Deutschland und Frankreich: Ebenso wichtig wie der politische Austausch ist der von Mensch zu Mensch
Scholz und Macron fremdeln, schade. Erfreulich ist, wenn wir als normale Bürger deutsch-französische Freundschaft leben. Eine Begegnung im TGV Paris–Reims und vier Collagen, erstellt mittels KI-Software
Morgen vor 60 Jahren unterzeichneten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast die „Gemeinsame Erklärung“ sowie einen „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit.“ Auf dieser Basis wuchsen die wechselseitigen Beziehungen und evolvierte manch nachhaltiger Austausch – eine Entwicklung, die zu stagnieren droht.
Von solchen politischen Sphären abgesehen fühle ich mich, auf der ganz persönlichen Ebene, heute enger verbandelt mit Frankreich denn je. Und erlebe die Menschen der Grande Nation im Schnitt aufgeschlossener als früher.
Vor Jahrzehnten waren viele der Nachbarn distanzierter gegenüber uns Deutschen
Als ich vor vier Dekaden erstmals durchs Nachbarland per Rad reiste, begegnete mir vielerorts jene bis in die 1990er Jahre legendäre Reserviertheit „uns Deutschen“ gegenüber. Zumal ich mich allein durch den Umstand outete, kaum francais zu parlieren. Viele Französinnen wie Franzosen blieben im Zweifelsfall gern auf Distanz zu „uns“, die wir ihr Land und ihre Leute doch so schätzen – als Kulturnation oder auch nur Urlaubsziel.
Ich verstehe diese Distanziertheit, nach all den Barbareien, die vom einstigen Deutschen Reich ausgingen.
Im vergangenen Oktober, auf meiner letzten Westeuropa-Reise durch Frankreich unterwegs, radebreche ich noch immer. Aber mit meinem Gegenüber im TGV Paris–Reims flugs ins Englische zu wechseln und mich zudem zur Weltkriegs-Topographie der Champagne auszutauschen: Dies erlebe ich trotz des grauenvollen Gesprächsthemas als beglückende Momente eines wahren bilateralen Austauschs.
Vor dem Gespräch wusste ich bereits, dass ich beim Verlassen von Reims in Richtung Nordwesten die aus dem Ersten Weltkrieg stammende Verteidigungslinie namens Siegfriedstellung passieren würde.
Im Radabteil des Zug sitzt mir eine Frau gegenüber, wohl wie ich in den Mitt-Fünfzigern. Sie weiß Bescheid über viele Einzelheiten der von den Boches provozierten martialischen Vergangenheit. Zum Beispiel, dass die Verteidigungslinie vor dem Fluss Aisne in den Höhenstellungen des Chemin des Dames kulminierte.
Die grausame Arithmetik des Krieges: An der Aisne starben Soldaten im Minutentakt
Und dass dort 105 Jahre zuvor der versuchte Vorstoß von Franzosen und Entente-Verbündeten eine der grausamsten Schlachten des Weltkriegs nach sich zog (ausführlich bei Wikipedia). Die fatale und arithmetisch kaltblütige Bilanz: Mindestens ein Mensch starb pro Minute bei der über Wochen währenden Aisne-Schlacht.
Ich diskutiere mit meiner Gesprächspartnerin über grausame technische Errungenschaften, die jenen Weltkrieg unmenschlicher und grauenhafter machten als alle Konflikte je zuvor. Wir einigen uns auf ein Objekt, das brutal simpel erscheint im Vergleich zu all den todbringenden Giftgas-Granaten, Maschinengewehren und Sprengkapseln.
Es besteht aus gedrehtem Metall und begegnet uns seit seiner Erfindung vor 150 Jahren noch heute in jeder Stadt und an vielen Weiden auf dem Land: Stacheldraht.
Stacheldraht hat kriegerische Konflikte ebenso nachhaltig verändert wie er heute noch Grenzen und Territorien sperrt. Selbst im (scheinbar) friedlichen Miteinander auf der Welt reüssiert stets aufs Neue jenes blutrünstige Eisen – und sei es nur, um Eigentum oder Tiere ab- und einzusperren.
Er verhakte sich förmlich in meinem Kopf, dieser Stacheldraht. Zumal ich, zurück zu Hause, etliche Bücher und Bilder zur bestialischen Weltkriegshistorie durchstöberte. Wie würde ich die Überhand dieses blanken Horrors aus meinem Hirn bekommen?
Ich versuchte mich an einer Art von bildlichen Manifesten – an Computer-generierten Collagen. Sie stammen von dream.ai, einer Künstlichen Intelligenz zur Bilderstellung, entworfen von der kanadischen Firma Wombo. Gefüttert habe ich „dream“ mit eigenen Fotografien (u.a. Stacheldraht-Aufnahmen) sowie den Stichwörtern, die in den Webadressen nachfolgender Bilder hinter „ki“ vermerkt sind (dazu „Bild in neuem Tab“ öffnen; „ki“ steht für künstliche Intelligenz).
Diese vier Bilder versinnbildlichen für mich die lange so schwierigen und heute doch so patenten deutsch-französischen Beziehungen.