„Ihr Unternehmen ist auf 6,2 Grad-Celsius-Kurs“
Neue wirtschaftliche Klimametriken zeigen, ob ein Projekt, ein Unternehmen oder gar eine ganze Branche den richtigen Kurs in der Klimakrise setzt.
Nach der Pariser Klimakonferenz 2015 haben sich Dax-Konzerne und andere große Unternehmen zu dem Ziel bekannt, die menschengemachte globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber den vorindustriellen Werten zu begrenzen. Doch wie wird aus einem Versprechen für die Unternehmen eine konkrete Managementfrage?
Problem: Wenn Unternehmen ihre Geschäfte auf die 1,5– oder 2-Grad-Grenze ausrichten wollen, brauchen sie Klimamanagement. Hierfür müssen sie nicht nur für das gesamte Unternehmen, sondern auch für einzelne Projekte eine Aussage treffen können. Gesucht wird hierfür eine wirtschaftliche Einheit zum Klimawandel, die auf einen Blick zeigt, inwieweit sich ein Unternehmen in seinem wirtschaftlichen Handeln seinem definierten Grad-Ziel annähert.
Lösung: Ein Frankfurter Startup hat eine Klimakennzahl „X-Degree-Compatibility“ (XDC) entwickelt. Sie drückt aus, um wie viel Grad Celsius sich die Erde bis 2050 erwärmen würde, wenn alle Unternehmen so wirtschaften würde wie das untersuchte Unternehmen. Daraus lässt sich ablesen, wie weit das Geschäftsgebahren eines Projekts, einer Firma oder einer Branche vom Pariser Klimaziel entfernt ist – und welche Anstrengung für eine Kurskorrektur notwendig ist.
Banken, Versicherungen und Unternehmen wollen die Klimakrise besser verstehen: Ist ihr Geschäftsmodell kompatibel mit Klimaschutz-Zielen? Wie kann die Klimakrise ihr Geschäft beeinflussen, wenn sie nicht ausreichend begrenzt wird? Wie wirkt sich die Klimakrise auf ihre Reputation aus? Wie wirken sich Klimaschutzmaßnahmen auf Geschäftspartner, Märkte, Technologieentwicklungen und die Bonität der Kunden aus? „Die Risikoperspektive treibt die Nachfrage nach wirtschaftlichen Klimametriken“, sagt Ari Pankiewicz, Leiter Sustainable Finance der europäischen Unternehmensberatung d-fine, im Gespräch mit KlimaSocial.
Karsten Löffler, Co-Head des UNEP Collaborating Centre for Climate& Sustainable Energy Finance der Frankfurt School, erklärte im Gespräch mit der Börsen-Zeitung kürzlich, dass „die verschiedenen Ansätze, um den Einfluss von Unternehmen auf den Klimawandel zu messen, zwar noch in den Kinderschuhen stecken, ihre Bedeutung bei der Entwicklung eines Standards aber nicht unterschätzt werden darf.“ Vielfach fehle aber die Transparenz.
Zunehmende regulatorische Anforderungen
Getrieben von reinem Eigeninteresse ist die Entwicklung nicht. Die Unternehmen versuchen vor allem der erwarteten Regulierung für nicht-finanzielle Berichterstattung vorzugreifen. Eine 2014 verabschiedete europäische Richtlinie zu Corporate Social Responsibility (2014/95/EU) verpflichtet Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 40 Mio. Euro oder mit mehr als 500 Mitarbeitern dazu, ihre nicht-finanziellen Kernzahlen zu veröffentlichen.
Umgesetzt wurde dies in Deutschland durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, das die Berichterstattungspflichten für den nicht-finanziellen Bereich erweiterte. Unter anderem verlangt nun § 289c Handelsgesetzbuch (HGB) von großen Unternehmen, Banken und Versicherern, sich zu Umweltbelangen zu erklären, „wobei sich die Angaben beispielsweise auf Treibhausgasemissionen, den Wasserverbrauch, die Luftverschmutzung, die Nutzung von erneuerbaren und nicht erneuerbaren Energien oder den Schutz der biologischen Vielfalt beziehen können“.
Bisher dürfen die Unternehmen – mit Ausnahme der Versicherer – weitgehend frei entscheiden, wie sie ihre Angaben gestalten. Kritiker weisen darauf hin, dass Firmen aus eigenem Interesse insbesondere diejenigen Merkmale hervorheben, die sie in einem guten Licht erscheinen lassen. Bis 2020 sollen die Richtlinien für Best Practice von den europäischen Finanzaufsichtsbehörden erarbeitet werden. Derzeit orientieren sich viele Unternehmen noch an den Empfehlungen der von internationalen Unternehmen geführten TCFD (task force on climate-related financial disclosures).
Die Finanzwirtschaft gilt weithin als zentraler Hebel, um Unternehmen auf den richtigen Klimakurs zu trimmen. Zum einen stellen sich die Zentralbanken und Ratingagenturen auf Klimarisiken ein, zum anderen machen Aktivisten der Divestment-Bewegung Druck, damit Anleger aus fossilen Geschäften aussteigen. Banken und Versicherer werden sich auf Portfolioebene mit Klimarisiken beschäftigen müssen, womit die Anforderungen an die Unternehmen in der Realwirtschaft steigen. Dabei werden die Risikotreiber in den einzelnen Sektoren definiert werden müssen, mit denen unabhängig von den unternehmenseigenen Angaben der Klimakurs eines Unternehmens bestimmt werden kann: Im Energiesektor wird dies vermutlich die produzierte Energiemenge sein, im Verkehrsbereich sind es die Personenkilometer, in anderen Bereichen die Bruttowertschöpfung.
Inzwischen gibt es diverse Anbieter wie Four Twenty Seven, Carbon Delta oder South Pole, die Ansätze für die Beurteilung von Klima- und Wetterrisiken sowie Transformationsrisiken anbieten. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Bewertungsmodellen. Ari Pankiewicz. sagt: „Meiner Einschätzung nach befindet sich die Entwicklung am Anfang. Es gibt viele sehr gute Ideen, aber das Thema ist komplex. Es gibt noch keine Anbieter, die sich hier mit ihrem Modell etablieren konnten oder einen Best-Practice-Standard entwickelt haben, den die Kunden aufnehmen.“
Wissenschaftsbasierte Ziele
Für ein wissenschaftlich basiertes CSR-Reporting setzt sich die „Science-Based Targets Initiative” (SBTi) ein. Sie fordert Unternehmen auf, eigene Klimaziele festzusetzen, die im Einklang mit den Pariser Klimazielen stehen. Diese sollen dann überprüft und verifiziert werden. Zu den Partnerorganisationen der Initiative gehören CDP (ehemals Carbon Disclosure Project), der UN Global Compact und das World Resource Institute. Über 500 Unternehmen bekennen sich inzwischen zu den SBTs, unter anderem der Softwarekonzern SAP, der Fotodienstleister Cewe, der Automobilhersteller Daimler oder die Deutsche Bahn.
Die Initiative gibt Umsetzungsempfehlungen, wobei die mittel- und langfristigen Klimaziele je nach Sektor für einzelne Industrien unterschiedlich hoch sind. Sie beziehen sich auf Emissionen, die der Kontrolle des Unternehmens unterliegen (Scope 1 etwa bei unternehmenseigenen Flotten oder Kraftwerken und Scope 2 aus Energiedienstleistungen wie Strom, die bezogen werden) sowie auf Emissionen, die in der vor- oder nachgelagerten Lieferkette verursacht werden, aber nicht unter der Kontrolle des Unternehmens stehen (Scope 3). Dazu gehören auch Emissionen, die bei Zulieferern, Dienstleistern oder Mitarbeitern beziehungsweise während der Nutzungsphase der Produkte entstehen. Wenn mehr als 40 Prozent der Gesamtemissionen entlang der Wertschöpfungskette auf Scope 3 entfallen, müssen die Unternehmen auch konkrete Aussagen zu Reduzierungen in diesem Bereich treffen.
Verbreitet sind bisher Klimascores, die mit einem abstrakten Wert lediglich eine Aussage darüber treffen, wie ein Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen steht. Beispielsweise veröffentlichte CDP im vergangenen Jahr für die weltweit 16 größten Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie ein Ranking. Der Wert sagt auf den ersten Blick jedoch nichts darüber aus, ob ein Unternehmen etwa im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen handelt. Eine externe Evaluation gibt es nicht.
Die Gradzahl als wirtschaftliche Kennzahl
Gesucht ist daher eine wirtschaftliche Kennzahl zum Klimawandel, die auf einen Blick zeigt, inwieweit sich ein Unternehmen in seinem wirtschaftlichen Handeln dem 1,5– oder 2-Grad-Ziel annähert. Eine im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Umwelt erstellte Studie aus dem Jahr 2017 ermittelte mit dem sogenannten PACTA-Tool einen Gradwert. Demnach repräsentiert das Anlagenportfolio der Schweizer Pensions- und Versicherungsfonds Unternehmen, die das Pariser Klimaziel deutlich verfehlen: Das Portfolio bildet den Technologiemix einer 6-Grad-Celsius-Welt, statt den einer 2-Grad-Celsius-Welt ab.
Die von dem 2016 gegründeten Startup „right. based on science“ entwickelte Klimakennzahl „X-Degree-Compatibility“ (XDC) beispielsweise drückt ebenfalls aus, um wie viel Grad Celsius sich die Erde erwärmen würde, wenn alle Unternehmen so wirtschaften würden wie das untersuchte Unternehmen. Das XDC-Modell generiert außerdem Informationen über klimarelevanten Risiken, die etwa die Berichterstattungspflicht des § 289c HGB erfüllen. Damit kann das Modell den Unternehmen auch als Compliance-Werkzeug dienen. Timo Busch forscht an der Universität Hamburg zu Nachhaltigkeit in Industrieunternehmen. Gegenüber KlimaSocial sagt er: „Ich finde das einen sehr vielversprechenden Ansatz.“ Als Orientierungshilfe sei das Grad-Ziel in der Finanzwirtschaft „sehr wichtig“.
Seit Januar 2019 steht das Startup right zur Verbesserung des in dem XDC-Modell enthaltenen Klimamodells mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung in engem Austausch. Dessen Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber sieht darin „einen interessanten Ansatz zum Brückenschlag zwischen Klimawissenschaft und Wirtschaft“. Das Startup zeigte beispielsweise, dass Unternehmen des Börsenindex DAX 30 im Schnitt bis 2050 eine Erderwärmung von 4,94 Grad Celsius erzeugen würden, ging hierfür jedoch von stark vereinfachten Annahmen aus. Es bezieht sich auf 2050, da sich viele Selbstverpflichtungen, wie etwa der deutsche Klimaschutzplan auch auf dieses Jahr beziehen.
Die XDC-Kennzahl sagt aus, um wie viel Grad Celsius sich die Erde bis 2050 erwärmen würde, wenn jeder so emissionsintensiv wirtschaften würde wie die betrachtete wirtschaftliche Einheit.
Im Einzelnen liegen die Ergebnisse zwischen 1,26 und 11,23 Grad Celsius. IT- und Telekommunikationsunternehmen liegen dabei eher im unteren Bereich, das gilt für deutsche wie internationale Konzerne: Apple etwa kommt auf 1,49 Grad Celsius, die Deutsche Telekom auf 1,56 Grad Celsius, die Deutsche Börse AG auf 1,26 Grad Celsius. Die Letztplatzierten werden derzeit noch nicht veröffentlicht. Möglicherweise handelt es sich um Energieunternehmen. Der italienische Energiekonzern Enel S.p.A. beispielsweise kommt auf 6,08 Grad Celsius.
Der Gradwert illustriert eindrücklicher wie jeder abstrakte Score-Wert, wo ein Unternehmen in Sachen Klimaschutz steht. „Der Beitrag eines Unternehmens zum Klimawandel als Grad-Celsius-Zahl ist schön konkret und hat damit viel größere Aussagekraft und Wirkung als ein abstrakter Score“, erklärt right-Gründerin Hannah Helmke im Gespräch mit KlimaSocial. Die Verbindung zwischen verschiedenen Temperaturerhöhungen und sich verändernden Lebensbedingungen auf diesem Planeten seien „sehr klar etabliert“. Mit unterschiedlichen Grad-Celsius-Zahlen könnten direkte Klimakonsequenzen assoziiert werden, welche die Quelle für klimarelevante Chancen und Risiken darstellen.
„Die Gefahr besteht, dass das Modell nicht überall angenommen wird, eben weil es so eindrücklich und plakativ ist“, sagt aber Ari Pankiewicz. Der Energiesektor etwa könne davon eher abgeschreckt werden. Gleichwohl könne die Zahl ein Hinweis für die langfristige Inside-Out-Perspektive bieten, nämlich inwieweit ein Unternehmen auf den Klimawandel einwirke. Für die Banken und Versicherer könnte die XDC damit als Risikoindikator fungieren, der anzeigt, wie weit ein Unternehmen vom Pariser 2-Grad-Grenze entfernt ist. Hier könnte auch die Regulierung ansetzen, die Unternehmen dazu verpflichtet, das eigene Geschäftsmodell auf Kurs zu bringen. Mittelfristig sei für die Finanzwirtschaft jedoch die Outside-In-Perspektive wichtiger, nämlich welche finanzielle Auswirkung der Klimawandel auf das Unternehmen hat. Das XDC-Modell nimmt diese Perspektive auf, indem die zugrundeliegenden finanziellen Daten mit solchen Auswirkungen angepasst werden können.
Die Gradzahl als Management-Instrument
Das XDC-Modell nimmt in seiner einfachsten Standardform an, dass Emissionen, Unternehmen sowie die globale Wirtschaft bis 2050 jährlich um 3,2 Prozent wachsen. Das Verhältnis zwischen Emissionen und Bruttowertschöpfung bleibt gleich bis 2050. Es geht also davon aus, dass keine Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden, die dieses Verhältnis ändern würden. Um Doppelzählungen zu vermeiden, beträgt die Anrechnung von Scope-1– Emissionen 100 Prozent, von Scope-2– und 3-Emissionen jeweils 50 Prozent. Unternehmen können Klimaziele, Wachstumspläne, Expansionsstrategien oder die Wirkung emissionsarmer Technologien in der Lieferkette in verschiedenen Szenarien durchrechnen und auch die Grundannahmen zu Emissionen, Bruttowertschöpfung und Scope 1 – 3 Anrechnung variieren. Hier können sie beispielsweise auch von einem niedrigeren Wirtschaftswachstum ausgehen.
Mit dem XDC-Modell können beliebige Ziele wie etwa 2 Grad Celsius festgelegt und die entsprechenden Emissionsreduktionspfade berechnet werden. Geplante Klimaschutzmaßnahmen können darauf hin bewertet werden, ob sie die Emissionen entsprechend reduzieren. Unternehmen können wählen, auf welcher Datenbasis sie ihr Ziel berechnen.
Weil auch einzelne Projekte oder Unternehmensbereiche damit bewertet werden können, eignet sich der Wert auch für ein flexibles Klimamanagement. Aber auch Fonds- und Investmentgesellschaften können die Metrik für ihre Finanzprodukte anwenden, da die dafür grundsätzlich notwendigen Daten auch unabhängig von den untersuchten Unternehmen über Datenanbieter beschafft und angewendet werden können. Zu den deutschen Anwendern gehören bereits Zalando, die Fondsmanager von Salm & Salm Partner sowie die GLS Bank.
Die XDC-Kennzahl als Investmentwerkzeug
Alexander El Alaoui, Director Sustainable Investments bei Salm & Salm Partner, suchte eine Kennzahl, die nicht wie der CO2-Fußabdruck auf die Vergangenheit bezogen ist, sondern eine künftige Entwicklung abbilden kann. Seine Leitfrage ist: „Ist dieses Unternehmen in 30 Jahren noch an der Börse?“ Außerdem suchte er nach einer Klimametrik, die auf wissenschaftlicher Basis weitgehend unabhängig von den unternehmenseigenen Angaben ermittelt werden kann. Vor zweieinhalb Jahren setzte er einen neuen Fonds mit 2-Grad-Kompatibilität auf, dessen Zielwert noch „unter 1,5 Grad“ liegt. Danach kam er in Kontakt mit right und durchforstete den Fonds mit Hilfe des XDC-Modells, das er „für das beste verfügbare Instrumentarium“ hält.
„Würde man heute in unseren Fond investieren, würde sich die Erde um 1,38 Grad erwärmen“, sagt El Alaoui im Gespräch mit KlimaSocial. Für ihn ist klar: „Wer klimasensibel investieren will, muss als Fondsmanager aktiv in die Titelselektion eingreifen.“ Wenn jedoch ein solches Unternehmen mit einer guten Finanzkennzahl nicht „klimakompatibel“ ist, wird es von El Alaoui nicht in den Fonds aufgenommen.
Der Fonds von Salm & Salm Partner investiert in jeden Sektor, in den auch andere Fonds investieren. Allerdings sucht er für jeden Sektor die „Climate Leaders“ aus. Er berücksichtigt auch andere Nachhaltigkeitskennzahlen wie die ökosoziale Bilanz, die Qualität der Unternehmensführung oder der Carbon Footprint. Der Klimafaktor ist jedoch der Faktor, der letztendlich über eine Nichtaufnahme eines ansonsten akzeptablen Unternehmens entscheidet. Im Ergebnis schlägt sich der Fonds überdurchschnittlich. Nach Kosten steht er seit Jahresanfang 2,5 Prozent höher als der MSCI World Global Index.
Steuerungsinstrument für Bankenportfolios
Die GLS Bank will noch in diesem Jahr ihre mit dem XDC-Modell ermittelten Zahlen für 2018 vorstellen. Bewertet wird das gesamte Kredit- und Analageportfolio, und zwar auf einzelne Kredite bezogen. „Man kann sich immer mit anderen Banken vergleichen“, meint Laura Mervelskemper, Referentin für Wirkungstransparenz und Nachhaltigkeit bei der GLS Bank, „doch hinsichtlich ökologischer Grenzen hatten wir bislang keine aussagefähigen Zahlen“. Die Bank habe sich für das XDC-Modell entschieden, weil es „wissenschaftlich am fundiertesten und am praktikabelsten umzusetzen“ sei, erklärt sie. Es geht vor allem darüber hinaus, lediglich CO2-Emissionen anzugeben. Mit dem Modell wird eine Aussage möglich, inwieweit ein Produkt oder Projekt kompatibel zu den Pariser Klimazielen ist, sagt Mervelskemper im Gespräch mit KlimaSocial.
Für die GLS Bank gehe es darum, ihr sozial-ökologisches Versprechen „mit Zahlen zu validieren“. Mervelskemper: „Wir möchten wissen, ob wir so gut sind wie wir sein möchten.“ Nur auf Basis von Transparenz gebe es die Möglichkeit, das Bankgeschäft noch besser an langfristigen gesellschaftlichen Zielen auszurichten.
Die Bank finanziert viele Projekte im ökologischen Bereich, noch etwas mehr Projekte aber im sozialen Bereich, zu denen es bisher keine ökologischen Kennzahlen gab. „Die CO2-Emissionen stehen bei der Entscheidung eines Kredits für ein Pflegeheim nicht in Vordergrund. Hier könnte man dann sehen, welche Sanierungsmaßnahmen möglich wären“, sagt Mervelskemper.
Viele Kunden können keine CO2-Angaben machen. Mit dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie erarbeitet die GLS Bank daher bis Sommer eine Methode, die „so genau wie möglich“ eine Aussage zu den jeweiligen Emissionen einzelner Projekte erlauben wird. Die Arbeit daran ist intensiv: Wöchentlich gibt es einen gemeinsamen Austausch, an dem die Arbeitsergebnisse zusammengetragen und bewertet werden.
XDC goes Open Source
Mitte Mai will das Startup right den in Python geschriebenen Quellcode seines XDC-Modells im Rahmen des Projekts „right.open“ unter eine Open-Source-Lizenz stellen. Auch die GLS Bank wird die Software weiter nutzen und sie für individuelle Szenarien anpassen. Am Ende wolle die Bank wissen, so Mervelskemper, „welche gesellschaftliche Wirkung wir mit unseren Kunden erzielen“, und inwieweit diese zu den branchenspezifischen Zukunftsbildern passen, die die Bank entwickelt hat.
Die jüngsten Ergebnisse des IPCC-Sonderberichts haben right zu dem Schritt motiviert. Der Bericht stellte fest, dass die Weichen, um die globale Erderhitzung zu begrenzen, bis 2030 gestellt werden müssen. 45 Prozent der CO2-Emissionen müssen bis dahin reduziert sein, bis 2050 muss eine vollständige Dekarbonisierung erreicht werden. „Wir müssen daher schnell, präzise und kollaborativ arbeiten“, betont Hannah Helmke. Der Quellcode des XDC-Modells soll Lehrstuhlinhabern, deren wissenschaftlichen Mitarbeitern und Absolventen zur Verfügung gestellt werden, um praxisrelevante Fragestellungen zu erforschen.
Schnelligkeit durch Kooperation und Standardisierung
Mit der Öffnung des Modells will right daher nicht nur mehr Transparenz schaffen, sondern es auch für alle verfügbar machen. Indem es mit dem Modell Anwendern wie Beratern ein Tool an die Hand gibt, bewegt sich das Startup gleichzeitig weg vom Beratungsgeschäft. Es sieht sich eher als Standard-Setzer, wenn Experten aller Disziplinen mit dem Modell auf einer konsistenten Grundlage arbeiten können.
Aus diesem Grund hält auch Unternehmensberater Ari Pankiewicz die Open-Source-Strategie für den richtigen Ansatz, da die Transparenz weithin noch fehle, die eine einheitliche und von der Community akzeptierte Methode bräuchte. Die Offenlegung ermögliche es nun aber, das Modell kooperativ weiterzuentwickeln und eine gewisse Sicherheit zu schaffen, dass Modellierungsergebnisse und die damit verbundenen Unsicherheiten etwa in Bezug auf sozioökonomische Entwicklungen oder klimabedingte finanzielle Auswirkungen hinreichend von dem Modell abgedeckt sind. Ari Pankiewicz: „Es ist nämlich nicht damit geholfen, ein Modell auf den Markt zu bringen und eine Scheingenauigkeit vorzuspielen, ohne dass die inhärenten Unsicherheiten abgebildet und transparent gemacht werden.“