Schicksalsjahr für die Natur: Verhandlungen zu globalem Abkommen stecken fest
Bundesregierung und Wissenschaft sind besorgt – digitale Verhandlungen für den Weltnaturschutzgipfel kommen nicht voran. Jetzt soll ein Sitzungs-Marathon helfen.
Auf dem UN-Weltnaturschutzgipfel sollen im Herbst die Weichen für den künftigen Umgang mit Natur und biologischer Vielfalt auf dem Planeten neu gestellt werden. Doch der Verhandlungsprozess stockt – auch, weil wegen der Corona-Pandemie die Unterhändlerinnen und Unterhändler digital um Lösungen ringen müssen statt zusammen am Tisch zu sitzen. Nun soll ein Marathon von Videokonferenzen den nötigen Schub bringen.
Es klingt nach guten Nachrichten für den globalen Naturschutz: Beim Gipfeltreffen von EU und China Ende April ging es nicht nur wie üblich um klassische Wirtschaftsfragen, sondern auch um das “Superjahr für die Natur”, zu dem 2021 werden soll.
EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius und der chinesische Minister für Ökologie und Umwelt, Huang Runqiu, verständigten sich nach Angaben der Kommission bei dem virtuellen Treffen darauf, mehr für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu tun als bislang.
China spielt entscheidende Rolle bei Klima- und Biodiversitätsschutz
„In diesem ‚Superjahr für die Natur‘ ist es von entscheidender Bedeutung, sich gemeinsam auf einen ehrgeizigen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt nach 2020 zu einigen“, sagte Sinkevičius mit Blick auf zwei UN-Umweltgipfel Ende 2021, die sicherstellen sollen, dass mehr als 190 Staaten der Erde gemeinsam eine gefährliche Erderhitzung und die fortgesetzt Auslöschung von Arten und Ökosystemen abwenden.
China spielt dabei eine entscheidende Rolle: Beim Weltklimagipfel (COP26) im November in Glasgow steht das Land als inzwischen wichtigster Verursacher von CO2-Emissionen im Fokus. Beim Weltnaturschutzgipfel (CBD-COP15), der neue Ziele für den Schutz und die Nutzung der Natur in den kommenden Jahrzehnten formulieren soll, ist China sogar Gastgeber.
Vom Erfolg des Gipfels hängt viel ab für das Leben auf der Erde. Denn die Konvention über biologische Vielfalt soll nicht weniger als die Erhaltung der Natur und ihrer Funktionen sicherstellen. Zugleich geht es darum, wie die Naturreichtümer der Erde nachhaltig genutzt werden können und wie finanzielle Vorteile aus der Nutzung der genetischen Ressourcen – etwa in Medizin, Lebensmitteln und chemischen Innovationen – gerecht zwischen artenreichen und wirtschaftsstarken Ländern verteilt werden.
Offizielle Vision: Mensch und Natur sollen in Einklang leben
Wie die diesjährige Klimakonferenz ist auch der Naturschutzgipfel alles andere als Routine. Beim Klimagipfel in Glasgow wird es darum gehen, die Staaten dazu zu bringen, ihren Versprechen im Weltklimavertrag Taten folgen zu lassen. Und in Kunming soll der „Post-2020 Biodiversitätsrahmen“ vereinbart werden. Die Einigung soll den Weg zu der von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Vision 2050“ ebnen: eine Welt, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander existieren. Die 2010 formulierte Vision ist selbst für die mit Pathos nicht sparsamen Vereinten Nationen wuchtig formuliert:
“Bis 2050 wird die biologische Vielfalt wertgeschätzt, erhalten, wiederhergestellt und klug genutzt, so dass die Ökosysteme ihre Leistungen erbringen können, ein gesunder Planet erhalten bleibt und alle Menschen von den Vorteilen profitieren können“, lautet das ultimative Ziel.
Katastrophale Zwischenbilanz der Staatengemeinschaft
Beim ersten Anlauf, dieses Ziel zu erreichen, ist die Staatengemeinschaft zwischen 2010 und 2020 krachend gescheitert.
In diesem ‚Superjahr für die Natur‘ ist es von entscheidender Bedeutung, sich gemeinsam auf einen ehrgeizigen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt nach 2020 zu einigen. (EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius)
In ihrem Globalen Ausblick zur Lage der Natur (GBO-5) stellten die Vereinten Nationen im vergangenen Herbst fest, dass kein einziges der 20 nach dem Konferenzort Aichi benannten Etappenziele auf dem Weg zur Verwirklichung der Vision 2050 erreicht wurde.
Die Staatengemeinschaft hat in diesen zehn Jahren
- das Artensterben nicht gestoppt
- umweltschädliche Subventionen nicht beseitigt
- die Belastung der Natur mit Schadstoffen sowie Fischfang und Jagd nicht auf ein verträgliches Maß reduziert
- die Zerstörung von Wäldern und anderen Lebensräumen nicht wie geplant gestoppt
- Land- und Meeresflächen nicht ausreichend unter Schutz gestellt
- die Produktionsketten und der weltweite Konsum nicht nachhaltig umgebaut
- die Landwirtschaft nicht zu einer lebensfreundlichen Wirtschaftsweise transformiert.
Die Liste der verpassten Ziele lässt sich um mehr als ein Dutzend weiterer gescheiterter Weichenstellungen für eine nachhaltigere Zukunft verlängern.
Auch die nationale Umsetzung der globalen Ziele in Deutschland verläuft bisher extrem schlecht.
„Der Verlust an biologischer Vielfalt hat ein beispielloses Tempo erreicht – das Leben auf der Erde als Ganzes ist in Gefahr“, sagte die Generalsekretärin der CBD, Elizabeth Mrema, bei der Vorstellung des Berichts. Die Menschheit stehe am Scheideweg und müsse die Frage beantworten, welches Erbe sie künftigen Generationen hinterlassen wolle.
Diese Antwort soll im Oktober in Kunming gegeben werden. Darüber, wie sie ausfallen soll, wird seit Monaten beraten.
„Was mit innerer Konferenz-Dynamik, Absprachen in Hinterzimmern, spontanen Treffen in kleiner Runde und auch direkten Eins-zu-Eins-Klartextansprache von Blockierern in Tagen gelingen kann, dauert virtuell Wochen oder Monate.“
Der aktualisierte Beschlussentwurf für den Gipfel, der sogenannte “aktualisierte Zero Draft”, gibt die generelle Linie vor, lässt aber viele entscheidende Fragen offen. Klar vereinbart ist nach dem Debakel mit den Aichi-Zielen, dass die neuen Ziele nicht dahinter zurückfallen dürfen und präziser gefasst sein müssen.
Zugleich sollen bessere Mechanismen erarbeitet werden, Fortschritte bei der Umsetzung zu messen, regelmäßig zu überprüfen und nachzusteuern. Dazu wird gerade ein neuer Monitoring-Rahmen erarbeitet. Davon, wie konkret und scharf dieser in seiner Endfassung ausfällt, wird viel abhängen.
Virtueller Konferenz-Marathon soll Fortschritte bringen
Zwischen Mai und Juni werden nun Vertreter der CBD und der Staatengemeinschaft in zwei Gremien diskutiereneinem für wissenschaftliche und technologische Beratung (SBSTTA) und einem für die Umsetzung (SBI). Damit der eigentliche UN-Gipfel überhaupt Chancen auf Erfolg hat, sind diese Vorverhandlungen entscheidend.
Die Vorbereitungen der Verhandlungen verlaufen bedingt durch die COVID-19-Pandemie verzögert. (Bundesumweltministerium)
Die beiden sogenannten Unterorgane sollen wiederum Input für die „Open-ended Working Group“ (OEWG) liefern, dem Gremium, das für den eigentlichen Naturschutzgipfel eine Beschlussvorlage schafft. Das dritte Treffen der OEWG ist für die erste Augustwoche im kolumbianischen Cali geplant, gut zwei Monate vor dem Gipfel in Kunming
Doch der Vorbereitungsprozess ist massiv ins Stocken geraten. Weil alle Sitzungen seit mehr als einem Jahr nur online stattfinden können, geht wenig voran, wie Mitglieder mehrerer an den Gesprächen beteiligter Delegationen übereinstimmend berichten. Die letzte physische Sitzung der OEWG – und damit die letzte eigentliche Verhandlungsrunde – fand im Februar vergangenen Jahres in Rom statt.
Werden Lehren aus der Pandemie gezogen?
Dabei hatten einige Beteiligte zu Beginn des Prozesses die Pandemie sogar als eine Chance gesehen, ehrgeizige Ziele zu vereinbaren. Denn viele Experten sehen eine Verbindung zwischen der Naturzerstörung und Pandemien. So könnten noch unbekannte hochgefährliche Viren aus Rodungsgebieten von Regenwäldern leicht in Metropolen gelangen und so die nächste Pandemie auslösen. Zudem bestand die Hoffnung, dass Online-Verhandlungen produktiver sein könnten als bisherige Formate.
„Wenn die Krise dazu führt, dass wir neue Wege entwickeln, internationale Abkommen zu verhandeln, weniger reisen und weniger Treibhausgase produzieren – umso besser“, sagte damals auch einer der beiden Chefunterhändler für das Abkommen, Basile van Havre, im Interview der RiffReporter.
Diese Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt.
Das Fehlen von Kungelrunden im Hinterzimmer schadet dem Prozess
„Die Vorbereitungen der Verhandlungen verlaufen bedingt durch die COVID-19-Pandemie verzögert“, erklärt beispielsweise das Bundesumweltministerium in zurückhaltendem Ton in seiner Information für die Mitglieder des Bundestags-Umweltausschusses zum Stand der Dinge. „Es hat sich ein Jahr lang faktisch fast nichts getan“, heißt es viel deutlicher in mit den Verhandlungen vertrauten Kreisen. „Alles steckt im Sumpf der virtuellen Formate fest.“
Einige Länder nutzten Online-Formate als Ausrede dafür, nichts zu entscheiden. Man könne nur bei realen Treffen Festlegungen treffen, argumentieren sie demnach. Vor allem kleinere und weniger entwickelte Staaten stellten die ausschließlich virtuellen Beratungen aber auch vor echte Probleme – angefangen bei schlechten Internetverbindungen in den ärmsten Ländern der Welt, wegen denen Vertreter immer wieder aus den digitalen Meetings fliegen. .
Gerade in zwischenstaatlichen Verhandlungen mit so vielen Beteiligten seien reale Treffen enorm wichtig, sagen Insider: . „Was mit innerer Konferenz-Dynamik, Absprachen in Hinterzimmern, spontanen Treffen in kleiner Runde und auch direkten Eins-zu-Eins-Klartextansprache von Blockierern in Tagen gelingen kann, dauert virtuell Wochen oder Monate.“
Die begrenzte Zeit bei Online-Meetings lasse zudem weniger Raum für Beiträge durch wissenschaftliche Beobachter und andere Gruppen, die erst nach den Staaten zu Wort kämen, sagt die Leipziger Biodiversitätsforscherin Andrea Perino vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv. Die Möglichkeit, schriftlich Input zu geben, könne das nur teilweise ausgleichen.
Um den Zeitplan bis Oktober noch halten zu können, hat sich das CBD-Sekretariat nun zu einem Marathon entschieden. Über sechs Wochen hinweg sollen die Beratungen der Gremien nun in täglichen Videokonferenzen fortgesetzt werden. Feiertage, andere Aufgaben der Beteiligten, Zeitverschiebungen zwischen den Ländern – das alles soll keine Rolle spielen. Allerdings ist die tägliche Verhandlungszeit auf drei Stunden begrenzt.
Gelingen die Vorarbeiten, soll die vorentscheidende dritte Sitzung der OEWG im August in Präsenz der Verhandlerïnnen stattfinden. Sollte dies pandemiebedingt aber nicht möglich sein, steht nach Einschätzung aus Verhandlungskreisen auch der Gipfel im Oktober wieder in Frage. Es wäre die dritte Verschiebung.
Kaum inhaltliche Fortschritte
Wegen dieser schwierigen Ausgangslage wagen auch Insider der Verhandlungen gegenwärtig keine Prognose darüber, ob es gelingen kann, bis Oktober wirklich die angekündigten „ambitionierten Ziele“ zu formulieren und Mehrheiten dafür zu gewinnen. Gegenwärtig könne schlicht noch keine Aussage darüber getroffen werden, „wie das Ambitionsniveau der einzelnen Staaten aussieht, welche Initiativen Erfolg haben werden und wo die Hauptwiderstände liegen“, heißt es in Verhandlungskreisen.
Das Fortbestehen fundamentaler Meinungsverschiedenheiten in Schlüsselfragen ist ein Grund für Besorgnis. (Earth Negotiations Bulletin)
Dass es aber nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich mächtig hakt, wurde aus der letzten Runde der informellen Beratungen im März ersichtlich. Der Fachinformationsdienst Earth Negotiations Bulletin (ENB) berichtete über große Differenzen in wesentlichen Fragen. Dies betreffe praktisch alle Kernbereiche einer Vereinbarung, darunter Finanzierung, Berichtspflichten, Überprüfungsmechanismen und Kapazitätsbildung für ärmere Staaten. „Fundamentale Differenzen“ gebe es aber nicht nur in den fachlichen Details.
Auch in der zentralen übergeordneten Frage danach, wie ambitioniert die Ziele für Schutz und Nutzung der Natur ausgestaltet werden sollten, habe keine Übereinstimmung hergestellt werden können. Zwar habe eine Mehrheit der Staaten sich dafür ausgesprochen, das Ambitionsniveau zu erhöhen, um in der Rahmenvereinbarung den Bedrohungen für die Natur wirksam begegnen zu können, berichtet das ENB.
Andere Staaten hätten dies aber mit dem Hinweis abgelehnt, es gehe nicht um höhere Ziele, sondern um eine wirksame Umsetzung. Entwicklungsländer ihrerseits hätten auf die Notwendigkeit einer besseren finanzielle Unterstützung und von Faktoren wie Technologietransfer hingewiesen. „Das Fortbestehen fundamentaler Meinungsverschiedenheiten in Schlüsselfragen ist ein Grund für Besorgnis“, bilanziert der Dienst.
„Es gibt sehr sehr viel Dissens unter den 196 Staaten in kritischen Punkten“, sagt auch Georg Schwede, der Europachef der Campaign for Nature, die die Verhandlungen eng begleitet und die über ihren privaten Stifter Hansjörg Wyss eine Milliarde Dollar zur Rettung der Biodiversität bereitstellt.
Eine Orientierung an den dramatischen Weckrufen der Wissenschaft, wie sie im Globalen Ausblick und dem Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES zum Zustand der Natur formuliert wurden, wollten nach seiner Einschätzung etwa die Hälfte der Staaten, sagt Schwede. Auch die Finanzierung des künftigen Biodiversitätsschutzes – und damit die größere Frage der Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd auf dem Globus – sei eine der großen Konfliktlinien. Wirklich wegweisende und zum Stopp des weltweiten Artensterbens ausreichende Ergebnisse zu erzielen, werde in den wenigen verbleibenden Wochen eine sehr große Herausforderung, glaubt der Naturschützer.
EU wegen Agrarsubventionen wenig glaubwürdig
Die europäischen Staaten und mit ihnen Deutschland fallen durch enorme Widersprüche zwischen Aussagen und Taten auf. Einerseits hat die Europäische Union mit ihrer Biodiversitätsstrategie eine auch im internationalen Vergleich sehr progressive Agenda für mehr Natur- und Umweltschutz vorgelegt. Diese solle auch die Grundlage der europäischen Verhandlungsposition bilden und könne „als Inspiration, aber auch als Lenkrad zu den richtigen Endergebnissen dienen“, wie EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius im Interview mit Countdown Natur sagte.
Länder holzen ihre tropischen Wälder nicht aus Spaß ab, sondern, um die Nachfrage nach Produkten aus den reichen Ländern zu befriedigen. (Andrea Perino, idiv)
Die EU sei bereit, bei den internationalen Verhandlungen über globale Biodiversitätsziele eine tragende Rolle zu spielen, versicherte er. An der Glaubwürdigkeit und damit an der Überzeugungskraft der europäischen Position gibt es jedoch erhebliche Zweifel. Denn die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU verpasst erneut den Systemwechsel hin zu einer ökologisch ausgerichteten Förderung der Landwirtschaft. Die EU konterkariert damit die Biodiversitätsstrategie auf den zentralen Schauplätzen der Öko-Krise in Europa: den Feldern und Äckern.
Nachfrage nach Tropenholz aus reichen Ländern
Immerhin können in der Umsetzung auf Mitgliedsebene einige Fortschritte erreicht werden. So werden in Deutschland künftig ein Viertel der EU-Direktzahlungen an Landwirte an Klima- und Umweltmaßnahmen geknüpft. Insgesamt treibt das weltweit größte Subventionsprogramm in der Landwirtschaft aber in weiten Bereichen das voran, was Wissenschaftlerïnnen unter dem Stichwort „biodiversitätsschädliche Subventionen“ von der Staatengemeinschaft als eines der Hauptprobleme bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt ausgemacht haben.
Auch die Leipziger iDiv-Biodiversitätsforscherin Perino weist auf den offenkundigen Widerspruch innerhalb der europäischen Politik hin. Einerseits, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Green Deal „von einem ‚Man-on-the-Moon-Moment‘ zu sprechen und auf der anderen Seite eine ökologische Reform der GAP nicht hinzukriegen, dürfte die Glaubwürdigkeit der EU als Vorreiterin beschädigen“, glaubt die Wissenschaftlerin.
In einer besonderen Verantwortung stehe Europa auch in der Frage, die Lieferketten nachhaltiger und ökologischer zu gestalten, sagt Perino. Schließlich holzten viele Länder ihre tropischen Wälder nicht aus Spaß ab, sondern, um die Nachfrage nach Produkten aus den reichen Ländern zu befriedigen.
Wie die EU-Kommission betont auch die Bundesregierung, sie sehe ihre Aufgabe beim Gipfel darin, einen ambitionierten globalen Rahmenplan durchzusetzen. „Dazu sind starke Umsetzungsmechanismen, Pandemieprävention durch Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen sowie die nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt … von herausragender Bedeutung“, heißt es eher unverbindlich in einem Briefing des Umweltministeriums an die Mitglieder des Bundestags-Umweltausschusses.
Alle Augen auf China gerichtet
„Der neue Biodiversitätsrahmen muss eine wirksamere und entschiedenere Umsetzung der ambitionierten Biodiversitätsziele ermöglichen: global, national und lokal“, schreibt das Umweltministerium Zudem müsse in Kunming erreicht werden, dass die Vereinbarung Maßnahmen beinhalte, die das Risiko mindere, dass künftige Pandemien durch menschliche Eingriffe in natürliche Ökosysteme entstünden.
Wie die vielen in den unzähligen Gesprächen, Verhandlungen und Foren gesponnenen Fäden aus unterschiedlichen Interessen miteinander verwoben werden und wie ambitioniert das Ergebnis des Weltnaturschutzgipfels am Ende ausfällt, hängt stark vom Gastgeber China ab. Der lässt sich bislang aber nicht in die Karten blicken.
In europäischen Verhandlungskreisen wird die Rolle des Gastgebers im bisherigen Verlauf jedoch als wenig hilfreich angesehen. "Alle Blicke richten sich nach China aber sie halten sich bedeckt", heißt es. Wie bei allen Gipfeln bestehe schon die Erwartung an das Gastgeberland, letztlich "die Kuh vom Eis zu holen und einen Erfolg sicherzustellen." Die Regierung in Peking lasse aber keine inhaltliche Positionierung erkennen.
Kernziel 30 Prozent der Erde unter Schutz
EU und Bundesregierung unterstützen eines der wichtigsten Vorschläge für den Gipfel, die Unterschutzstellung von jeweils 30 Prozent der Meeres- und Landflächen. . Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Januar den Beitritt Deutschlands zur sogenannten High Ambition Coalition verkündet, einer Gruppe aus rund 30 Staaten, die eine Vorreiterrolle für anspruchsvolle Ziele einnehmen wollen und sich unter anderem auf das 30-Prozent-Ziel verpflichten.
Auch Campaign-for-Nature-Vertreter Schwede zeigt sich zuversichtlich, dass dieses Ziel vereinbart werden kann. „Die Chancen dazu sind sehr hoch – auch, weil die Wissenschaft hier sehr klar ist, dass dies für den Klima- und den Artenschutz nötig ist und auch die ökonomischen Vorteile eines solchen Schrittes immer stärker in den Vordergrund rücken“, sagt Schwede. Die entscheidende Hürde sei es, eine Einigung auf eine tragfähige Finanzierung zu erreichen.
Ein weiterer ungeklärter Punkt bei dem 30-Prozent-Ziel ist, was es für die Territorien indigener Völker bedeutet, die im weltweiten Vergleich auch aufgrund von Schutzbemühungen ihrer Bewohnerïnnen ein hohes Maß an Biodiversität aufweisen. Indigene Interessenvertreterinnen fordern deshalb, die 400 Millionen Indigenen sollten nicht der westlichen Naturschutz-Systematik unterworfen werden, sondern einen eigenen Typus Schutzgebiet bekommen.
Gelingt der Schulterschluss zwischen Klima- und Naturschutz?
Zu den positiven Entwicklungen zählt, dass die beiden Gipfeltreffen für Biodiversität und Klimaschutz inhaltlich immer stärker zusammenrücken. Ausgerechnet durch die Pandemie-Verzögerung entstand in den letzten Monaten ein Zeitfenster, in dem die Idee eines Brückenschlages zwischen den UN-Konventionen erheblich an Zuspruch gewonnen hat. Das Stichwort dazu lautet "Nature-based Solutions" (siehe unseren Beitrag dazu).
Nicht nur wissenschaftlich sondern auch politisch hat sich viel getan in den vergangenen Monaten. Der Machtwechsel in den USA hat den Bemühungen um mehr Klimaschutz einen deutlichen Auftrieb gegeben. Mit einem Klimagipfel, bei dem 40 Staats- und Regierungschefs virtuell versammelt waren und auch über den Schutz der Biodiversität sprachen, startete Biden die internationale Umweltdiplomatie, die sein Vorgänger Trump torpediert hatte, neu.
Wird er auch dem Kampf um die Rettung der Natur nach vorne bringen? Dies erscheint möglich, auch wenn die größte Volkswirtschaft der Erde nicht Vertragspartei der UN-Konvention für biologische Vielfalt ist. Die Zustimmung dazu verweigerten nach dem Erdgipfel 1992 in Rio vor allem die Republikaner.
Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte nun auf Anfrage von Countdown Natur, die neue Regierung unterstütze die Ziele der Biodiversitäts-Konvention. Die Biden-Regierung sei entschlossen, weltweit führend im Kampf um die Erhaltung der biologischen Vielfalt aktiv zu sein.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.