Die Welt verfehlt alle Naturschutzziele
Ein neuer UN-Bericht bescheinigt der Staatengemeinschaft Versagen auf ganzer Linie. Dennoch gibt es einige Lichtblicke
Die internationale Staatengemeinschaft hat ihre Ziele zum Arten- und Umweltschutz auf ganzer Linie verfehlt. Das ist das vernichtende Urteil des neuen Berichts der Vereinten Nationen zur Lage der Natur. Kein einziges der zwanzig vor zehn Jahren formulierten Ziele wurde vollständig erreicht. Aber es gibt auch hoffnungsvolle Entwicklungen.
Wären die Staaten der Erde Schüler, die Sache wäre klar. Die ganze Klasse wäre sitzengeblieben. Nicht einmal knapp und nicht zum ersten Mal. Die Zensur wäre wohl kollektiv eine Fünf minus und wegen wiederholten Sitzenbleibens drohte der ganzen Klasse der Schulverweis. Das allerdings wird schwierig. Denn eine zweite Erde gibt es nicht. Also lautet die Lehre aus diesem Zeugnis: Weitermachen und besser werden.
Das Zwischenzeugnis ist der am Dienstag vorgestellte Globale Ausblick zur Biodiversität. In dieser Analyse fasst die UN-Konvention für biologische Vielfalt (CBD) im Namen der Vereinten Nationen den aktuellen Zustand der Natur weltweit zusammen.
„Der Verlust an biologischer Vielfalt hat ein beispielloses Tempo erreicht“, fasste die Generalsekretärin der CBD, Elizabeth Mrema, bei der Vorstellung des Berichts zusammen. „Das Leben auf der Erde als Ganzes ist in Gefahr.“ Der Bericht zeige, dass die Menschheit am Scheideweg stehe und die Frage beantworten müsse, welches Erbe sie den kommenden Generationen hinterlassen wolle, sagte Mrema.
Von den 20 Aichi-Zielen wurde kein einziges vollständig erreicht
Die fünfte Auflage des Globalen Ausblicks bewertet erstmals auch, in welchem Ausmaß die Staatengemeinschaft die Ziele erreicht hat, die sie sich vor zehn Jahren im Kampf für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen selbst gegeben hat – die nach der japanischen Provinz in der sie beschlossen wurden benannten Aichi-Ziele für den weltweiten Schutz von Natur, Arten und Ökosystemen.
Von diesen 20 Aichi-Zielen wurde kein einziges erreicht, lautet die Bilanz des GBO-5. Beispielhaft heißt das: Das Artensterben wurde nicht gestoppt, umweltschädliche Subventionen wurden nicht beseitigt, die Belastung mit Schadstoffen wurde ebenso wenig auf ein verträgliches Maß reduziert wie der Fischfang und die Jagd, die Zerstörung von Wäldern und anderen Lebensräumen wurde nicht gestoppt, die Produktionsketten und der weltweite Konsum wurden nicht nachhaltig umgebaut und die Landwirtschaft wurde nicht zu einer lebensfreundlichen Wirtschaftsweise umgebaut.
„Durch die Zerstörung natürlicher Lebensräume und den anhaltenden Gebrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft das gesamte System der Bestäubung und damit die Lebensmittelsicherheit für die Menschheit in Gefahr"
Diese Liste der verpassten Ziele lässt sich um mehr als ein Dutzend weiterer gescheiterter Weichenstellungen für eine nachhaltigere Zukunft verlängern.
Mit dem GBO-5 schreibt die CBD eine Reihe von Berichten fort, in denen Wissenschaftler weltweit in den vergangenen Jahren auf den verheerenden Zustand von Lebensräumen und Arten hingewiesen haben. So basiert ein Teil der Bewertungen auf dem Global Assessment Report des Weltbiodiversitätsrates IPBES. Darin hatten Wissenschaftler im vergangenen Jahr vor dem Aussterben von einer Million Arten in den kommenden Jahren gewarnt und auf die bedrohlichen Folgen für das Funktionieren des Netzwerks des Lebens auf dem Planeten gewarnt.
So gerate durch die zunehmende Zerstörung natürlicher Lebensräume und den anhaltenden Gebrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft das gesamte System der Bestäubung und damit die Lebensmittelsicherheit für die Menschheit in Gefahr, lautete eine übergreifende Erkenntnis des Berichts.
„Es geht um mehr als ein bisschen Umweltschutz. Die Armut, Hunger, Wassernot bekämpfen, Gesundheit sicherzustellen – nichts von dem wird erreicht werden können, wenn wir nicht Natur und die biologische Vielfalt schützen.“
Auch der GBO-5 nimmt diesen Ball auf und verweist darauf, dass es um mehr geht, als um ein bisschen mehr Umweltschutz. Das Verfehlen aller Biodiversitätsziele untergrabe neben dem Schutz von Tier- und Pflanzenarten auch das Erreichen der anderen globalen Menschheitsziele wie den Kampf gegen den Hunger oder den Klimaschutz, warnen die Autoren der Studie.
„Biodiversität ist mehr als eine Angelegenheit für Umweltminister, es geht um viel mehr, als nett zur Umwelt zu sein“, sagt auch IPBES-Generalsekretärin Anne Larigauderie im Interview mit RiffReporter. „Es geht um alle Entwicklungsziele, die wir erreichen wollen: Die Armut, Hunger, Wassernot bekämpfen, Gesundheit sicherzustellen – nichts von dem wird erreicht werden können, wenn wir nicht Natur und die biologische Vielfalt schützen.“
Es gibt auch Fortschritte
So düster der Ausblick des BBO-5 auf den ersten Blick erscheint, so finden sich darin auch einige ermutigende Entwicklungen. Zwar wurde keines der 20 Aichi-Hauptziele erreicht. Unter den 60 ihnen Zugeordneten Teilzielen gab es in einigen Bereichen aber spürbare Fortschritte. So wurde im Kampf gegen die Einschleppung invasiver Pflanzen- und Tierarten auf einigen besonders artenreichen Inseln Fortschritte erreicht. Wie wichtig dies für das Überleben von Arten sein kann, haben wir am Beispiel der französischen Insel La Reunion im Indischen Ozean recherchiert.
Klare Fortschritte vermeldet der Bericht in Sachen Waldschutz. So wurden in den vergangenen fünf Jahren ein Drittel weniger Wälder abgeholzt als im Jahrzehnt zuvor.
Auch beim Ziel, 17 Prozent der Flächen an Land und 10 Prozent im Meer unter Schutz zu stellen, zeigen sich einige Fortschritte. So wurde das Flächenziel zu Schutzgebieten numerisch erreicht. Gleichwohl entsprachen die ausgewiesenen Flächen nicht ausreichend dem Ziel, dass damit auch die ökologisch wertvollsten Regionen geschützt werden. Zudem sind zu viele Gebiete weiter nur auf dem Papier geschützt, unterliegen in der Praxis aber einer unökologischen Nutzung.
Nicht vollständig erreicht werden konnte das Ziel, ausreichend Geld für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen bereitzustellen. Zwar haben sich die Mittel dafür in den vergangenen zehn Jahren auf 80 bis 90 Milliarden Dollar im Jahr verdoppelt.
Naturschutz wirkt dennoch
Der tatsächliche Bedarf liegt Berechungen des GBO zufolge aber bei vielen Hundert Milliarden Dollar jährlich. Entwertet werden diese Investitionen aber weiterhin durch naturschädliche Subventionen in einer vielfachen Höhe beispielsweise in die Förderung von Energiepflanzen oder von Pestiziden. Allein 100 Milliarden Dollar schädlicher Subventionen fließen in jedem Jahr in die Intensivlandwirtschaft, die klimaschädlichen fossilen Energieträger werden sogar mit 500 Milliarden bezuschusst.
„Der Verlust ganzer Arten kann gestoppt werden, wenn der Wille dazu ausreicht“, sagt einer der Studienautoren, Phil McGowan. „Das ist ein Aufruf zum Handeln.“
Dass die Anstrengungen für den Biodiversitätsschutz in den vergangenen Jahren sich allen Versäumnissen zum Trotz dennoch gelohnt haben, weil es ohne sie noch weitaus schlimmer um den Zustand des Planeten und seiner Bewohner stehen würde, zeigt eine Studie zum Artensterben.
Darin kommen Wissenschaftler aus aller Welt zu dem Ergebnis, dass seit dem Inkrafttreten des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt, (CBD) im Jahr 1993 mindestens 28 Vogel- und Säugetierarten vor dem Aussterben bewahrt wurden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit waren es sogar an die 50 Arten.
Unter ihnen ist mit dem Iberischen Luchs auch eine Tierart aus Europa. ‚Naturschutz wirkt‘, könnte der Titel der nicht zufällig zum Erscheinen des GBO-5 vorgelegten Studie sein, die Wissenschaftler der Universität Newcastle gemeinsam mit Experten von BirdLife International und mehr als einem Dutzend weiteren erarbeitet haben.
„Der Verlust ganzer Arten kann gestoppt werden, wenn der Wille dazu ausreicht“, sagt einer der Studienautoren, Phil McGowan. „Das ist ein Aufruf zum Handeln“.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.