Wie viel leichter es ist, ein Ökosystem zu ruinieren, als es zu betreiben
Die US-Journalistin Elizabeth Kolbert beschreibt in ihrem neuen Buch "Wir Klimawandler" die Tragik der Naturzerstörung
Die US-Journalistin Elizabeth Kolbert hat es zu ihrem Lebensthema gemacht, darüber zu berichten, wie wir Menschen Natur und Klima der Erde verändern. In zahlreichen ebenso ausführlichen wie akribisch recherchierten Reportagen für das Magazin “The New Yorker” hat sie in den vergangenen zwanzig Jahren die ökologische Krise beschrieben, die nicht nur für Tier- und Pflanzenarten, sondern vor allem für uns selbst gefährlich ist. Für ihre unermüdliche Berichterstattung hat Kolbert unter anderem den Pulitzerpreis erhalten. Standen ihre Warnungen früher unter dem Verdacht des Alarmismus, so werden sie heute Realität.
Es wäre plausibel gewesen, wenn Kolbert nun in einem Opus magnum die tieferen Probleme hinter Umwelt- oder Naturzerstörung analysieren und von hoher Warte aus Lösungswege für die Umweltkrise aufzeigen würde. Doch in “Wir Klimawandler” bleibt Kolbert dem Profil einer Reporterin treu, die genau beobachtet und beschreibt, aber dem Leser und der Leserin nichts verschreibt.
Das Buch versammelt eine Serie von Reportagen, die auf jeweils eigene Weise die komplizierte neue Beziehung von Mensch und Natur beleuchten. Den roten Faden der Reportagen bildet die naturwissenschaftliche Diagnose, dass wir Menschen die Erde bereits tiefgreifend und langfristig genug verändert haben, um eine neue, nach uns benannte Erdepoche einzuläuten, das Anthropozän.
Kontrolle der Naturbeherrschung
Manche der grundlegenden menschgemachten Veränderungen gelten längst als normal, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Im ersten Kapitel beschreibt Kolbert ausführlich, wie an der Schwelle zum 20. Jahrhundert der Bau eines einzelnen Kanals die Hydrologie der gesamten Vereinigten Staaten grundlegend verändert hat. Ziel war es, die immensen Mengen an Abfällen und Abwässern von Chicago aus dem Lake Michigan fernzuhalten. Der „Sanitary and Ship Canal“ tat aber mehr: Er verband das Wassereinzugsgebiet der Großen Seen, das in Kanada in den Atlantik mündet, mit dem Einzugsgebiet des Mississippi, der in den Golf von Mexiko fließt.
120 Jahre später ist der Kanal nun ein biologischer Highway der besonderen Art: Es besteht die Gefahr, dass aus Asien eingeführte Silberkarpfen, die in den Zuflüssen des Mississippi zur Plage geworden sind, in die Großen Seen gelangen. Kolbert besichtigte die Sperranlagen, an denen elektrischer Strom das Vordringen der Tiere verhindern soll und besuchte Menschen, die die Karpfenplage damit zu begrenzen versuchen, die Tiere in allen erdenklichen Formen für Mensch, Haus- und Nutztiere essbar zu machen.
Kolbert sieht in ihnen Symbole unserer komplizierten Naturbeziehung: Angetreten, die Natur zu kontrollieren, sind wir Menschen dazu verurteilt, die Folgen unseres Tuns in Zaum zu halten. „Es geht weniger um die Beherrschung der Natur als um die Kontrolle der Naturbeherrschung“, schreibt Kolbert.
Ein Fisch in der Wüste
An weiteren Stationen wie den Feuchtgebieten von Louisiana, dem Lebensraum eines Wüstenfisches in der Sierra Nevada, oder den darbenden Korallenriffen in der Karibik und vor Australien legt Kolbert ähnliche Verwicklungen frei. So wie darüber diskutiert wird, den Sanitary and Ship Canal wieder zu verschließen, was 18 Milliarden Dollar kosten würde, steht Louisiana vor der Frage, ob man angesichts von Landverlust und Überschwemmungsgefahr Städte wie New Orleans wird aufgeben oder zu einer Ansammlung von Hausbooten wird verwandeln müssen.
Wie riesig der Aufwand sein kann, einmal gestörte Natur zu erhalten, erzählt Kolbert anhand einer kleinen Fischart namens Teufelsloch-Wüstenkärpfling, die inmitten größter Hitze und Trockenheit als evolutionärer Sonderfall überleben konnte – bis der Mensch kam und das Ökosystem störte. Nun wird ein geradezu grotesk wirkender Aufwand betrieben, die Art zu erhalten.
Kolbert scheut in ihrer Schilderung vor keinem noch so absurden (und amüsanten) Detail der Rettungsbemühungen zurück, um trocken zu folgern: „Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, wie viel leichter es ist, ein Ökosystem zu ruinieren, als es zu betreiben.“ Dies trifft auch auf Bestrebungen zu, die unter Versauerung und Erwärmung der Meere leidenden Korallen künstlich mit menschlicher Hilfe zu vermehren.
In derlei Naturschutzbemühungen erkennt Kolbert den guten Willen der Beteiligten und würdigt ihn. Mehr noch aber sieht sie darin die Umrisse einer „Natur der Zukunft“, deren Existenz vom Menschen abhängen wird. Eigentlich ist das ein Widerspruch in sich, aber genau dies zeichnet das Anthropozän aus: Naturzerstörung macht uns immer abhängiger von der Natur und zudem in wachsendem Maß verantwortlich dafür, dass das, was wir von der Natur wollen, noch funktioniert.
Erst im letzten Drittel des Buchs schwenkt Kolbert zum titelgebenden Klimawandel. Nicht mit den allseits bekannten Bemühungen, CO2-Emissionen zu reduzieren, beschäftigt sie sich, sondern mit Versuchen, das zu erreichen, was eigentlich nötig ist: sogenannte negative Emissionen, also Wege, nicht nur weniger oder kein CO2 zu emittieren, sondern das Treibhausgas wieder aus der Atmosphäre zu entfernen.
Grundgefühl der Ausweglosigkeit
Auf Island besucht sie dazu ein Projekt, bei dem Kohlendioxid in Vulkangestein verpresst wird, um mit diesem zu reagieren und zu Stein zu werden. Doch der Aufwand wäre gigantisch, die Technologie in globalem Maßstab und in den nötigen Mengen anzuwenden. Ebensowenig Grund zur Hoffnung findet Kolbert in den Forschungsarbeiten für eine künstliche Abkühlung der Erde durch eine Schicht aus Schwefelpartikeln, wie Vulkane sie freisetzen.
Die Protagonisten des sogenannten Geoengineering lässt sie ausführlich zu Wort kommen, präsentiert dann aber als Schlüsselszene die Aussage einer Kritikerin: „Nach all dem, was du über die Natur weist, müsste es funktionieren. Aber dann machst du es, und es geht komplett nach hinten los, und es passiert etwas völlig anderes.“
Über 218 Seiten hinweg kann der Leser aus spannenden und auf höchstem journalistischen Niveau geschriebenen Schilderungen viel über die Versuche lernen, eine stark beschädigte Natur am Leben zu erhalten. Dass sich dabei ein Gefühl von Aussichtslosigkeit breit macht, passt zu Kolbert. Denn ihre publizistische Grundstimmung ist seit langem düster.
Von ihr stammt zum Beispiel die Aussage, man solle die Wörter „Anthropozän" und „gut" nie in einem Satz verwenden. Was auch immer wir machen, so scheint es, die von uns selbst betriebene Vertreibung aus dem ökologischen Paradies läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Das Buch transportiert ein Grundgefühl der Ausweglosigkeit, die Protagonisten sind durchweg tragische Figuren.
Eine unlösbare Situation nach der anderen
Natürlich ist Pessimismus ein naheliegendes Sentiment – aber zugleich verstärkt das einen Fatalismus, der sich als zweiter roter Faden neben dem Anthropozän durch das Buch zieht. Ein Fatalismus, der von real vorhandenen Lösungen und Handlungsmöglichkeiten ablenkt.
So hätte Kolbert zum Beispiel, statt eine unlösbare Situation nach der anderen zu beschreiben, sich einem System widmen können, das gleichzeitig CO2 speichert, die Umgebung kühlt, Trinkwasser produziert und Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet.
Die weltweiten Bemühungen zum Schutz und zur Regeneration dieses nicht von Ingenieuren, sondern von der Natur entwickelten Systems namens „Moor” wären, um die Natur der Zukunft zu beschreiben, ein lohnendes Sujet gewesen. Besinnt sich die Menschheit auf das dringend Machbare, könnten wiedervernässte Moore einen erheblichen Beitrag zum Klima- und Naturschutz leisten und die „Natur der Zukunft” prägen, die der Untertitel von Kolberts Buch beschwört.
Lohnenswert ist die Lektüre von „Wir Klimawandler” allemal. Wünschenswert wäre von dieser so erfahrenen wie herausragenden Reporterin aber ein Buch, das gangbare Auswege aus der ökologischen Krise aufzeigt, Menschen vorstellt, die echten Lösungen auf der Spur sind und der Frage nachgeht, ob die Wörter „Anthropozän” und „gut” vielleicht doch zusammenpassen könnten.