Erdähnlich und doch fremd
2021 soll ein Weltraumteleskop erstmals die Atmosphäre eines warmen, erdähnlichen Exoplaneten untersuchen. In unserer kosmischen Nachbarschaft kommt dafür wohl nur ein Planetensystem in Frage.
Es war ein Moment, wie er in der Exoplanetenforschung häufiger vorkommt. Astronomen traten im Februar 2017 an die Öffentlichkeit, um eine vermeintlich bahnbrechende Entdeckung kundzutun. Selbst der Wissenschaftsdirektor der NASA Thomas Zurbuchen war zugegen, um dem Ereignis noch mehr Relevanz zu verleihen. Es seien neue Planeten entdeckt worden, wieder einmal. Zu drei kurz zuvor gefundenen kämen nun vier weitere, mehrere lägen in der möglicherweise lebensfreundlichen habitablen Zone. Alle sieben Planeten kreisten um den sonnennahen Stern TRAPPIST-1 und seien erdähnlich. Jedenfalls legten das die sieben gezeigten Bilder nahe, mit mehr oder weniger Wolken und Ozeanen. Die Grafiker der US-Raumfahrtbehörde hatten gute Arbeit geleistet, denn eigentlich war über die Planeten – wie so häufig – kaum mehr bekannt als ihre Umlaufbahnen, ihre Größe und ihre Masse. Vielleicht aber, so sieht es zumindest rückblickend aus, haben die Forscher hier tatsächlich Planeten gefunden, die bis heute unter allen bekannten fernen Welten herausstechen und die sogar noch interessanter werden, je länger sie untersucht werden.
Exoplanetenforscher sind in einem ständigen Dilemma gefangen. Seit Michel Mayor und Didier Queloz vor 25 Jahren den ersten Planeten um einen sonnenähnlichen Stern fanden, wurden über 4500 ferne Welten entdeckt. Aber besitzt ein Planet eine Atmosphäre oder Wolken, handelt es sich um einen lebensfeindlichen Minineptun oder einen toten Riesenmerkur, der längst alle Gase ins All verloren hat? Trotz immer neuer Funde tappen Astronomen häufig im Dunkeln – und der Wettlauf zu Entdeckungen von immer kleineren und vermeintlich erdähnlicheren Exoplaneten endet meist bei rudimentären Nachweisen, dass diese Planeten existieren. Details über die Natur dieser Planeten lassen sich nur in Ausnahmefällen herausfinden. Eine solche Ausnahme ist TRAPPIST-1.
Berechenbare Unpünktlichkeit
Es sind unauffällige Sterne, für die sich Astronomen erstmals 2010 zu interessieren beginnen, als sie das neue Transiting Planets and Planetesimals Small Telescope, kurz TRAPPIST, mit seinen zwei nur 60 Zentimeter großen Spiegeln in Betrieb nehmen. Sie richten es testweise auf 50 ausgewählte Ziele, leuchtschwache Zwergsterne unserer kosmischen Nachbarschaft, die lediglich im infraroten Teil des Spektrums überhaupt nennenswert Licht abstrahlen. Große Entdeckungen erwartet kaum jemand, denn kalte Zwergsterne gelten damals als eher unwahrscheinliche Heimat für erdgroße Planeten. Ein Team um Michaël Gillon von der Universität Liège in Belgien will mit diesen Beobachtungen nur erproben, was für Daten mit einem später geplanten Teleskop zu erwarten sind. Die Astronomen nehmen mit TRAPPIST ein paar Lichtkurven auf und stutzen: Denn einer der Sterne ihrer Liste verdunkelt sich alle ein bis zwei Tage. Es sind klare Anzeichen für die – wie wir heute wissen – innersten drei Planeten um den Stern, der schon bald nur noch TRAPPIST-1 genannt wird: dem ersten und einzigen Planetensystem, der unter den untersuchten 50 Zwergsternen herausstach.
Wenige Monate später bittet einer der belgischen Forscher Eric Agol um Hilfe: Der Astronom an der University of Washington hatte Jahre zuvor einen Effekt beschrieben, der jetzt von Nutzen sein könnte. Die Transit Time Variation nutzt die Erkenntnis, dass sich mehrere Planeten, die denselben Stern umkreisen, gegenseitig mit ihrer Schwerkraft beeinflussen. Viele Exoplaneten wurden dadurch entdeckt, dass sie regelmäßig vor ihren Sternen entlangziehen und ihn – aus unserer Sicht – kurzzeitig verdunkeln. Bei Systemen mit mehreren Planeten verändert sich der Zeitpunkt aber, zu dem einer der Planeten vor dem Stern vorüberzieht. Leicht verfrühte oder verspätete Planeten können beim Kreuzen der Lichtscheibe ihres Sterns also auf andere, noch nicht entdeckte Planeten hindeuten.
Bis Ende 2019 richteten die Astronomen zudem das schon altersschwache Infrarotteleskop Spitzer immer wieder auf TRAPPIST-1, insgesamt mehr als tausend Stunden lang. Für ein stark nachgefragtes Weltraumteleskop, dessen Batterie schließlich im Januar 2020 erschöpft war, eine extrem lange Beobachtungszeit für ein einzelnes astronomisches Ziel. Dabei fanden die Forscher etliche verschobene Transitzeiten. Sie brachten die vier weiteren mittlerweile bekannten Planeten zutage, die entweder geringfügig größer oder kleiner als die Erde sind. „Wir haben damit einige der präzisesten Messungen aller bekannten erdgroßen Exoplaneten gesammelt“, sagt Eric Agol. Allein wie sich die Umlaufbahnen zueinander verhalten, sagte schon viel über die Geschichte des Planetensystems aus: Das Verhältnis ihrer Umlaufzeiten entspricht dem Verhältnis ganzer Zahlen, und das deutet auf sehr stabile Umlaufbahnen hin, die schon mehrere Jahrmilliarden bestehen dürften. Mögliche Lebensformen hätten somit genügend Zeit gehabt, sich zu entwickeln.
Aussicht auf Leben
Wie wahrscheinlich Leben auf einem der sieben Planeten ist, lässt sich bislang aber noch kaum beziffern. Nach ihrer Entdeckung schien es, anders als in den NASA-Grafiken suggeriert, durchaus möglich, dass die Planeten von TRAPPIST-1 dichte Atmosphären aus Wasserstoff besitzen und damit eher der Klasse lebensfeindlicher Minineptune angehören als jener Planetengruppe, die Erde, Venus oder Mars ähnelt. Mit Spektren des Hubble-Weltraumteleskops ließ sich diese Möglichkeit 2018 aber recht sicher ausschließen. Für dünnere Atmosphären spricht auch die Dichte der Planeten, die sich aus der dem Durchmesser und deren Masse ergibt: Die ließ sich nämlich für alle sieben Planeten dank ihrer engen Bahnen um den Stern und den häufigen Transits ableiten – ein weiterer Unterschied zu den meisten der anderen der gut 40 bekannten und vergleichbar warmen Exoplaneten in Erdgröße.
Die Dichtemessung mit den besten verfügbaren Teleskopen ist bis heute der wichtigste Anhaltspunkt für die grobe Beschaffenheit der TRAPPIST1-Welten. Demnach passt die Dichte zumindest für drei der Planeten, den zweiten, vierten und sechsten, nicht zu toten Welten aus purem Gestein. Denn selbst wenn sie aus dem leichtesten vorstellbaren Gestein bestünden, nämlich aus nur wenig kompakten Magnesiumsilikaten, müssten diese drei Planeten eine größere mittlere Dichte besitzen als aus den Beobachtungen hervorgeht – es sei denn, diese Planeten besäßen jeweils tiefe Ozeane und eine Atmosphäre. Einige Forscher gingen der Frage nach, auf welchem der sieben Planeten eine verbreitete Pflanzenbedeckung die globale Temperatur zugunsten von anderen Organismen verbessern könnten. Danach wäre eine entwickelte Fauna auf dem vierten Planeten am wahrscheinlichsten.
Im kosmischen Glücksspiel gibt es derweil viele Variablen, die die Entstehung von Leben begünstigen oder behindern können. Dazu gehören einfache organische Moleküle, die Grundbausteine des Lebens. Dazu gehört aber auch der Stern eines Planetensystems selbst. Denn die einfachsten organischen Moleküle müssten aufgespalten werden, um aus der noch unbelebten Materie erst komplexere Moleküle zu bilden, die sich dann zu belebter Materie entwickeln kann. Zumindest im Fall der Erde dürfte die UV-Strahlung unserer Sonne die Startenergie des Lebens geliefert haben. Doch der Rote Zwerg TRAPPIST-1 hat in dieser Beziehung ein ruhigeres Naturell: Er strahlt im ultravioletten Teil des Spektrums viel schwächer als im Infraroten. Forscher um Elsa Ducrot von der Universität Liège sind sich zunehmend sicher, dass TRAPPIST-1 in seiner Jugendzeit zu wenig UV-Licht für die Grundlage von Leben lieferte. Sie räumen aber auch ein, noch viel zu wenig über die Physik der Roten Zwergsterne zu wissen. Beispielsweise sprechen Indizien dafür, dass die Ministerne in ihrer Jugend häufiger zu Ausbrüchen in Form solarer Flares neigen. Diese Flares sind wiederum mit Episoden starker UV-Strahlung verbunden – vielleicht ein Strohhalm für das Leben auf den Planeten von TRAPPIST-1.
Was die Planeten am Ende fundamental von der Erde unterscheidet, ist ihre große Nähe zum Stern. Verglichen mit unserem Sonnensystem kreisen alle sieben TRAPPIST-1-Planeten weit innerhalb der Merkurbahn, wo es wegen der schwachen Leuchtkraft des Zwergsterns dennoch angenehm warm ist. Aber die Nähe zum Stern birgt Nachteile: Die Eigendrehung aller sieben Planeten dürfte dadurch stark verlangsamt sein; manche dürften dem Stern wohl sogar dauerhaft nur eine Hemisphäre zuwenden. Galt eine solche gebundene Rotation zunächst als wahrer Biosphärenkiller, sind die Forscher mittlerweile auch da optimistischer: Eine dichte Atmosphäre oder ein besonders tiefer Ozean könnte die Wärme auch auf die Nachtseite transportieren und dort die Luft daran hindern, auszufrieren.
Lieblingsziel fürs James-Webb-Teleskop?
All diese Überlegungen kranken jedoch daran, dass sie auf Modellrechnungen beruhen, die noch immer auf recht dünnen Daten fußen. Dazu gehört die Frage, woher die gemessenen Unterschiede bei der mittleren planetaren Dichte rühren und ob manche der Planeten tatsächlich riesige Ozeane besitzen, während andere durch einen sich beschleunigenden Treibhauseffekt ähnlich wie die Venus ihr Wasser bereits verloren haben. Vielleicht besitzen die Planeten aber auch schlicht unterschiedlich große Eisenkerne in ihrem Inneren und führen zu den beobachteten Dichteunterschieden. „Wir wissen es nicht“, sagt Eric Agol.
Dass die Forscher trotz all der Unsicherheit nicht von TRAPPIST-1 lassen können, liegt an den Aussichten, bald mehr erfahren zu können: Im Herbst 2021 soll, pandemiebedingt ein Jahr später als zuletzt geplant, das James-Webb-Weltraumteleskop abheben. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass dessen tiefgekühlte Infrarotdetektoren und der 6,5 Meter große Spiegel gut geeignet sind, um planetare Atmosphären nahe Roter Zwergsterne zu untersuchen. Allerdings müssten diese weniger als 65 Lichtjahre von uns entfernt sein. Eine Inventur der in Frage kommenden Sterne auf Basis neuer Entfernungsmessungen der Gaia-Mission der ESA zeigt: Zwar liegen 44 benachbarte Zwergsteine in Reichweite, aber statistisch dürften nur 2,5 Prozent der Planeten die Sichtlinie zwischen ihrem Stern und uns kreuzen. Solche Transits sind notwendig, um mehr über die Atmosphären herauszufinden. In dieser Rechnung bleibt am Ende womöglich nur ein einziger Roter Zwerg übrig, der bekannte Planeten besitzt: TRAPPIST-1.
Es scheint somit klar, dass die ersten Daten der Atmosphäre eines erdgroßen Exoplaneten aus eben jenem 40 Lichtjahre entfernten Siebenfachsystem stammen werden. Herausfordernd wird das selbst für das James-Webb-Teleskop: Bis zu 1000 Beobachtungsstunden pro Planet wären nötig, um auch nur die häufigsten Bestandteile einer der planetaren Atmosphären herauszufinden. Und das mit einem Teleskop, das wohl die meisten astronomischen Disziplinen gerne nutzen wollen und dessen Lebensdauer anders als bei Vorgänger Hubble bei nur fünf bis zehn Jahren liegen dürfte, bis ihm der Treibstoff ausgeht. Schon deshalb fordert eine Gruppe von Astronomen um die Entdecker Michaël Gillon und Eric Agol derzeit, die Beobachtung gut zu koordinieren, die der Einzigartigkeit von TRAPPIST-1 unter allen bekannten Systemen mit erdgroßen Exoplaneten Rechnung trägt.
Was dabei herauskommt, wenn das Teleskop James Webb in wenigen Jahren diese Daten geliefert hat und diese analysiert worden sind, ist noch völlig offen. Die Planeten um TRAPPIST-1 könnten trockene und gasfreie Welten sein oder von einem extremen Treibhauseffekt völlig überhitzt worden sein. Vielleicht besitzen manche aktive Vulkane oder exotische Atmosphären aus anorganisch erzeugtem Sauerstoff und Kohlenstoffmonoxid, wie sie in unserem eigenen Planetensystem gar nicht vorkommen. Vielleicht gibt es doch auch die bereits ausgeschlossenen reinen Wasserstoffatmosphären, die hoch fliegende Wolken bisher vor den Blicken der Astronomen abgeschirmt haben. Vielleicht aber findet das James-Webb-Teleskop tatsächlich einzelne Planeten mit einer Lufthülle, die jener der Erde ähnelt. Selbst in diesem Fall stünde die Erforschung von TRAPPIST-1 weiter ganz am Anfang. Denn das Ziel wäre dann der Nachweis eines Biomarkers, also einer Chemikalie, die einwandfrei die Existenz von Leben beweist. Und dafür wären weitaus vielseitigere Methoden notwendig, als jene, die derzeit zur Verfügung stehen.
Eine kürzere Fassung dieses Textes ist auf Spektrum.de erschienen.