Jugendliche in Deutschland wollen mehr über Biodiversität wissen
Studie belegt ausgeprägtes Natur-Bewusstsein
Für mehr als zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland gehört Natur zum guten Leben dazu – ohne Wenn und Aber. Dazu kommen noch 26 Prozent, die diese Aussage ‚eher‘ für zutreffend halten. Die Natur zu schützen sehen 65 Prozent ohne Einschränkungen als Pflicht des Menschen an, und ein weiteres gutes Viertel teilt diese Auffassung tendenziell. Zwei Drittel halten die Energiewende für richtig. Die meisten stehen Gentechnik in der Landwirtschaft skeptisch gegenüber. Das sind einige der Ergebnisse der ersten Jugend-Naturbewusstseinsstudie des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).
„Die jungen Leute sind die Erwachsenen und die Entscheidungsträger von morgen, “ sagte BfN-Präsidentin Beate Jessel, als sie die Studie bei einer Pressekonferenz vorstellte. Es sei deshalb interessant zu erfahren, welche “ganz speziellen Denkmuster, Naturwahrnehmungen, auf die wir natürlich auch mit unserer Naturkommunikation im Naturschutz reagieren sollten“ bei den Jugendlichen zu finden seien.
Im Sommer 2020 befragten Forscherïnnen 1000 repräsentativ ausgewählte Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren.
Nahezu neun von zehn der Befragten gaben an, dass der Aufenthalt in der Natur sie glücklich mache. Naturbewusstsein ist aber nicht nur eine passive Angelegenheit. Viele Jugendliche wollen auch mehr über die Natur wissen und sich für sie einsetzen.
Die meisten Jugendlichen wissen vom Artensterben
Der dramatische Verlust an biologischer Vielfalt ist eine Tatsache, auf die Wissenschaftlerïnnen, Naturschützerïnnen und Umweltpolitikerïnnen seit vielen Jahren hinweisen. Offenbar haben ihre Erkenntnisse die jungen Menschen erreicht. Annähernd drei Viertel (72 Prozent) gaben an, dass sie vom globalen Rückgang der Biodiversität überzeugt seien.
Sie sind bereit, mehr über das Thema zu lernen. Gut sechs von zehn würden gerne mehr Arten von Tieren und Pflanzen kennen. Säugetiere wecken das meiste Interesse, zeigte eine Liste von Tieren und Pflanzen, aus der die Jugendlichen jeweils drei Gruppen auswählen sollten. Ihr Säugetierwissen wollten gut die Hälfte (52 Prozent) erweitern. Bäume und Vögel folgten mit 42 und 41 Prozent. Mehr Kenntnisse über Blütenpflanzen wurden von 39 Prozent, über die Gruppe der Reptilien und Amphibien von 34 Prozent gewünscht. Über Fische, Insekten und über Pilze wollten jeweils knapp ein Viertel der Befragten mehr wissen.
Junge Menschen möchten mehr Arten in der Schule kennenlernen
Auch bei den Institutionen, von denen die Jugendlichen erwarten, mehr über Biodiversität zu lernen, konnten sie aus einer Liste drei Favoriten auswählen. Als der mit Abstand gefragteste Lernort stellte sich die Schule heraus. Von ihr erwarten 67 Prozent einen höheren Erkenntnisgewinn.
Auch wenn das BfN für Schule nicht zuständig sei, fordere es nachdrücklich, dass Biodiversität breit in den Lehrplänen verankert werde, erläuterte seine Präsidentin Beate Jessel: „Es ist natürlich sehr wichtig, dass Jugendlichen nicht nur Physik- und Chemieunterricht oder in der Biologie molekulare Prozesse vermittelt wird, sondern, dass eben auch handfeste Artenkenntnisse vermittelt werden.“
Die nächsten Institutionen auf der Hitliste der Lernorte für Biodiversität sind Internet, Zoos und digitale Medien. Davon wollen jeweils knapp ein Drittel der Jugendlichen mehr über Artenvielfalt lernen, vom Fernsehen und Führungen in der Natur ein Viertel.
Viele Jugendliche gehen für Natur und Umwelt auf die Straße
Der überwiegenden Mehrzahl der Jugendlichen ist klar: „Die Natur darf nur in dem Umfang genutzt werden, dass dies auch für die kommende Generationen im gleichen Umfang möglich ist.“ Für 61 Prozent trifft diese Aussage voll und ganz, für ein weiteres knappes Drittel (27 Prozent) tendenziell zu.
„Wir waren selber überrascht, dass uns ein Drittel gesagt hat: Wir waren schon einmal auf einer Demo, um uns für Natur-, Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen“, erläuterte Beate Jessel. „Und bei der Gruppe, die das noch nicht getan hat, haben zwei von drei Jugendlichen gesagt: Ja, wenn es ein entsprechendes Angebot gibt, können wir uns vorstellen, selber mit auf die Straße zu gehen.“ Zudem seien viele der Befragten bereit, ihr eigenes Verhalten zu ändern, um Natur und Umwelt zu schonen, zum Beispiel durch Verzicht auf Fleisch und auf Kosmetika mit Mikroplastik.
In den Augen der meisten Jugendlichen ist Naturschutz eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, die als Kollektiv mehr erreichen kann als die Einzelnen. Wenn es darum geht, wer mehr Verantwortung für den Schutz der Natur übernehmen soll, steht die Politik an erster Stelle. Aber die Jugendlichen sehen des Weiteren auch Umwelt- und Naturschutzorganisationen, Land- und Forstwirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft stark in der Pflicht.
Digitalisierung und Naturschutz
Die befragten Jugendlichen gelten als „digital natives“, sind also mit Medien und Werkzeugen der digitalen Kommunikation aufgewachsen. Annähernd die Hälfte (49 Prozent) sieht in der Digitalisierung Chancen – im allgemeinen. Wenn es hingegen speziell um Digitalisierung im Naturschutz geht, zeigt sich ein anderes Bild: Für 27 Prozent ist Digitalisierung im Naturschutz mit Risiken verknüpft, für 31 Prozent mit Chancen, mehr als ein Drittel sieht teils Chancen, teils Risiken.
Gleichwohl finden 71 Prozent, der Naturschutz solle die Chancen der Digitalisierung stärker nutzen. Knapp zwei Drittel der befragten Jugendlichen können sich vorstellen, eine App zu nutzen, die sie über Naturgefährdungen und Erfolge des Naturschutzes informiert, sowie ihnen Anregungen gibt, was sie für die Natur tun können.
Die Umfrage haben Wissenschaftlerïnnen von Sozial- und Meinungsforschungsinstituten und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zusammen mit Mitarbeiterïnnen des BfN geleitet, erhoben und ausgewertet.
Natur ist für junge Leute in Corona-Zeiten wichtiger geworden
Nach der ersten Befragung im Sommer 2020 erweiterten sie im November die Perspektive. Mit einer weiteren Umfrage brachten sie in Erfahrung, wie sich die Corona-Krise auf die Beziehung der jungen Menschen zur Natur auswirkt. Diesmal richtete sich die Befragung.
52 Prozent der Befragten hielten sich während der Corona-Krise häufiger in der Natur auf als vorher. Viele finden draußen Gelegenheit zum Stressabbau, Ablenkung und einen Ort für Sport und Bewegung. Für 52 Prozent ist die Natur in der Corona-Pandemie wichtiger als vorher. Und ein Drittel der jungen Leute sieht einen Zusammenhang zwischen der Pandemie und Problemen im Umgang des Menschen mit der Natur wie etwa Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt.an 1000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 24 Jahren.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.