Um Lebensgrundlagen zu erhalten, muss sich Wirtschaftslogik ändern, mahnt UNDP-Chef Steiner
RiffReporter-Interview zur COP15: Der höchstrangige Deutsche bei den Vereinten Nationen hält Investitionen von mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr für Schutz der Biodiversität nötig und warnt vor Naturschutz, der Indigene ausgrenzt
Achim Steiner verspätet sich leicht zum Interview. Der morgendliche Verkehr in New York hat ihn aufgehalten. „Ich lebe in einer Stadt, die vertikal und horizontal zubetoniert ist“, sagt der Chef der UN-Entwicklungsorganisation UNDP gut gelaunt. Die kurze Fahrt mit einer Fähre über den East River hat ihm zuvor an diesem Morgen selbst in der Millionen-Metropole schon ein kleines Naturerlebnis verschafft. Im RiffReporter-Interview geht es dann vor allem um die großen Fragen: Warum der Kampf gegen die Biodiversitätskrise zugleich ein Kampf für mehr Gerechtigkeit auf der Welt ist, welche Ergebnisse der Weltnaturgipfel erbringen muss und warum er die 100-Milliarden-Dollar-Forderung der Entwicklungsländer für den Schutz ihrer Biodiversität für angemessen hält.
Kurz nach dem Klimagipfel findet jetzt ein weiterer UN-Gipfel statt, der Weltnaturgipfel. Die Staaten der Erde wollen in den kommenden beiden Wochen ein Abkommen aushandeln, das den Schutz, aber auch die Nutzung der verbliebenen Natur auf dem Planeten regelt. Was steht bei den Verhandlungen in in Montreal auf dem Spiel?
Wir beginnen mit einer Bilanz des Scheiterns. Die Ziele, die wir uns bei einem früheren Gipfel 2010 gesetzt haben, haben wir in vieler Hinsicht verfehlt. Die Natur hat in den letzten 50 Jahren stärker gelitten als je zuvor in der Geschichte der Menschheit – und wir haben das bisher nicht stoppen können. Jetzt sind wir in einer Situation, wo wir den ganzen Planeten destabilisieren.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Anzeichen dafür?
Nur zwei Beispiele: Wir verlieren jeden Tag ungefähr 200 Arten und wir haben schon 85 Prozent aller Feuchtgebiete auf dieser Erde zerstört: Das geht an die Fundamente – für Natur und Menschen. Die Krise der biologischen Vielfalt beraubt die Menschheit ihres wichtigsten Verbündeten beim Überleben: der Natur. Es steht also sehr viel auf dem Spiel.
Sie sind Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Wie wichtig ist ein starkes Naturabkommen für die Entwicklungsländer?
Ohne eine intakte Natur geht es nicht voran mit der menschlichen Entwicklung – gleich ob in armen oder in reichen Ländern. Alles, was wir essen kommt aus dem Boden. Die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken.
Ohne Natur geht es nicht?
Was für jeden Menschen gilt, gilt auch für die Volkswirtschaften. Schon heute müssen mehr als 1, 3 Milliarden Menschen auf ausgelaugten Böden wirtschaften. Die Folge ist Hunger. Oder nehmen wir die Meere: Mehr als drei Milliarden Menschen sind für ihren Lebensunterhalt auf Meeres- und Küstenressourcen angewiesen. Sie erwirtschaften fünf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Erde. Gleichzeitig sind Hunderte von Millionen Menschen durch die Zerstörung von Lebensräumen und dem Klimawandel einem wachsenden Risiko von Überschwemmungen und Wirbelstürmen ausgesetzt.
Was muss aus Ihrer Sicht am Ende der Natur-COP konkret erreicht sein?
Sie muss zu einem Wendepunkt für die Welt werden. Es muss uns gelingen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in den kommenden Jahren die sehr sehr grundlegenden Veränderungen herbeizuführen, die wir brauchen, um unser Ziel zu erreichen, den Verlust von Arten und Ökosystemen und damit unser aller Lebensgrundlage zu stoppen. Die 22 Ziele, die zur Verhandlung stehen, sollen uns auf diesen Weg bringen.
Was sind Ihre Mindestansprüche?
Wir müssen uns mindestens darauf einigen, dass wir mit viel höherem Engagement vorgehen. Das Niveau der Ambition, des Mutes zu Veränderungen, wird der Lackmustest sein. In der Hinsicht ist Montreal nicht eine COP wie jede andere, sondern eine, die für ein entscheidendes Jahrzehnt das Tempo vorgeben kann, und damit sofort Auswirkungen auch auf die Politik in allen Ländern, auf die Landnutzung und auf die Wirtschaft haben kann.
Den Klimawandel sehen mittlerweile auch Banken, Dienstleister und Industrieunternehmen als Bedrohung an. Gibt es dieses Bewusstsein mittlerweile auch mit Blick auf die Naturzerstörung?
Zunehmend ja. Wir erleben, dass in vielen Teilen der Wirtschaft die Abhängigkeit von der Natur nicht mehr nur als Freizeitthema wahrgenommen wird, sondern integraler Bestandteil zum Beispiel von Lieferketten ist, die ein Unternehmen und letztlich den ganzen Markt am Leben erhalten. Die Wirtschaft ist manchmal einigen politischen Entscheidungsträgern in ihrem Ehrgeiz deutlich voraus.
Haben Sie Beispiele dafür?
Viele Unternehmen unterstützen das Vorhaben, dass Firmen in ihren Bilanzen und Rechenschaftsberichten auch die Belastungen für die Natur erfassen und offenlegen müssen, die von ihren Aktivitäten ausgehen. Genauso wie die Risiken, die sich durch Naturzerstörung für ihr eigenes Geschäftsmodell ergeben.
Auch im Entwurf für das Montreal-Abkommen findet sich dieses Ziel. Sind Berichtspflichten für Firmen nicht eher etwas abstraktes für Buchhalter?
Nein, sie sind wichtig, weil sie sowohl den Firmen selbst, aber auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie der Politik und Finanzmärkten Informationen an die Hand geben, um konkrete Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, ein Produkt zu kaufen oder nicht, oder in ein Unternehmen zu investieren oder nicht.
Aber in den Bilanzen von Firmen spielen die Kosten, die durch Naturzerstörung entstehen, noch keine Rolle. Muss sich das ändern?
Am Ende läuft es darauf hinaus, dass wir die Signale in unseren Märkten und in unseren Volkswirtschaften so verändern müssen, dass Natur nicht nur als freies Gut wahrgenommen wird. Wir müssen sichtbar machen, dass ihre Zerstörung Konsequenzen hat, für den dominanten Maßstab wirtschaftliche Entwicklung, für das BIP. Positiv erscheint mir, dass die Initiative, Öko-Rechenschaftspflichten einzuführen, vor allem von Unternehmen selbst kommt.
Es gibt weitere Ziele mit Blick auf die Wirtschaft im Entwurf für das Abkommen, die wahrscheinlich weniger begeistert aufgenommen werden in der Wirtschaft. Zum Beispiel das Ziel, die naturschädlichen Subventionen endlich zu beenden.
Wenige wissen, dass in jedem Jahr 540 Milliarden Dollar allein im Agrar- und Fischereibereich durch Subventionen darauf verwendet werden, nicht nachhaltige Nutzung zu fördern. Die Begründung ist, dass man versucht, Landwirten oder Fischern eine Existenz zu ermöglichen. Das Ausmaß der Naturschädigung führt aber dazu, dass die Ressource selbst auf Dauer zerstört wird. Es gibt bessere Lösungen.
Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen?
Sagen wir es so: Wir ringen darum, wie wir Landwirten ermöglichen können, Nahrungsmittel zu produzieren in einer Größenordnung, die acht Milliarden Menschen ernähren kann. Gleichzeitig verlieren wir jedes Jahr netto an Landfläche für den Ackerbau durch Zerstörung der Böden. Das ist so, weil wir mit einer kurzsichtigen Wirtschaftspolitik die Ausbeutung der Natur fördern. Das ist vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölkerung eine Strategie des Scheiterns.
Ein zentraler Punkt in Montreal wird die Frage sein, wie ein neues Abkommen finanziert werden kann. Vor allem um die direkten Unterstützungszahlen der reichen Länder an die biodiversitästreichen armen Südländer wird gerungen.
Wir sind heute an einem Punkt, wo wir anerkennen müssen, dass die Zerstörung der Natur der Kern der erfolgreichen volkswirtschaftlichen Industrialisierungsgeschichte Europas gewesen ist. Jeder Fleck dort wurde im Sinne der Landnutzung zutiefst verändert.
Aber wir verlangen von den ärmeren Ländern des Südens, ihren Naturreichtum zu schützen. Ist das verlogen?
Ein Land wie Brasilien fragt, ob es vor diesem Hintergrund nicht das Recht hat, einen Teil des Amazonas wirtschaftlich zu nutzen, der 30 bis 40 Prozent seiner Fläche bedeckt. Aber heute leben wir in einer Zeit, in der wir die Bedeutung eines weitgehend intakten Amazonas für den gesamten Planeten kennen. Wir wären gut beraten, wenn wir in internationalen Verhandlungen auch ein wenig mehr Anerkennung aufbringen würden, was Entwicklungsländer oft unter sehr schwierigen Voraussetzungen aus eigener Kraft geleistet haben.
Was heißt das mit Blick auf die Finanzfragen?
Die Wahrnehmung, dass Naturschutz nur stattfindet, wenn die reichen Länder den ärmeren etwas geben, ist völlig verfehlt. Wer zahlt denn für die ganzen Naturschutzsysteme, das Personal, das überall in Afrika, in Lateinamerika Naturschutz umsetzt? Das kommt aus den nationalen Budgets, von den Steuerzahlern dieser Länder. Was aus Sicht der Entwicklungsländer zunehmend frustrierend ist, ist, dass sie „globale Güter“ schaffen, aber sehr wenig dafür zurück bekommen. Wir profitieren letztlich von den Investitionen der Ärmsten und beteiligen uns immer noch nicht in der Form, wie es gerecht wäre.
Die Entwicklungsländer fordern 100 Milliarden Dollar pro Jahr an Hilfen von den reichen Industriestaaten. Ist das nicht nur recht und billig?
Es gibt eine objektive und eine subjektive Sicht auf diese Frage. Objektiv liegt dieser Betrag noch weit unter dem, was heute notwendig wäre, um die Investitionen, die in Entwicklungsländern schon vorgenommen werden, durch Mit-Investieren noch einmal auf ein ganz anderes Niveau zu heben. Es geht um das Ko-Investieren für den Erhalt der Natur, der natürlichen Ressourcen und der Artenvielfalt.
Und subjektiv betrachtet?
Ist es natürlich für einen Steuerzahler in Europa schwer nachzuvollziehen, wieso man mit seinem Geld den Erhalt des Regenwaldes in Papua-Neuguinea, Afrika oder Südamerika unterstützen soll. Aber das ist unsere Aufgabe, die Zusammenhänge und letztlich auch die Kosten des Nicht-Handelns aufzuzeigen.
Halten Sie die 100-Milliarden-Forderung auch für realistisch?
Die 100 Milliarden Dollar sind eine unterschätzte Größenordnung dessen, was notwendig ist, um die Natur und die Artenvielfalt zu erhalten. Diese Größenordnung wäre auch leistbar, wenn wir mehr Vertrauen ineinander schaffen, dass diese Investitionen auch wirklich effektiv umgesetzt werden. Wenn in einem Land wie Brasilien in den letzten vier Jahren viele der Vereinbarungen auf einmal auf den Kopf gestellt werden, die zum Erhalt des Amazonas getroffen wurden, dann zerstört das auch Vertrauen.
Das am stärksten beachtete Ziel für das Weltnaturabkommen ist das Vorhaben, künftig jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Wie wichtig wäre seine Verabschiedung?
Das wäre ein großer Schritt auf dem Weg anzuerkennen, dass der Schutz der Lebensräume und damit der Ressourcen darin für unser weiteres Überleben essentiell sind. Jeder Organismus, der in unseren Weltmeeren lebt, trägt nicht nur dazu bei, dass einige Krabben essen können, sondern dass wir alle Sauerstoff haben. 30×30 ist sicher ein Kernelement, um Arten, die vom Aussterben bedroht sind und Ökosysteme, die vor dem Kollaps stehen, zu erhalten. Wenn wir sie jetzt nicht schützen, dann haben wir sie nicht mehr. Wichtig bleibt aber, dass wir Natur und Arten letztlich überall mitberücksichtigen müssen. Natur- und Artenschutz muss auch da stattfinden, wo wir täglich die Natur nutzen.
80 Prozent der biologischen Vielfalt findet sich in Gebieten und Regionen, die von indigenen Bevölkerungen bewohnt sind. Was bedeutet das 30-Prozent-Ziel für sie?
Schutz heißt nicht immer, dass der Mensch ausgeschlossen wird oder dass wir Natur nicht nutzen können. Letztlich werden wir selber nicht überleben, wenn wir Natur nicht nutzen. Die Rechte von indigenen Völkern oder in ländlichen Regionen auch der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu schützen, ist zentral: als Menschenrechte und für die Bewahrung der Natur. Sie sind es, die für uns alle in der vordersten Linie die Natur nachhaltig nutzen und bewahren.
Aber sie werden übergangen, um Raum zu schaffen für das, was wir moderne Entwicklung nennen.
Das ist das Spannungsfeld, das wir beispielsweise im Amazonas erleben. Wir müssen wir uns klarmachen, dass jede Entscheidung für den Naturschutz auch eine Entscheidung ist, die Konsequenzen für Menschen und ganze Wirtschaftszweige hat. Deshalb darf man diese Entscheidung nicht nur aus einem Blickwinkel treffen.
Nicht nur aus dem Blickwinkel des Naturschutzes, meinen Sie?
Eine bittere Erfahrung mit Schutzgebieten war die Kolonialzeit. Naturschutz bedeutete da, dass die Eliten ungestört in Gebieten der Jagd nachgehen durften, während die lokale Bevölkerung ausgeschlossen wurde. Das markiert das perverse Ende einer gewissen Phase eines nur scheinbaren, letztlich verlogenen Naturschutzes.
Und heute?
Wir unterstützen als UNDP viele Länder dabei, Programme für Biodiversität und Artenschutz umzusetzen. Und wir erleben leider auch heute noch, dass manche Programme sehr stark aus der Naturschutz- und Biodiversitäts-Perspektive entwickelt wurden und in Konflikte geraten mit den traditionellen Nutzungsrechten der indigenen Völker.
Brauchen wir also gar keine völlig nutzungsfreien Gebiete?
Natürlich muss Naturschutz aufgrund von wissenschaftlich-ökologischen Erkenntnissen geplant und umgesetzt werden. Aber in dem Moment, wo es das Dasein eines Menschen oder einer ganzen Gemeinschaft betrifft, ist das Recht dieser Menschen vor allem der indigenen Bevölkerung – genauso wichtig bei der Entwicklung von entsprechenden Programmen.
Naturschutz darf also die Menschen nicht ausgrenzen?
Naturschutzgebiete nur in dem Sinne zu definieren, dass kein Mensch dort etwas tun darf, haben wir schon lange als reine Lehre abgelegt. Zu oft wurden unter dem Mantra 'Wir brauchen unberührte Gebiete' genau die Menschen vertrieben, die über Jahrhunderte hinweg die Natur durch ihre Form der nachhaltigen Nutzung mit erhalten haben. Dabei haben wir mit Konzepten wie den Unesco-Biosphärenreservaten sehr erfolgreich bewiesen, dass Mensch und Natur miteinander koexistieren können, einschließlich nachhaltiger Nutzung.
Sind die Rechte der indigenen Bevölkerungen im geplanten Abkommen ausreichend verankert?
Der Entwurf steckt Stand heute noch hinter vielen Klammern. Darin sind die Rechte durchaus klar ausgewiesen. Die Frage wird aber sein, ob die Staaten im Abschlussdokument einen Konsens finden, den Schutz der Interessen der indigenen Völker ausreichend sicherzustellen. Es wird in Montreal lange Nächte des Ringens um Formeln und Formulierungen geben. Es klingt für die Öffentlichkeit abstrakt, manchmal auch abstrus, wenn man sich stundenlang um ein Komma oder ein Adjektiv streitet. Aber es geht am Ende um Verpflichtungen, die Regierungen eingehen, nach denen sie am Ende bewertet und kritisiert werden.
Die politischen Ausgangsbedingungen für ein weitreichendes Abkommen sind nicht gerade ermutigend. Krieg, Rezession, Inflation und die Folgen der Corona-Pandemie: Viele Länder haben andere Prioritäten. Teilen Sie die Skepsis?
Wir erleben gerade vielfältige Krisen und sie bringen leider auch auch erhebliche Rückschläge für sehr sehr viele Menschen und Staaten. Unser neuer UNDP-Bericht zur menschlichen Entwicklung hat zum ersten Mal in seiner über 30-jährigen Geschichte zwei Jahre lang einen Rückschritt bei neun von zehn Ländern gemessen. Die Pandemie, aber auch jetzt der Krieg in der Ukraine, die Preisentwicklung auf den Weltmärkten, die Inflation und die Verschuldungsproblematik – all das potenziert noch einmal die Probleme.
Mit welchen Folgen für den Spielraum zugunsten eines ambitionierten Abkommens?
Für die Entwicklungsländer heißt das, dass kaum noch öffentliche Mittel zur Verfügung stehen und Investitionen in fortschrittliche Entwicklung, in Umwelt- oder Klimapolitik dadurch noch begrenzter sind als vorher.
Wir erleben gerade Stillstand?
Nicht nur das, wir gehen in vielen Bereichen rückwärts. Das ist gerade für Menschen, die in Armut leben, eine Existenzfrage geworden. Und zwar für Hunderte von Millionen Menschen. Meine Sorge ist aber auch, dass viele Regierungen in den reicheren Ländern in der gegenwärtig sehr komplexen Lage in Tagespolitik leider vor allem die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellen. Das geht meistens auf Kosten der Natur und der nächsten Generation, das hat uns die Geschichte gelehrt. Allerdings gibt es in der Krise auch eine Chance.
Wir sind gespannt zu hören, welche.
Eine Biodiversitätskonvention ist kein magischer Schlüssel zur Lösung aller Probleme. Aber diese Konvention ist eingebettet in die Ziele für nachhaltige Entwicklung. Und gerade die UNDP ist die Kerninstitution dafür, dass wir Probleme mit Lösungen angehen, die zum einen Naturschutz unterstützen und gleichzeitig die Lebensgrundlagen für Menschen verbessern. Wir können nicht im einen Augenblick nur Natur schützen und sagen, Menschen kommen später oder umgekehrt. Wir müssen beides zusammen machen. Und deshalb ist der einzig vernünftige Ansatz, Naturschutz, Artenvielfalt, Erhalt von Land, Wäldern, Meeren zu verbinden mit einer für die Menschen nachvollziehbare Entwicklungsperspektive.
Brasilien ist von unschätzbarer Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt auf dem Planeten und für den Klimaschutz. Sie haben in Ihrer Kindheit dort gelebt. Setzen Sie Hoffnung auf den Machtwechsel dort?
Brasilien ist als Gesellschaft wie viele andere durch verschiedene Interessen gespalten. Aber als Land ist sich Brasilien heute seiner Verantwortung, aber auch seiner Möglichkeiten bewusst, hier als Vorreiter und Beispiel voranzugehen.
Welchen Einfluss hat die Abwahl von Jair Bolsonaro?
Die Brasilianer haben mit Präsident Lula da Silva ein Staatsoberhaupt gewählt, das sich ein Jahrzehnt lang als Vorreiter in der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz des Amazonas profiliert hat. Ein Präsident Lula wird nach meiner Meinung sehr schnell und sehr konsequent wieder dort anknüpfen, wo er in seiner vorherigen Amtszeit aufgehört hat, zum Beispiel bei der Zusammenarbeit zum Erhalt des Amazonas.
Auch Sie persönlich sind als UNDP-Chef mit Krisenmanagement wahrscheinlich so sehr beschäftigt, wie nie zuvor. Wo finden Sie selber in der Natur Entspannung?
Ich lebe in New York, einer Stadt, die horizontal und vertikal zugepflastert ist mit Beton. Und selbst hier kann man Natur erleben und schätzen, selbst wenn sie nur in einem kleinen Park liegt. Für mich gibt es jeden Morgen einen solchen Moment, wenn ich eine kleine Taxifähre über den East River nehme. Im 19. Jahrhundert baute man die Gebäude zum Fluss hin ohne Fenster, weil es so gestunken hat. Heute sind die attraktivsten Apartments die mit direktem Blick auf den East River. Als Menschen übersehen wir die Natur zu oft und verpassen dabei ihre Genialität.
Genialität?
Vor einigen Jahren saß ich mit meinem Vater in einem Garten und wir betrachteten eine Eiche. Wir nahmen eine Eichel und haben uns überlegt, wie es sein kann, dass in dieser kleinen Eichel die gesamten Programmierung für diesen Riesenbaum transportiert wird, mit einer DNA, die all das ermöglicht, was aus dieser kleinen Eichel wächst, einschließlich eines Pumpsystems, das es schafft, ganz ohne Strom Wasser bis in die letzten Blätter weit über 20 Meter über dem Boden zu transportieren. Die Genialität von Natur ist überall um uns herum.
Im Projekt„Countdown Natur“berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchenmit einem Abonnementunterstützen.