Debatte über rechtsextreme AfD: Es braucht neue Verfahren für Parteiverbote

Statt Verfassungsrichter prüfen zu lassen, debattiert die Politik seit Jahren über einen AfD-Verbotsantrag. In der Sache kommt sie zum Schaden aller nicht voran. Die Verfahren für Parteiverbote sollten daher geändert werden. Ein Kommentar.

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Anti-AfD-Demonstration in Trier, eine junge Frau hält ein handgeschriebenes Plakat mit der Aufschrift: „AfD wählen ist so 1933“

Wann Parteien zu verbieten sind, darin ist das Grundgesetz sehr klar: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig“, heißt es in Artikel 21.

Das Grundgesetz macht ein Verbot damit allein zur Frage einer juristischen Bewertung: Erfüllt eine Partei die Merkmale der Verfassungswidrigkeit, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung präzisiert hat, so verliert sie das Recht, fortzubestehen.

Ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme AfD wird dennoch bislang fast ausnahmslos mit politischen statt juristischen Argumenten diskutiert. Gewiss: Die Debatte dreht sich auch darum, ob die vorliegenden Informationen ausreichen, ein Verbot rechtlich zu begründen – jedoch stets im Sinne eines politischen Abwägens: Was folgt für den gesellschaftlichen Diskurs, wäre der Verbotsantrag in Karlsruhe erst einmal gestellt? Wie würde er sich auf Wahlergebnisse auswirken? Wie ginge das Verfahren aus? Was, wenn am Ende kein Verbot stünde? Welche Konsequenzen hätte es, würde die AfD, die in manchen Regionen ein Drittel der Stimmen hinter sich vereint, von einem Tag auf den nächsten aufgelöst? Und was brächte ein Verbot, wenn zwar eine Partei verschwände, ihre Ideologie aber bliebe?

Merz warnt vor Anschein der „Konkurrenzbeseitigung“

Der Jurist, Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich skeptisch zu einem Verbotsverfahren geäußert, und er hat für seine Haltung offen politische Gründe benannt. Ein Antrag rieche zu sehr nach „Konkurrenzbeseitigung“, sagte Merz.

Wer diesen Gedanken zu Ende denkt, merkt, in welchem Dilemma die Debatte feststeckt. Denn entweder ist eine verfassungsfeindliche Partei derart unbedeutend, dass sie keine „Konkurrenz“ für andere Parteien darstellt – dann müsste sie gar nicht erst verboten werden. Käme es doch zu einem Verbotsantrag, so würde er just an der fehlenden Bedeutung scheitern wie 2017 das zweite NPD-Verfahren.

Oder eine verfassungsfeindliche Partei ist bedeutsam – nur deshalb bräuchte es überhaupt ein Verbot – dann aber ist sie für andere Parteien stets auch eine ernsthafte Konkurrentin. Ein Bundeskanzler muss also grundsätzlich zur „Konkurrenzbeseitigung“ bereit sein, falls er eine Situation, die einen Verbotsantrag richtig erscheinen lässt, auch nur für denkbar erachtet. Würde er dies kategorisch ausschließen, führte er das Grundgesetz ad absurdum – denn dann käme es schließlich niemals zu einem Parteiverbot.

Würde Friedrich Merz die „Konkurrenzbeseitigung“ kategorisch ausschließen, führte er das Grundgesetz ad absurdum.

Das Grundgesetz ist anders angelegt. Es räumt Parteien große Privilegien ein. Dafür setzt es ihnen Grenzen, die sie nicht überschreiten dürfen. „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit“ – also eines Verbots – „entscheidet das Bundesverfassungsgericht“, schrieben die Väter und Mütter des Grundgesetzes in Artikel 21. Sie gingen also ganz offensichtlich davon aus, dass es schon zu einer Prüfung kommen würde, wenn eine Partei unter ernsthaftem Verdacht steht, die Grenze des Grundgesetzes zu überschreiten.

Ohne Antrag keine Prüfung

Doch dazu kommt es eben nicht. Ein AfD-Verbot ist seit Jahren Gegenstand hitziger Debatten, ohne dass die höchsten Richter:innen der Republik in dieser juristischen Frage Recht sprechen dürften. Dies könnten sie erst, wenn ihnen ein Verbotsantrag vorliegt, den nur Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat stellen dürfen. De facto haben also jene zu entscheiden, die sich von politischen Erwägungen gar nicht frei machen können: Parteipolitiker:innen. Ohne ihren Antrag keine Prüfung.

Gut ist ein solcher Schwebezustand für niemanden. Er bedeutet entweder: Eine verfassungswidrige Partei darf einfach weiterarbeiten, entgegen dem klaren Willen des Grundgesetzes. Oder: Eine verfassungskonforme Partei hat ständig das Damoklesschwert eines Verbotsverfahrens über sich, ohne einen Freispruch erwirken zu können. Beides ist nur schwer erträglich – denn in einem Rechtsstaat muss Recht auch gesprochen werden können.

In einem Rechtsstaat muss Recht auch gesprochen werden können.

Entgegen der weit verbreiteten Auffassung ist das Problem, dass Parteipolitiker:innen zu entscheiden haben, ob eine wichtige rechtliche Frage gerichtlich geklärt wird, keine zwingende Vorgabe. Das Grundgesetz selbst lässt ausdrücklich offen, wie ein Prüfverfahren über ein Parteiverbot in Gang kommt. „Das Nähere regeln Bundesgesetze“, heißt es dazu knapp am Ende von Artikel 21.

Verbotsanträge aus der Bevölkerung

Dieses „Nähere“ steht im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Erst daraus geht hervor, dass derzeit nur drei Instanzen – Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat –berechtigt sind, einen Verbotsantrag zu stellen. Nicht das Grundgesetz beschränkt also den Kreis der Antragberechtigten auf drei parteipolitisch dominierte Organe, sondern ein gewöhnliches Bundesgesetz. Ein Gesetz, das sich mit einfachen Mehrheiten ändern ließe.

Genau das sollte jetzt geschehen. Natürlich wird es auch weiterhin Fälle geben, in denen nur die Exekutive ernsthaft in der Lage ist, den Antrag auf ein Parteiverbot zu stellen: dann zum Beispiel, wenn er auf Geheimdienstinformationen basiert, die einer breiten Öffentlichkeit und selbst dem Bundestag nicht bekannt sind.

Bei einem möglichen AfD-Verfahren ist dies kein entscheidender Punkt, der Verdacht der Verfassungswidrigkeit leitet sich hier bereits aus öffentlichen Quellen ab. Es braucht in solchen Fällen neue Verfahren neben den bisherigen Antragswegen. Sie müssen die Verfassungsprüfung einer Partei jenseits von Parteipolitik ermöglichen, den Weg dorthin entpolitisieren und dazu verhelfen, das endlich Recht gesprochen wird.

Es wäre daher richtig, wenn ein Verbotsantrag auch aus der Bevölkerung herausgestellt werden kann. Nicht als Zweizeiler per schneller E-Mail nach Karlsruhe – aber nach erfüllbaren Vorgaben und wenn der Verdacht der Verfassungswidrigkeit einer Partei gut begründbar ist.

Der Bundestag hätte die Möglichkeit, eine solche Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Dann ginge es in der Endlosdebatte über einen möglichen AfD-Verbotsantrag endlich nicht mehr um die Frage, ob die Antragsbefürworter:innen nicht eigentlich das Beseitigen einer Konkurrenzpartei im Schilde führen –, sondern um eine Lösung für das Problem, dass eine rechtliche Frage derzeit nicht rechtlich geklärt wird. Genau diesen Anspruch kann man aus dem Grundgesetz herauslesen.

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