Wie fühlt sich ein sterbender Wald an?
Interview mit Torsten Schäfer, Hochschullehrer für Umwelt- und Klimajournalismus
Wie fühlt sich ein sterbender Wald an? Welchen visuellen Eindruck hinterlässt der Rhein, wenn er kaum noch Wasser führt? Für den Umweltexperten Torsten Schäfer, Autor des Buchs „Wasserpfade“, sind das entscheidende Fragen für einen neuen Journalismus, der die größten Probleme der Zeit, das Artensterben und den Klimanotstand umfassend im Blick hat. Kontextualisierung sei dabei die größte Aufgabe.
Torsten Schäfer ist Autor, Umweltjournalist und „Wildnispädagoge“. Als Professor für Journalismus und Textproduktion analysiert er an der Hochschule Darmstadt die Klima- und Umweltberichterstattung.
Christiane Schulzki-Haddouti sprach mit ihm auch vor dem Hintergrund einer aktuellen Programmanalyse für den öffentlich-rechtlichen Rundfunkt, die der Verein „Klima vor Acht“ vorgelegt hat. Die Häufigkeit von Berichterstattung über die Klimakrise wird darin mit journalistischen Reaktionen auf die Corona-Krise verglichen. Im Analysezeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 15. Oktober 2021 wurden dazu ca. 1,6 Millionen Sendungen ausgewertet.
Christiane Schulzki-Haddouti: In der Berichterstattung zur Weltklimakonferenz ist wieder zu erleben, dass mit der Gegenüberstellung von Politik und Aktivistïnnen gearbeitet wird. Verkürzt eine solche Dramaturgie nicht das Thema zu sehr?
Torsten Schäfer: Wir kennen aus der Journalismusforschung das Experten- und Expertinnen-Recycling: In den Talkshows werden immer dieselben Politologen befragt, so ist es jetzt auch in der Klimadimension. Das hat damit zu tun, dass wir lange fast keine Köpfe in der Klima-Berichterstattung gesehen hatten. Jetzt fokussiert man sich eben auf die Stars von „Fridays for Future“. Man könnte auch andere Stimmen aus deren zweiter Reihe nehmen. Oder mal andere Protestgruppen, kleinere NGO fragen.
Viele dieser NGOs stützen sich wesentlich auf wissenschaftliche Aussagen. Warum also nicht direkt politische Stellungnahmen und Zielsetzungen von Wissenschaftlerïnnen kommentieren lassen?
Das geschieht in der Berichterstattung jetzt rund um die Weltklimakonferenz etwas weniger, weil dort die politischen Akteure und die Aktivistïnnen auf die Agenda kommen. Aber wir brauchen mehr mutige Wissenschaftlerïnnen, die sich trauen, öffentlich Einschätzungen abzugeben, sich als Teil der Transformation begreifen und nicht nur als reine Faktenlieferanten.
Ahr-Hochwasser – als sei nichts geschehen?
Was ist Ihnen beim medialen Umgang mit der Hochwasserkatastrophe an Ahr und Erft im Juli dieses Jahres aufgefallen?
Wir haben diese unglaubliche Katastrophe mit ihren Bildern schon wieder eingereiht in die Geschichte der Umweltkatastrophen in Deutschland. Das darf nicht sein. Denn es war historisch. Wir bräuchten ein Fluss-Moratorium und ein viel größeres Gespräch über Flächenverbrauch. Der hat sich zwar reduziert in den letzten zehn, fünfzehn Jahren, aber es ist immer noch viel zu viel – gemessen an der Situation, in der wir uns mit Artensterben und Klimanotstand befinden. Aber es wird weiterhin gebaut an Flussufern, als wäre die Katastrophe an Ahr und Erft nicht geschehen…
Sollten Medien ähnlich wie bei Corona Kennzahlen entwickeln, die aktuelle Berichterstattung auslösen könnten?
Wir haben ja Kennzahlen darüber, wie viele Arten pro Tag sterben, wie viel Fläche pro Tag versiegelt und verbaut wird, wie viel Müll produziert wird. Das alles hat mit Klima zu tun. Klima muss nicht immer in der Überschrift stehen, weil man dann die Dinge oft auch zu eng betrachtet. Diese Kontextualisierung ist fast das Wichtigste, um die Tragweite und Vielgestaltigkeit der Klimafolgen zu verstehen. Das hat viel mit Recherche zu tun, mit Recherchezeit, aber auch mit Fachwissen und Kreativität. Das geht nur, wenn man das Klima als Dimension begreift. Und nicht als Einzelthema.
Wo ist Ihnen die thematische Verengung zuletzt aufgefallen?
In der Wirtschaftsberichterstattung blenden wir die Kosten der Umweltschäden aus. Mittlerweile erreichen Klimaschäden in Deutschland jährlich einen Umfang von mehr als 150 Milliarden Euro. In der Berichterstattung über Landwirtschaft werden die Emissionseffekte von Böden und die Rolle von Düngemitteln ständig ausgeblendet. Die Debatte zur E-Mobilität ist teilweise völlig losgelöst vom Klimakontext – nur auf Technologien, Kosten und Machbarkeit fokussiert. Die Kernfrage ist aber: Laufen denn diese Wagen mit grünem Strom? Das sind dann die Kontexte, die ausgeblendet werden.
… Als wäre mit der Bewilligung der 30 Milliarden Euro Aufbauhilfen ein Schlusspunkt gesetzt. Dabei hatten wir kaum eine Debatte darüber, wo wie aufgebaut wird. Was muss hier im Journalismus passieren?
Da müsste viel passieren. Der Journalismus braucht grundlegend Zeit für den Blick zurück – das ist auch nicht nur für den Klima- und Umweltjournalismus ein Thema. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung findet insgesamt nur selten die Rückschau statt. Was man lernen kann aus früheren Umweltkrisen, ist eine Frage, die wenig auftaucht.
Wir müssten einfach mehr Zeit haben für Recherche, damit wir etwa auch Verläufe von Gesetzgebungen betrachten: Woher kam das Ganze nochmal? Wann haben Sie denn das letzte Mal etwas darüber gelesen, woher das Erneuerbare-Energien-Gesetz kam, was da die ersten Ansätze waren, welche Vision Hermann Scheer hatte? Und es ist nicht so, dass man das immer auf 10.000 Zeilen bringen muss – da reichen auch mal fünf Sätze.
„Wir brauchen mehr Klimajournalismus!“
Der Verein „Klima vor Acht“ hat in seiner Programmdaten-Analyse gezeigt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem Thema Klima weniger Aufmerksamkeit schenkt als der Corona-Krise, obwohl das öffentliche Interesse hoch ist. Gibt es hier nicht eine unterschiedliche Dringlichkeit?
Klima – der Klimanotstand, die Klimakatastrophe, der Klimawandel – haben eine andere zeitliche Struktur als die Corona-Krise. Daher ist der Vergleich auf der Zeitebene etwas schwierig. Dennoch wurde in der Pandemie klar, was im Notfall im Journalismus möglich ist. Deshalb: Wir brauchen mehr klimabezogenen Journalismus in der ganzen Breite – und auch sicherlich mehr Klimajournalismus im engeren Sinne.
Für die Programmdaten-Analyse wurde die öffentlich einsehbare ARD- und ZDF-Programmübersicht nach der Zeichenfolge „klima“ und „corona“ in Titeln, Untertiteln und Programmdetails durchsucht. Vor allem das ZDF und KIKA fielen mit Zurückhaltung auf. Wird so eine Analyse dem Kinderkanal überhaupt gerecht, der ja viel berichtet, wie Umwelt- und Klimathemen ganz praktisch angegangen werden können?
Die Studie ist wichtig als Anstoß, auch in den Schlussfolgerungen, aber methodisch nicht sehr komplex, mit nur einem Suchbegriff. „Klima vor Acht“ sagt ja selbst, dass man mit dem Suchbegriff „klima“ auch Klimaanlage und Geschäftsklima miterfasst hat. Aus einer wissenschaftlichen Sicht ist das zu einfach. Auch Synonyme für Klimawandel wie Erderwärmung oder -erhitzung fallen heraus – ebenso wichtige Einzelthemen wie Energiewende, Mobilität, Verkehrswende, Agrarwende oder Biodiversität, die alle im direkten Klimakontext stehen.
Müsste man da nicht auch qualitativ herangehen?
Ich bin froh, dass diese Studie gemacht wurde. Die Programmstruktur zu untersuchen, wäre der nächste große Schritt. Wichtig sind qualitative Forschungen mit den Akteuren und Akteurinnen. Wir bräuchten jetzt eine breite Befragung von Redakteurinnen, Redakteuren, auch der Leitungsebene im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Klimageschehen. Wir haben im Netzwerk Klimajournalismus Deutschland zu Lehre und Ausbildung eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit Ideen zu solchen Vorhaben beschäftigt.
Gibt es blinde Flecken in der Berichterstattung?
Wir vergessen in der Klimadebatte, auch in vielen neuen Medieninitiativen in der Szene, sehr oft die Anbindung an das Artensterben und die Biodiversität. Die Wissenschaft spricht ja auch von der Zwillingskrise.
Die Narrative des Klimawandels begreifen
Fallen Ihnen bei Journalistïnnen auch Mechanismen der Distanzierung auf?
Ja. Nehmen wir das Beispiel des Traditional Ecological Knowledge (TEK), das in den Umweltwissenschaften immer wichtiger wird. Es war im Weltartenbericht von 2019 ein wichtiger Punkt, weil indigene Völker große Teile der Erde bewirtschaften und managen. Wenn jemand dieses Thema auf Wissenschaftskonferenzen oder in traditionellen journalistischen Kreisen anspricht, wird er oder sie schon öfter als Nischen-Freak belächelt oder wahlweise als Esoteriker abgetan. Und das ist schlimm, weil wir damit die Türen zu einem großen Wissensstand verschließen, der für die Rettung der Erde und des Klimas große Bedeutung haben kann.
Warum ist das so?
Es hat damit zu tun, sich – ich sage es bewusst so – der Natur öffnen zu können. Das ist nötig, wenn wir umfassend und in der Tiefe verstehen wollen, was passiert. Die Klimafolgen, die wir schon erleben, werden immer sichtbarer in der Landschaft, in Flüssen, Wäldern, auf Feldern, Wiesen, in Parks. Unsere Aufmerksamkeit wird den Klimafolgen naturgemäß folgen – hin zu den lokalen Phänomenen, die wir neu begreifen müssen. Außerdem ist Natur in uns. Wir sind Natur, und deswegen wird auch die Klima-Berichterstattung diese ganzheitliche Sichtweise stärker einnehmen müssen. Andernfalls gelingt es uns nicht, die kulturellen, psychologischen, sinnlichen, ästhetischen und auch spirituellen Narrative dieser großen Geschichte zu begreifen, die gerade abläuft.
Wie würde sich die Berichterstattung denn mit diesem Perspektivwechsel verändern?
Sie verändert sich, wenn man das technokratische Paradigma durchbricht und sich nicht zu schade ist, gleichzeitig zu fragen: Wie fühlt sich denn ein Wald an? Was hört man da? Wie riecht das vermoderte Holz? Oder wie wirkt ein Rhein auf uns, der kaum noch Wasser führt? Es geht also auch um Trauer, Angst, Hässlichkeit, Verzweiflung – und dann Freude und Visionslust, wenn man sich dagegen wendet, vielleicht mit Erfolgen. Das sind wichtige zusätzliche Ebenen, die in subjektiven Formen eher ihren Platz haben und den aktuellen Informationsjournalismus natürlich nicht ersetzen sollen. Wohl aber fruchtbar flankieren als nötige Deutungsdimension.
Von wem können wir lernen?
Von Menschen und Gesellschaften, die schon viel länger so eine Sichtweise auf die Erde haben und viel mehr Erfahrung haben mit Umweltanpassung als wir. Es geht nicht darum, exotisch irgendwohin zu reisen und alte Klischees zu bedienen, sondern es geht darum, dieses indigene Wissen und Umweltwissen vor Ort, das wir auch einmal hatten, in einer modernen Sichtweise zu verstehen. Darum drehte sich meine Forschung der vergangenen Jahre.