Antarktis-Forscher zur Klimapolitik: „Stimmung zwischen Unverständnis, Empörung und Hoffnung.“
In einem offenen Brief an die Bundesregierung kritisiert das Überwinterungsteam der Neumayer-Station III in der Antarktis die mangelnde Orientierung der Klimapolitik an der Wissenschaft. Ein Interview mit dem Initiator Hannes Keck.
Das Überwinterungsteam in der Neumayer-Station III auf Dronning Maud Land in der Antarktis fordert in einem offenen Brief an die Bundesregierung ein deutlich höheres Tempo in der Klimapolitik. Die Station auf dem Ekström-Schelfeis ist seit 2009 ganzjährig besetzt und ist die Basis für die deutsche Antarktisforschung.
Das Forscherteam zeigt sich darüber beunruhigt, dass sich die deutsche Klimapolitik an wissenschaftlichen Erkenntnissen nur „mangelnd“ orientiert. Das Klimaschutzgesetz müsse noch einmal „grundlegend“ verbessert werden. Nicht nur im Energiesektor, sondern auch im Verkehrs-, Industrie- und Gebäudesektor müssten weitreichende Maßnahmen getroffen werden.
Die vier Frauen und vier Männer verweisen unter anderem auf die McKinsey Studie „Net-Zero Deutschland“, wonach Deutschland jährlich 40 Milliarden Euro – etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts – aufbringen müsste, um die Klimaneutralität im Jahr 2045 zu erreichen. Gleichzeitig müssten klimaschädliche Subventionen abgebaut werden, die 65, 4 Milliarden Euro im Jahr 2018 betrugen. Wenn diese Summe in Investitionen in Energiewende, Verkehrswende und Wärmewende investiert werden würde, ließen sich die Klimaziele sogar übertreffen. Dabei sei „die globale Vorbildrolle Deutschlands als eine der führenden Wirtschaftsnationen nicht zu unterschätzen“.
Der offene Brief wurde unterzeichnet von Hannes Keck, Alicia Rohnacher, Dr. Markus Schulze, Benita Wagner, Dr. Aurelia Hölzer, Michael Trautmann, Katrin Wiggins und Werner Hofmann.
Sie haben den offenen Brief an die Bundesregierung als Team formuliert. Wie lange haben Sie an dem Brief gearbeitet und sich ausgetauscht?
Hannes Keck: Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich dem Team das Vorhaben das erste Mal Mitte Juli vorgeschlagen. Daraufhin haben wir das Thema immer wieder besprochen. Erst im September haben wir dann richtig Fortschritte gemacht – hauptsächlich aufgrund des lange andauernden schlechten Wetters. Der antarktische Winter neigte sich dem Ende zu, was starke Stürme mit sich brachte, weshalb wir viel Zeit in der Station verbringen mussten.
Wie einig waren Sie sich in der Bewertung?
Untereinander hatten wir keine maßgeblichen Unstimmigkeiten, was die Bewertung der deutschen Klimapolitik anging. Doch die Entscheidung, welche Themenbereiche wir anschneiden wollen, war nicht ganz einfach zu treffen. In der Klimapolitik läuft einiges nicht rund, demnach könnte man viel kritisieren. Doch durfte der Brief nicht zu lange werden, um eine gute Lesbarkeit beizubehalten. So mussten wir Vieles nur oberflächlich anreißen, versierte Leser können sich dann weiter über die Quellen informieren.
Was war der entscheidende Anstoß, einen offenen Brief zu formulieren?
Die entscheidenden Anstöße diese Initiative zu starten, waren hauptsächlich die offensichtlichen klimapolitischen Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Die aktuelle Regierung muss kräftig arbeiten, um das auszubügeln. Doch hier sehe ich Potential. Nun muss sie sehr viel zügiger und mutiger agieren, damit Deutschland eine Chance hat, die Ziele des Klimaschutzgesetzes oder gar die Pariser Klimaziele zu erreichen.
Diesen offenen Brief haben wir in der Hoffnung verfasst, die Forderungen von einem großen Teil der deutschen Bevölkerung nach dem Einhalten der Pariser Klimaziele zu unterstützen und gemeinsam die Politik in die richtige Richtung bewegen zu können.
Inwieweit ist die deutsche Klimapolitik im Team regelmäßig Thema, zum Beispiel im Tischgespräch?
Wir haben nicht regelmäßig, aber immer wieder über die Klimapolitik diskutiert, gerade in Zeiten, in denen politische Entscheidungen anstanden, wie beispielsweise die Klassifizierung der EU von Erdgas und Atomkraft als „grün“ – unter bestimmten Voraussetzungen -, der Reservebetrieb von Kohlekraftwerken oder das Abschließen von Langzeitverträgen für Flüssiggaslieferungen.
Wie war die Stimmung, wenn Sie darüber sprachen?
Die Stimmung schwankte häufig zwischen Unverständnis, Empörung, aber auch Hoffnung. Letzteres gerade, nachdem der Austritt Deutschlands aus dem Energiecharta-Vertrag beschlossen wurde.
Nehmen Sie eine bestimmte Partei als Blockierer wahr oder sehen Sie Nachbesserungsbedarf bei allen Ampel-Parteien? Wie nehmen Sie die Opposition wahr?
Klimapolitischen Nachbesserungsbedarf gibt es sicherlich bei allen der drei Regierungsparteien, wie auch bei der Opposition.
Sie verweisen im offenen Brief prominent auf das McKinsey-Gutachten – Sie hätten aber ja auch den IPCC-Sachstandbericht und andere Studien hervorheben können. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?
Das McKinsey-Gutachten speziell ist deshalb so spannend, da es aufzeigt, dass das Erreichen von Klimaneutralität im Jahr 2045 für Deutschland über den gesamten Zeitraum kostenneutral sein kann! Damit widerspricht es dem häufig in den Medien abgebildeten Schreckgespenst der teuren Klimaneutralität.
Neben dem McKinsey-Gutachtens verweisen wir auch auf zwei Kapitel des aktuellen IPCC-Berichts, einige weitere wissenschaftliche Studien und gut recherchierte Zeitungsartikel. Mit dieser Kombination der Quellenverweise möchten wir ein möglichst breites Spektrum an Lesern ansprechen und unsere Argumentation für eine massive Verbesserung der Klimapolitik für jeden nachvollziehbar machen.
In Ihrem offenen Brief betonen Sie die Chancen eines technikzentrierten Klimaschutzes. Wie sehen Sie den naturbasierten Klimaschutz mit Blick auf die jetzt am Mittwoch gestarteten UN-Naturgipfel in Montreal?
Das Wichtigste ist, so schnell wie möglich die CO2-Emissionen auf Netto-Null zu reduzieren, um die globale Erderwärmung zu vermindern. Dafür braucht es eine Umgestaltung des Landes und diese ist notwendigerweise auch technikbasiert. Durch den Zusammenhang zwischen Erderwärmung und dem Artensterben kommen wir damit auch dem Ziel des UN-Umweltgipfels in Montreal, das Artensterben aufzuhalten, ein gutes Stück näher.
Wie nehmen Sie die Berichterstattung in den deutschen Medien zur Klimapolitik wahr? Was vermissen Sie? Was finden Sie gut?
Es ist erfreulich, dass Klimawandel in allen großen Medien mittlerweile eine recht zentrale Rolle spielt. Da hat Fridays for Future wirklich viel erreicht! Doch was mir häufig in den Medien fehlt, ist eine Berichterstattung, die sich an Möglichkeiten und Chancen orientiert und nicht die Kosten und Einschränkungen in den Vordergrund stellt.
Natürlich wird die Transformation Deutschlands hin zur Klimaneutralität etwas kosten, doch wird ein nicht eingedämmter Klimawandel diese Kosten bei weitem übertreffen. Ebenso können die Kosten für die Transformation gesellschaftlich gerecht verteilt werden. Auch hierzu findet man mehr Informationen in den zitierten Quellen unseres offenen Briefes.