Anti-Aging-Epigenetik: Zurück auf Jung

Forscher aus Boston verjüngen bei alten Mäusen das epigenetische Programm beschädigter Sehnerv-Zellen. Dank der Jungbrunnen-Therapie können blinde Tiere wieder sehen.

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Foto von der Hand eines alten Mannes, der die Hand eines Kindes hält.

Bei Mäusen war eine neuartige Behandlung zur Verjüngung von Sehzellen erfolgreich. Hat der bekannte Alterungsforscher David Sinclair jetzt den Jungbrunnen gefunden?

Den Satz muss man erstmal sacken lassen. Er mag so ähnlich zwar schon öfters formuliert worden sein. Doch dieses Mal trifft er womöglich zu. Und das wäre eine wissenschaftliche Sensation: „Wir zeigen hier, dass es möglich ist, ohne Nebenwirkungen das Alter eines komplexen Gewebes im lebenden Organismus zurückzusetzen und damit seine verloren gegangene biologische Funktion wiederherzustellen.“

So schreibt es ein Team um den australischen Alterungsforscher David Sinclair in einem neuen Beitrag im Fachblatt Nature. Die Forscher*innen haben beschädigte Zellen des Sehnervs alter blinder Mäuse verjüngt. Damit schenkten sie den Tieren das Augenlicht zurück. Mit einem molekularbiologischen Trick programmierten sie die Umgebung der DNA in diesen so genannten retinalen Ganglionzellen um. Die Epigenetik der Zellen – also ihre Neben- oder Zusatzgenetik – war wieder die Gleiche wie bei jungen Zellen. So kehrte im Sehnerv auch die Fähigkeit zurück, einen Schaden aus eigener Kraft zu reparieren. Er stellte die zuvor unterbundene Signalübertragung zwischen Netzhaut und Gehirn wieder her.

Das erfolgreiche Experiment – am vollständigen, komplexen Tier und nicht in irgendeinem Reagenzglas mit simplen kultivierten Zellen durchgeführt – ist also eine Art Verjüngungskur für Seh-Zellen lebendiger Mäuse. Doch vielleicht ist es sogar sehr viel mehr? Es könnte den Weg bereiten zu einer allgemeingültigen Methode, die biologische Uhr höherer Lebewesen gezielt zurückzudrehen. Damit könnten Alterungsprozesse rückgängig gemacht werden. Vielleicht gelänge das Gleiche dann sogar beim Menschen? Und es funktionierte sogar in anderen Geweben und Organen?

Vielleicht ist der Jungbrunnen schon gefunden

Bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg. Aber nicht auszudenken, was dann theoretisch möglich wäre: Man könnte zum Beispiel Bauchspeicheldrüsen verjüngen, um Altersdiabetes zu heilen. Oder man könnte die Methode im Gehirn zur Bekämpfung von Morbus Parkinson anwenden, in der Haut als Mittel gegen graue Haare und Falten und im Herzmuskel zur Abfederung der negativen Folgen eines Herzinfarkts. All das scheint denkbar.

Spätestens dann wäre es nach Jahrzehnten intensiven Forschens, nach endloser dilettierender Kurpfuscherei und geldgetriebener Scharlatanerie endlich so weit: Wir dürften von einem ernstzunehmenden Jungbrunnen sprechen. Vielleicht ist es sogar schon heute so weit.

„Die Studie ist technisch sehr hochwertig“, urteilt Peter Tessarz vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln gegenüber dem Science Media Center Germany. Das Epigenom, also die Gesamtheit der nebengenetischen Strukturen in einer Zelle oder einem Gewebe, könne den neuen Erkenntnissen zufolge „tatsächlich ein gutes Ziel sein, um altersbedingte Erkrankungen zu therapieren.“ Holger Bierhoff vom Zentrum für molekulare Biomedizin der Universität Jena kommentiert: „Überraschend an dieser qualitativ hochwertigen Arbeit ist, dass die verbesserte Regenerationsfähigkeit der Ganglienzellen mit einer epigenetischen Verjüngung zusammenhängt.“

Die epigenetische Uhr scheint das Altern auch zu steuern

Medizin-Nobelpreis für Entdeckung der Jungbrunnen-Gene

Alte Zellen werden wieder jung

Die neue Methode ist auch in anderen Fällen erfolgreich

Eine Murmel kann in einer Landschaft in verschiedene Täler hinabrollen.
Die epigenetische Landschaft: Conrad Hal Waddington entwarf dieses Bild, um den Einfluss von Genen und Umwelt auf die Entwicklung eines Lebewesens zu veranschaulichen. Die Täler stellen epigenetische Programme (Phänotypen) dar, durch die der älter werdende Organismus wie eine Murmel hinabrollt. Umwelteinflüsse bringen die Murmel von der Bahn ab und können zum Wechsel in ein anderes Tal führen. Dann ändert sich der Organismus.

Beim Einsatz von vier Yamanaka-Faktoren droht Krebs

Wir sind in einer neuen Ära angekommen. (Andrew Huberman)

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