Ein Singvogel, ein Kuckuck und der Trick mit dem Passwort
Wie hält man sich Brutschmarotzer vom Leib? Der Prachtstaffelschwanz kennt die Antwort: Er schützt sein Gelege mit einem Code – und singt für die Ungeborenen.
Kuckucksvögel sind wie Taschendiebe: Sie warten ab, bis die Gelegenheit günstig ist, um dann blitzschnell zuzuschlagen. So macht es auch der Rotschwanzkuckuck. Er lebt in Australien und gibt sich nicht die Mühe, seine Nachkommen großzuziehen. Das können Pflegeeltern für ihn übernehmen – und die gilt es, auszutricksen. Daher wartet der Rotschwanzkuckuck still im Morgengrauen, bis ein kleiner Singvogel sein Nest für kurze Zeit verlässt. Das ist der Prachtstaffelschwanz. Mit dem Kuckuck hat er keinerlei Ähnlichkeit. Die Männchen dieser Art tragen ein blauschillerndes Prachtkleid, während der Rotschwanzkuckuck braun, grün und rötlich befiedert ist. Aber die Eier beiden Arten lassen sich nicht auseinanderhalten. Und darum geht es dem Brutschmarotzer. (Übrigens: Wer mehr zum Mini-Lebensraum Vogelei lesen möchte, etwa zur Nestheizung der Goldhähnchen, wird hier fündig.)
Sobald das Nest des Prachtstaffelschwanzes unbewacht ist, wird der Rotschwanzkuckuck hineinschlüpfen und sein Ei ablegen. Dafür braucht er nur wenige Sekunden. Im Gegenzug wird er ein anderes aus dem Gelege entfernen. Prachtstaffelschwänze bauen kugelige Nester. Darin ist es dämmrig. Der heimkehrende Singvogel wird den Tausch keinesfalls bemerken. Er wird genauso viele Eier vorfinden wie vor seinem Abflug, sein Gefieder aufschütteln, sich vorsichtig auf das Gelege setzen und mit dem Brüten beginnen.
Tod der Nestgeschwister
Geht alles nach Plan, bricht der fremde Jungvogel nach zwölf Tagen aus der Schale und verschafft sich erst einmal Platz. Er räumt die anderen Eier aus dem Nest, weil er stets als Erster schlüpft, und lässt sich dann als Einzelkind von seinen Pflegeeltern großziehen. In manchen Gegenden Australiens ist der Rotschwanzkuckuck überaus erfolgreich. Er sucht noch andere Arten heim, etwa Angehörige der Dornschnäbel oder weitere Staffelschwanz-Arten, und bringt bis zu drei Viertel seiner Jungvögel durch.
Doch nicht beim Prachtstaffelschwanz.
Hier stoppt die Erfolgsgeschichte des Brutparasiten. Der kleine blaue Singvogel wird in den allermeisten Fällen kein Kuckuckskind großziehen. Gleich nach dem Schlupf wird er merken, was los ist, und das Nest verlassen. Er wird ein neues bauen, an anderer Stelle, während der Jungkuckuck verhungert. Wieso fällt dem Prachtstaffelschwanz auf, was anderen Vögeln entgeht?
Durch reinen Zufall kam ein international besetztes Forschungsteam hinter dessen Strategie. Eigentlich wollten die Forschenden aus Australien, Österreich und den USA die Alarmrufe dieser Art untersuchen und klemmten Mikrofone unter die Kugelnester. Doch dann fiel ihnen etwas Seltsames auf. Normalerweise sitzen brütende Vögel still auf ihrem Gelege. Sie sind verletzlich und vermeiden es, Beutegreifer auf sich aufmerksam zu machen. Nicht so die Weibchen der Prachtstaffelschwänze. Nach neun Tagen des Brütens beginnen sie zu singen und hören erst wieder damit auf, wenn das erste Junge geschlüpft ist. Warum tun sie das, fragte sich das Team. Warum gefährden sie sich selbst?
Lernen in der Eierschale
Weil sie unterrichten. Sie bringen den Embryonen, die in den Eiern heranwachsen, etwas fürs Leben bei: ein Passwort. Eine komplexe Gesangsfolge, die nur sie selbst verwenden und wenige andere eingeweihte Vögel, die ihnen beim Brüten helfen. Diese spezifischen Gesänge sind sehr kurz. Sie dauern nicht länger als zwei Sekunden, enthalten jedoch bis zu 20 verschiedene Elemente. Es ist ein komplizierter Code, den die Mütter da ihren Ungeborenen eintrichtern. Etwa fünf Tage dauert der Unterricht, dann pickt sich der erste Jungvogel aus dem Ei, und die Mutter beendet ihren Gesang.
Nun geht es um die nackte Existenz: Hat das Küken das Passwort gelernt? Können es auch die Geschwister – falls es welche gibt? Um die Elterntiere zum Füttern zu animieren, stoßen Jungvögel Bettelrufe aus. Bei den Prachtstaffelschwänzen müssen sie den Code der Mutter exakt wiedergeben. Erst dann stopfen die Elterntiere ihnen Spinnen und Insekten in die Schnäbel. Macht ein Jungvogel aber Fehler, handelt es sich vermutlich um ein Kuckuckskind. Denn dessen einstiger Vorteil – der frühe Schlupf – wird ihm jetzt zum Verhängnis. Weil es schon am zwölften Tag schlüpft und nicht wie die Prachtstaffelschwänze erst um den 15., fehlen ihm ein paar Unterrichtseinheiten. In nur zwei oder drei Tagen lässt sich der Code offenbar nicht erlernen. Ergebnis: Der Kuckuck bringt das Passwort nicht zustande. Er wird allein gelassen und verhungert.
Doch damit endet die Geschichte vermutlich noch nicht. Die Evolution bleibt ja nicht stehen. Vielleicht vollzieht sich bald schon der nächste Schritt im Wettrüsten beider Arten, heißt es in der Studie. So wie die Rotschwanzkuckucke auch eine Weile gebraucht haben, um ein Prachtstaffelschwanz-Ei perfekt zu imitieren, könnten die Embryonen ihre Merkfähigkeit steigern. Dann lernen sie womöglich bald in kürzerer Zeit, wie der Code geht. Und überleben auch im Nest des kleinen blauen Vogels.