Vor dem Long-COVID-Kongress: „Wir haben nicht nur ein medizinisches Problem“

Wenn sich Ende November Mediziner:innen und Betroffene zum zweiten Long-COVID-Kongress in Jena treffen, sieht Tagungspräsident Martin Walter die Forschung auf dem Weg zu einem Konsens bei den Krankheitsmechanismen. Er kritisiert schrille Töne aus der Wissenschaft und fordert Verbesserungen für Menschen mit Corona-Langzeitfolgen: Es brauche mehr Forschung, bessere Versorgungsangebote, neue Modelle für den beruflichen Wiedereinstieg sowie Veränderung bei der Deutschen Rentenversicherung, um Menschen vor Fehlbehandlungen zu schützen.

vom Recherche-Kollektiv Postviral:
11 Minuten
Portraitfoto von Martin Walter. Der Psychiatrie-Professor ist Präsident des zweiten Long-COVID-Kongresses in Jena im November 2023.

Am 24. und 25. November findet der zweite Long-COVID-Kongress in Jena statt, ausgerichtet vom Universitätsklinikum der thüringischen Stadt in Kooperation mit dem Ärzte- und Ärztinnenverband Long-COVID. Martin Walter, einer der Initiatoren der Tagung, geht davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent der Corona-Infizierten über längere Zeiträume mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben und etwa 0, 5 Prozent sogar die schwerwiegende postvirale Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln. Weder in der medizinischen Versorgung noch bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt werde den Betroffenen ausreichend geholfen, kritisiert der Psychiatrie-Professor im Interview.

Das System lebt bisher vom Eigenengagement des Personals – jetzt geht vielen langsam die Puste aus.

Die bisherigen Strukturen für die berufliche Widereingliederung sind für viele Post-Covid-Erkrankte ungeeignet.

Das postinfektiöse Krankheitsgeschehen ist nicht vorbei, und im Moment tragen wir dazu bei, dass wir die Problematik für die Zukunft eher vergrößern.

Wir könnten in den nächsten Jahren mindestens das Zehnfache der jetzt in Aussicht stehenden Mittel investieren und es wäre immer noch gut angelegt.

Die ernstzunehmenden Kollegen sind zunehmend dabei, einen wissenschaftlichen Konsens zu entwickeln. Das Aberkennen von physiologischen, somatischen Krankheitsmechanismen spielt dabei keine Rolle mehr. Das ist eine komplett randständige Diskussion geworden. Je größer der Konsens wird, umso schriller werden aber diejenigen, die etwas anderes behaupten.

Die Reha-Fähigkeit muss vor der Reha zuverlässig geprüft werden, und bei Verdacht auf eine Kontraindikation für eine Aktivierungstherapie müssen wir von einer entsprechenden Reha absehen, insbesondere, wenn hierfür kein nachweislich geeignetes Konzept vorliegt. Das geschieht bisher nicht in ausreichendem Maße. Es bedarf dafür angepasste Abläufe auch bei der Deutschen Rentenversicherung.

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