Fast Fashion-Recycling – ein Start-up in Los Angeles macht aus altem Polyester neue Mode
Ein Großteil unserer Kleidung enthält Polyester: Stretch Jeans und Leggings, Pullis und Regenjacken, Unterhosenbündchen und BH-Träger – und irgendwann schmeißen wir das alles weg. Weltweit werden jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert. 65 Prozent davon landen innerhalb von einem Jahr auf einer Müllhalde. Nur etwa ein Prozent von ausrangierter Mode wird in neue Kleidung recycelt. Ein Start-up in Los Angeles ist dabei, das zu ändern. Das Ziel der Ambercycle-Gründer ist ehrgeizig: Sie wollen jede Faser Polyester aus alten Kleidungsstücken in Material für neue Stoffe verwandeln.
Steigende Meeresspiegel, häufigere Dürren, verheerende Überschwemmungen – die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Doch rund um den Globus suchen Menschen nach Lösungen, die das Schlimmste verhindern können: Ressourcen nachhaltiger nutzen, neue Wege für die Landwirtschaft oder politisches Engagement für klimabewusstes Handeln. An jedem zweiten Mittwoch im Monat lesen Sie hier, wie Menschen weltweit gegen die Klimakrise kämpfen.
Das Büro und das Labor von Ambercycle liegen versteckt hinter einer unscheinbaren Metalltür in einer abgelegenen Straße eines Industrieviertels von Los Angeles. In der umfunktionierten Lagerhalle forschen Wissenschaftler*innen nach Methoden, Polyester aus Kleidungsstücken zu isolieren. Sie experimentieren mit chemischen Prozessen, die den Kunststoff anschließend in Basismaterial für Garn und damit neue Kleidung verwandeln können. Recyclingmethoden wie sie traditionell für Plastikflaschen verwendet werden, sind keine Dauerlösung, erklärt Ambercycle Mitbegründer Shay Sethi. „Sie werden meist verbrannt und geschmolzen. Mit jeder Runde lässt die Materialqualität nach und man kann das nur zwei-, dreimal machen. Ganz zu schweigen von den giftigen Dämpfen, die bei dem Prozess entstehen.“
An diesem Samstagvormittag führt Sethi ein Dutzend Studentinnen und Studenten durch das Unternehmen. Die Besucher*innen kommen von Colleges in Los Angeles. Sie studieren Mode, Film, Design, Chemie und Physik und interessieren sich besonders für umweltverträgliche Materialien.
Jennah Cobourn verwandelt ihre abgetragenen T-Shirts schon lange in Putzlappen bevor sie sie wegwirft und kauft ihre Kleidung oft in Secondhandläden. „Jeder muss doch verstehen, dass wir für unser Konsumverhalten einen höheren Preis bezahlen als das, was auf dem Preisschild steht. Wir können nicht von jedem Kleidungsstück eins in jeder Farbe und jeder Form haben. Das alles hat doch Konsequenzen“, sagt die Physikstudentin. Sie gibt aber zu, dass der Gruppenzwang manchmal stärker ist als ihre Vernunft. „Besonders weil du auf Social Media andauernd die neuen Klamotten siehst, die andere tragen. Das willst du dann auch haben. Der Druck, Trends mitzumachen, ist stark.“ Filmstudentin Alisa Bogaryans Eltern haben ihr beigebracht, nichts zu kaufen, was sie nicht wirklich braucht, und kaputte Dinge zu reparieren, statt sie wegzuwerfen. „Früher habe ich gedacht, sie ruinieren mein Leben. Ich war immer sehr dramatisch als Teenager. Inzwischen verstehe ich, dass sie Recht hatten.“
Wie können wir Polyester besser recyceln?
Shay Sethi beruhigt die Gäste: Es gibt einen Weg, Mode, Spaß und Umweltbewusstsein zu verbinden. Bevor er erklärt, welche Prozesse sein Unternehmen dafür entwickelt, führt er die Studierenden zu einem Tisch, auf dem sich ausrangierte Jacken, Hemden und T-Shirts türmen. Er verteilt Scheren und fordert die Studierenden auf, die Kleidungsstücke auf dem Tisch auseinanderzunehmen. „Trennt die Knöpfe ab, die Reißverschlüsse, die Bündchen und sortiert alles nach Material mit und ohne Kunststoff.“ Sie beginnen zu schnippeln und reißen, lesen Etiketten und versuchen, die Kunststoffnähte aus einer Daunenjacke zu entfernen. In fast jedem Stoff ist Polyester enthalten. Sie können das Material nicht isolieren.
Wie können wir Polyester besser recyceln? Diese Frage treibt Sethi und seinen WG-Mitbewohner Moby Ahmed seit ihrer Zeit als Studenten der University of California in Davis um.
2015 waren beide im letzten Studienjahr. Shays Hauptfach war Biochemie, Moby studierte Genetik. Beide waren besessen von der Idee, gemischte Kunstfasern in ihre Bestandteile aufzuschlüsseln und in Materialien für neue Textilien zu verwandeln. Zuerst entwickelten sie Mikroben, die Plastikteile in Kleidung zersetzen und recyceln sollten. Ihre Idee stellten sie bei internationalen Wettbewerben vor. Investoren horchten auf. Mit Finanzspritzen in Millionenhöhe von Unternehmen, der US-Armee und der National Science Foundation setzten sie ihre Forschung fort.
Mikroben erwiesen sich allerdings bald als nicht effektiv. Sethi und Ahmed experimentierten daraufhin mehr mit chemischen Prozessen. Um diese zu erklären, führt Sethi die Studierenden ins Labor. Dort füllen Glaszylinder, Röhren, Schläuche und Sicherheitsbrillen die Regale. Auf einer Werkbank verdeutlicht der Inhalt von vier Einmachgläsern den Ambercycle-Prozess von zerstückelter Kleidung bis zum wiederverwertbaren Produkt. Im ersten Glas sind bunte Stofffetzen, im zweiten isoliertes Polyester in Form von grau-beigem Granulat. Im dritten Schritt ist das Granulat deutlich feiner und sauberer. Glas Nummer vier ist gefüllt mit Ambercycles inzwischen patentiertem Produkt: cycora ™ – jungfräulich weiße Polyesterkügelchen. „Wir verwandeln Kunstfaserstoffe in diese Perlen, aus denen man Garn für neue Kleidung machen kann. Der chemische Prozess braucht weniger Energie und Druck als Verbrennung und erreicht einen höheren Reinheitsgrad“, erklärt Shay Sethi. „Unser Ziel ist ein echter Polyester-Kreislauf, so dass wir für Kleidung nie wieder neues Öl brauchen.“
Investoren mit Geduld gesucht
Acht Jahre nach der Mikroben-Idee, investieren große Kleidungsunternehmen wie H&M, GAP und Zara zig Millionen in das Start-up Unternehmen. Das europäische Zentrum für innovative Textilien hat cycora™ im Februar bescheinigt, dass es andere recycelte Materialien in Leistung, Vielseitigkeit und Spinnbarkeit übertrifft und „neue Standards für recyceltes Material schafft“.
Ambercycles Fabrik in Wisconsin produziert täglich zwei Tonnen recyceltes Polyester. Das hört sich nach viel Kleidung an, doch eine typische T-Shirt Firma stellt jeden Tag 6.000 Tonnen her. Die neuen Partnerschaften ermöglichen es, in größerem Umfang zu forschen und zu produzieren. Ambercycle zieht gerade um in ein viel größeres Gebäude in Los Angeles. „Wir haben aber noch sehr viel zu tun?“, sagt Shay Sethi. „Als wir das erste T-Shirt gemacht hatten, waren wir erst wahnsinnig stolz. Dann haben wir gedacht: was nun? Wie kriegen wir das eine Milliarde Mal hin? Wie können wir diese wahnsinnig große Modeindustrie so schnell wie möglich unabhängig von Öl machen?“
Schmuck aus Orangenschalen, T-Shirts aus Kaffeepulver
Der Antwort zu dieser Frage sind inzwischen weltweit Unternehmen auf der Spur. „Leider sind sie noch immer die Ausnahme“, sagt Kristine Upesleja, Spezialistin für innovative Materialien. Sie unterrichtet die Studierenden, die an diesem Tag Ambercycle besuchen. „Es gibt noch immer viel zu wenig Material, mit dem wir arbeiten können, ohne dem Planeten weiter Schaden zuzufügen. Das ist sehr frustrierend für mich als Forscherin und Pädagogin.“
In ihren Klassen machen Studenten und Studentinnen Kleidung und Schmuck aus Kaffeepulver, Papierschnipseln, Orangenschalen, Ananasblättern, Pilzen, und natürlich Plastikflaschen. Jede Unterrichtsstunde ist wie Weihnachten„, sagt Upesleja. “Die Studierenden überraschen mich jedes Mal. Ich sehe immer etwas Neues. Etwas woran ich nie gedacht habe. Es ist wirklich sehr aufregend und auch ermutigend.„
Filmstudentin Alisa Bogaryan lässt ich nicht entmutigen, auch wenn sie einige Rückschläge beim Experimentieren einstecken musste. Es war viel schwieriger als sie es sich vorgestellt hatte, feingliedrige Ketten und Armbänder aus Wasserflaschen zu machen. “Plastik ist ein sehr nerviges Material„, sagt sie und lacht. “Ich wollte erst dünne Fäden draus machen, aber die kleine Maschine, die ich mir gebaut habe, hat die Fäden nicht schmal genug geschnitten. Sie waren nicht leicht formbar und sind mir beim Erhitzen explodiert."
Am Ende der Führung sind alle in der Gruppe deutlich optimistischer als am Anfang. „Zu sehen, dass es technische Lösungen gibt, mit denen wir die Fehler, die schon gemacht wurden, korrigieren können, macht mir Mut“, sagt Jennah Colborn. Sie hat fest vor, Teil dieser Lösungen zu sein, ohne den Spaß an Mode und Design zu verlieren.
Dieser Beitrag wurde gefördert durch den Riff-Qualitätsfonds für freien Journalismus der RiffReporter eG