Eine Oase für die „Aliens“: ME/CFS-Erkrankte planen aus der Not ihre eigene Pflegeeinrichtung

Weil für ME/CFS-Betroffene geeignete Pflegeeinrichtungen fehlen, will eine Gruppe schwer Erkrankter selbst eine gründen – doch sie kämpft gegen Windmühlen.

vom Recherche-Kollektiv Postviral:
10 Minuten
Zwei backsteinerne Stallgebäude rahmen einen Hofplatz ein, in dessen Mitte eine Trauerweide vor blauem Himmel steht. Im Hintergrund ist ein See erkennbar.

Ein Kuckuck ruft in Dauerschleife. Aus den Ästen der Linde am Ufer trägt der Wind seinen Reviergesang herüber in den kleinen Dreiseithof. Nur das hohe Gras der kleinen Wiese und der „Storchenradweg“ trennen ihn vom Beetzsee. Eine alte Trauerweide auf dem Hofplatz fängt die Blicke. Nicht unbedingt der typische Bewuchs für eine Oase – doch genau das soll hier auf dem brandenburgischen Land entstehen: Eine Oase für schwerkranke Menschen.

„Die Weide stand schon immer da“, sagt Christoph Eilert. Ein drahtiger Mann Ende 30, kurze Sporthose, Funktionsshirt und Trekkingsandalen. Die Hälfte seiner Kindheit hat er auf dem Bauernhof verbracht. Heute steht das Familienanwesen in Butzow, einem gut 200-Einwohner großen Örtchen unweit des Städtchens Brandenburg an der Havel, leer. „Wir haben so eine schöne Fläche, das soll auch genutzt werden“, sagt Eilert. Das Projekt gestaltet sich allerdings als schwierig.

Die Frau, die es gestartet hat und die lieber heute als morgen nach Butzow ziehen würde, hat den Dreiseithof noch nie in echt gesehen. Franziska, 54, liegt mit hochgestelltem Kopfteil im Bett in ihrer Wohnung in Berlin-Schöneberg. Die Rollläden lässt sie nur einen Spalt geöffnet, weiße Gardinen dunkeln das Zimmer zusätzlich ab. Über die Matratze verteilt liegen Papiere, auf einem Klapptisch hat Franziska ihren Laptop bereitgestellt. So betrachtet sie Pläne, verschickt Anfragen – und fährt gelegentlich mit „Streetview“ durch Butzow. Sie sagt: „Manchmal denke ich: Was tust du hier eigentlich? Du hast keine Kraft, aber steckst sie in dieses Projekt.“

„Ein absurdes Leben außerhalb der Gesellschaft“

Das Projekt „Oase“ ist für sie eine Art Flucht aus der Verzweiflung. Seit mehr als 20 Jahren leidet die Illustratorin an ME/CFS. Die chronische Multisystemerkrankung – das Kürzel steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom – tritt häufig nach Viruserkrankungen auf. Bereits vor der Pandemie ereilte sie bis zu 300.000 Menschen allein in Deutschland. Weil auch das Coronavirus ME/CFS auslösen kann, kamen in den vergangenen Jahren viele Betroffene hinzu. Manche erwischt es nur leicht, andere werden zu Pflegefällen, die die meiste Zeit liegend verbringen. Schätzungen zufolge ist jeder Vierte hausgebunden und damit auch herausgerissen aus dem bisherigen sozialen Umfeld. Wie Franziska.

„Menschen mit dieser Erkrankung führen ein absurdes Leben außerhalb der Gesellschaft“, sagt sie. „Wir leiden nicht nur an der Erkrankung selbst, sondern an der Ausgrenzung. Es ist wie lebendig begraben sein.“ Auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer wartet ein kindsgroßer Stoffhund auf sie. Die Berlinerin hat ihn bestellt, so erzählt sie, als die Einsamkeit wieder einmal zu groß war. Wenn ihr danach ist, nimmt sie ihn in den Arm.

Ansicht der Hofeinfahrt mit dem Wohnhaus und einem Blick auf den Hofplatz mit Trauerweide vor blauem Himmel.
Im Wohnhaus von 1868 sollen nach dem Umbau sechs ME/CFS-Erkrankte Zimmer bekommen. Ein speziell geschulter Pflegedienst würde die Menschen betreuen.
Eine steinerne Treppe führt zu der unter einem Vordach gelegenen, hölzernen Eingangstür des Wohnhauses.
Bevor der alte Bauernhof ein geeignetes Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte ist, muss er deutlich umgebaut und barrierefrei gestaltet werden.
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