Black Birders Week – wenn Vogelbeobachter gegen Rassismus kämpfen
Nach einem Zwischenfall im Central Park und dem Tod von George Floyd werben schwarze Naturfreunde in den USA um Anerkennung
Am selben Tag, an dem der inzwischen auf tragische Weise weltweitbekannte George Floyd in Minneapolis durch den Kniedruck eines Polizeibeamten einen grausamen Erstickungstod starb, hätte dem Vogelbeobachter Christian Cooper im New Yorker Central Park ähnliches passieren können. Cooper, ein hochgewachsener schwarzer Mann, war wieder einmal unterwegs, um die Vogelwelt in den „Rambles", einem eher naturwüchsigen Teil des Parks, zu genießen.
Dabei fiel ihm eine Frau auf, die ihren Hund frei laufen ließ. Cooper, engagierter Vogelbeobachter und Naturschützer (in diesem Video ab Minute 2:20), Comic-Autor und Redakteur für biomedizinische Schriften, wies die Frau auf die Leinenpflicht in diesem Teil des Parks hin. Er bat sie, für einen freien Auslauf in einen speziellen Teil des Parks zu gehen, was die – weiße – Frau ablehnte.
Der anschließende Streit ist auf einem Video dokumentiert, das in den darauffolgenden Tagen um die Welt ging und in großen Medien wie CNN und New York Times zu sehen war. Es zeigt, wie die Frau zunächst damit droht, Cooper bei der Polizei falsch zu beschuldigen und dann tatsächlich ihr Telefon zückt, die Polizei anruft und den Beamten sagt, dass sie und ihr Hund von einem „afro-amerikanischen Mann bedroht" würden.
Natürlich ist es die Pflicht der Polizei, dem Hilferuf einer Frau umgehend nachzugehen. Doch auch für einen durch und durch unschuldigen schwarzen Mann kann ein solcher Polizeieinsatz in den USA gefährlich sein, im Extremfall tödlich.
In Minneapolis, der Stadt, in der George Floyd ums Leben kam, zeigen neue Zahlen, dass Schwarze nur 20 Prozent der Bevölkerung stellen, aber 60 Prozent der Opfer von Polizeigewalt. Die Anschuldigung der Frau hätte sehr leicht dazu führen können, dass Polizeibeamte Cooper als akute Gefahr für Leib und Leben betrachten und entsprechend handeln. In zahlreichen Fällen haben schon kleine Gesten Schwarzer, die Polizisten falsch interpretierten – ein zu schneller Handgriff in die Jackentasche etwa, um Ausweispapiere zu zücken, der mit dem Griff zu einer Waffe verwechselt wird – zum Einsatz tödlicher Gewalt geführt.
Weil der Vorwurf gegen Christian Cooper völlig aus der Luft gegriffen war – der birder stellte keinerlei Gefahr für die Frau dar – führte das von der Schwester des Vogelbeobachters veröffentlichte Video zu einem Aufschrei des Entsetzens in US-Medien. Die Situation ging für Cooper selbst glimpflich aus, aber nicht für die Frau. Sie verlor aufgrund des Vorfalls ihren Job (was Cooper bedauert).
Schwarze Vogelbeobachter meiden ganze Gegenden
Ein Extremfall, eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände, ausgerechnet bei der vermeintlich harmlosesten aller Freizeitbeschäftigungen, dem Vogelbeobachten – zufällig mit einem Schwarzen als Opfer?
Weit gefehlt.
2013 veröffentlichte Drew Lanham, Professor für Wildtierökologie an der Clemson University, Dichter und leidenschaftlicher Vogelbeobachter, im Magazin Orion einen Beitrag mit dem Titel „Neun Regeln für schwarze Vogelbeobachter".
Regel 1 kann man noch teilweise als Ironie einstufen: Es gebe bei Vogelfestivals meist nur einen anderen schwarzen Teilnehmer. Dann wird es ernst: Man müsse als Schwarzer immer darauf gefasst sein, mit diesem anderen Schwarzen verwechselt zu werden. Eine Erfahrung, die Schwarze offenbar häufig machen: Weiße merken sich ihre Gesichter nicht, schauen nicht genau hin.
Die Regeln 2 bis 4 haben es dann vollends in sich:
Regel 2: „Hab immer Dein Fernglas dabei –und drei verschiedene Ausweispapiere. Du brauchst das Fernglas, um die Reiherente aus einer Gruppe von Berg- und Ringschnabelenten herauszupicken. Du brauchst die Ausweise, um die Polizei, das FBI, den Heimatschutz und den mit einer Taschenlampe ausgestatteten Wachmann davon zu überzeugen, dass Du kein Terrorist oder entflohener Sträfling bist.“
Regel 3: „Trag beim Vogelbeobachten niemals einen Kapuzenpulli. Niemals.“
Regel 4: „Nächtliches Vogelbeobachten ist tabu.“
Nach dem Vorfall im Central Park beschrieb Lanham in einem Interview mit dem Magazin Vanity Fair, was es für ihn heißt, Schwarzer und Vogelbeobachter zu sein: Schwarze hätten nicht die Freiheit, dorthin zu gehen, wo sie wollten und sich so frei zu verhalten wie Weiße. Sich diese Freiheit zu nehmen, könne sogar lebensgefährlich sein – dann zum Beispiel, wenn ein Weißer denke, das man als Schwarzer nicht an einen bestimmten Ort gehöre.
Selbst Schwarze in Uniform müssen sich rechtfertigen
„Man hat immer diese Schlacht im Inneren, soll ich da hingehen, soll ich nicht?“, sagte Lanham. Er fühle sich in der Natur unter Druck zu zeigen, dass er keine bösen Absichten hege. Während seine weißen Birder-Freunde abends überall hingehen könnten, um zum Beispiel Nachtschwalben zu beobachten, habe er sich klare Regeln gesetzt: Keine Gegenden mit einer Vielzahl von Südstaaten-Fahnen oder Trump-Fahnen zum Beispiel. „Das sind Warnsignale für mich.“
Bei einem Vortrag auf einer Konferenz der US-Naturschutzorganisation Audubon sprach Lanham von range maps, die er für sich benutze, mentalen Landkarten, auf denen eingetragen sei, wohin er gehen könne und wohin nicht. Das ist im Mittelteil dieses Videos zu hören.
Der Vogelbeobachter und Landschaftsfotograf Ricky L. Jones fasst das Problem von Rassismus in der Natur in einem bitteren Rat an Weiße zusammen: „Wenn Du draußen in der Natur einen schwarzen Vogelbeobachter siehst, sag‘ Hallo, statt umzudrehen und in eine andere Richtung zu gehen – ich verspreche, dass wir nicht beißen.“
"Viele Menschen gehen davon aus, dass man die Natur nicht mag, wenn man Schwarzer ist“, sagte der Biologe Alex Troutman zu CNN – und das obwohl zum Beispiel zum Schutz der ersten US-Nationalparks schwarze Soldaten, die sogenannten buffalo soldiers, eingesetzt worden seien. Als er selbst für den US Fish and Wildlife Service gearbeitet und dabei eine Uniform getragen habe, hätten ihm viele Menschen seine Rolle nicht abgenommen: „Sie fragten, warum ich hier sei und wollten meinen Ausweis sehen.“
„Es gibt kein post-rassistisches Amerika“, sagte Drew Lanham 2017. Die Probleme der Gesellschaft spiegeln sich auch im Vogelbeobachten wider. Traditionell ist es eine Domäne fast ausschließlich von weißen Männern. Doch schon seit längerem ist etwas in Bewegung. Einige Schwarze sind inzwischen als Vogelbeobachter prominent. So bietet etwa Jason Ward auf Youtube und in anderen Medien die wunderbare Serie „Birds of North America“ mit Anleitungen zum Vogelbeobachten. Der Brite David Lindo ist publikumswirksam als „urban birder“ aktiv.
Die Ereignisse im Central Park – verbunden mit dem grausamen Tod von George Floyd – haben nun zu einer Initiative geführt, die auf Twitter begonnen hat, aber seither schnell auch in anderen Medien aufgegriffen wird: Seit Sonntag läuft die „Black Birders Week“. Unter dem gleichnamigen Hashtag stellen sich auf Twitter schwarze Vogelbeobachterinnen und Vogelbeobachter vor und erzählen von sich, ihrer Liebe zur Vogelwelt – und auch von ihren Problemen mit Rassismus.
Zu den Initiatorinnen gehört Corina Newsome, eine 27 Jahre alte Frau, die an der Georgia Southern University gerade einen Master-Studiengang in Biologie absolviert und dabei Bedrohung und Schutz einer Unterart der Strandammer (Ammospiza maritima macgillivraii) erforscht. Als „Hood Naturalist“ hat Newsome weit über 50.000 Twitter-Follower, die sie über Vogel- und Naturschutzthemen informiert. Und über Rassismus.
Den Vögeln ist die Hautfarbe egal
Zwei Tage nach dem Vorfall im Central Park und dem Tod von George Floyd veröffentlichte sie ein Video auf Twitter, in dem sie Menschen dazu auffordert, mehr als nur „nicht rassistisch“ zu sein, sondern eben aktiv anti-rassistisch. Nur wenn man sich dem Rassismus entgegenstelle, verändere sich etwas zum Guten.
Die „Black Birders Week“ – offenbar die erste ihrer Art – trifft auf große Resonanz, die großen Naturschutzorganisationen wie Audobun geben den schwarzen Birdern eine Bühne – wohl wissend, dass sie selbst allzu lange auch Teil des Problems waren. „Viel zu lange wurde Schwarzen in den Vereinigten Staaten gesagt, dass Aktivitäten in der Natur nichts für sie sind“, kritisiert Newsome in ihrem Videoaufruf zur Aktionswoche.
Diese Zeiten sollen nun vorbei sein. Vielen Tweets im Rahmen der Kampagne bringen eine große Erleichterung zum Ausdruck, endlich als schwarze Birderin oder als schwarzer Birder öffentlich in Erscheinung zu treten, stolz darauf zu sein und Anerkennung dafür zu bekommen.
Es sind Geschichten von jungen Menschen aus Großstädten, die nie geglaubt hätten, mal in freier Natur zu übernachten, von schwarzen Frauen, denen gesagt wurde, dass Camping einfach nichts für sie sei – und vor allem auch von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Naturschutz, der Ökologie und der Ornithologie ihre Berufung gefunden haben.
Inmitten der landesweiten Proteste gegen Rassismus schicken die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Black Birders Week und alle, die sie unabhängig von ihrer eigenen Hautfarbe unterstützen, ein klares Signal: Die Natur ist für alle da. Dass so eine Aktion überhaupt nötig ist, erscheint natürlich traurig. Umso wichtiger ist es aber, dass sie stattfindet.
Christian Cooper, der mit seiner riskanten Konfrontation im Central Park die ganze Sache ins Rollen gebracht hat, ist längst zurück in den „Rambles“ – mit dem Fernglas um den Hals. „Wir sollen hier draußen sein“, sagte er der New York Times, „die Vögel gehören zu uns allen. Den Vögeln ist es egal, welche Hautfarbe jemand hat.“
Eine Auswahl von Tweets aus der „Black Birders Week“
Am 4. Juni läuft die Aktion unter dem Hashtag #BirdingWhileBlack und am 5. Juni unter dem Hashtag #BlackWomenWhoBird.