die Währungen der Entwicklungsländer sind im Schnitt 25 Prozent abgewertet worden. Viele Entwicklungsländer wie Nigeria leiden zudem unter dem massiven Zusammenbruch der Rohstoffpreise. Um es kurz zu machen: Die Finanzierung vieler Staaten ist ohne internationale Hilfe nicht mehr möglich.

Die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds steht an. Was sollte die Staatengemeinschaft tun?

Müller: Die ärmsten Staaten müssen handlungsfähig bleiben. Die Schuldenzahlungen dieser Länder belaufen sich nach Schätzungen der Weltbank dieses Jahr auf 14 Milliarden Dollar . IWF und Weltbank haben daher ein Schuldenmoratorium für 76 arme Länder vorgeschlagen. Ich unterstütze diese Forderung und werde beim Treffen der Weltbank-Gouverneure vorschlagen, diesen Ländern in einem ersten Schritt ihren Schuldendienst für ein Jahr zu stunden. Dabei setze ich vor allem auf die G20-Staaten. Sollte das nicht ausreichen, wäre ein Schuldenerlass für die 47 am wenigsten entwickelten Länder der nächste Schritt. Und für die Schwellenländer müssen wir eine Restrukturierung der Schulden hinbekommen. Das betrifft IWF, Weltbank und die G20. Denn noch in diesem Jahr laufen in diesen Ländern Staatsanleihen im Umfang von 450 Milliarden Dollar aus. Wenn wir hier nicht handeln und die Länder stabilisieren, wird es zu einem globalen Notstand mit hunderten Millionen Arbeitslosen und dem Zusammenbruch ganzer Staaten kommen.

Das Foto zeigt Minister Müller im Portrait vor einer Weltkarte.
Der CSU-Politiker Gerd Müller kam 1994 für den Wahlkreis Kempten, Oberallgäu und Lindau erstmals in den Deutschen Bundestag und ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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