Weiter viele Corona-Tote: Intensivmediziner warnen vor Nachlässigkeit

Divi-Präsident Gernot Marx im Interview: "Konsequentes Maskentragen und alles, was dazugehört, bleibt auch im Sommer wichtig."

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Blick auf das Bett eines an Covid-19 erkrankten Menschen auf einer Intensivstation. Neben dem Bett medizinisches Fachpersonal, das Bett ist von medizinischen Geräten umgeben.

Viele Menschen in Deutschland freuen sich über die beginnende Lockerungen der Corona-Regeln im Alltag und geöffnete Außenrestaurants. Sinkende Inzidenzen schaffen eine entspannte Stimmung. Doch noch immer sterben tagtäglich viele Erkrankte an Covid-19, allein seit zwischen 1. Mai und 22. Mai mehr als 4200 Menschen (Update 2.6.: im Mai 2021 sind in Deutschland 5500 Menschen an Covid-19 gestorben). Sie tauchen in den Nachrichten und Diskussionen aber kaum noch auf.

Noch im vergangenen Herbst galten 200 Tote pro Tag als Schreckensvorstellung. Heute werden sie wie das Nachspiel einer Pandemie behandelt, von der gesagt wird, dass sie bald zu Ende sei, obwohl weltweit betrachtet davon noch nicht viel zu sehen ist. Gerade erst hat die Bundesregierung Großbritannien wegen der Ausbreitung der Variante B. 1.617 erneut zum Risikogebiet erklärt und die Einreise erschwert.

Wir sprachen über die Lage und die anhaltend hohe Zahl von Toten in Deutschland mit Gernot Marx, dem Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen und Präsidenten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (Divi).

Herr Professor Marx, viele Menschen freuen sich, dass sie zumindest im Außenbereich von Gaststätten wieder bedient werden. Die Inzidenzen sinken seit Ende April, die Zahl der Geimpften steigt. Die Zeichen stehen auf Lockerung, Öffnung. Und doch sterben seit März bis in die letzten Tage hinein jeden Tag in Deutschland um die 200 Menschen an Covid-19. Wie passt das zusammen?

Marx: Ja, diese hohe Zahl an Toten lässt einen erstmal still werden. Dahinter stecken schlimme Schicksale.

Wie kommt es, dass die Zahl der Toten nicht schon stärker zurückgeht?

Die Erklärung dafür, dass weiter so viele Menschen sterben, ist relativ einfach: Es gibt eine Verzögerung von vier bis sechs Wochen zwischen einer sinkenden Inzidenz und einem Rückgang der Zahl der Toten. Die Inzidenz sinkt erst seit zwei, drei Wochen deutlich.

Wie ist aktuell der typische Verlauf von Erkrankung bis zum drohenden Tod?

Marx: Bei den meisten Menschen, die anschließend auf eine Intensivstation kommen, werden die Symptome sieben bis neun Tage nach Erkrankungsbeginn so schlimm, dass sie ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Drei bis vier Tage später steht dann die Verlegung auf die Intensivstation an. Von diesen Menschen müssen 50 bis 60 Prozent künstlich beatmet werden. Und von diesen Menschen stirbt leider nach wie vor jeder Zweite.

Es trifft weiterhin auch Jüngere ohne Vorerkrankungen.

Es gab die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern würde, wenn die ältesten Menschen in Deutschland geimpft sind.

Marx: Und die Impfung hatte generell auch einen sehr positiven Effekt. Die Zahl der Hochbetagten, die schwer erkranken, ist deutlich gesunken, auch die Zahl der Covid-Kranken auf Intensivstationen geht ja zurück. Doch es haben sich dann deutlich mehr jüngere Menschen angesteckt.

Gernot Marx sitzt an einem Pult bei einer Pressekonferenz und hebt die Hand.
Gernot Marx, Präsident Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), bei einer Pressekonferenz zur Corona-Lage im Januar 2021.
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