Forschung zu Infektionen und Immunsystem: Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus 2023

Die Immunologie blickt auf ein Jahr voller wichtiger wissenschaftlicher Fortschritte zurück. Diese fünf herausragenden Ereignisse sind besonders wichtig.

vom Recherche-Kollektiv Postviral:
6 Minuten
Computer generiertes Bild dreier Viren: Links Corona mit hellgrünem Spike-Protein auf der Oberfläche, und er Mitte das längliche RSV, rechts das Grippevirus mit zwei verschiedenen Oberflächenproteinen

I. Kinder gegen Malaria impfen

Es gibt neue Hoffnung im Kampf gegen die Malaria. Beide großen internationalen Wissenschaftsmagazine, Science und Nature, sehen in Mosquirix, dem ersten zugelassenen Malaria-Impfstoff überhaupt und einem weiteren Präparat, einen wichtigen medizinischen Durchbruch des Jahres 2023.

Malaria ist eine potenziell lebensbedrohliche Parasiten-Erkrankung, die durch bestimmte Moskito-Arten übertragen wird. Im Jahr 2022 erkrankten nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit rund 249 Millionen Menschen an Malaria. Schätzungsweise 608.000 starben daran – hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren. Die meisten Todesfälle gab es in Nigeria, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo, Uganda und Moçambique.

Das Risiko einer Malaria-Infektion kann durch Vermeidung von Mückenstichen oder durch die Einnahme prophylaktischer Medikamente verringert werden.

Seit Oktober 2021 empfiehlt die WHO in Ländern mit hohem Übertragungsrisiko, Kinder mit dem Impfstoff RTS, S (Mosquirix) zu impfen. Auch wenn die Schutzwirkung rasch nachlässt, senkt dieser Impfstoff die Sterblichkeit von erkrankten Kindern um 13 Prozent, wie eine aktuelle Studie zeigt. In den betroffenen Ländern sollen möglichst schnell, möglichst viele Kinder geimpft werden. Doch der Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) kann bis 2025 nur 18 Millionen Dosen liefern.

Im Oktober 2023 kam eine weitere Impfung hinzu, die die Lücke füllen soll: Das Präparat R21/Matrix-M funktioniert ähnlich wie Mosquirix. Er kann jedoch schneller und günstiger produziert werden. Das Serum Institute of India kann 100 Millionen Dosen davon pro Jahr herstellen.

II. Immuntherapie von Krebs

Immuntherapeutische Behandlungen von Tumorerkrankungen werden immer ausgefeilter und komplexer. Neu ist eine Gruppe von Medikamenten, die aus einem Antikörper und einem daran gehefteten Chemotherapeutikum besteht. Der Antikörper erkennt ein Zielmolekül auf Tumorzellen und transportiert den Wirkstoff direkt in die Krebszelle.

Ein solches Antikörper-Arzneistoff-Konjugat ist zum Beispiel das Medikament Enfortumab Vedotin (Handelsname Padvec). Es besteht aus einem monoklonalen Antikörper, der das Molekül Nectin-4 erkennt. Nectin-4 wird von manchen Krebszellen, zum Beispiel in Blasentumoren oder manchen Brustkrebsarten, in besonders großer Anzahl produziert.

In einer klinischen Studie verlängerte sich die mittlere Überlebenszeit von PatientInnen mit fortgeschrittenem Blasenkrebs von rund 16 auf 30 Monate. Diese Studie sei der größte wissenschaftliche Durchbruch bei der Behandlung von fortgeschrittenem Blasenkrebs der letzten 40 Jahre, sagt Eila Skinner, Krebsforscherin von der Stanford University gegenüber dem Fachmagazin Nature. Die Patienten in der Studie erhielten nicht nur Padvec. Zusätzlich bekamen sie einen sogenannten Checkpoint-Inhibitor, der körpereigene Immunzellen (T-Zellen) dazu bewegt, Tumorzellen anzugreifen und zu zerstören.

Bei aller Hoffnung, die eine solche Immuntherapie bei Krebs zu Recht weckt, gibt es aber immer wieder auch Rückschläge. Manche Immuntherapien schlagen bei manchen Patientengruppen überhaupt nicht an. Andere lösen schwere Nebenwirkungen aus, weil das Immunsystem zum Beispiel überreagiert oder weil die Therapie ihrerseits Krebs auslöst.

Je komplexer die Therapien, desto vielschichtiger die möglichen unerwünschten Effekte. Schließlich hat man es bei der Körperabwehr mit einem hochkomplexen, stark regulierten Organ zu tun, das dem Körper normalerweise lebenswichtige Dienste leistet, ihn bei Fehlsteuerungen aber auch zerstören kann.

III. Impfung von Schwangeren schützt Neugeborene vor dem RS-Virus

Seit August 2023 ist in den USA und Europa ein Impfstoff gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) zugelassen, mit dem Schwangere immunisiert werden sollen. Die Antikörper, die das mütterliche Immunsystem als Folge der Impfung gegen die Virushülle produziert, überqueren die Plazenta und gelangen in den kindlichen Organismus.

Als eine Art passive Immunisierung können die Schutzproteine dann den Säugling vor einer schweren Infektion schützen, die vor allem dann droht, wenn er in seinen ersten Lebenswochen mit dem RSV in Kontakt kommt. Bis drei Monate nach der Geburt senkt eine einmalige Impfung der Schwangeren das Risiko für schwere Erkrankungen der Säuglinge um gut 80 Prozent. Bis sechs Monate nach der Geburt sind es noch immer knapp 70 Prozent.

Gerade Säuglinge und insbesondere Frühchen haben ein hohes Risiko, schwer zu erkranken. Bei Kindern sei das RSV die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut. Die Infektion könne eine Lungenentzündung verursachen und zu Atemnot führen, die tödlich enden könne. Im Jahr 2019 starben weltweit mehr als 100.000 kleine Kinder in Folge einer RSV-Infektion. Der Impfstoff Abrysvo und ein weiteres Präparat sind zudem für die aktive Immunisierung von Frauen und Männern ab 60 Jahren zugelassen, die ebenfalls schwer erkranken können.

IV. Warum sich das Immunsystem nach einer EBV-Infektion gegen den eigenen Körper richten kann

Der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) und der Entstehung der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose wird immer deutlicher. Um hinter die genauen Abläufe zu kommen, Biomarker zu identifizieren und womöglich auch neue Therapien zu entwickeln, fördert die Europäische Union ein internationales Forschungskonsortium „Behind-MS“ von 2023 an für fünf Jahre mit 7, 1 Millionen Euro.

Mit dem EBV, das zur Familie der Herpesviren gehört, sind im Laufe ihres Lebens etwa 95 Prozent der Bevölkerung infiziert. Die Ansteckung erfolgt meist im frühen Kindesalter und verläuft dann in der Regel ohne Beschwerden. Erkranken Jugendliche oder junge Erwachsene kann es zum Pfeifferschen Drüsenfieber kommen, einer zum Teil schweren Erkrankung mit hohem Fieber und auffälligen Schwellungen der Lymphknoten.

Das EBV scheint im Zusammenspiel mit einer gewissen genetischen Veranlagung die Autoimmunerkrankung MS auslösen oder beschleunigen zu können. In Deutschland sind etwa 250.000 Menschen von MS betroffen, weltweit schätzungsweise 2, 8 Millionen. Die Immunabwehr greift dabei fälschlicherweise die Isolierschicht der Nerven, das Myelin, an, Gehirn und Rückenmark entzünden sich, die Übertragung von Nervenimpulsen und mit ihr die Sinneswahrnehmungen und Beweglichkeit leiden.

An der Fehlsteuerung der Körperabwehr ist offenbar ein Phänomen beteiligt, das man Molekulare Mimikry nennt: Ein Proteinabschnitt des EBV ist nahezu identisch mit demjenigen eines körpereigenen Moleküls im Nervensystem. Werden diese „autoreaktiven“ Immunzellen anders als bei gesunden Menschen nicht ausgeschaltet, greifen die Immunzellen auch die körpereigene Struktur im Nervensystem an.

V. Was bei Long Covid passiert

2019 war diese Erkrankung noch unbekannt, von 2020 bis Ende 2023 erschienen laut der medizinischen Datenbank Pubmed rund 30.000 wissenschaftliche Publikationen zu den Stichworten „Long Covid“ oder „Post Covid“.

Die Wissenschaft versteht nach und nach immer besser, welche langfristigen Schäden das Coronavirus Sars-CoV-2 im Körper von Infizierten anrichten kann. Wichtige Erkenntnisse des jetzt zu Ende gehenden Jahres sind zum Beispiel:

  • Als Begleiterscheinung von Long Covid sinkt die Menge des Neurotransmitters Serotonin im Körper. Das Interferon, das das Immunsystem im Kontakt mit dem Coronavirus ausgeschüttet, ist verantwortlich für diesen Rückgang. Der Mangel an Serotonin kann die Leistung des Gehirns beeinträchtigen.
  • Nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 funktionieren die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, nur eingeschränkt. Das kann eine Ursache dafür sein, warum verschiedene Organe auch nach Ende einer akuten Covid-19-Erkrankung nur eingeschränkt funktionieren.
  • Das Spike-Protein des Coronavirus kann sich im Schädel-Hirn-Bereich ansammeln, dort monatelang überdauern und womöglich neurologische Störungen auslösen.

Außerdem fand man heraus, dass die Krankheitslast durch Long Covid größer ist als diejenige durch „Long Flu“. Auch nach einer schweren Grippe (englisch „Flu“) haben manche Menschen zwar noch Monate bis Jahre mit Beschwerden zu tun, die auf der Auseinandersetzung des Organismus mit dem Grippe-Virus beruhen. Doch während die Grippe schwerpunktmäßig Schäden in den Atemwegen und der Lunge hinterlasse, könne Covid-19 mehrere Organe langfristig beeinträchtigen, sagt der Epidemiologe Ziyad Al-Aly von der Washington University.

Al-Aly soll es wissen, denn sein Team hat jetzt die Daten von 11.000 Frauen und Männern, die zwischen 2015 und 2019 wegen der Grippe im Krankenhaus behandelt wurden mit denjenigen von 81.000 Covid-19-PatientInnen verglichen. Um die allgemeine Krankheitslast zu senken, sollte aber insgesamt mehr getan werden, um Menschen sowohl vor schweren Grippe- oder als auch vor Covid-19-Erkrankungen zu schützen.

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