Weltnaturgipfel COP15: „Es ist noch nicht ausgemacht, dass wir hier mit einem Erfolg rausgehen“
Entwicklungsländer fordern wie beim Klimaschutz 100 Milliarden Dollar pro Jahr, um ihre Biodiversität effektiv zu schützen. Daran könnte der Weltnaturgipfel scheitern. Nun soll der deutsche Staatssekretär Jochen Flasbarth eine Einigung erzielen. Wie er vorgeht, sagt er im Interview
Geld ist der zentrale Streitpunkt beim UN-Weltnaturgipfel in Montreal. Die Entwicklungsländer fordern wie beim Klimaschutz mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr, um ihre Biodiversität effektiv schützen zu können. Daran könnte der Gipfel scheitern. Nun soll der deutsche Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Jochen Flasbarth, als Sonderbeauftragter im Auftrag der chinesischen Präsidentschaft der COP15 gemeinsam mit der ruandischen Umweltministerin eine Einigung in diesem zentralen Streitpunkt zwischen Entwicklungs- und Industrieländern erzielen.
Im Interview mit RiffReporter fordert der „Troubleshooter“ Bewegung auf allen Seiten, nimmt China in die Pflicht und warnt, ein Erfolg des Gipfels sei noch nicht gesichert.
Die Verhandlungen sind extrem festgefahren, ein Scheitern des Abkommens wird nicht mehr ausgeschlossen. Wie können die finanziellen Mittel mobilisiert werden, die nötig sind, um die Natur in den besonders an Biodiversität reichen Entwicklungsländern zu schützen?
Jochen Flasbarth: Im Augenblick sammeln wir noch die Stimmen aller Seiten ein. Die Positionen liegen in der Tat noch weit auseinander. Nicht so sehr in der Frage, wie groß die finanzielle Lücke ist, die gestopft werden muss. Ich glaube, da gibt es eine ziemlich große Übereinstimmung. Die Fragen lauten eher, wo kommt das Geld her, welche Instrumente brauchen wir. Besonders steht hier ganz groß die Frage im Raum, ob es einen eigenen Biodiversitätsfonds braucht, oder ob die bisherigen Instrumente ausreichen, zum Beispiel die Global Environment Facility, über den derzeit ein großer Teil der Finanzierung von Umweltinvestitionen in Entwicklungsländer läuft.
Entwicklungsländer kritisierenden bisherigen Finanzierungsmechanismus GEFals zu bürokratisch, ineffektiv und zu langsam. Die Forderung nach einem eigenen Biodiversitätsfonds – analog zumGreen Climate Fondsim Kampf gegen den Klimawandel – ist neben mehr Geld ihre Hauptforderung. Die EU lehnt das bisher ab. Gibt es Bewegung in der Frage?
Im Augenblick sind die Positionen auch hier noch sehr weit auseinander. Was mich bis jetzt ein wenig besorgt, ist, dass ich noch keine richtigen Signale der Bewegung sehe. Das muss aber sein. Alle müssen sich bewegen. Nicht im Sinne eines faulen Kompromisses, sondern um den Anspruch hoher Naturschutz-Ambitionen auch mit vernünftiger Finanzierung zu hinterlegen.
Sie sagten, bei der Finanzsumme, die noch überbrückt werden müsse, seien die Länder nicht so weit auseinander. Wie hoch taxieren Sie diese Lücke?
Es gibt verschiedene Untersuchungen, die die astronomische Summe von 700 Milliarden Dollar jährlich ausweisen. Es gibt Vorstellungen, dass ein sehr großer Teil davon über die lange Strecke über den Abbau umweltschädlicher Subventionen geschlossen werden könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass das am Ende nicht streitig ist, sodass die tatsächlich dann durch neue Finanzmittel zu schließende Lücke deutlich kleiner ist. Aber bis dahin ist noch ein langer Weg zu gehen.
Im Vertragsentwurf für das Abkommen wird eine Summe von 500 Milliarden für den Abbau und die Umwidmung von Beihilfen genannt, die die Umwelt schädigen. Blieben noch 200 Milliarden, die es aufzubringen gilt. Die Entwicklungsländer fordern allein 100 Milliarden Dollar jährlich als Direktzahlungen, um den Naturschutz bei sich zu finanzieren – eine weitere Parallele zum Klimaprozess. Ist das angemessen?
Ich glaube, dass es wenig Chancen gibt, das zu erfüllen, wenn nicht die Zahl derjenigen, die tatsächlich auch zahlen, deutlich erweitert wird. Das war ja auch eine Forderung der Industrieländer im Klimaprozess. Die Welt gegenüber 1992 hat sich dramatisch verändert.
1992 wurde China im Zuge der Klimarahmen-Konvention als Entwicklungsland eingestuft. Das erlaubt dem mittlerweile zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde aufgestiegenen Land, weiter auf dem Status als „Nehmerland“ zu beharren.
Länder wie China, aber auch aus der arabischen Welt, können sich kaum noch auf diese Jahreszahl zurückziehen. Aber wir werden die weitere Entwicklung der Verhandlungen abwarten müssen.
Der Forderung der Entwicklungsländer nach mehr Geld steht vonseiten der Europäer die Forderung nach Zustimmung zu ehrgeizigen Naturschutzzielen gegenüber. Wo müssen sich die Entwicklungsländer bewegen?
Ganz wichtig ist, dass wir bei der Entscheidung, Schutzgebiete auszuweisen, nicht nur auf die schiere Prozentzahl der Fläche schauen, sondern auch auf die Qualität des Schutzes in diesen Gebieten. Die zweite große Frage wird sein, ob wir beim Thema einer biodiversitätsfreundlichen Landnutzung vorankommen können.
Werden Sie und ihre ruandische Kollegin eine Lösung im vielleicht schwierigsten Knackpunkt auf dem Weg zu einem Abkommen hinbekommen – wird es einen Deal geben?
Das kann man jetzt nicht sagen. Man darf sich selbst auch nicht überschätzen. Wir haben aber ganz gute Voraussetzungen mit den insgesamt sechs sogenannten Faszilitatoren, die von der Präsidentschaft berufen wurden. Wir kennen uns alle gut, sind gut miteinander befreundet, und ich habe mit der ruandischen Umweltministerin besonders viel Glück. Wir werden alles für einen Erfolg tun. Aber es braucht eben auch alle anderen. Wenn einige sich entscheiden, sich nicht zu bewegen, ist es noch nicht ausgemacht, dass wir hier mit einem Erfolg herausgehen.
Sie haben auch in den Klimaverhandlungen schon in schwieriger Lage verhandelt. Ist eine Lösung hier noch schwieriger?
Wir haben es nicht mit drei, vier oder fünf Treibhausgasen zu tun, die wir irgendwie in den Griff bekommen müssen. Biodiversität ist viel komplexer. Wie man den Meeresschutz hinbekommt, wie wir die tropischen Wälder schützen und wie wir mit dem direkten Artenschutz umgehen – das sind einfach sehr weit auseinanderliegende Felder. Die größere Komplexität liegt bei den Biodiversitäts-Verhandlungen.
Die Recherchen für diesen Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert. Mit einem Riff-Abo können Sie uns weitere Recherchen ermöglichen.