Alte Dattelsorten sollen der Klimakrise trotzen und Oasenbewohnern die Zukunft sichern
In einem Pilotprojekt in Tunesien versuchen Forschende und Landwirte, Alternativen zur exportorientierten Dattel-Monokultur zu finden
Steigende Meeresspiegel, häufigere Dürren, verheerende Überschwemmungen – die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Doch rund um den Globus suchen Menschen nach Lösungen, die das Schlimmste verhindern können: Ressourcen nachhaltiger nutzen, neue Wege für die Landwirtschaft oder politisches Engagement für klimabewusstes Handeln. An jedem zweiten Mittwoch im Monat lesen Sie hier, wie Menschen weltweit gegen die Klimakrise kämpfen.
„Früher gab es vier Jahreszeiten, jetzt sind es noch zwei. Es ist entweder sehr kalt oder sehr heiß, eine Übergangszeit gibt es kaum noch.“ Einen richtigen Frühling habe er seit Jahren nicht mehr erlebt, sagt Houcine Chahbani. Acht Monate dauere die Hitzeperiode inzwischen. „Im Sommer, da können Sie hier um die jetzige Uhrzeit, morgens um elf, nicht mehr aufrecht stehen - von arbeiten ganz zu schweigen.“ Im Sommer fangen er und sein Mitarbeiter Alaa morgens zwischen vier und fünf an und kommen erst abends wieder, um die Dattelplantage zu bewässern.
Auf fünf Hektar Land hat Chahbani vor zehn Jahren Datteln angepflanzt, auf einem kleinen Stück Wüstenland nördlich des Dorfes Bechini, am Rande des Salzsees Chott El Djerid. Ein kleines Investitionsprojekt für den Mittelschullehrer, dessen Eltern schon Landwirtschaft betrieben haben. „So eine extreme Hitze wie in den letzten Jahren hatten wir früher nicht.“ Wenn die Leute damals von Umweltverschmutzung und Klimawandel gesprochen hätten, dann sei das sehr weit weg und kaum greifbar gewesen. „Heute ist es offensichtlich, wir spüren das alle am eigenen Leib.“
Die Hitze macht auch seinen Datteln zu schaffen. Sie werden anfälliger für Schädlinge, er braucht mehr Pestizide und das gehe ins Geld. „Ich produziere zwar noch gleich viel, aber die Qualität hat nachgelassen. Der Verkaufspreis ist gesunken und die Produktion teuerer geworden.“
Dabei hat Chahbani vergleichsweise Glück. Auf dem neu erschlossenen Gelände gibt es noch genug Wasser. Mit bloßem Auge lässt es sich beim Blick in den Brunnen erkennen, kaum zwei, drei Meter unter der Oberfläche. „Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viel konsumieren.“ In anderen Orten Südtunesiens, dem Hauptanbaugebiet des Landes für Datteln, sinkt der Grundwasserspiegel kontinuierlich, teilweise um mehr als einen Meter pro Jahr. Viele Brunnen sind inzwischen mehr als hundert Meter tief.
Hoffen auf ein grünes Jahr
Von seinem Wohnort Kebili in der Region Nefzaoua fährt Chabani rund eine Dreiviertelstunde zu seiner Parzelle. An diesem Tag im April hat es geregnet, der normale Wirtschaftsweg für die letzten Kilometer ist nicht passierbar. Stattdessen geht es im Slalom um Pfützen herum über eine andere Piste über den Wüstensand, bis in der Ferne ein Fleck Grün auftaucht.
„Der Regen hat uns überrascht.“ Acht, neun Jahre lang habe es im Winterhalbjahr nicht so viel und oft geregnet. Dieses Jahr gab es alle vier bis sechs Wochen Niederschläge. In der regenarmen Region fallen nur 50 bis 90 Millimeter Regen im Jahr, im landesweiten Durchschnitt weniger als 250 Millimeter. Dies gilt als absolute Wasserknappheit. Tunesien gehört zu den 25 Ländern, die weltweit am stärksten von Wassermangel betroffen sind. „Der Regen im Winter ist hoffentlich ein Anzeichen für ein gutes Jahr.“ Doch Chahbani weiß auch: Er ist wahrscheinlich die Ausnahme, und er muss vorbereitet sein für die Zukunft.
Auf seiner Parzelle wachsen hauptsächlich Dattelpalmen der Sorte Deglet Ennour, wie überall in der Region. Sie ist quasi der Star der tunesischen Datteln - weich, süßlich und aromatisch, gut haltbar. Ein Exportschlager, auch nach Europa, und neben Oliven und Zitrusfrüchten das wichtigste Ausfuhrprodukt der tunesischen Landwirtschaft. Früher war sie eine Sorte unter vielen. Heute hat sie die anderen Sorten nach und nach verdrängt. In den meisten Parzellen stehen heute Deglet Ennour in Monokultur. Doch die Sorte braucht viel Wasser, kommt mit der extremen Hitze nicht gut klar, und seit einigen Jahren häuft sich der Schädlingsbefall. Wenn es so weiter geht, dann wird sie bald nicht mehr rentabel sein, sind sich Fachleute einig.
Eine Lösung aus der Vergangenheit für die Zukunft
Die Lösung, hofft Houcine Chahbani, könne ein alter Naturwissenschafts-Studienkollege von ihm liefern. Während Chahbani Lehrer geworden ist, hat sich Hammadi Hamza auf die Forschung konzentriert. Er beschäftigt sich seit zwanzig Jahren vor allem mit Datteln, unter anderem ihrer Genom-Analyse. Früher habe es rund 200 lokale Dattelsorten in Tunesien gegeben. Von vielen gibt es nur noch ein oder zwei Palmen. „Während meiner Doktorarbeit habe ich rund 120 Sorten katalogisiert. Ich weiß, welche bei welchem Bauer steht. Die restlichen achtzig habe ich nicht gefunden.“
Der Wissenschaftler, der am staatlichen Institut der Ariden Regionen forscht, hat mit seinem Verein „Nefzaoua für Hochschulbildung und wissenschaftliche Forschung“ ein Pilotprojekt initiiert, um alte Dattelsorten wieder populärer zu machen. Das Ziel: Weg von der Monokultur, zurück zu alten, resistenten Sorten, die besonders gut mit Hitze und salzhaltigem Wasser klarkommen und weniger anfällig sind für Schädlinge. Das soll die Folgen des Klimawandels für die Oasenbewohner zumindest abfedern.
Sechs Sorten hat der Verein identifiziert, die in der Klimakrise besonders erfolgversprechend sind. „Wir haben Setzlinge dieser Sorten gekauft. Einen Teil haben wir in der Forschungsparzelle des Instituts für Aride Regionen gepflanzt, um sie zu bewahren. Den anderen Teil haben wir an zehn Teilnehmende des Pilotprojekts verteilt.“ Von denen hat jeder im Sommer 2023 zwanzig Setzlinge bekommen, mit der Auflage, später selbst neue Setzlinge weiterzugeben.
Houcine Chahbani ist von dem Projekt, das unter anderem vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und dem Auswärtigen Amt unterstützt wurde, überzeugt. „Als Hammadi mir davon erzählt hat, war ich sofort dabei. Ich bin ja kein sturer Bauer, der alles so machen will wie früher, sondern ich glaube an die Wissenschaft. Und wenn die sagen, dass das eine gute Option ist, dann mach ich das.“ Auf seiner Parzelle stehen seit letztem Jahr neben Deglet Ennour auch die traditionellen Sorten Kentichi, Alig und Bissr Helou. Er hofft, dass sie sich rentieren werden.
Im Unterschied zur marktdominierenden Deglet Ennour wird die Kentichi weniger für den direkten Konsum verwendet, sondern weiterverarbeitet - zum Beispiel zu Dattelzucker. „Die Kunden essen sie nicht so gerne“, denn sie ist relativ trocken. „Aber die Nachfrage durch die Industrie ist riesig. Der Markt kann die gar nicht decken“, erklärt Hammadi Hamza. Die anderen Traditionssorten können einfach so gegessen, aber auch in Süßspeisen verarbeitet werden. „Wir versuchen im Rahmen unseres Projektes auch die Konsumenten zu beeinflussen und die alten Sorten bekannter zu machen.“ Denn während im Süden Tunesiens traditionell verschiedene Sorten konsumiert werden, kommen diese in anderen Regionen des Landes oft gar nicht erst auf den Markt.
Wegen der Monokultur sinkt der Grundwasserspiegel
Einer der Vorteile der alten Sorten: Sie benötigen viel weniger Wasser als die Deglet Ennour. Während die Deglet Ennour jede Woche 300 bis 500 Liter Wasser braucht, kommen Kentichi, Alig und die anderen ausgewählten lokalen Sorten mit 50 bis 70 Liter alle drei bis vier Wochen zurecht. Chahbani zeigt auf die Setzlinge, die im ersten Jahr kräftig gewachsen und sattgrün sind. „Die sind nicht so fragil wie die Deglet Ennour.“ Nach drei Jahren kann man Dattelpalmen zum ersten Mal ernten, nach fünf Jahren liefern die Bäume volle Erträge. Außer sie einmal im Jahr zu bestäuben, müsse er sich bis zur Ernte kaum um sie kümmern.
„Es ist gar nicht so sehr die Landwirtschaft an sich, die dafür verantwortlich ist, dass der Grundwasserspiegel hier so stark gesunken ist, sondern wirklich die Monokultur der Deglet Ennour“, so Hammadi Hamza. Rund 95 Prozent des Wasserverbrauchs der Region gehen auf die Landwirtschaft zurück. Weil die lokalen Behörden keine Lizenzen für neue Brunnen vergeben, bohren viele Landwirte ohne Genehmigungen immer tiefer, um überhaupt noch Wasser pumpen zu können. Mehr als 7500 der insgesamt rund 1000 Brunnen in der Region sind irregulär. Laut aktuellen Zahlen des Landwirtschaftsministeriums wird ihnen ein Vielfaches dessen entnommen, was sich durch Regenfälle regeneriert, und immer mehr tiefliegende Wasserleiter angezapft.
Umweltschonend und rentabel
Nicht nur für die Umwelt seien die alten Sorten gut. Sie wären auch viel rentabler, sagt Hammadi Hamza. Denn die Deglet Ennour ist aufwändiger zu bestäuben als andere Sorten. Außerdem muss man die Rispen ausdünnen und die Früchte schon am Baum mit Netzen oder Säcken vor Wind, Regen und Insekten schützen. Das alles ist kostspielig und fällt bei den anderen Sorten weg. Hamza überschlägt die Zahlen im Kopf. „Pro Palme kostet das rund 70 Dinar pro Saison, dazu kommt noch das Wasser. Der Verkaufspreis der jährlichen Ernte liegt bei 100 bis 150 Dinar. Das ist nicht sehr lohnend.“ Bei den alten Sorten wie der Kentichi sei zudem der Ertrag höher. „Eine Palme kann bis zu 300 Kilo Früchte tragen.“ Selbst, wenn der Verkaufspreis für das Kilo Datteln am Ende niedriger sei, als bei den Deglet Ennour, könne ein Landwirt aufgrund der geringen Grundkosten und des höheren Ertrags fast den doppelten Gewinn erzielen, ist der Forscher überzeugt.
Hammadi Hamza hat noch ein zweites Ziel: die komplette Sequenzierung der Genome der Dattelsorten. Einige Sequenzen hat er in seinem Labor schon entschlüsselt und in Fachzeitschriften veröffentlicht. Jetzt geht es darum, den Zusammenhang zwischen den Sequenzen und den besonderen Eigenschaften der Palmen zu entschlüsseln. „Das Ziel ist es, die Gene zu identifizieren, die dafür verantwortlich sind, dass sich bestimmte Sorten gut an Hitze und salzhaltiges Wasser anpassen, und zu erklären, warum andere empfindlicher sind. Vielleicht haben wir in zehn Jahren eine Deglet Ennour mit großen Früchten, die gut salzhaltiges Wasser verträgt. Das ist einer meiner Träume.“ Dann wäre auch diese Sorte vielleicht auch als eine unter vielen wieder zukunftsfähig.
Houcine Chahbani wartet unterdessen darauf, dass die neu angepflanzten alten Sorten erste Früchte tragen. Auf seinen fünf Hektar stehen zwar zu 90 Prozent Deglet Ennour, „aber wenn das mit den anderen Sorten gut klappt, dann werde ich die nächste Parzelle nur damit anlegen.“
Dieser Beitrag wurde gefördert durch den Riff-Qualitätsfonds für freien Journalismus der RiffReporter eG.