Das Soziale in der Klimapolitik
Interview mit Oliver Krischer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen
Nationale CO2-Abgaben gelten in der Wissenschaft als wirksames Steuerungsinstrument, um den Klimaschutz voranzubringen. Wie können sie so gestaltet werden, dass auch ärmere Menschen von ihr profitieren? Und welche Durchsetzungschancen hätte eine solche Lösung? Christiane Schulzki-Haddouti hat für KlimaSocial bei Oliver Krischer, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, nachgefragt.
Problem: Die deutsche Energiewende ist bisher vor allem eine Stromwende. In den Bereichen Verkehr hat sich bislang nichts getan, im Bereich Gebäude zu wenig. Deutschland wird 2020 seine Klimaziele verfehlen. Um sie 2030 zu erreichen, müssen jetzt Veränderungsprozesse in Gang gebracht werden, die auch von ärmeren Menschen getragen werden.
Lösung: Eine CO2-Abgabe könnte nun eine Verkehrswende sowie Wärmewende im Gebäudesektor in Gang setzen. Dabei können ärmere Menschen sogar entlastet werden, erklärt Oliver Krischer.
Christiane Schulzki-Haddouti: Herr Krischer, Kohlekommission, Tempolimit, CO2-Abgabe – in letzter Zeit gab es recht erhitzte politische Diskussion um ökologische Fragen.
Oliver Krischer: Ja, aber ich merke immer wieder, dass es ab einem bestimmten Punkt der politischen Diskussion nur noch um soziale Fragen geht. Selbst die FDP entdeckt das Soziale.
Das Soziale wird ja teilweise mit interessanten Argumenten in die Debatte eingebracht. Was sagen Sie zu dem Argument Ihrer politischen Gegner: „Die Ökosteuer macht das Autofahren teuer und ist deshalb unsozial“?
Wir treten solchen Argumenten sachlich und kommunikativ entgegen: Eine nachhaltige Mobilität darf am Ende nicht dazu führen, dass die Ärmeren auf Mobilität verzichten müssen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass nur Reiche sich das leisten können. Wenn wir in die CO2-Bepreisung einsteigen wollen, ist für uns völlig klar, dass die CO2-Abgaben auf jeden Fall an die Menschen zurückgegeben werden müssen. Das kann über Steuer- und Investitionsanreize geschehen. Am Ende müssen die Menschen in der Lage sein, ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu gestalten.
Sie sprechen von Steuer- und Investitionsanreizen, die aber nicht bei armen Menschen ankommen. Wenn ich kaum etwas verdiene, habe ich weder die Möglichkeit Steuern einzusparen, noch zu investieren.
Wenn Sie in einer Geschosswohnung leben, können Sie als Mieter nichts an der schlechten Ölheizung ändern, wenn der Vermieter nicht investieren will. Daher wollen wir einen Anreiz für eine CO2-neutrale Heizung schaffen, indem der Vermieter seine steigenden CO2-Kosten nicht auf den Mieter umlegen darf. Außerdem können die Einnahmen einer CO2-Abgabe dazu verwendet werden, Strom deutlich preiswerter zu machen. Davon profitieren alle Haushalte, gerade auch einkommensschwache, die ja überproportional viel von ihrem Einkommen für Strom ausgeben müssen.
Wie wollen die Grünen die CO2-Abgabe gestalten?
Wir diskutieren noch, wie man das genau ausgestalten kann, vermutlich kommen wir zu einem Mischmodell. Unser Ziel ist es, die Steuern und Abgaben insgesamt zu senken und dafür zu sorgen, dass die Einnahmen über alle Sektoren, also Strom, Mobilität, Gebäude, vom Staat für einen Ausgleich genutzt werden können. Wir wollen die EEG-Abgabe senken oder die Stromsteuer abschaffen. Wenn das dazu führt, dass die Leute verstärkt auf Stromanwendungen setzen, gäbe es eine doppelte Dividende: Wir erhöhen die Kosten für die Nutzung CO2-trächtiger fossiler Energien und geben einen Anreiz, Erneuerbare Energien zu nutzen. Zusätzlich wollen wir gezielter vorgehen, indem wir auch in den Bereichen Anreize schaffen, in denen Menschen ihr eigenes Verhalten nicht ändern können.
Wie sehen Sie das Schweizer Modell? Dort bekommen alle Bürger den gleichen Betrag aus der CO2-Abgabe auf Brennstoffe erstattet.
Wir halten den Schweizer Ansatz für nicht sozial, weil der Villenbesitzer dort die 80 Euro im Jahr erhält, ohne dass er sein Verhalten geändert hätte. Ich finde, es gibt intelligentere Wege, die CO2-Abgabe sozialverträglich zu gestalten.
Sie wollen also die CO2-Abgabe als Umverteilungsinstrument nutzen?
Nein, die CO2-Abgabe ist primär kein Instrument für soziale Umverteilung. Sie soll einen Anreiz für alle setzen, möglichst wenig CO2 zu produzieren. Am Ende sollte man sehen, dass die Rückverteilung möglichst da landet, wo die Leute die wenigsten Möglichkeiten haben, sich auf die Energiewende einzustellen. Insofern gibt es schon die Tendenz, die Gelder von reich zu arm zu transferieren. Ich bin für 100-prozentige Rückerstattung, wobei diese eher den Ärmeren zu Gute kommen sollte. Sie sollten in die Lage versetzt werden, Anschaffungen zu machen und das eigene Verhalten umzugestalten. Reiche, die sich beispielsweise ein SUV leisten können, brauchen keine finanzielle Förderung.
Zeigen nicht auch verschiedene Auswertungen, dass die Reichen mehr CO2 produzieren als Arme?
Wenn man das Fliegen einrechnet, sind es natürlich die Reichen. Wenn man sich nur die Gebäude ansehen würde, wäre das anders. Denn Arme leben oftmals in schlechter ausgestatteten Wohnungen, die mehr Treibhausgase verursachen, obwohl sie kleiner sind. Unsere Priorität ist es, die Einnahmen aus der CO2-Abgabe zu verteilen, um solche Defizite auszugleichen.
Wie schnell wollen Sie die CO2-Abgabe einführen?
So schnell wie möglich. Wir sehen in einem Stufenmodell das Mittel der Wahl. Für den Einstieg wollen wir mit 40 Euro pro CO2-Tonne anfangen, um dann in den nächsten Jahren möglichst schnell zu erhöhen. Wir fangen also nicht bei der Höhe von 80 Euro an, die nötig wäre, um die gewünschten Verschiebungen beim Energieverbrauch zu erzielen.
Wann sollen denn Ihrer Ansicht nach die 80 Euro beim CO2-Preis erreicht werden?
Schon in den nächsten Jahren, wenn wir die im Pariser Übereinkommen festgelegten Klimaziele für 2030 erreichen wollen. Das bedeutet, dass wir die Hälfte der Emissionen einsparen müssen. Dabei müssen wir die Transformation auch sozial verträglich gestalten, damit die Ärmeren mitgenommen werden.
Ein besonderes Problem ist der Verkehr, hier steigen die Emissionen sogar noch. Aus den Kreisen der Verkehrskommission war zu hören, dass der Kraftstoffpreis bis 2030 nach und nach bis auf zwei Euro in den nächsten Jahren steigen soll. Graeme Maxton, der ehemalige Generalsekretär des Club of Rome, hingegen hielte sogar einen Preis von 50 bis 70 Euro für erstrebenswert – ebenfalls pro Liter.
Wie bitte? Das halte ich für völlig überzogen und das entspricht auch nicht den Zahlen, die wir mit Klimaexperten wie Hans Joachim Schellnhuber diskutieren. Schon bei einer Verfünffachung des Preises auf acht oder zehn Euro würde es ja keine Verbrenner-Fahrzeuge mehr geben. Um die Erneuerbaren Energien in der Fläche günstiger zu bekommen, brauchen wir einen Preis von 80 Euro pro CO2-Tonne.
Das bedeutet ungefähr einen Aufschlag von 23 Cent pro Liter Benzin und 25 Cent pro Liter Diesel.
Da muss man hinkommen. Mehr zu machen, bringt nichts. Damit würde man ja die Leute abschrecken. Wir müssen konkrete Wege beschreiben, wie wir ans Ziel kommen können, statt mit Forderungen zu kommen, bei denen sich viele verweigern werden. Der Kohleausstieg geht schon nicht schnell genug. Aber wir haben nun hier einen Punkt in der politischen Auseinandersetzung gefunden, an dem es losgeht.
Wie meinen Sie das genau?
Wir reden ja im Moment von einem Anfangspreis von 40 Euro pro Tonne CO2 und einer stufenweisen Anpassung der Mineralölsteuer fast noch im einstelligen Cent-Bereich.
Wenn wir bei 40 Euro anfangen, wären das immer noch ein Aufschlag in zweistelligen Cent-Beträgen von 11,5 beziehungsweise 12,8 Cent pro Liter.
Wenn ich an den Tankstellen vorbeifahre, sehe ich manchmal Preisschwankungen von 20 Cent pro Tag. Die Leute würden diese Erhöhungen also zunächst kaum merken. Weil aber darüber geredet wird, ist es trotzdem ein Anreiz, auch in CO2-sparende Techniken zu investieren.
In Frankreich ging mit den Benzinsteuern der Schuss nach hinten los, weil die ärmeren Menschen sich berechtigt benachteiligt fühlen. Wie wollen Sie so etwas vermeiden?
Wir haben uns das genau angesehen. Macron hatte ja zunächst die Vermögensteuer abgeschafft, dann die Renten gekürzt, was bereits als antisozial wahrgenommen wurde. Dann wurde der Benzinpreis erhöht. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es war also nicht allein das Erhöhen der Benzinpreise, zudem Macron gar nicht kommuniziert hat, was denn nun mit zusätzlichen Einnahmen anders laufen würde.
Wie würden Sie das kommunizieren?
Wir sagen, dass die CO2-Abgabe alle Sektoren von der Industrie über die Mobilität bis zum Wärmebereich betrifft. Überall soll ein einheitlicher Preis eingeführt werden, was am Ende nicht für alle teurer wird, sondern einen Anreiz darstellt, CO2-freie Technik zu verwenden. Wenn Sie heute einen Kleinwagen haben, muss es nicht unbedingt teurer werden. Wenn sich die Kfz-Steuer an der CO2-Komponente bemisst, …
… heute geht es nach Hubraum und dem Schadstoff-Ausstoß …
… werden automatisch schwerere Fahrzeuge mit einem höheren Kraftstoffverbrauch stärker belastet. Die fossile Mobilität würde teurer, und das wäre der Anreiz auf ein E-Mobil umzusteigen.
Bedeutet das nun, dass Sie die Steuer am Autobesitz oder am Autogebrauch festmachen?
Wir reden hier über die Belastung für den Autogebrauch. Denn nur wer fährt, setzt CO2 fei und müsste die Abgabe bezahlen. Für alles andere gibt es die Kfz-Steuer.
Was sagen Sie den Leuten, die jetzt auf ihrem nahezu unverkäuflichen Euro5-Diesel-Fahrzeug sitzen und sich kein neues E-Auto leisten können? Es geht zwar hier momentan noch um Stickoxide und nicht um CO2, aber diese Frage könnte sich ja auch hinsichtlich der CO2-Problematik stellen. Denn es gibt ja auch noch keinen Gebrauchtwagenmarkt für E-Fahrzeuge.
Das Problem mit den Dieseln ist in der Tat ein anderes: Stickoxide und der Betrug der Autohersteller. Aber natürlich ist es gekoppelt, wenn es den wirtschaftlichen Spielraum der Haushalte einschränkt. Wir können das nicht alles auf einen Schlag lösen. Wir werden nicht von einem Tag auf den anderen 46 Millionen Pkws einfach durch E-Autos ersetzen. Deutschland kann aber beispielsweise von Norwegen lernen: Ein E-Fahrzeug darf nicht mehr kosten als ein vergleichbares Benzin- oder Dieselfahrzeug. Das lässt sich über Prämien und Steuer regeln. Dann ist der Anreiz da. Und wir müssen auch den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen.
Wo läuft denn konkret etwas falsch, das man relativ leicht im Sinne der Verkehrswende korrigieren könnte?
Ich plädiere für die Reduzierung des Dienstwagenprivilegs. Es soll so reduziert werden, dass die steuerlichen Erleichterungen für den Dienstwagen nicht höher sind als in anderen europäischen Ländern. Dabei muss man wissen, dass 45 Prozent der zugelassenen Pkws in Deutschland Dienstwagen sind. Daher ist es völlig irre, dass man in Deutschland jeden Wagen als Betriebsausgabe geltend machen kann. Wenn man sich ansieht, welche Fahrzeuge als Dienstwagen zugelassen werden, dann handelt es sich oftmals um die teuren und schweren Fahrzeuge von Daimler und Audi. Das ist ein steuerlicher Anreiz, der das Fahren unsozial macht. Der Staat fördert damit den Unterhalt schwerer Fahrzeuge. Das gehört abgeschafft.
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