Klimaattribution einmal anders: Das Wetter erzählt Geschichten übers Klima
Wie viel Klimawandel steckt in unserem täglichen Wetter? Ein Online-Tool gibt Antworten, mit einem neuen Ansatz – und das fast in Echtzeit.
Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen – die Wetterextreme werden infolge des Klimawandels in häufiger und intensiver. Doch wie wäre unser Wetter, wenn es die Effekte des Klimawandels nicht gäbe? Und wie wäre es gewesen, wenn heute schon die volle Klimakatastrophe geherrscht hätte? Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven hat genau das nun errechnet und eine interaktive Website dazu gebaut.
Im Jahr 2023 übertraf die globale Durchschnittstemperatur erstmals den vorindustriellen Vergleichswert um 1,5 Grad Celsius. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es immer und überall ohne den Klimawandel 1,5 Grad kälter gewesen wäre. „Wir haben nicht jeden Tag die gleiche Erwärmung aufgrund des Klimawandels“, erläutert Helge Gößling, Klimaphysiker am AWI. Wie warm es sei, hinge allein schon davon ab, ob die Winde Luft vom Atlantik herbeitragen oder über den Kontinent. „So ändert sich der Fingerabdruck des Klimawandels von Tag zu Tag, “ sagt Gößling.
Statistik macht das Klima im Wetter sichtbar
Überhaupt hat sich die Klimaforschung lange gescheut, einzelnen Wettersituationen einen konkreten Einfluss des Klimas zuzuweisen. „Das war in den Köpfen so drin: Wenn wir Aussagen über das Klima machen, dann schauen wir über mindestens 30 Jahre, und nicht nur auf Mittelwerte, sondern auch auf die Verteilung von Extremen und deren Verschiebung“, erzählt Gößling. 2003 erschien dann ein Fachartikel, der darlegte, dass man sehr wohl mit statistischen Methoden den Anteil des Klimawandels am Wetter bestimmen könne.
„Im Laufe der letzten 20 Jahre ist dieser sogenannte probabilistische Ansatz perfektioniert worden“, berichtet der Klimaforscher. Dazu simulieren unterschiedliche Klimamodelle eine Vielzahl von Durchläufen und vergleichen dann, wie sich die Wahrscheinlichkeiten von Extremereignissen verändern, wenn die Atmosphäre mehr CO2 enthält, es also global wärmer ist. Fachleute sprechen von einer Ensemble-Simulation, durch die natürliche Schwankungen besser eingeordnet werden können.
Windmuster in simulierte Klimata kopieren
Das AWI hat jetzt einen ergänzenden Ansatz vorgestellt, um den Einfluss der Erderwärmung auf das Wetter anschaulich zu machen – den Storyline-Ansatz. „Wir schauen nicht in Simulationen und Statistiken, wie oft etwas passiert“, erläutert Gößling. „Wir nehmen unser bewährtes Klimamodell und zwingen es, die gleichen Winde zu reproduzieren, wie sie in den letzten Jahren beobachtet wurden.“ Denn die Windmuster – insbesondere der Jetstream – bestimmen unser Wetter in Europa. Eine blockierende Wetterlage im Sommer bedeutet etwa eine Hitzewelle. Auf diese Weise bildet die Simulation zunächst das Wetter ab, wie es dem heutigen Klima entspricht.
In einem zweiten Schritt verändern die Forscher Modellparameter wie den Gehalt von Treibhausgasen und Aerosolen in der Atmosphäre. Einmal definieren die Forscher die Werte so, dass sie der vorindustriellen Erde entsprechen. Ein anderes Mal entsprechen die Werte einer Erde, die gegenüber der vorindustriellen Zeit um vier Grad heißer geworden ist. Außerdem simulieren die Forscher die Ozeane so, als würden die definierten Werte schon eine Weile lang herrschen – denn die Ozeane reagieren verzögert auf den Klimawandel. Die Winde aber, die maßgeblich die Wetterschwankungen bestimmen, bleiben in allen Szenarien unverändert so, wie sie tatsächlich geherrscht haben. „So können wir uns Zwillinge von Extremereignissen ansehen, aber in verschiedenen Klimata“, erklärt Gößling.
Klimawandel setzte auf Hitzewelle noch drei Grad drauf
Die Hitzewelle, die Deutschland 2019 heimsuchte, wäre demnach ohne Klimawandel in der Spitze mit 37 statt 40 Grad Celsius weniger intensiv ausgefallen. In einer möglichen, global vier Grad wärmeren Zukunft hätten wir jedoch Temperaturen von 47 Grad ertragen müssen. Das Sturmtief Boris, das im September dieses Jahres für Überschwemmungen und Tote in Mittel- und Osteuropa sorgte, hätte ohne Klimawandel neun Prozent weniger Regen gebracht. Dann nämlich wäre das Mittelmeer kühler gewesen, weniger Wasserdampf wäre in der Luft gewesen, und das Tiefdruckgebiet hätte sich dort auf seinem Weg weniger stark „auftanken“ können.
Kostenloses Online-Tool zeigt Klimawandel im Wetter
Dank eines vom AWI entwickelten Online-Tools lässt sich nun – mit wenigen Tagen Verzögerung – für jede Person frei zugänglich nachschauen, wie das Wetter in Deutschland (und anderen Regionen der Erde) ohne Klimawandel gewesen wäre – und wie wir es in einer noch heißeren Zukunft erlebt hätten. Am 25. November 2024 etwa hätte Deutschlands äußerster Westen kaum etwas vom Klimawandel gemerkt, während der Südosten bis zu drei Grad zu warm gewesen wäre. In einer global vier Grad wärmeren Welt wäre der Klimawandel an jenem Montag jedoch überall in Deutschland zu spüren gewesen, Teile Bayerns und Baden-Württembergs hätten sich noch einmal um weitere fünf Grad mehr erwärmt als heute.
Was wenig klingt, kann viel bewirken
„Ein paar Grad oder ein paar Prozent Niederschlag klingen wenig, können aber einen riesigen Unterschied machen“, warnt Gößling. Es könnten die paar Prozent sein, die darüber entscheiden, ob ein Fluss über die Ufer tritt, ein Damm bricht oder eine Kanalisation überläuft. „Gleiches gilt für Hitze: Bis zu einem bestimmten Punkt ist alles irgendwie noch okay, aber dann wird es kritisch.“
Gerne würde der Klimaphysiker daher auch veranschaulichen, wie sich der Klimaeffekt im Wetter konkret auf das Leben der Menschen auswirkt. Dafür müsste man jedoch weitere Daten und Modelle einbinden, um etwa auszuwerten, wie sich die erhöhten Niederschlagsmengen zu Überflutungen auswirken. „Da sind wir gemeinsam mit Partnern in mehreren Projekten dran“, sagt Gößling. Was sich schon jetzt dank des neuen Online-Tools sagen lässt: Der Klimawandel ist in Deutschland bereits heute tagtäglich messbar – nicht nur bei Extremwetterereignissen.