Klimaschutz durch CO₂-Kompensationen: Gut meint ist hier nicht gut gemacht

Ausgleichszahlungen sollen das Klima dort schützen, wo sich Emissionen derzeit nicht vermeiden lassen. Studien zeigen: Das gelingt nur selten wirklich.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
4 Minuten
Flugzeug am Himmel

Flugscham, dieser Begriff entstand vor einigen Jahren in der Klimaschutzbewegung. Er beschreibt das schlechte Gewissen, sich trotz der Klimakrise für eine Flugreise zu entscheiden. Inzwischen kann man sein Gewissen erleichtern und die so verantworteten Emissionen gegen Bezahlung kompensieren lassen. Doch systematische Auswertungen zeigen: Kompensationsprojekte erzielen nur ein Sechstel der versprochenen Klimaschutzeffekte.

Was ist die Idee hinter CO2-Kompensationen?

Manche Treibhausgasemission lässt sich heute noch nicht vermeiden. Dazu zählen neben den Kerosinabgasen eines Flugzeugs zahlreiche Industrieprozesse. Selbst dort, wo klimaneutrale Prozesse technisch möglich wären, sind sie es manchmal nicht, weil der Strommix noch Strom aus fossilen Energien enthält. Wenn sich an dieser Stelle also Emissionen nicht vermeiden lassen, warum dann nicht zum Ausgleich an anderer Stelle für Klimaschutz sorgen? Daraus entstanden ist das „Carbon Crediting“, ein Handel mit käuflichen Emissionsvermeidungen.

Wie sollen Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden?

Grundsätzlich gibt es drei Ansätze: CO2 kann mit technischen Methoden aus der Luft herausgefiltert und dauerhaft eingelagert werden. Bislang sind die Kapazitäten dafür verschwindend gering. Die zweite Möglichkeit besteht darin, natürliche Prozesse zu fördern, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden, etwa indem man Wälder aufforstet oder Humus bildet. Eine dritte Option ist es, Klimaschutzprojekte zu fördern, die Emissionen verringern. Ein bekanntes Beispiel ist die Bereitstellung effizienter Kochöfen in Ländern des Globalen Südens, wodurch weniger Wald für Brennholz gefällt wird und weniger Holzkohle verfeuert.

Was sind die Probleme mit CO2-Kompensationen?

Eine wissenschaftliche Analyse im Fachjournal Nature Communications, die 65 Studien zu Kompensationsmaßnahmen ausgewertet hat, summiert darin Gutschriften für CO2-Emissionen im Umfang von rund einer Milliarde Tonnen CO2-Äquivalenten, etwa drei Prozent der globalen Emissionen des Jahres 2023. Allerdings ist dieser Zertifikate-Markt uneinheitlich und intransparent, sodass sich kaum sagen lässt, wie groß er tatsächlich ist.

Es gibt jedoch zwei wichtige Kritikpunkte: Zum einen beruhen die versprochenen Emissionsminderungen auf unsicheren Schätzungen. Zum anderen stellt sich oftmals die Frage, ob entsprechende Projekte nicht auch ohne Erlöse aus den Kompensationszertifikaten realisiert worden wären.

Welche Daten gibt es zur Wirksamkeit?

Besagte Analyse wurde im November 2024 von einem internationalen Team unter deutscher Beteiligung veröffentlicht. Sie ist wahrscheinlich die größte, fachlich belastbare Auswertung des Kompensationsmarkts – und ihr Urteil ist vernichtend: Nur 16 Prozent der weltweit ausgestellten Zertifikate resultieren aus real verringerten Emissionen.

Blick über eine Leitplanke auf Windkraftanlagen, zwischen denen Solarmodule aufgereiht sind
Wind- und Solarparks sind heute so wirtschaftlich, dass die meisten Projekte auch ohne die Unterstützung durch Kompensationszahlungen gebaut würden.

Effizientere Kochherde etwa vermeiden nur ein Neuntel der von den Projektplanern behaupteten CO2-Emissionen. Waldschutzprojekte binden im Mittel nur ein Viertel der CO2-Mengen, für die die Anbieter Zertifikate erstellen. Darin ist noch nicht berücksichtigt, dass auch solche Kompensationswälder Waldbränden, Stürmen oder Schädlingen zum Opfer fallen können und dann sämtliche Klimaschutzwirkung verloren geht.

Wie kommt es zu den enormen Abweichungen?

Bei den effizienten Kochherden zeigte sich, dass viele Haushalte unabhängig von den Kompensationsprojekten moderne Öfen angeschafft hätten. Gleichzeitig nutzen Haushalte häufig den alten Ofen parallel weiter oder kehren infolge mangelnder Akzeptanz oder technischer Probleme zum alten Ofen zurück. Wieder andere kochen aufgrund der größeren Effizienz mehr als früher. Nicht zuletzt berechnen Anbieter die Effizienz der Öfen unter Laborbedingungen, die davon abweichen, wie die Öfen real genutzt werden. Auch der Anteil nicht-nachhaltiger Brennstoffe der alten Öfen wird gerne überschätzt, damit der Klimanutzen eines Austausches besonders groß erscheint. Beim Waldmanagement in den USA wollten die Projekte Praktiken etablieren, durch die in den Wäldern mehr Kohlenstoff gespeichert wird, etwa seltenere und schonendere Holzernten und mehr Aufforstung, insbesondere mit Baumarten, die viel Kohlenstoff binden. In der Praxis hätten viele Waldbesitzer auch ohne Kompensationsprojekte diese Praktiken eingeführt. Außerdem haben Projektbetreiber oft Forste ausgesucht, in denen zuvor wenig Holz geerntet wurde. Dadurch wurde das künftige Potenzial zur CO2-Bindung unrealistisch hoch angesetzt. Unterm Strich nutzte es dem Klima nicht, das Waldmanagement über die gezahlten Kompensationen zu verbessern.

Genauso wirkungslos blieben der Studie zufolge Zertifikate aus dem Windkraftausbau in China: Praktisch alle Anlagen wären aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit sowieso errichtet worden.

Was bedeutet das für Kompensationsprojekte?

Die Autor:innen der Studie resümieren, dass der Markt für freiwillige und verpflichtende Kompensationen ohne signifikante Reformen nicht in der Lage sein werde, die Pariser Klimaziele zu unterstützen. „Für mich sind die Ergebnisse weder überraschend noch neu“, kommentiert Carsten Warnecke, Experte für internationale Kohlenstoffmärkte und Klimapolitik am New Climate Institute in Köln, der nicht an der Studie beteiligt ist. Es sei aber trotzdem bemerkenswert, dass die Situation so schlecht sei und sich trotz aller Versprechen und Bemühungen nicht gebessert habe. Daran werde sich laut Warnecke wenig ändern: „Die letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass ein durchsetzbares Regelwerk auf internationaler Ebene in diesem Bereich reines Wunschdenken ist.“ Etwas positiver bewertet der ebenfalls an der Studie nicht beteiligte Klimapolitikexperte Gunter Bensch vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen die Ergebnisse. So seien einige Zulassungskriterien und Berechnungsmethoden der Projekte bereits angepasst worden – auch wenn diese unzureichend seien und die Ergebnisse der Analyse weiterhin gültig. Trotz dieser Kritik sieht der Forscher einen Nutzen in Emissionsgutschriften aus Kompensationsprojekten: „Carbon Crediting ist ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz, da es Emissionseinsparungen dort ermöglicht, wo sie am kostengünstigsten sind.“

Wie hoch ist der Schaden einer Tonne CO2?

Apropos Kosten: Laut Umweltbundesamt verursachte eine Tonne CO2 im Jahr 2024 Schäden in Höhe von 300 Euro. Bezöge man die Wohlfahrtseinbußen heutiger und künftiger Generation mit ein, läge der Wert bei 860 Euro. Gestärkt wird diese Sichtweise durch eine aktuelle Studie im Fachjournal PNAS unter Beteiligung des Hamburger Exzellenzclusters CLICCS. Darin errechnen die Forscher:innen nach Auswertung von 147 Studien die Folgekosten einer Tonne CO2 im Jahr 2020 mit mindestens 270 Euro. Die Bundesregierung hat den Preis für eine Tonne CO2 im deutschen CO2-Handelssystem für das Jahr 2025 auf 55 Euro festgesetzt. Kompensationsprojekte kalkulieren oft mit 25 Euro, um eine Tonne CO2 zu vermeiden.

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