Wie Viren die Evolution des Menschen beflügelten

Die winzigen organischen Strukturen sind nicht nur schreckliche Krankheitserreger, sie haben aus biologischer Sicht auch ihre guten Seiten

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Hier wird eine Aufnahme des Grippevirus im Elektronenmikroskop am Robert Koch-Institut gezeigt. Jedes Jahr kommt der Erreger der Grippe, auch Influenza genannt, mit neuen Varianten und fordert das menschliche immer wieder heraus.

Die Corona-Pandemie macht deutlich, welche Gefahren von Viren als Auslöser tödlicher Seuchen ausgehen. Doch die Winzlinge sind weitaus mehr: Sie sind uralte Überlebenskünstler und haben die Evolution der meisten Lebewesen, auch von uns Menschen, vorangetrieben. Ohne sie gäbe es wohl heute keine Sexualität, würden dem Menschen manche Gene fehlen und sein Abwehrsystem wäre weniger leistungsfähig.

Seit die Corona-Pandemie als gigantische Welle über den Erdball rollt, wird vielen Menschen erst bewusst, wie mächtig die Kräfte der Evolution sind und wie brutal sie über Leben oder Tod entscheiden können. Unerwartet und bedrohlich ist die rasende Geschwindigkeit, mit der sich die neuen Coronaviren in unserer globalisierten Welt ausbreiten. Doch auch schon vorher hatten Viren – das lateinische Wort Virus bedeutet Gift oder Schleim – ein denkbar schlechtes Image. Denn sie sind als Ursache von Krankheiten wie Ebola, Grippe, Pocken, SARS oder Aids gefürchtet, aber auch als Auslöser lediglich lästiger Beeinträchtigungen wie Schnupfen bekannt.

Aus biologischer Sicht jedoch sind die winzigen Plagegeister weit mehr als nur Erreger von schrecklichen Seuchen. Sie sind raffinierte Überlebenskünstler, so alt wie das Leben selbst, und sie haben als Motoren der Evolution andere Lebewesen vorangebracht – auch den Menschen. Eine Jahrmillionen Jahre alte Wechselbeziehung verbindet sie mit dem Homo sapiens und seinen Vorfahren. Und die hinterließ bis heute ihre Spuren in uns.

Denn der Mensch enthält nicht nur mehrere Prozent Viren-DNA in seinem Erbgut, sondern er trägt auch einige von Viren eingeschleuste Gene – die etwa das Immunsystem unterstützen, in der Schwangerschaft helfen oder für das Gehirn wichtig sind. Wie aber konnten die Winzlinge solche Leistungen erbringen und seit Milliarden Jahren überleben, obwohl sie unglaublich simpel aufgebaut und eigentlich gar keine Lebewesen sind?

Viren sind die erfolgreichsten Kreaturen auf dieser Erde

Würde man den Erfolg einer Kreatur nur danach bemessen, wie viele Exemplare es davon gibt, dann wären Viren eindeutig die Sieger der Evolution. Sie sind zehnfach häufiger als Bakterien. In jedem Kubikzentimeter Meerwasser finden sich zehn Millionen Viren. Und ihre Gesamtzahl in den Ozeanen wird auf 1031 geschätzt. Das ist eine Eins mit 31 Nullen – eine unvorstellbar große Zahl. Wären einzelne Viruspartikel so groß wie ein Sandkorn, dann würde allein ihre Menge die gesamte Erdoberfläche mit einer 15 Kilometer dicken Schicht bedecken.

Wie ein Astronaut sieht der Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts in seinem Schutzanzug aus, der nach der Arbeit mit gefährlichen Viren in einer engen Duschkabine von oben mit einem flüssigen Desinfektionsmittel besprüht wird.
Um eventuell anhaftende Viren abzutöten, werden die Schutzanzüge von Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts sechs Minuten lang in einer speziellen Dusche dekontaminiert, nachdem sie im Hochsicherheitslabor mit gefährlichen Erregern hantierten

Doch in Wirklichkeit sind die Erreger so winzig, dass sie nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind. Sie messen etwa ein Hundertstel der Größe eines Bakteriums, und eine durchschnittliche menschliche Zelle ist sogar tausendfach länger. Der Erreger der Grippe etwa kommt auf 0,12 tausendstel Millimeter. Einmalig ist auch die Vielfalt der Viren: Wissenschaftler vermuten, dass es 100 Millionen unterschiedliche Typen gibt. Und die Erreger kommen überall auf der Erde vor, wo es Leben gibt.

Das Prinzip Einfachheit: Ein paar Gene in einer Eiweißhülle

Eines haben alle Viren gemein: Sie bestehen lediglich aus einem Stück Erbsubstanz, das von einer Eiweißhülle umgeben ist, und sie können sich nicht ohne fremde Hilfe vermehren. Um sich zu reproduzieren, müssen sie in die Zelle eines anderen Lebewesens eindringen und sie manipulieren. Denn Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel; sie borgen sich sozusagen das Leben von anderen. Und daher ist auch die Frage, ob Viren denn nun Lebewesen sind oder nicht, schwer zu beantworten. Die meisten Biologen sehen sie heute eher an der Grenze zwischen belebter Materie und unbelebten chemischen Verbindungen.

Weil sie aber keine vollwertigen, eigenständigen Lebewesen sind, ist es für Viren von entscheidender Bedeutung, einen Wirt zu finden, in dem sie sich vermehren können. Erreger, die Schleimhautzellen insbesondere im Nasen-Rachen-Raum des Menschen oder von Tieren befallen, haben es da relativ einfach. Sie werden beim Niesen oder Husten mit den Speicheltröpfchen weit hinausgeschleudert und erreichen neue Opfer.

Zu ihnen gehören die Coronaviren ebenso wie die Erreger von Grippe, Schnupfen, Pocken, Masern, Röteln oder Herpes. Andere Viren infizieren Darmzellen und werden mit dem Kot ausgeschieden, manche lassen sich von tierischen Helfern – etwa Mücken oder Zecken – zum nächsten Wirt befördern, und wieder andere, etwa der Aids-Erreger, finden sich in verschiedenen Körperflüssigkeiten wie Blut oder Sperma.

Ein gelblicher Kreis, am Rand umgeben von kleinen blassroten Anhängseln – so stellt sich das Coronavirus (Covid-19) in der elektronenmikroskopischen Aufnahme des Robert Koch-Instituts dar. Solche Aufnahmen ermöglichen es, in Probematerial von Patienten das Virus aufzuspüren und zu identifizieren.
Diese Aufnahme im Elektronenmikroskop des Robert Koch-Instituts zeigt das neue Coronavirus (Covid-19). Solche Aufnahme diesen den Mitarbeitern dazu, das Virus in Probematerial von Patienten nachzuweisen
Das Bild zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme des Ebolavirus, die am Robert Koch-Institut gemacht wurde. Vor grauem Hintergrund sind die orange eingefärbten stäbchenförmigen Strukturen des Virus zu erkennen. Gegen Ebola gibt es inzwischen einen Impfstoff und mehrere Medikamente. Eines der Medikamente, Remdesivir, wird zurzeit als möglicher Wirkstoff gegen Corona getestet. Ebola ist auf Afrika südlich der Sahara begrenzt und fordert mit einer Sterblichkeit von 30 bis 90 Prozent der Betroffenen viel mehr Opfer als Covid-19.
Mit einer Sterblichkeit von 30 bis 90 Prozent der Betroffenen fordert das Ebolavirus – hier im Elektronenmikroskop am RKI – viel mehr Opfer als Covid-19. Die Krankheit ist auf Afrika südlich der Sahara begrenzt und es gibt inzwischen dagegen einen Impfstoff und mehrere Medikamente. Das Ebola-Mittel Remdesivir wird derzeit als möglicher Wirkstoff gegen Corona getestet
Eine Tigermücke sitzt in Großaufnahme auf der Haut eines Menschen und saugt Blut. Dabei nimmt sie wahrscheinlich auch Viren auf und überträgt sie auf andere Menschen, aber auch Tiere. Dabe sorgen Mücken nicht nur für die Verbreitung von Viren, sondern befördern auch Gene zwischen verschiedenen Arten. Beim Menschen wurden bereits 145 Gene gefunden, die ursprünglich von ganz anderen Organismen stammten.
Stechmücken, wie diese Tigermücke, nehmen mit dem Blut ihrer Opfer häufig auch Viren auf und sorgen für deren Verbreitung. Vermutlich gelangt dabei sogar Erbmaterial von einer Art in die andere – beim Menschen entdeckten Forscher mindestens 145 Gene aus fremden Organismen
Zu sehen ist die rastermikroskopische Aufnahme von rötlich eingefärbten Abwehrzellen, auf denen grün gefärbte, kleine runde Aidsviren lagern. Die Aidsviren kennen eine besondere Strategie des Überlebens: Sie bringen die Zelle dazu, Kopien der Virus-Erbsubstanz in ihr eigenes Erbgut einzuschleusen. So können die Viren jahrelang ruhen, bis sie sich eines Tages massenhaft vermehren und die Immunschwäche ausbricht.
Aidsviren (grün eingefärbt) befallen gerne Zellen des Abwehrsystems (rötlich) und kennen eine besonders perfide Überlebensstrategie: Sie fügen Kopien ihrer Erbsubstanz in das Erbgut eines Menschen ein und können sich so über viele Jahre verbergen – bis sie sich eines Tages massenhaft vermehren und den Betroffenen krank machen
Zu sehen sind 46 nebeneinander angeordnete, leuchtend rot und grün schimmernde Stäbchen auf schwarzem Untergrund. Es sind die Chromosomen des Menschen, in denen das Erbgut organisiert ist. Forscher entdeckten zu ihrem Erstaunen, dass mehr als acht Prozent der DNA gar nicht vom Menschen, sondern von Viren stammen. Die Krankheitserreger haben im Lauf der Evolution ihr eigenständiges Dasein aufgegeben und sich in den menschlichen Genbestand integriert. Das war für den Menschen kein Nachteil, denn einige der Viren-Gene haben für den Menschen heute durchaus nützliche Eigenschaften.
Menschen besitzen 46 unterschiedlich große Chromosomen (22 Paare sowie 2 Geschlechtschromosomen), in denen ihr Erbgut organisiert ist. Forscher entdeckten, dass acht Prozent der DNA ursprünglich von Viren stammen, die sich einst ins menschliche Erbmaterial integrierten. Heute haben manche der ehemaligen Viren-Gene äußerst nützliche Funktionen
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