Welt-Naturschutzgipfel droht an Finanzierungsstreit zu scheitern
Der Streit um Geld und monatelange Online-Verhandlungen zermürben die EU-Unterhändler für ein Welt-Naturschutzabkommen. Dem Gipfel in Kunming droht eine zweite Verschiebung
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Wenige Monate vor der geplanten Verabschiedung eines neuen Abkommens zum Schutz der biologischen Vielfalt auf der Erde sind die Verhandlungen darüber so festgefahren, dass innerhalb der Europäischen Union der Abbruch der online geführten Verhandlungen erwogen wird. Auch die Organisatoren des wegen der Corona-Pandemie bereits einmal auf den Oktober diesen Jahres verschobenen UN-Gipfels sondieren nach Informationen von Countdown Natur eine abermalige Verschiebung des Gipfels um mehrere Monate.
Hauptstreitpunkt ist die künftige Finanzierung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen auf dem Planeten. Um das Abkommen zu retten, fordern Naturschützer nun eine Finanzierungsinitiative Deutschlands und weiterer westlicher Staaten. Die Bundesregierung deutet Bereitschaft zu höherem Engagement an. Doch ob dies reicht, ist fraglich.
Warnung vor "Abwärtsspirale"
Als sich die Unterhändler der EU-Staaten Anfang des Monats per Videokonferenz zu einer vertraulichen Bilanz der bisherigen Verhandlungsergebnisse für ein globales Rahmenabkommen zum Schutz der Natur zusammenschalteten, brach sich der Frust Bahn. „Verheerend“ seien die persönlichen Bilanzen gewesen, die Redner nach Rednerin vorgetragen habe, berichten Insider im Gespräch mit Countdown Natur. Wenige Monate vor dem UN-Biodiversitätsgipfel seien zentrale Streitpunkte nicht einmal im Ansatz gelöst, hieß es. Teilnehmer der Runde hätten nicht nur ausbleibende Fortschritte beklagt, sondern vor echten Rückschritten gegenüber dem bereits Erreichten gewarnt. Die Verhandlungen liefen in eine „Abwärtsspirale“.
Vor allem die Tatsache, dass die Verhandlungen seit mehr als einem Jahr ausschließlich über Videokonferenzen geführt werden, spiele den Gegnern weitreichender Vereinbarungen für einen strengeren Schutz der Natur und der Nutzung natürlicher Ressourcen in die Hände.
Eine aktivere und präsentere Europäische Union wäre sehr wichtig für den Prozess – ihre Stimme könnte lauter sein. (Basil van Havre)
„Das virtuelle Format bietet mehr Möglichkeiten zur Blockade als physische Verhandlungsrunden und verschafft deshalb denen Vorteile, die keine ambitionierten Ergebnisse wollen“, fasst ein Insider die überwiegende Auffassung der Runde zusammen. Die EU sei dagegen nicht gut auf diese Art von Verhandlungen vorbereitet, räumte er ein. „Die EU-Staaten sehen, dass das, was sie eigentlich erreichen wollen, ihnen in dem virtuellen Format aus den Händen gleitet.“
Auch der Chef-Koordinator für die Arbeiten am Vertragstext, der kanadische Diplomat Basile van Havre, räumt Probleme bei den Online-Verhandlungen ein. Zwar würden virtuell die Positionen ausgetauscht, sagte er im Interview mit Countdown Natur. Entscheidend sei bei Verhandlungen aber die zweite Phase des Ringens um Kompromisse, manchmal auch im kleineren informellen Kreis.
„Diesen zweiten Teil sehe ich bisher noch nicht ausreichend“, sagte van Havre. Zugleich beklagte er eine zu passive Rolle der Europäischen Union in den Verhandlungen .Die EU habe im internationalen Konzert eigentlich eine sehr starke Stimme; bei den Verhandlungen über das Biodiversitätsabkommen sei diese aber zu selten zu hören. „Eine aktivere und präsentere Europäische Union wäre sehr wichtig für den Prozess – ihre Stimme könnte lauter sein“, sagte van Havre.
EU-Unterhändler bringen Abbruch ins Spiel
In der vertraulichen EU-Bilanz-Runde waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Insider-Angaben zufolge weitgehend einig, dass über Online-Verhandlungen bis Oktober kein Abkommen erreicht werden könne, das ausreichend stark sei, um eine Wende im Kampf gegen das Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen einzuleiten. Einige in der Runde plädierten für das bis dahin undenkbare. Die EU solle die virtuellen Verhandlungen abbrechen, forderten sie.
Ein Ausstieg der EU würde ein Scheitern des Gipfels zum geplanten Termin bedeuten, weil in diesem Fall kein abstimmungsreifes Dokument für das angestrebte Rahmenabkommen für die Bewahrung der Natur für das Jahrzehnt nach 2020 erarbeitet werden könnte.
Während sich fast alle Teilnehmer der vertraulichen Runde – einschließlich der EU-Kommission – in der Analyse der Situation einig gewesen seien, habe es in der Frage eines Abbruchs der Verhandlungen unterschiedliche Haltungen gegeben, sagte ein Insider.
Deutschland beispielsweise setze offenbar eher auf eine Fortsetzung. Wie Berlin befürchten auch andere Regierungen durch eine zeitliche Abkopplung von der ebenfalls für den Herbst in Glasgow geplanten Weltklimakonferenz einen Verlust an Schwung für ehrgeizige Ziele.
Die Runde der Unterhändler ging auseinander, ohne über Abbruch oder Fortsetzung der Verhandlungen abzustimmen. Gegenwärtig laufen den Angaben zufolge in den europäischen Hauptstädten die Abstimmungen über ein gemeinsames weiteres Vorgehen.
Dabei wird auch ein weiteres Problem diskutiert. Rein juristisch müssen Verhandlungen physisch abgeschlossen werden. Bleibt es bei reinen Videotreffen sind verbindliche Vereinbarungen mit Brief und Siegel in Kunming nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund macht auch eine gerade bekanntgegebene Entscheidung der Konferenzorganisatoren den Gipfel im Oktober unwahrscheinlicher: Die ursprünglich als Treffen in Kolumbien geplante abschließende Sitzung des Gremiums zur Erarbeitung eins konkreten Vertragsentwurfs – der sogenannten Open-Ended Working Group – wird nun virtuell stattfinden müssen. Der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, van Havre, sieht darin noch keine Vorentscheidung für eine neuerliche Verschiebung. „Aber wir wissen, dass wir zwei Wochen persönlicher Verhandlungen brauchen, um ans Ziel zu kommen.“
Es klafft eine Finanzlücke von 800 Milliarden Dollar pro Jahr
Der Hauptstreitpunkt unter den Vertragsstaaten, der sich durch alle Themenfelder zieht, ist nach übereinstimmenden Angaben von Beteiligten von unterschiedlicher Seite die Frage der Finanzierung der Maßnahmen, die in Kunming beschlossen werden sollen. „Wenn wir keinen Weg finden können, in unseren Plänen die notwendige Finanzierung für den Biodiversitätsschutz sicherzustellen, werden wir nicht erfolgreich sein“, warnt van Havre. „Es gibt einen erheblichen Bedarf an Finanzmitteln für den Schutz der Vielfalt des Lebens und der Ökosysteme.“
Der US-Thinktank Paulson Institute hat diesen Bedarf berechnet. Er beziffert die Kosten zur Überwindung der Biodiversitätskrise auf jährlich 700 bis 900 Milliarden US-Dollar. Tatsächlich fließen diesen Zwecken der Untersuchung zufolge aber nur weniger als 140 Milliarden zu. Die Finanzierungslücke beträgt mithin 600 bis 800 Milliarden Dollar pro Jahr. Sie könnte zum großen Teil aber gegenfinanziert werden, indem umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Denn allein in biodiversitätsschädliche Zahlungen von Regierungen an Fischerei, Land- und Forstwirtschaft fließen jährlich mehr als 500 Milliarden Dollar.
Im Rahmen der G7 haben wir vereinbart, intensiv daran zu arbeiten, auch die Finanzierung für Naturschutz zu erhöhen. (Angela Merkel, Bundeskanzlerin)
Der Abbau naturschädlicher Subventionen steht seit Jahrzehnten hoch auf der Agenda der internationalen Umweltpolitik. Er war unter anderem eines der sogenannten Aichi-Ziele für den weltweiten Biodiversitätsschutz. Bisher hat sich aber wenig an dieser entscheidenden Front getan, wie zuletzt der UN-Umweltbericht feststellte.
Weil Fortschritte hier absehbar noch viel Zeit brauchen werden, wächst der Druck auf die reichen Industriestaaten, tiefer in die Tasche zu greifen. Ihnen halten die Vertreter aus dem globalen Süden in den Verhandlungen vor, einerseits für weitreichende Ziele und damit wirtschaftliche Beschränkungen für Entwicklungsländer in Kunming einzutreten, zugleich aber ihren eigenen Wohlstand durch eine übermäßige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen erkauft haben.
Merkel deutet mehr Geld für Naturschutz an
Auch innerhalb der Bundesregierung wird die Finanzierung sowohl für das Zustandekommen eines Abkommens als auch seine erfolgreiche Umsetzung als entscheidend angesehen. Zuletzt deutete Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen auf einer deutschen Vorbereitungskonferenz für den Gipfel im Bundesumweltministerium ein höheres Engagement an. Kunming müsse ein Erfolg werden, um die Wende in der Artenkrise zu schaffen, sagte die CDU-Politikerin. Deshalb müsse es in China darum gehen, mehr Finanzquellen zu erschließen, „private und öffentliche, nationale und internationale“. Die Kanzlerin wies darauf hin, dass Deutschland seit 2013 in jedem Jahr eine halbe Milliarde Euro für den Naturschutz im globalen Süden ausgibt.
Dass diese Summe aufgestockt wird, deutet sie zum jetzigen Zeitpunkt aber nur an, indem sie auf Beschlüsse der G7-Staaten und ihre Zusage bei dem Gipfel verweist, die deutschen Mittel für den Klimaschutz bis spätestens 2025 von jetzt vier auf sechs Milliarden Euro jährlich zu erhöhen. „Im Rahmen der G7 haben wir vereinbart, intensiv daran zu arbeiten, auch die Finanzierung für Naturschutz zu erhöhen“, sagte Merkel. „Denn um Moore zu schützen und zu renaturieren, Wälder zu erhalten und wieder aufzuforsten oder Meeresverschmutzung und Überfischung zu verringern, gilt es, Klima – und Naturschutz sowie die hierfür erforderliche Finanzierung gleichermaßen in den Blick zu nehmen.“
Unter den Befürwortern einer deutlichen Aufstockung des deutschen Beitrags für den internationalen Naturschutz in der Bundesregierung wird der G7-Beschluss und Merkels Selbstverpflichtung darauf als „Unterstützung allererster Güte“ gewertet. Bundesumweltministerin Svenja Schulze betonte prompt, der angestrebte globale große Wurf für mehr Naturschutz müsse auch mit Geld unterstützt werden. „Es wird nicht kostenlos zu haben sein.“ Derzeit sei der gesamte Naturschutzbereich unterfinanziert, beklagte die SPD-Politikerin. „Deswegen müssen wir sowohl öffentliches wie auch privates Kapital stärker noch für diesen Bereich mobilisieren und dafür müssen wir jetzt auch die Grundlagen legen“, sagte Schulze mit Blick auf Kunming.
Gesucht: Ein John Kerry für die Naturschutzkonferenz
Eine entscheidende Frage wird sein, ob es ausreicht, beim Gipfel selbst höhere Finanzzusagen zu machen. Georg Schwede, der Europachef der Campaign for Nature, die über ihren privaten Stifter Hansjörg Wyss bis 2030 eine Milliarde Dollar zur Rettung der Biodiversität bereitstellt, glaubt das nicht. „Wir sehen es als absolut notwendig an, jetzt, wo der Verhandlungserfolg akut gefährdet ist, eine Initiative zu starten“, sagt er im Gespräch mit Countdown Natur. „Deutschland könnte hier eine sehr wichtige Rolle spielen“, sagt Schwede.
Auch an anderer Stelle gibt es hinter den Kulissen Überlegungen, die festgefahrenen Verhandlungen über eine Finanzinitiative wirtschaftlich starker und zugleich ökologisch ambitionierter Staaten wieder in Schwung zu bringen. Neben Deutschland werden Großbritannien, Frankreich, Kanada und aus den Entwicklungsländern Nigeria und Kolumbien genannt.
Auch eine Bezeichnung für die Initiative gibt es schon „High Ambition Coalition for Finance“: Nach dem Vorbild der „High Ambition Koalition für Mensch und Natur“, der sich rund 90 Staaten mit dem Ziel angeschlossen haben, in Kunming weitreichende Ökoziele zu erreichen, vor allem die Unterschutzstellung von 30 Prozent der Erdoberfläche. Ziel der Initiative soll es sein, hinter den Kulissen zu vermitteln und strittige Finanzthemen auszuräumen. Derzeit wird nach einem geeigneten Unterhändler für eine solche Initiative Ausschau gehalten. Gesucht wird ein John Kerry für den Kampf gegen die Öko-Krise.
So wie der US-Klimagesandte durch die Welt reise und in vertraulichen Gesprächen mit den Regierungen einen erfolgreichen Verlauf des Weltklimagipfels in Glasgow vorbereite, müsse der Emissär oder die Emissärin für Biodiversität hinter den Kulissen Finanzierungsfragen klären. Am Ende sei klar, dass ähnlich wie in der Klimapolitik, ein Durchbruch erst dann möglich sei, wenn die reichen Staaten den Schutz der Natur in den ärmeren Regionen der Erde mit viel Geld absicherten. Ein Kandidat für den Job ist auch bereits angesprochen worden.
Inzwischen sondiert das Sekretariat der CBD nach Informationen von Countdown Natur bei den Vertragsstaaten die Haltungen zu mehreren Varianten für den Gipfel. In Schreiben an die Regierungen werden mehrere Szenarien genannt. Darunter ist auch eine abermalige Verschiebung um ein halbes Jahr und der Vorschlag eines hybriden Formats aus virtuellen Verhandlungen und der physischen Anwesenheit kleiner Delegationen. Wohl am wahrscheinlichsten ist eine dritte Variante. Ein sogenanntes „High Level Segment“ eröffnet den Gipfel in Kunming vor Ort mit Auftaktreden von hochrangigen Vertretern führender Staaten und unmittelbar im Anschluss werden die eigentlichen Verhandlungen über das Abkommen auf einen Zeitpunkt nach Ende der Pandemie vertagt. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.