Naturschutz in Jerusalem: Ein Gazellen-Park mitten in der heiligen Stadt sorgt für besseres Klima
Der Gazelle Valley Park mitten in Jerusalem ist Israels erstes urbanes Naturschutzgebiet und ein Vorzeige-Beispiel wie sich Großstädte im semiariden Klima für den Klimawandel wappnen können. Denn zum komplexen Ökosystem des Parks werden auch die menschlichen Bewohner gezählt. Unterwegs mit Stadtnaturschützer Amir Balaban, der zeigt, dass sich im allheiligen Jerusalem mit dem unheiligen Konflikt ein paar einzigartige Biotope verstecken.
Steigende Meeresspiegel, häufigere Dürren, verheerende Überschwemmungen – die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Doch rund um den Globus suchen Menschen nach Lösungen, die das Schlimmste verhindern können: Ressourcen nachhaltiger nutzen, neue Wege für die Landwirtschaft oder politisches Engagement für klimabewusstes Handeln. An jedem zweiten Mittwoch im Monat lesen Sie hier, wie Menschen weltweit gegen die Klimakrise kämpfen.
Ein eleganter Rennstreifen über der Flanke, die Augen wie mit Kajal geschminkt, weiden sie zwischen Grasbuckeln und Olivenbäumen. An diesem frühen Märzmorgen ist es so kalt, dass Raureif an den Halmen klebt. Als sich die ersten Sonnenstrahlen darin verfangen, wirken die Gazellen mit ihrem grüngoldenen Heiligenschein wie eine Halluzination – hebt man den Blick, hat einen das Grau der Großstadt wieder: Direkt über der Herde verläuft eine Schnellstraße, blinken Ampeln, da stehen Luxus-Wohntürme auf der einen Seite, reihen sich triste Blocks mit tropfenden Klimaanlagen auf der anderen.
Die Palästinensische Berggazelle ist vom Aussterben bedroht, in Israel gibt es nur noch etwa 3000 Exemplare. Schuld sind Verstädterung, Straßen, Wilderer – aber auch der Sperrwall zum Westjordanland, der sie an ihren Wanderungen hindert. Dass die Gazellen nun ausgerechnet hier, mitten in Jerusalem, ihr Habitat wiedergefunden haben, ist ein kleines Wunder.
Seit seiner Eröffnung 2015 gilt der Gazelle Valley Park als erstes urbanes Naturschutzgebiet Israels – und als Symbol für einen erfolgreichen Bürgerkampf: Tatsächlich waren es die Anwohner, die Israel älteste Naturschutzorganisation, die Society for Protection of Nature in Israel(SPNI) auf dieses Fleckchen aufmerksam machten. Es diente der Altstadt schon vor Hunderten von Jahren als Obstgarten, Olivenhain und Schafsweide. Ende der Neunziger hatten hier immerhin noch ein paar Gazellen ihr Revier – eingeschlossen von der Stadtautobahn. Als Immobilienhaie das Tal in eine weitere Betonwüste verwandeln wollten, gingen die Nachbarn auf die Barrikaden.
Heute bezeichnet die International Union für Conservation of Nature (IUCN) den Park als großartiges Vorbild wie man dem Artensterben und den Folgen des Klimawandels im urbanen Raum begegnen kann: Der Wildwuchs mitten in der Stadt wurde erhalten, zusätzlich indigene Pflanzen angesiedelt; Schildkröten und Gazellen ausgesetzt; Insekten, Vögel und Eidechsen kamen von selbst. Auf den 26 Hektar in der Senke unter der Schnellstraße gedeiht ein ganzes Ökosystem. Der Winterregen, der früher in einer schmutzigen Flut die umliegenden Nachbarschaften überschwemmte, füllt nun einen See. Auf dem Weg läuft das Brackwasser durch vier Teiche und wird dabei von der Vegetation gefiltert. Bevor es endgültig versickern kann, wird das Wasser wieder nach oben gepumpt, um das ganze Tal zu bewässern. Das Grün inmitten der Großstadt schluckt Emissionen, Sommerhitze, und nicht zuletzt bietet es einer Spezies Refugium, die im spannungsgeladenen Jerusalem ständig vor dem Kollaps steht: dem Menschen.
Zwei Drittel des Parks sind allein den Gazellen vorbehalten, aber der Rest des Geländes steht Anwohnern und Besuchern offen. Hier werden Familienfeste gefeiert, Outdoor-Schulklassen abgehalten, Waldkindergärten haben sich niedergelassen – und hier lernen sich junge orthodoxe Juden auf ihren ersten Dates vor der Hochzeit kennen. Im Gegensatz zu anderen Nationalparks bringen sich die Bürger aktiv ein, sitzen ein paar Stunden an der Rezeption, oder suchen den Zaun nach Löchern ab. Rentnergruppen treffen sich zum Austausch – und zum Müllsammeln. Alle sehen den Park als ihren eigenen Garten an.
Visionär, Wildhüter und Diplomat für den Naturschutz
„Da! Ein Weibchen, keine 20 Kilo! Yalla!“ Amir Balaban rumpelt mit seinem Pickup übers Gelände. Der 59-jährige Israeli mit der Bärenstatur wirkt angespannt, die hellblauen Augen hat er zusammengekniffen. Endlich findet der Tierarzt neben ihm eine Position für sein Betäubungsgewehr. Der Pfeil sitzt. Die Gazelle strauchelt, dann taucht sie ab ins Gras. Eine Helferin gibt die Position des Tiers an zwei Freiwillige mit Ausguck oben an der Straße weiter. Doch Balaban und der Tierarzt haben es schon entdeckt und packen es in einer Holzkiste auf die Ladefläche: Im Park sind die Tiere nicht nur vor Wilderern und Autos geschützt, sondern auch vor Schakalen und Wildhunden. Sie vermehren sich prächtig. Gut 30 der derzeit 120 Tiere will Balaban bis zum Winter in den Bergen über Jerusalem auswildern. An diesem Morgen sind zwei Weibchen an der Reihe.
Viele Menschen waren etliche Jahre an der Rettung des Tals beteiligt, aber Balaban von der SPNI ist der Visionär – gleichermaßen Wildhüter und Diplomat. Es ist ein äußerst komplexes Ökosystem, das Balaban hier hütet. Im Vorbeifahren deutet er auf kastanienbraun glänzendes Gefieder im Schilf. „Dieses bedrohte Moorenten-Paar hat sich ausgerechnet unseren künstlichen Teich ausgesucht.“ Im Sommer werden hier Weiße Seerosen aufblühen, die sonst in Israel beinahe ausgestorben sind. Gut 250 Vogelarten wurden im Park schon gezählt – „Da drüben! Ein fast perfekt getarnter Wendehals…“ Balaban holt sein Teleobjektiv heraus und vergisst für einen Moment sogar die Gazellen.
Aber es geht nicht nur um die Balance von Pflanzen und Tieren, auch die menschliche Anwohnerschaft ist divers und benötigt einiges an Fingerspitzengefühl: Eine der Nachbarschaften gilt als sozialer Brennpunkt, in einem anderen Viertel wohnen ausschließlich strenggläubige Juden, im dritten Jerusalems säkulare Mittelschicht. Der Park bringt zusammen, aber er bringt auch politische Themen auf den Picknicktisch. Erst nach hitzigen Diskussionen einigten sich die Nachbarn unter Balabans Mediation, dass der Park zu Schabbat geöffnet bleibt – das ist koscher, weil Besucher keinen Eintritt zahlen müssen. Um die Schabbat-Ruhe zu halten, ist jedoch keine laute Musik erlaubt – und die in Israel so beliebten Grillpartys sind sowieso tabu. „Ein Kompromiss, der wiederum dem Naturschutz zugutekommt“, sagt Balaban.
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Stadtoasen als Vogelflughäfen, Datenbanken und Gemeindezentren
Die Straße schraubt sich jetzt über die Hügelkette, und plötzlich, als er die bewaldeten Kuppen erreicht, jauchzt Balaban auf. Und weil der Anblick gar so dramatisch ist, schickt er dem hebräischen „Eise joffi“ (Wie schön), noch ein arabisches „Ya Allah, ya Allaaaah!“ hinterher. Das Wadi unter uns ist voller Störche. Wie eine Wolke verdunkeln sie sogar für einen Moment die Straße. „Ich sehe sie jedes Jahr“, sagt Balaban: „aber es bleibt ein Spektakel“.
Israel liegt an der Schnittstelle zwischen Asien, Europa und Afrika – und so laufen die wichtigsten Vogelzugrouten über das kleine Land. 500 Millionen Zugvögel machen hier jedes Jahr Rast. Damit das trotz wachsender Städte so bleibt, seien urbane Oasen wie der Gazellenpark so wichtig, sagt Balaban.
Ihm selbst wurde das schon vor gut 30 Jahren klar. Damals traf er sich mit seinen Vogelfreunden oft auf einem überwucherten „Müllberg“, der sich ausgerechnet zwischen Parlament und dem Obersten Gericht befand. Eines Tages legte sich Balaban dort auf die Lauer und hängte ein hauchzartes Netz aus. Bald flatterte eine Klappergrasmücke hinein – und die Vogelfreunde waren entzückt. Das kaum 15 Gramm schwere Vögelchen trug einen Ring am Bein, den ihm Kollegen in Schweden verpasst hatten. Auf seiner Reise nach Afrika hatte es sich Israels größte Stadt zur Rast erkoren! Damit überzeugten die Freunde die Stadtverwaltung, inmitten der illustren Nachbarschaft eine Vogelwarte zu gründen: Das Jerusalem Bird Observatory (JBO).
Wie der Gazellenpark steht das einladend gestaltete Observatorium Besuchern offen, und wird von Freiwilligen gemanagt, die die einfliegenden Vögel wiegen, beringen – und dabei wertvolle Daten sammeln, auch darüber wie der Klimawandel das Verhalten der Zugvögel beeinflusst. Für Balaban ist die Vogeloase neben der Knesset der beste Beweis, dass Naturschutz in der Stadt nur funktioniert, wenn er die menschlichen Bedürfnisse miteinbezieht – und, dass er dann sogar heilende Kräfte hat. „Die Vögel sind der gemeinsame Nenner für Jung und Alt, Rechts und Links, Araber und Juden.“ Das Observatorium sei eigentlich eine Art Gemeindezentrum.
Das alte Jerusalem als Modell für nachhaltige Stadtentwicklung
Inzwischen rumpelt es auf der Ladefläche, Balaban tritt aufs Gaspedal und schon wenig später torkeln die beiden Weibchen – noch etwas benommen – in ihr neues Revier über der Stadt. Die Bäume tragen die Spuren eines heftigen Waldbrands. Balaban hat sich das Waldstück ausgesucht, weil er die Gazellen hier mittels Kameras und Transmitter besser tracken kann und außerdem beobachten möchte, wie sie mit der zurückkehrenden Pflanzenwelt interagieren. „Die ausgewilderten Gazellen helfen uns, die Ökologie in der Gegend zu verstehen.“
Die sommerlichen Feuer sind ein deutliches Symptom, dass Israel zu einem der Hotspots des Klimawandels wird. Eine deutsch-israelische Forschergruppe hat 2023 eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass extreme Hitzewellen im Östlichen Mittelmeerraum bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um das Siebenfache zunehmen werden, ihre Dauer sich verdreifacht und sich in Folge die Sterblichkeitsrate der Bevölkerung verzehnfacht.
Gleichzeitig könne Jerusalem mit seinen heißen Sommern und der winterlichen Regenflut auch anderen mediterranen Städten mit einem semiariden Klima als Modell dienen, wenn es um nachhaltige Stadtentwicklung geht, sagt Balaban. „Immerhin ist Jerusalem eine der ältesten Städte, die durchgehend bewohnt wurde.“
Zurück im Gazellen-Park zeigt Balaban die Rückwand des Besucherzentrums. Die Steine aus dem hellen Jerusalem-Kalk sind grob gehauen, nicht verfugt, und bieten damit winzige Unterschlupfe. „Wenn wir Glück haben, sehen wir ein Chamäleon. Sie lieben es, hier Bienen zu jagen.“ Die Bienen wiederum bestäuben auf dem „lebendigen Dach“ des Gebäudes Alpenveilchen und Anemonen, die in ihren Knollen viel Wasser speichern.
Vorbild für die traditionelle wie naturfreundliche Bauweise ist das Gemäuer in der Altstadt. Die alte osmanische Stadtmauer wirkt an manchen Stellen wie ein vertikaler Garten mit ihren Löwenmäulchen, die vermutlich schon mit den Kreuzfahrern eingeschleppt wurden oder dem wilden Salbei, auf dessen Form der siebenarmige jüdische Kerzenhalter basiert. Es sind Mauern, die noch nicht verspiegelt oder steril verfugt sind, die Landeplätze und Halt bieten für Insekten und Samenkörner.
Und dann natürlich mittendrin die Klagemauer auf dem heiß umstrittenen Tempelberg. Für Balaban ist sie eines der ältesten Symbole dafür, wie Mensch und Natur sich gegenseitig bedingen. Auf den unteren Metern wird die Klagemauer von gläubigen Juden geküsst, werden Zettelchen mit frommen Wünschen in die vielen Ritzen gesteckt. Aber die Meter darüber gehören der Natur.
Das sah sogar der Rabbi der Klagemauer ein, und erklärte Flora und Fauna zum Kulturgut: Die herabhängenden Kapernsträucher, deren Wurzeln tief in den Ritzen sitzen – und eine riesige Kolonie von Mauerseglern, die auf den Simsen ihre Nester baut. „Sie jagen über der Al Aqsa-Moschee und nisten in der Klagemauer…“ Balaban lässt den Satz unvollendet. Aus der Vogelperspektive wirkt der Kampf um die Altstadt besonders sinnlos.
Im Park hat sich jetzt eine Schulklasse vor dem See versammelt, ein Guide erklärt, wie das Ökosystem funktioniert. Nur ein gelbes Band in Kniehöhe erinnert daran, dass hier die Grenze zum geschützten Teil verläuft. „Anfangs hieß es, dass würden die Leute nie respektieren. Wir sind hier in Israel.“ Balaban lacht. „Aber die Besucher verstehen, dass das hier ein Heiligtum ist, das ihnen selbst zugutekommt.“
Die Stadtverwaltung plant bereits fünf weitere Naturschutzgebiete nach dem Vorbild des Gazellenparks, eines davon in einer ultraorthodoxen Nachbarschaft, ein anderes in einem arabischen Viertel in Ostjerusalem. Mit dem Grün vor der Haustür will die Stadt nicht nur den heißeren Sommern und der schwindenden Artenvielfalt entgegenwirken – es soll auch die Gemüter befrieden.
Rund um den Park wird derweil munter weitergebaut, einige der Projekte werben nun sogar mit dem Ausblick auf den Gazellenpark. Balaban ficht das nicht an: „In so einem Turm wohnen hundert Familien, das sind viele freiwillige Helfer für den Naturschutz.“
Dieser Beitrag wurde gefördert durch den Riff-Qualitätsfonds für freien Journalismus der RiffReporter eG