Wie das Leben unsere Gene prägt: Was Sie schon immer über Epigenetik wissen wollten

Der „Erbe&Umwelt“ Schwerpunkt erklärt, warum der neue Zweig der Genetik so wichtig ist.

9 Minuten
Ein hoher Saal mit zahlreichen Bücherregalen, gefüllt mit kostbaren Büchern. Das Trinity College in Dublin hat eine der ehrwürdigsten Bibliotheken der Welt.

Teil 1: Einführung für Laien, Teil 2: vertiefender Text für Fachleute, vom „Mann, der die Epigenetik populär machte“ (DLF)

Die Epigenetik gilt zu Recht als eines der wichtigsten Forschungsgebiete unserer Zeit. Vielleicht sind gerade deshalb so viele Halbwahrheiten und Falschmeldungen zu diesem Thema im Umlauf. Magazine, Zeitungen und das Internet sind seit Jahren voll mit wüsten Spekulationen, was die neue Tochterdisziplin der Genetik alles erklären könne: Von der angeblichen Wirksamkeit homöopathischer Globuli über die Vererbung konkreter Ängste bis zum Ende des Darwinismus wird erstaunlich viel Unhaltbares mit der Neben- oder Zusatzgenetik in Verbindung gebracht.

Vielen gilt die Epigenetik, die sogar das Risiko für Infektionskrankheiten wie Covid-19 beeinflusst, als eine Art Antigenetik, als Gegenspieler zu dem, was gerne als schicksalhafte Macht der Gene über unser Leben beschrieben wird. Doch Genetik und Epigenetik sind keine Gegner, sie arbeiten immer Hand in Hand, sie sind ein untrennbares Team. Die epigenetischen Strukturen dienen den Zellen dazu, ihre Gene zu regulieren. Dabei können sie selbstverständlich immer nur die Aktivierbarkeit jener Genvarianten beeinflussen, die wir von unseren Eltern geerbt haben. Einen anderen Gentext besitzen wir nicht. Die Epigenetik wird diesen Text niemals umschreiben, sie kooperiert mit ihm, sie braucht ihn.

Die Epigenetik ist kompliziert, sie ist jung, und es existieren gerade unter Medienvertreter*innen – aber auch unter Lehrer*innen, Mediziner*innen, Psycholog*innen und in anderen wichtigen Expert*innengruppen – kaum Fachleute dafür. Die wenigsten von uns haben in der Schule oder später im Studium etwas über die molekularbiologischen Mechanismen gelernt, die das Erbgut unserer Zellen ähnlich ordnen, sortieren, markieren und katalogisieren, wie es Bibliothekar*innen mit den zahlreichen Büchern ihrer Sammlungen tun. Epigenetische Strukturen wählen aus den vielen genetischen Möglichkeiten aus, die eine Zelle bereithält, so wie Bibliothekar*innen mitbestimmen, welche ihrer Bücher besonders häufig gelesen werden, welche seltener und welche gar nicht.

Die Sprache zwischen Umwelt und Erbe

Die Epigenetik bestimmt die Gen-Aktivierbarkeitsmuster der Zellen und kann diese mehr oder weniger fest einfrieren. So entscheidet sie über die Identität der Zellen, beeinflusst ihr Alter und schenkt ihnen ein Gedächtnis. Was die Epigenetik dabei so spannend macht, ist der Umstand, dass diese Muster überschrieben werden können. Sie sind potenziell reversibel.

Rudolf Jaenisch, der bekannte deutschstämmige Stammzellforscher aus Boston, USA, erklärte mir vor mehr als zehn Jahren, die Epigenetik sei „die Sprache, in der das Genom mit der Umwelt kommuniziert“. Damals recherchierte ich für mein Buch Der zweite Code. Es sollte das weltweit erste allgemeinverständliche, nicht esoterische Buch zur Epigenetik werden. Der Epigenetiker Moshe Szyf von der McGill University in Montréal, Kanada, ging sogar noch weiter, als er mir sagte: „Wenn die Umwelt eine Rolle bei der Veränderung unserer Epigenome spielt, dann können wir eine Brücke schlagen zwischen biologischen und sozialen Prozessen. Und das ändert unsere Sicht des Lebens total.“

Es ist diese neue Sicht auf das Leben, die mich seitdem nicht mehr los lässt. Im Buch Gesundheit ist kein Zufall schildere ich, wieso sich unser Blick auf all das, was uns zutiefst prägt, durch die Epigenetik wandelt, und wieso wir deshalb eine neue Definition von Gesundheit brauchen. Seit dem Jahr 2010 gebe ich den Newsletter Epigenetik heraus, und seit zwei Jahren arbeite ich an dieser RiffReporter-Plattform Erbe&Umwelt, Hier ergründe ich, wie wir werden was wir sind. Logisch, dass die Epigenetik in vielen Beiträgen auftaucht.

Zu wenige Menschen wissen, was Epigenetik wirklich ist

Doch wie trennen wir am besten die gesicherten Erkenntnisse der Epigenetik von den Halbwahrheiten und Märchen der Scharlatane? Verantwortlich dafür, dass so viel Falsches oder Ungenaues über diese Wissenschaft verbreitet wird, und dass so viele Menschen auf solche Botschaften hereinfallen, dürfte mangelnde Aufklärung sein. Daran möchte ich mit diesem Erbe&Umwelt Schwerpunkt etwas ändern. Laut Deutschlandfunk bin ich „der Mann, der die Epigenetik populär machte“. Spektrum der Wissenschaft schrieb über mich: „Vereinfachen, das ist das große Talent des Neurobiologen und Wissenschaftsjournalisten Peter Spork.“ Ich hoffe also, für die schwierige Aufgabe gewappnet zu sein, Ihnen all das nahe zu bringen, was Sie schon immer über Epigenetik wissen wollten.

Dabei möchte ich in zwei Schritten vorgehen: Ein erster, kostenloser Beitrag soll möglichst knapp und laienverständlich erklären, Was Epigenetik überhaupt ist.Was sind epigenetische Strukturen? Warum hat sie die Natur erfunden? Wofür sind sie gut? Was können sie leisten, und was nicht?

Der zweite Artikel geht in die Tiefe: Es ist eine ausführliche Einführung in die Welt der Epigenetik mit Literaturverweisen und vielen wissenschaftlichen Details. Darin geht es um das zelluläre Gedächtnis für Umwelteinflüsse, um epigenetische Schalter und Dimmer, um den neuen Blick auf Gesundheit und die Entstehung vieler Krankheiten sowie um perinatale Programmierung und transgenerationelle epigenetische Vererbung. Dieser Text richtet sich an interessierte Laien und Fachleute aus allen Disziplinen der Medizin, aber auch der Psychologie, Pädagogik, Gesundheitswissenschaften und Soziologie. Er ist vollständig lesbar für Erbe&Umwelt-Abonnent*innen sowie Inhaber*innen einer RiffReporter-Flatrate oder nach einer Einmalzahlung von 3,49 EUR.

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