Aktionsbündnis: „Die Wissenschaftsorganisationen sollten X in einer konzertierten Aktion verlassen“
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, das in Deutschland gegründete Social-Media-Netzwerk Mastodon zur Basis der deutschen Wissenschaft zu machen und Elon Musks „X“ aufzugeben. Die Rückkehr von Wirtschaftsminister Habeck zu X sehen sie skeptisch.
Mario Birkholz leitet das von der TU Berlin und dem Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik gegründete Joint Laboratory for Bioelectronics. Er engagiert sich im „Aktionsbündnis neue Soziale Medien“ mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dafür, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Plattform X des Milliardärs und Trump-Verbündeten Elon Musk verlassen und stattdessen die in Deutschland gegründete Plattform Mastodon als mediale Basis nutzen. Eine Petition der Gruppe richtet sich an die Hochschulrektorenkonferenz.
Das Aktionsbündnis, dem Sie angehören, wirft der Twitter-Nachfolgeplattform X vor, von „Verleumdung, Cybermobbing, Wahleinmischung, Volksverhetzung bis hin zur Aufstachelung zu Gewalt“ geprägt zu sein und fordert wissenschaftliche Institutionen auf, ihre Präsenz dort zu beenden. Ist es wirklich so schlimm?
Ja, es ist sehr schlimm. Im Moment führt zum Beispiel die Europäische Vereinigung Jüdischer Studierender zusammen mit HateAid einen Prozess vor dem Landgericht Berlin gegen X, weil auf der Plattform eine beispiellose Verbreitung antisemitischen Gedankenguts stattfindet. Gerade beim Thema Klimawandel wird die Plattform von Fake News regelrecht überflutet. Dort werden gekaufte Kampagnen durchgeführt, bei denen mit KI erstellte Desinformation großflächig verbreitet wird. Ein anderes Beispiel: Sehr vielen ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern oder ihren Angehörigen wurde Gewalt angedroht, sodass sich bald niemand mehr für solche Aufgaben zur Verfügung stellt. Ganz klar: X bedroht den Bestand unserer Demokratie.
Wäre es nicht besser, dort die Fahne der Wissenschaft hochzuhalten?
Die Wissenschaftsorganisationen in Deutschland sollten sich eher darauf verständigen, in einer konzertierten Aktion X zu verlassen und bei Mastodon im dezentralen Netz des Fediverse aktiv zu sein. Die Struktur und die Art und Weise, wie das Fediverse als Kommunikationsplattform betrieben wird, entspricht von allen sozialen Medien am besten den Anforderungen der Wissenschaft.
Social Media Manager der Wissenschaft haben viel Zeit und Energie in Twitter/X investiert – soll das alles in Luft aufgehen?
Heutzutage hat man als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler nicht nur die Aufgabe zu forschen, sondern auch seine Forschung der Öffentlichkeit zu vermitteln. Über Twitter wurde diese Aufgabe vielfach und exzellent wahrgenommen. Das war gute Arbeit, die nun aber im Fediverse fortgesetzt werden sollte.
Das Aktionsbündnis fordert, den Social-Media-Fokus der Wissenschaft auf Mastodon und das Fediverse zu legen. Warum?
Die Medien des Fediverse werden viel eher den Anforderungen der Wissenschaft nach Offenheit und Austausch gerecht. Sie führen die Nutzerinnen und Nutzer nicht in Silos, sodass ein Austausch unterbunden wird, sondern sie sind interoperabel. So können sich Forscherinnen und Forscher miteinander oder auch mit der Öffentlichkeit schnell und direkt austauschen. Zudem unterliegen die Aktivitäten dort keinen kommerziellen Interessen, die dazu führen, dass möglichst sensationsheischende Meldungen geschrieben werden müssen, um wahrgenommen zu werden.
Es gibt auch Bluesky, Instagram, LinkedIn – warum nicht dort den Schwerpunkt setzen?
Diese Plattformen unterliegen alle kommerziellen Interessen. Primär geht es nicht darum, ein soziales Miteinander in Gang zu setzen, sondern es geht darum, Werbung auszuspielen oder Daten der Nutzerinnen und Nutzer zu kommerzialisieren. Es mag im Moment auf Bluesky ganz zivil und angenehm zugehen, wie man es sich von einem sozialen Medium wünscht. Aber nach einiger Zeit werden auch hier die Mechanismen greifen, die auf eine Maximierung der Rendite abzielen und das Miteinander unsozial werden lassen. Es kann eben nicht ausgeschlossen werden, dass Elon Musk morgen BlueSky kauft. Aber das Mastodon-Netzwerk kann niemand kaufen.
Mastodon wurde in Jena gegründet – ist es das europäische soziale Medium, das von Politikern schon oft gefordert wurde, und sollten auch das Bundesforschungsministerium und andere Ministerien und Verbände künftig von dort aus operieren?
In der Tat, so sollte es laufen. In der Digitalpolitik ist viel von europäischer Datensouveränität die Rede. Mit Mastodon und PeerTube hat Europa zwei Trümpfe in der Hand, die es ausspielen kann. Dazu muss sich Europa zu diesen Systemen bekennen und auch die benötigten Mittel in deren Weiterentwicklung stecken.
Während der britische Guardian seine X-Präsenz nun schließen will, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck sein Konto wieder eröffnet, um sich den Diskussionen dort zu stellen. Was beurteilen Sie das?
Wir halten das für kein gutes Signal. Wahlkämpfern ist es nicht zu verdenken, dass sie die Plattformen wählen, auf denen sie hoffen, viele zukünftige Wähler anzutreffen. Andererseits finden sich auf X viele Meldungen, die als Volksverhetzung einzustufen sind. Das ist eine Straftat nach Paragraf 130 Strafgesetzbuch. Wir hielten es im Sinne des Einstehens für die freiheitlich-demokratische Grundordnung für angemessener, alle Bundesministerien würden ihre X-Accounts stilllegen.
Mangels Algorithmen kommt Mastodon manchen Einsteigern etwas lahm vor. Was sind Ihre Erfahrungen dort?
Es ist gut bekannt, dass das Nutzererlebnis auf sozialen Medien von Heerscharen von Psychologinnen und Psychologen optimiert worden ist. Klar erscheint da X dem einen oder der anderen „more spicy“. Aber die psychologische Optimierung ist mit der Absicht erfolgt, die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange an den Bildschirm zu fesseln. Die Hochschulen haben neben ihrem Bildungsauftrag auch eine Fürsorgepflicht für die Studierenden. Und sie wissen um die viele Zeit, die junge Menschen vor dem Handy verbringen. Schon deshalb sehe ich die Hochschulen in der Pflicht, den Studierenden eher Medien anzubieten, die nicht zu Abhängigkeiten führen.
Welchen Einfluss hat das Aktionsbündnis innerhalb der Wissenschaft und auf welche Unterstützung hoffen Sie?
Unser Engagement für Mastodon, das Fediverse und offene Software hat starke Wurzeln in der Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Schon vor vielen Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefordert, dass die in der öffentlich finanzierten Forschung erarbeiteten Ergebnisse natürlich der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stehen müssen. Die Bewegung für Open access war sehr erfolgreich, das ist der Standard heutzutage. Aktuell haben sich viele Hochschulen dazu verpflichtet, mit Priorität offene oder freie Software einzusetzen, und Mastodon, PeerTube und die anderen Fediverse-Dienste sind durchgängig als freie Software programmiert.
Was ist Ihre Hauptforderung an die Hochschulrektorenkonferenz?
Wir würden uns wünschen, dass sich die Hochschulrektoren auf der Versammlung in Tübingen zu ihren Erklärungen zu freier Software, zum Schutz von Demokratie und einer nachhaltigen Entwicklung bekennen und sie zur Nutzung von wirklich sozialen Medien übergehen.
Welche Erfahrungen machen die Hochschulen, die schon auf Mastodon aktiv sind?
Bei den Hochschul-Accounts ist zu beobachten, dass die Zahl ihrer Follower stetig wächst. Wichtig ist natürlich, dass sie regelmäßig Meldungen ausspielen, um sich eine Followerschaft aufzubauen. Die Hochschulen sollten sich auch klar machen, dass die auf ihrem X-Account genannte Followerzahl nie die Zahl von Accounts ist, denen ihre Posts ausgespielt werden, sondern dass das viel weniger sind. Die Followerzahl auf X ist die erste Fake News.
Gibt es Beispiele, die Sie zur Nachahmung empfehlen?
Einen sehr überzeugenden Start hat die Universitätsbibliothek Groningen hingelegt, die vor gut einem Jahr ihre Aktivität auf Mastodon begann. Sie hat sehr offen und klar auf allen anderen Plattformen kommuniziert, dass sie X verlässt und auf Mastodon startet, wodurch sie viele – reale! – Follower in kurzer Zeit gewonnen hat.