Bahn frei für Berlin–Hamburg: Wo Dänemark einst Weichen stellte
Der ICE fährt wieder flott über jene Trasse, die unter politischen Zwängen vor 175 Jahren entstand. Ein Report über Dänemarks Einfluss damals – und über Parallelen heute, auf Fehmarn.
Wer die Geschichte der 175 Jahre alten Bahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg aufrollt, stößt auf eine kuriose Parallele zur Gegenwart. Damals wie heute steht der Bahnbau im nördlichsten Deutschland unter dem Einfluss von Dänemark. Aktuell hat das Königreich einen Staatsvertrag mit der Bundesrepublik in der Tasche, der eine neue, hierzulande umstrittene Ostseequerung vorsieht: Bis Ende dieser Dekade sollen das dänische Lolland und das deutsche Fehmarn per Tunnel verbunden sowie der von Dänemark forcierte Schienenanschluss fertig sein. Die Skandinavier haben es eilig, weswegen die Straßen- und Bahnanbindung auf holsteinischer Seite bereits geregelt ist.
Von Zukunftsmusik zur ICE-Fahrt der Gegenwart
Im Herbst 2021 verordnete sich die DB sozusagen höchste Eisenbahn, um die Großbaustelle Berlin–Hamburg pünktlich zum 175-jährigen Streckenjubiläum abzuschließen (von Baustellenseite verschwand sie diese Woche). Auf der Strecke zwischen den beiden größten deutschen Metropolen, eröffnet am 15. Dezember 1846, waren wieder einmal etliche Gleisabschnitte und Installationen zu erneuern.
Kommt nichts dazwischen, wird am Morgen des kommenden Sonntags, am 12.12.2021 erstmals wieder nach dreimonatigen Baumaßnahmen, ein ICE ohne Umwege und sogar in weniger als zwei Stunden von Berlin nach Hamburg preschen.
Er gelänge wohl ein Viertelstündchen schneller ans Ziel, hätte Holstein vor 175 Jahren nicht zu Dänemark gehört. Deswegen durchfährt der ICE heute kurz vor Hamburg einen beschaulichen Landstrich aus Feldern, Wäldern und mit kaum wahrnehmbaren Ortschaften, die dem dänischen König damals wichtig schienen.
Laut Plan donnert ICE 1606 am 12. Dezember gegen acht Uhr ziemlich geradlinig durch Brandenburg. Über einen weiten, für Bahnreisende kaum wahrnehmbaren Bogen streift er in Mecklenburg Ludwigslust und Hagenow, allerdings ohne zu halten. Gegen neun Uhr überfährt 1606 die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein.
Die Weiterfahrt verläuft langsamer, denn die Bahntrasse nach Hamburg verläuft nicht direkt und elbparallel, sondern mäandert leicht nördlich durch Wälder und Weiler. Der Grund ist: Die politischen Verhältnisse der 1840er Jahre schlagen sich bis heute im Trassenverlauf nieder.
Reine Spekulation ist, dass zwischen heute und damals reisepsychologische Parallelen bestehen. Heute umfängt Zugreisende in den Durchgangsbahnhöfen der beiden Metropolen weniger eine glanzvolle Pracht, sondern die kalte Macht funktionaler Bahnsteige (was sich in Hamburg bald ändern soll).
Laut und eng war es wohl auch in Berlin und Hamburg, als man im Jahr 1846 die Bahnstrecke einweihte. Denn es standen nur mit simple Behelfsstationen zur Verfügung. Kolossale, prachtvolle Kopfbahnhöfe befanden sich im Bau, aber – Elphi und BER lassen grüßen – beide architektonischen Glanzstücke blieben vorerst unvollendet.
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Bahnhöfe zwischen Berlin und Hamburg, an denen bereits zur Streckeneröffnung im Jahr 1846 das Ein- und Aussteigen möglich war (Nummerierung wie in oben stehender interaktiver Karte):
- Friesack: fast eine Ruine
- Neustadt/Dosse: noch ruinöser
- Glöwen: teils restauriert (beherbergt eine Physiotherapie-Praxis)
- Bad Wilsnack: prächtig mit Malereien verziert
- Wittenberge: in nüchternem Palaststil hell in Szene gesetzt
- Karstädt: Die braune Fassade ruft persistierende Mängel an Pigmentvarianten zuzeiten der ehemaligen DDR in Erinnerung.
- Grabow: feine helle Fassade, aber Fenster und Türen vernagelt
- Ludwigslust: Das frische Rotbraun und Hellbeige der Fassade tröstet darüber hinweg, dass riesige Baustellen dem Bahnhof im Herbst 2021 sowohl auf der Gleis- als auch auf der Stadtseite zu Leibe rücken.
- Friedrichsruh: als architektonisches Kleinod vor zwei Dekaden herausgeputzt vom Eigentümer.
Nach Holstein hinein fahren ICE, wie übrigens auch Flixtrain, zunächst deshalb langsamer, weil in Büchen eine Gleiskreuzung liegt (und Flixtrain Station macht). Höchstgeschwindigkeiten ist danach bis Hamburg passé: Gehemmt durch allerhand Kurven winden sich Züge über Schwarzenbek durch den dichten Sachsenwald. Mittendrinnen dort, etwa eine Viertelstunde vor Hamburgs heutigem Hauptbahnhof, passiert der Berlin–Hamburg-ICE „seinen“ letzten 1846er-Bahnhof.
Als Dänemark noch an der Elbe endete
Er gehört zum Weiler Friedrichsruh, der vor 175 Jahren dem Statthalter von König Christian VIII. in Holstein unterstand. Laut Chronik der von Friedrichsruh Berlin-seitig gelegenen Stadt Schwarzenberg (Chronik-Publikation 1954) hatte sich Christian VIII. im Jahr 1840 selbst ins südliche Holstein und nach Schwarzenbek bemüht.
Wie beschwerlich die Reise hinüber vom dänischen Altona war, darüber ist in jener Chronik des Jahres 1954 nichts nachzulesen. Es kann also nur spekuliert werden, dass der dänische König der Bequemlichkeit halber darauf bestand, ein nächstes Mal auf Schienen statt per Kutsche nach Schwarzenbek zu gelangen.
Als es in den 1840er Jahren an den Weiterbau der Strecke Hamburg–Bergedorf gen Berlin ging, musste man sich des dänischen Vetos wegen von der ursprünglichen, elbnahen Trassenführung durch die zu Dänemark gehörenden Orte Altengamme, Geesthacht und Lauenburg verabschieden. So hatte es der Herausgeber des Bergedorf-Archivs recherchiert, der im Jahr 2017 ein Jubiläumsblatt für den Bergedorfer Bahnhof zu dessen 175-Jahr-Feier veröffentlichte.
Während es im Nordteil von Holstein im Jahr 1846 politisch rumorte, ist für den Süden – im und um den Sachsenwald, in den nahen dänischen Amtssitzen Schwarzenbek und Reinbek – kein Aufruhr dokumentiert. Vielleicht trug zur Zufriedenheit der Dorfschaften bei, dass die Bahnanbindung nach Berlin und Hamburg sowie ein stärkerer Fremdenverkehr (und damit mehr Einkommen) absehbar war. Für die gehobene Bürgerschaft der Elbmetropole geriet die Gegend jedenfalls damals zum beliebten Ausflugsziel.
Vor den Toren der Stadt Hamburg
Dank des Grafen Friedrich zur Lippe-Biesterfeld bekam die Forstwirtschaft im Sachsenwald großen Aufschwung. Das Friedrich‘sche Jagdhaus erweiterte sich zur Siedlung. Aber der Bahnhof von Friedrichsruh wäre wohl in Bedeutungslosigkeit versunken (vielleicht gar abgerissen worden). Hätte es nicht, etliche Jahre nach Inbetriebnahme 1846, einen großen und weltbekannten Profiteur des von den Dänen oktroyierten Baus gegeben.
Gemeint ist Otto Eduard Leopold von Bismarck; ein erklärter Feind der Dänen. 1864 setzte er sich als preußischer Ministerpräsident vehement dafür ein, den nördlichen Nachbarn zu bekämpfen. Nach dem Sieg im Deutsch-Dänischen Krieg bekam Kriegspartner Habsburg einen Großteil Holsteins, musste sich aber nach dem Deutsch-Deutschen Krieg 1866 – hier traten Preußen und Österreicher gegeneinander an – zugunsten von Preußen im Norden gänzlich zurückziehen.
Preußens Macht mündete in die Reichsgründung – und in die großzügige Dankbarkeit des Deutschen Kaisers gegenüber Bismarck:
Nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung 1871 schenkte Kaiser Wilhelm I. seinem Kanzler zum Zeichen der Anerkennung (…) den Sachsenwald aus seinem Besitz als Herzog von Lauenburg.
So vermerkt es der fürstliche Familienverband. Bismarck ließ eine bahnhofsnahe Gaststätte zum Herrenhaus umbauen, an dessen Gartenpforte der Zug eigens für den Reichskanzler hielt – und nicht etwa am ordinären Bahnhof von Friedrichsruh.
Im Bahnhof residiert heute die Bismarck-Stiftung, die zur späteren Wald-Residenz des Eisernen Kanzlers vermerkt (anschauliche historische Fotos inklusive):
Nach Entlassung aus allen Ämtern im Jahr 1890 behielt Bismarck zwar seine Güter in Pommern und im Geburtsort Schönhausen/Elbe. Friedrichsruh aber wurde (…) zum Hauptwohnsitz.
1898 starb Bismarck, sein Herrenhaus wurde erweitert und hieß danach im Volksmund „Schloss“. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs zerstörten es britische Bomben, weil man dort Heinrich Himmler vermutete (eine Fehlinformation).
Bismarck wusste seine sozusagen persönliche Bahnanbindungen zu schätzen und setzte sich zwei Jahre nach des Kaisers Schenkung für eine einheitliche Staatseisenbahn ein. Die Bemühungen des von ihm 1873 ins Leben gerufenen Reichs-Eisenbahnamts scheiterten aber nicht nur am Widerstand einiger süddeutscher Länder, sondern auch an dem von Oldenburg und Mecklenburg, schreibt Historiker Johann-Günther König in seiner kulturgeschichtlichen „Bahnreise“. Demnach etablierte sich eine staatliche Gesellschaft (die Deutsche Reichsbahn) recht spät im internationalen Vergleich (1920).
Von der Reichsbahn zur DB
Heute verkehren Züge zwischen Berlin und Hamburg fast fünfmal so schnell wie bei der Eröffnung der Strecke am 15. Dezember 1846.
Gut neun Stunden dauerte damals die Bahnfahrt.
Das ist in etwa jene Zeitspanne, die Eisenbahn-Strategen vorsehen für die zukünftige unter dem Fehmarnbelt verlaufende Bahnanbindung einer fernen skandinavischen Metropole: Oslo (von Hamburg aus dreimal so entfernt wie Berlin).
Was passiert am Fehmarnbelt?
Im Norden der Republik gab es verkehrstechnisch zunächst einen Rückschritt – erreichte man doch bis Ende 2019 über Fehmarn auf kürzester Strecke die dänische Hauptstadt per Eisenbahn. Aber um die Ostsee-Unterquerung vorzubereiten, kappte Dänemark diese Verbindung. Züge transportieren die Fähren nach Lolland seit zwei Jahren nicht mehr.
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Aber dass die Bahn spät „kommt“, hat hierzulande vielleicht eine gewisse Tradition (zumindest angesichts des europäischen Vergleichs).
Spät kam auch, im Jahr 1846, die Zugverbindung zwischen Berlin und Hamburg. Im Straßenbau war man schneller: Etliche Jahre vor einer durchgehenden Eisenbahn wich die Alte Hamburger Poststraße bereits der Neuen Hamburger Chaussee– einer seinerzeit hochmodernen Straße für Postkutschen. Die allerdings noch mehr als einen vollen Tag für die Strecke zwischen Berlin und Hamburg benötigten.
Je nach Verkehrslage brauchen Automobile heute um die 4 Stunden für die Strecke. ICE 1606 am kommenden Sonntag benötigt laut Plan 1 Stunde und 46 Minuten.