Umweltpolitik: Neue Hürden beim globalen Wettlauf zum Schutz der Natur
Erstmals bestätigt eine Regierung, dass der Weltnaturschutzgipfel wieder verschoben wird. Treffen der G20-Umweltminister ohne Durchbruch
Während der Weltklimagipfel im Herbst im schottischen Glasgow trotz Corona-Rekordwerten wie geplant als Riesenereignis stattfinden soll, wird der für die Zukunft der Menschheit ebenso entscheidende „Zwillingsgipfel“ zum Naturschutz abermals verschoben. Das bestätigt nun erstmals eine der beteiligten Regierungen. Wie schwierig es sein wird, beim Weltbiodiversitätsgipfel weitreichende Festlegungen für mehr globalen Naturschutz zu erreichen, zeigt auch das am Freitag in Neapel zu Ende gehende Treffen der Umweltminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer.
Nun ist es amtlich: In einer Countdown Natur vorliegenden E-Mail erklärt das neuseeländische Außenministerium, dass der bislang für Mitte Oktober geplante Weltnaturschutzgipfel wegen der anhaltenden Infektionslage nun vom 25. April bis zum 8. Mai kommenden Jahres im chinesischen Kunming stattfinden werde. Zum bislang vorgesehenen Termin am 11. Oktober werde es am Konferenzort lediglich eine weitgehend virtuelle mehrtägige Auftaktveranstaltung geben.
Geplant ist, dass dabei Staats- und Regierungschefs sowie Umweltminister der mehr als 190 Vertragsstaaten per Videokonferenz teilnehmen, um den aufgrund der Verschiebung nun verlängerten Verhandlungen entscheidenden Schwung zu geben. Im Januar soll dann auf einer weiteren Vorbereitungskonferenz in der Schweiz der letzte Entwurf für einen neuen Weltnaturschutzvertrag fertiggestellt werden. Dieses „Globale Rahmenabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt“ soll dann Anfang Mai in China verabschiedet werden.
Neuer Schwung ist dringend nötig
Es ist bereits die zweite Verschiebung des Gipfels. Ursprünglich hätte er bereits im vergangenen Herbst stattfinden sollen. Beobachter und Staaten, die für möglichst ambitionierte Ziele eintreten, sehen in der neuerlichen Verschiebung auch Chancen. Denn die nun seit einem Jahr fast ausschließlich virtuell geführten Verhandlungen haben nach Angaben von Teilnehmern den Gegnern von mehr verbindlichem Naturschutz in die Hände gespielt.
Die Unterhändler einiger europäischer Staaten haben sich in einer internen Schalte vor einigen Wochen derartig frustriert über die zählen Online-Verhandlungen gezeigt, dass einige sogar für einen Abbruch plädierten. „Die EU-Staaten sehen, dass das, was sie eigentlich erreichen wollen, ihnen in dem virtuellen Format aus den Händen gleitet“, sagte ein Insider.
Der Chef-Koordinator für die Arbeiten am Vertragstext, der kanadische Diplomat Basile van Havre, beklagte aber auch eine zu passive Rolle der Europäischen Union in den Verhandlungen. „Eine aktivere und präsentere Europäische Union wäre sehr wichtig für den Prozess – ihre Stimme könnte lauter sein“, sagte van Havre im Interview mit Countdown Natur.
Bilanz des Scheitern – kommt nun die Wende?
Das neue Weltnaturschutzabkommen soll erreichen, was Vorgängerabkommen verfehlt haben. Die Staatengemeinschaft hatte sich bereits vor mehr als einem Jahrzehnt 20 Ziele zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und einer sozial gerechteren Nutzung der Natur gesetzt, die bis 2020 erreicht werden sollten. Alle diese 20 sogenannten Aichi-Ziele wurden verfehlt.
Beispielhaft heißt das: Das Artensterben wurde nicht gestoppt, umweltschädliche Subventionen wurden nicht beseitigt, die Belastung mit Schadstoffen wurde ebenso wenig auf ein verträgliches Maß reduziert wie der Fischfang und die Jagd, die Zerstörung von Wäldern und anderen Lebensräumen wurde nicht gestoppt, die Produktionsketten und der weltweite Konsum wurden nicht nachhaltig umgebaut und die Landwirtschaft wurde nicht zu einer lebensfreundlichen Wirtschaftsweise umgebaut.
Ein Drittel des Planeten unter Naturschutz?
Ein vor kurzem vorgestellter erster Entwurf für neues globale Abkommen zum Schutz der Natur sieht unter anderem eine Verringerung der Verwendung von Pestiziden um zwei Drittel und ein Ende der Belastung der Umwelt mit Plastikmüll bis 2030 vor. Auch die von vielen Umweltschützern als Schlüsselziel für einen wirksamen Schutz des Planeten angesehene Unterschutzstellung von 30 Prozent der Erde – 30 Prozent an Land und 30 Prozent der Meere – ist in dem Entwurf enthalten. Zurzeit sind lediglich etwa 15 Prozent der Land- und 7,5 Prozent der Ozeanflächen geschützt.
Wie schwierig es aber sein wird, die 30/30-Formel ohne Aufweichung auch in einem finalen Abkommen festzuschreiben, zeigen die aktuellen Beschlüsse der Umweltminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer bei ihrem Treffen in dieser Woche in Neapel. Während sich zuletzt auch die sieben führenden Industrienationen (G7) auf das 30-Prozent-Ziel verpflichtet haben, gelang die Verankerung dieses Ziels auch in der G20 nicht. In der Gipfel-Erklärung der Umweltministerïnnen heißt es dazu nun lediglich:
"Einige G20-Mitglieder und andere Länder … haben sich freiwillig verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bis 2030 mindestens 30 % der Landfläche und mindestens 30 % der globalen Ozeane durch gut vernetzte Systeme von Schutzgebieten und andere wirksame gebietsbezogene Schutzmaßnahmen erhalten oder geschützt werden. G20-Mitglieder, die diese freiwilligen Verpflichtungen eingegangen sind, ermutigen und unterstützen andere, ähnlich ambitionierte Verpflichtungen einzugehen."
Eine Verankerung des 30-Prozent-Zielsin der G20-Gruppe wäre so etwas wie eine Vorentscheidung für einen Erfolg auch in Kunming gewesen. Denn G20-Länder repräsentieren zum Einen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und umfassen die wichtigsten Länder für die globale Wirtschaft. Vor allem sind aber mit Brasilien, Russland, Indonesien und China die artenreichsten Weltregionen und damit die entscheidenden Akteure für den Erhalt der Natur auf dem Planeten im Club der 20 vertreten. Nach Angaben von Insidern gehörten Brasilien und Indonesien zu den Staaten, die sich gegen eine schärfere Erklärung stemmten.
Forderung nach Finanzhilfen
Der argentinische Umweltminister Juan Cabandie forderte nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters einen "Schuldentausch", bei dem den Entwicklungsländern ein Teil ihrer Schulden erlassen werde, damit sie die Umsetzung ökologischer Ziele finanzieren könnten. Er verwies demnach darauf, dass die Selbstverpflichtung der Industrieländer von 2009 nicht eingehalten wurde, jährlich 100 Milliarden Dollar an Finanzhilfen für ärmere Länder zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels bereitzustellen."Die Finanzierungszusagen der Industrieländer wurden nicht eingehalten, was das Vertrauen zwischen den Parteien beeinträchtigt", zitierte Reuters Cabandie.
Mit Blick auf den Weltbiodiversitätsgipfel heißt es in der Erklärung, man strebe ein „ehrgeiziges, ausgewogenes, praktisches, effektives und robustes Globales Rahmenwerk“ an. Ein Formelkompromiss unter dem sich Fortschritt und Rückschritt verbergen kann. Das Rennen um einen besseren Schutz der Natur auf dem Planeten ist weiter offen. Die Verhandlungen in den kommenden Monaten werden entscheidende Weichen stellen.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.