Meeresschutz beginnt an Land: Wie Menschen an der Schlei ihre Nährstoffkreisläufe schließen wollen

Der Meeresarm Schlei in Schleswig-Holstein ist seit Jahrzehnten schwer mit Phosphor und anderen Nährstoffen belastet. Nun arbeiten Landwirte, Wissenschaftlerinnen und weitere Akteure daran, aus dem „Sorgenkind“ eine „Modellregion“ zu machen.

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Blick auf hügelige Landschaft, trockene Wiesen, ein Windrad

„Das ist unser Schmuckstück“, sagt Matthias Böldt über die wässrige Wiesenlandschaft gleich hinterm Deich bei Borgwedel in Schleswig-Holstein. Fünfundzwanzig Hektar Land, ehemals intensiv landwirtschaftlich genutzt, sollen wieder zum Feuchtgebiet werden. Das alte Pumpwerk ist abgestellt, in einigen Jahren soll der alte Deich geöffnet und so eine Verbindung geschaffen werden zur Schlei, dem langen Arm der Ostsee, der hier weit ins Land reicht.

Böldt arbeitet beim Naturpark Schlei und ist dort für das Heranwachsen des neuen Schmuckstücks mit verantwortlich. Ziel des Projekts ist es nicht nur, artenreiche Salzwiesen als wichtigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen wiederherzustellen. Die neuen Feuchtgebiete sollen auch helfen, ein Problem zu lösen, das auch viele andere Gewässer in Europa plagt. Denn Jahr für Jahr rinnt ein steter Strom an Phosphor und anderen Nährstoffen von den umliegenden Äckern in die Schlei und weiter in die Ostsee und macht dort den Meeresbewohnern das Leben schwer. Die neuen Feuchtwiesen sind ein wertvolles Sammelbecken für die überschüssigen Nährstoffe und helfen so beim Meeresschutz.

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Die Wiedervernässung am Schleiufer bei Borgwedel ist eines von vielen Projekten im Naturpark. Doch deutlicher als in dieser Niederung am Übergang zwischen Land und Meer kann man kaum zeigen, wie sich die Risikoabschätzung in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten verschoben hat.

Lange war das Wasser die vordringliche Gefahr, die mit Pumpen und Dämmen in Schach gehalten werden musste. Inzwischen ist es umgekehrt. Nicht mehr die Landwirtschaft muss vor dem Wasser geschützt werden, sondern das Wasser vor der Landwirtschaft.

Die wiederhergestellten Feuchtgebiete bringen nicht nur Abwechslung ins Landschaftsbild, sie erfüllen auch viele weitere wichtige Funktionen für Ökosystem und Gesellschaft.

Zum Beispiel speichern sie Kohlenstoff und tragen dadurch zum Klimaschutz bei. Vögel finden hier Brut- oder Rastplätze. Und das Wasser hat mehr Fläche, um sich auszubreiten, das hilft beim Hochwasserschutz.

Vor allem aber wirken die feuchten Niederungen als Nährstofffalle. Phosphor und Stickstoff, die von den umliegenden Feldern ausgewaschen werden, können sich hier als Sediment ablagern, statt in die Schlei und weiter in die Ostsee zu fließen.

Die Schlei liegt im östlichen Hügelland von Schleswig-Holstein, einer rundgewaschenen Eiszeitlandschaft auf halbem Weg zwischen Rendsburg und Kiel. Die Böden sind fruchtbar. Landwirtschaft ist hier seit Jahrhunderten Tradition. Doch die intensive Bewirtschaftung von heute hat Konsequenzen, auch für den Phosphorkreislauf.

Vor allem im Norden der Schlei führen intensive Schweinehaltung und der Anbau von Mais für die Gewinnung von Biogas dazu, dass zu viel Phosphor und Stickstoff auf die Felder und dann in die Gewässer kommen.

Die hügelige Landschaft ist ohnehin schon anfälliger für Bodenerosion als das Flachland. Dazu kommt der Mais, der in dieser Gegend oft zu spät geerntet wird, um noch eine Zwischenfrucht zu pflanzen. Das heißt, im Herbst, wenn die meisten Niederschläge fallen, liegen viele Böden frei. Und im Zuge der Klimaveränderungen kann man jetzt schon beobachten, dass Starkregenereignisse häufiger werden und damit noch mehr Phosphor ausgewaschen wird.

Vom „Sorgenkind“ zur „Modellregion“

Die Probleme der Schlei sind nicht neu. „Sorgenkind Schlei“ titelten die Schleswiger Nachrichten schon 1991, der Umweltminister reiste ans „Bett der kranken Schlei“ und die Arbeitsgemeinschaft Schlei gab damals eine Broschüre über die „Stieftochter der Ostsee“ heraus.

Seitdem hat sich viel getan. Wie in vielen anderen Regionen rund um die Ostsee gingen die Einleitungen aus kommunalen Abwässern und anderen sogenannten Punktquellen über die letzten Jahrzehnte stark zurück. Doch der ökologische Zustand der Schlei bleibt schlecht. Ein wesentlicher Grund sind die Nährstoffeinträge aus der Landschaft, die über Grundwasser und Drainagen oder an Bodenpartikel gebunden über Erosion in die Gewässer gelangen. Immer wieder müssen die Gemeinden wegen der resultierenden Algenblüten Gesundheitswarnungen ausgeben, keine gute Situation in einer Region, die vom Tourismus abhängt. Im trüben Wasser können viele Organismen nicht überleben. Und der Abbau der abgestorbenen Algenmassen zehrt Sauerstoff aus dem Wasser und schwächt so das ganze Ökosystem.

Nun soll mit einem neuen Ansatz unter dem Namen „Modellregion Schlei“ das Problem ganzheitlich angegangen werden. Das Projekt läuft seit 2020 und wird durch das Land Schleswig-Holstein und die Kreise Rendsburg-Eckernförde und Schleswig-Flensburg getragen. Ziel ist es, den schlechten Zustand der Schlei endlich zu verbessern. Dabei sollen möglichst viele Akteure einbezogen werden – nicht nur Landwirtinnen und Landwirte, sondern auch Behörden und Gemeinden, Wasser- und Bodenverbände, die Landwirtschaftskammer, die Wissenschaft und natürlich die Anwohnerinnen und Anwohner und auch die Feriengäste, die ja ebenfalls von den Naturschutzmaßnahmen profitieren, oft ohne vom schlechten Zustand der Schlei zu wissen.

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Zwei Personen am Schleiufer
Aufgeklappte große Alukiste, im Deckel eine kindgerechte Landkarte der Region, im Koffer verschiedene Messgeräte
tbd
Ein Mann um die vierzig mit gestreiftem T-Shirt steht im Kuhstall, lächelt
Eierkartons mit Henkel, beschriftet mit „Küsten-Minis: 20 frische Eier aus Freilandhaltung“

Vernetzt werden die zahlreichen Vorhaben der „Modellregion Schlei“ von Matthias Böldt und seine Kollegin Kathrin Erbe vom Naturpark Schlei.

Böldt hat Agrarwissenschaften studiert, Erbe kommt aus der Umweltwissenschaft. Diese fächerübergreifende Besetzung spiegelt den gesamtgesellschaftlichen Ansatz, mit dem sie die verschiedenen Projekte in der Modellregion verfolgen.

Zur Umweltbildung gehört im Naturpark Schlei neben digitalen Themenpfaden auch ein „Gewässerschutzkoffer“, mit dem schon Grundschüler mit einfachen Experimenten die Zusammenhänge zwischen ihrem Alltag und der Landschaft, in der sie leben, erkunden können.

Landwirtinnen und Landwirte können sich ebenfalls beteiligen und sich im Rahmen des Projekts bestimmte Agrarumweltleistungen honorieren lassen, etwa das Anlegen von feldmittigen Blühstreifen, bei denen die Blühpflanzen nicht am Rand, sondern in mitten im Acker wachsen, oder von „bunten Gewässerrändern“ mit verschiedenen Pflanzenarten als Pufferzone zwischen Landwirtschaft und Wasserbewohnern. Auch das Vernässen von Ackersenken gehört zu diesen Leistungen.

Diese Maßnahmen sind oft gleich mehrfach nützlich, sowohl für Biodiversität und Klimaschutz, als auch für das Zurückhalten von Nährstoffen in der Landschaft.

Einer der Landwirte, die helfen, neue Methoden für ein besseres Nährstoffmanagement rund um die Schlei zu etablieren, ist Andreas Hobus. „Wir melken knapp 200 Kühe, haben 1000 freilaufende Hühner und bewirtschaften etwa 230 Hektar Fläche“, stellt er seinen Familienbetrieb vor. Die Größe sei hier in der Gegend ungefähr durchschnittlich.

Doch im Vergleich zu anderen ist Hobus' Betrieb deutlich breiter aufgestellt: Milchvieh und Hühner, dazu Marktfrüchte wie Getreide und Raps und auch Futterbau mit Klee, außerdem Direktvermarktung von Milch, Eiern, Fleisch – so viel Vielfalt ist hier eher ungewöhnlich. Doch für Andreas Hobus funktioniert sie.

Kreisläufe schließen durch „Hybridlandwirtschaft“?

Nicht immer können die Nährstoffkreisläufe innerhalb eines Betriebes geschlossen werden. An der Kieler Christian-Albrechts-Universität untersucht daher Friederike Fenger im Rahmen des Modellvorhabens Schlei verschiedene Modelle wie Tierhaltungs- und Ackerbaubetriebe kooperieren können. So könnte zum Beispiel ein Landwirt, der sonst nur Getreide anbaut, seine Fruchtfolge um Klee erweitern und so seinen Boden mit Stickstoff anreichern. Den Klee gibt er dann an die Kollegin auf dem Milchviehhof ab. Im Gegenzug bekommt er von dort Wirtschaftsdünger wie Gülle oder Mist.

Was dabei entsteht ist eine sogenannte „Hybridlandwirtschaft“, bei der Ökolandbau und konventionelle Betriebe Hand in Hand arbeiten. So bliebe ein großer Teil der Nährstoffe „in der Nachbarschaft“ und es müsste weniger mineralischer Dünger importiert werden. Auch hält der Klee die Nährstoffe vor allem im Winter gut im Boden.

„Ackerbau- und Milchviehbetriebe haben sich in der Vergangenheit extrem spezialisiert“, sagt Fenger. „So sind in den Milchviehbetrieben durch den entsprechenden Einsatz von Futtermitteln und Dünger hohe Nährstoffüberschüsse entstanden. Und im Marktfruchtbau wird die Fruchtfolge immer enger, es werden also immer weniger verschiedene Kulturen angebaut, und dadurch sind auch hier Probleme entstanden, resistente Unkräuter zum Beispiel.“ Darum seien die Erträge in letzter Zeit kaum noch gestiegen. „Das könnte man durch die Integration von Graskulturen oder Klee verbessern.“

Doch auf Standorten mit hohem Ertrag wie an der Schlei wurde diese Art der Fruchtfolge noch nicht ausreichend erforscht. Diese Lücke soll die aktuelle Studie schließen. Die Erkenntnisse sollen später anhand eines Computermodells auf größere Teile Schleswig-Holsteins übertragen werden.

„Neu sind diese Ideen allerdings nicht“, sagt Friederike Fenger. „In der Wissenschaft haben wir schon länger verschiedene Alternativen zu den gängigen Anbauweisen entwickelt. Aber diese Konzepte müssen immer individuell auf die Betriebe angepasst werden. Das macht die Umsetzung komplizierter und damit oft politisch schwerer durchsetzbar.“

Gemeinwohlprämie statt Flächenförderung

Ein wichtiges Steuerinstrument, um langfristig zu einem nachhaltigen Management von Nährstoffen in der Landschaft zu kommen, sind außerdem die verschiedenen agrarpolitischen Förderprogramme. Doch vor allem an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU gibt es immer wieder Kritik. Mit der bisherigen Förderstruktur lassen sich die Umweltziele kaum erreichen, die sich die EU im Rahmen des „Green Deals“ selbst gesetzt hat, etwa die Reduktion der Nährstoffverluste – vor allem Stickstoff und Phosphor – um mindestens 50 Prozent bis 2030.

Eine Alternative zur bisherigen Förderung könnte eine Gemeinwohlprämie sein, die vom Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) entwickelt wurde und derzeit unter anderem mit Unterstützung der Universität Kiel weiter ausgearbeitet wird.

Bisher wird die Basisförderung überwiegend nach Fläche ausbezahlt. Das bedeutet mehr Geld für größere Betriebe, ohne dass die Umwelt berücksichtigt wird. Bei der Gemeinwohlprämie wären stattdessen alle Zahlungen an konkrete Umweltleistungen gekoppelt, es gäbe also mehr Geld für Betriebe, die mehr zum Schutz der Umwelt beitragen. „Öffentliches Geld gibt es dann nur noch für öffentliche Leistung“, fasst Florian Tietjens die Idee zusammen. Er promoviert an der Universität Kiel zu diesem Thema. Als Mechanismus schlagen Tietjens und seine Kollegen ein Punktesystem vor, bei dem Landwirtinnen und Landwirte unter verschiedenen Maßnahmen auswählen können und dann, je nach Wertigkeit der Maßnahme für die Umwelt, bezahlt werden.

An der Schlei evaluiert Tietjens derzeit zusammen mit dreißig landwirtschaftlichen Betrieben zwei der möglichen Maßnahmen für das Punktesystem. Wie groß sind die Umwelteffekte? Wie viele Ökopunkte sind sie wert? Denn nur wenn die Punkte die Umweltwirkungen richtig abbilden, kann das System funktionieren. Auch Andreas Hobus mit seinem Milchviehhof ist dabei. „Dieser partizipative Ansatz ist wichtig für die Forschung“, sagt Tietjens. „Ohne die Landwirte könnten wir das gar nicht machen. Und da sehen wir auch großes Interesse.“ Trotzdem sei es schwierig, von dem jetzigen Pfad wegzukommen, gesteht Tietjens ein. „Es ist schon ein großer Umbruch“, sagt er. „Das geht nicht mal eben so.“

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Ob der große Umbruch gelingt, hängt von allen ab, die rund um die Schlei leben, arbeiten oder Urlaub machen. Denn wenn der seit Jahrzehnten andauernde schlechte Zustand der Schlei etwas beweist, dann dass es mit einzelnen Maßnahmen nicht getan ist. Doch wenn die Arbeit der vielen Akteurinnen und Akteure Erfolg hat und sie die Nährstoffkreisläufe schließen können, dann wäre die Schlei tatsächlich ein Modell für andere Regionen. Denn die Herausforderungen sind überall in Europa die gleichen.

Das Rechercheprojekt Phosphorama wird durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gefördert. Die DBU nimmt keinerlei Einfluss auf die Inhalte unserer Berichterstattung. Nähere Informationen finden Sie hier.

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