Barcelona–Montpellier per Fahrrad: Von Radweg-Wundern, Küstenfrust und toller Natur
Für die Costa Brava lohnt sich auch etwas Verkehrsstress. Also nicht schrecken lassen von meiner Küsten-Kritik-Karte, für die ich in Spaniens bester Fahrradstadt an den Start ging.
Abgasmief, Lärm, Tempowahn: Vor 15 Jahren erlebte ich als Radfahrer vor allem Schattenseiten der sonnigen Metropole am Mittelmeer. Hinzu kam leibhaftige Todesangst, weil es, von Süden heranradelnd, keine Alternative zur sechsspurigen Stadtautobahn gab. Erst Jahre nach meiner furchtbaren Fahrt begannen sich, Adern von Eurovelo 8 hineinzubahnen in Spaniens zweitgrößte Stadt. Mit dieser sogenannten Mittelmeerroute des Radverbandes ECF gewann Barcelona stetig mehr Radreisende, die in „EV-8“ sogar am Flughafen im Vorort Prat „einsteigen“ können. Nur dass ich persönlich Luftwege scheue und für andere Reiseformen plädiere.
Dass solche abenteuerlichen Fernradtouren nicht durchweg glatt laufen, erlebe ich im Frühjahr 2022 auf meiner viertägigen Strecke am Mittelmeer, deren 480 Kilometer mir schon am ersten Tag fast 2.000 Höhenmeter einbrocken.
Angefahren komme ich diesen März zunächst mit der Bahn. Einmal dem wichtigsten und wuseligen Bahnhof, der Estació Sants, entronnen, radle ich durch ein völlig anderes Barcelona als vor 15 Jahren – in eine für mich als einst langjährigem Spaniensiedler neue mediterrane Radfahrwelt. Aragó, Provença, València sind nur einige der gen Altstadt führenden Straßen, die jetzt Radspuren haben. Anschließend gleite ich auf einer der monströsen Boulevards quasi die Schokoladenspur entlang: Am begrünten Mittelstreifen der Gran Vía mutiere ich zum Radflaneur und verpasse an der Plaça de Catalunya fast, in den Altstadtkern, das Barri Gòtic abzubiegen.
„Super-Inseln“, Superilles, machen Barcelona zu einer großen Insel der Radfahr-Glückseligkeit
Kataloniens Hauptstadt beglückt seit Jahren Stadttouristen. Aber erst in jüngster Zeit speziell auch diejenigen, die sich kilometerweit zu Fuß oder auf zwei Rädern fortbewegen. 2015 bekam Barcelona die links-alternative Ada Colau als Bürgermeisterin. Sie schob in der für kleinräumige Häuserschluchten berühmt und berüchtigten Metropole die große Verkehrswende an.
Zentrale Einheiten der Verkehrswende sind sogenannte Superbloques: Häuserblock-Areale mit einer Kantenlänge von rund 500 Metern, in denen Fußgänger und Radfahrerinnen Vorrang haben; und Autofahrer nur als Anwohner oder Lieferanten einrollen dürfen. Aufgewertet werden die katalanisch als Superilles, also Super-Inseln bezeichneten Areale zusätzlich, indem sie mehr Pflanzengrün bekommen. Das tut Not in einer durch Stein, Beton und Asphalt über die Maßen versiegelten Stadt.
Radikale Innovationen provozieren oft starken Gegenwind. Kritisiert wird am Konzept der Superinseln zum Beispiel, dass sie Wohnraum im Zentrum übermäßig verteuern – eine Kritik, die auch deutsche Medien aufgreifen, von Geo bis BILD. Häufig übersehen wird dabei, wie schwer Ursache und Wirkung im spanischen Immobilienmarkt zu durchschauen sind; beispielsweise im Zuge eines Vermietungsgesetzes, dessen Aushebelung am 10. März vonseiten des spanischen Verfassungsgerichts kurzfristig die Mieten auch in Barcelona wieder herunterschrauben dürfte. So zumindest schätzt es die renommierte Tageszeitung La Vanguardia ein.
Angreifbar macht sich Colaus Stadtregierung durch Fahrlässigkeiten, wie jüngst im bedeutsamen Distrikt Eixample, Für diesen moniert die Opposition Fehlfinanzierungen wie auch Rechtsverstöße was gleichsam einer Steilvorlage gleichkommt, um Barcelonas Verkehrswende auszubremsen.
Barcelonas Radwege erzeugen eine Erwartungshaltung, die jenseits des Besòs zerbricht
Start zu meiner Radfahrt gen Frankreich.
Über die jüngsten grünen Achsen und „Superinseln“ im Poblenou-Viertel verlasse ich Barcelona in nördlicher Richtung. Dass meine Radwege-Glückseligkeit nicht lange währen wird, vermute ich nach Querung der Stadtgrenze am Besòs-Fluss. Und weiß es jenseits des Hafens von Badalona: Hier sind viele Radspuren uralt und zudem in schlechtem Zustand; oft fährt man eng und ungeschützt am motorisierten Verkehr.
Ausgerechnet diesen März ist auch noch mein meteorologisches Fernrouten-Glück abhandengekommen. Denn jenes Nordafrika-Tief, das Mitteleuropa massenhaft mit Sahara-Sand und Warmwind bewirbelt, hat vor Iberien tagelang das Meer traktiert: Sich doppelt oder dreifach überschlagende Wellen rauschen an Land, sodass die Promenade nicht nur prophylaktisch gesperrt, sondern faktisch „Land unter“ ist.
Dennoch lasse ich mir nicht den Triumpf nehmen, kilometerlang eine nach mir züngelnde Gischt unter die Reifen zu nehmen. Allerdings handle ich mir eine Stunde nach Sonnenaufgang eine herbkühle Niederlage ein: Im Anschluss an eine unumfahrbare Unterführung, die unter Wasser steht, muss ich den Rest der sturmumtosten Etappe mit nassen Füßen in die Pedale treten.
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So besteige ich mittags in Montpellier einen TGV. Und entsteige ihm gut sechs Stunden später im äußersten Osten der République, in Straßburg. Diese Stadt verortete der letzte, im Jahr 2019 erschienene, „Copenhagenize-Index“ auf 71 Prozent.
Der Index bezieht sich auf die Radfreundlichkeit von Metropolen und vergibt umso mehr Punkte, je mehr eine Stadt tut, Radfahren praktikabel, akzeptiert und sicher zu machen. Angeführt wird die Liste von Kopenhagen (Index 90 Prozent), es folgen Amsterdam mit 89 und Utrecht mit 88. Das vergleichsweise eng bebaute Barcelona belegte mit 57 Prozent den dreizehnten Platz, zwischen Bremen und Berlin (59 bzw. 56). Damit dümpelt die spanische Metropole eher im Mittelfeld der Fahrradstädte, wobei selbst Paris und Wien 2019 mit je 61 Prozent kaum besser abschnitten.
Wird es Barcelona diesen Juni in den vordersten Rang der Fahrradstädte geschafft haben?
Aber ich verwette die Filmklappe meiner Deutschlandfahrt (zu sehen zum Beispiel im 12 er-Clip) – die Klappe entstammt demselben Jahr wie der letzte „Copenhagenizer“: In gut einem Monat, so meine Wette für die Index-News diesen Juni, wirdBarcelona den Sprung in die vorderen Ränge der Fahrradstädte geschafft haben. Barcelona, so spekuliere ich, überholt Wien, und liegt im Ranking ganz nah bei Straßburg.
Eine Nähe, wie ich sie mit der kombinierten RadBahnTour von Barcelona bis Straßburg in gewisser Weise vorzeichne.