Macht, Rassismus, Klimawandel: Das koloniale Erbe geht uns alle an
Der Direktor des Wereldmuseums Amsterdam über die Folgen des Kolonialismus – und wie wir von der Kunst lernen können, damit umzugehen.
Ein Termin morgens um 9 Uhr im Wereldmuseum Amsterdam. Direktor Wayne Modest bietet mir im Scherz seinen geeisten Kaffee an. Ich möchte mehr über die neue Dauerausstellung erfahren, in der es um die Ursachen und Folgen des niederländischen Kolonialismus im heutigen Indonesien geht. Die Konzeption basiert auf einer Analyse der gegenwärtigen Situation, in der viel über Kolonialismus geredet wird – aber die eigentlichen Fragen noch nicht gestellt wurden.
Der Titel der neuen Dauerausstellung des Tropenmuseums (seit 2023 Wereldmuseum) Amsterdam lautet „Unser koloniales Erbe“. Wer ist mit „wir“ gemeint ?
Wayne Modest Das „Wir“ hat eine doppelte Bedeutung. Es liegt darin auch eine Frage. Die Geschichte des Tropenmuseums beginnt 1864 als Kolonialmuseum, das 1910 nach Amsterdam kam, aber erst 1926 eröffnet wurde als Teil des Kolonialinstituts. Viele Leute haben gefragt, worin sich das Tropenmuseum vom Kolonialmuseum unterscheiden würde – mit Ausnahme des anderen Namens. Mit dieser Frage wollten wir beginnen, eben darüber nachzudenken, wer wir sind, jenseits der kolonialen Prägung des Hauses.
Wir wollten mit dem „Wir“ auch etwas anderes sagen. Der Titel „Unsere koloniale Erbschaft“ meint, dass das „Wir“ des Museums nicht getrennt ist von der Gesellschaft. Unser gedankliches Bezugssystem ist angeregt von der Praxis unserer Institution, die ein Teil unserer gesellschaftlichen, intellektuellen Infrastruktur ist. Wenn Rassenkunde in dieser Institution praktiziert wurde, dann hat das auch damit zu tun, dass diese Teil einer allgemeinen wissenschaftlichen Struktur außerhalb des Museums war. Rassenkunde ist nicht mehr erlaubt, wirkt aber bis heute fort. Wenn rassistische Stereotype hier repräsentiert würden, dann würde das auch mit uns gesellschaftlich in einer Beziehung stehen. Wir wollten als Institution diese besondere Verbindung des „Wir“ in das Gespräch mit dem Publikum einschreiben. Wer sind „wir“? Wessen koloniale Vergangenheit und Gegenwart ist das? Lange Zeit sprachen Leute über Kolonialismus als Geschichte derjenigen, die kolonisiert wurden. Wir wollen sagen, das ist unsere Geschichte, auch wenn wir unterschiedlich damit verbunden sind. Es ist unsere gemeinsame Geschichte, mit der wir zu kämpfen haben.
Wie nähern Sie sich dieser schwierigen Vergangenheit an?
Mit dem zweiten Teil des Titels, „Erfenis“, „inheritance“, „Erbschaft“, wollten wir uns etwas entfernen von dem Begriff legacy, also Vermächtnis. Was bedeutet es, eine komplexe und schwierige Vergangenheit zu erben? Wie geht man um mit etwas, das man als Museum, als Kurator, als Gesellschaft geerbt hat? Einiges ist evident. Wir haben eine Vorliebe für bestimmte Geschmacksrichtungen, für bestimmte Nahrungsmittel. Das ist ein Teil des kolonialen Verzeichnisses wie auch Dinge, die wir zuhause aufbewahren. Wir haben eine rassifizierende Prägung geerbt, mit der wir verstrickt sind.
Das betrifft auch das Museum. In unserem Depot sind Sammlungen, Dinge, die hat die ganze Gesellschaft geerbt. Sie sind hierhergekommen durch ungleiche Machtverhältnisse oder sind unzweifelhaft gestohlen worden. Und deshalb müssen wir als Gesellschaft durchdenken, was es bedeutet mit dieser ererbten Bürde umzugehen. Dieses analytische Konzept hat uns zu dem Titel der neuen Dauerausstellung animiert – mit dem Wort kolonial im Zentrum als verbindendes Glied zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Es ist nicht gerade einfach, eine solch komplexe Agenda in einer Ausstellung herunterzubrechen.
Ja, genau. Was wir ganz wunderbar in der Theorie als Kunsthistoriker, als Philosophen, als Theoretiker erkannt haben ist das eine – dies in eine reale Ausstellung zu übersetzen das andere.
Ich konnte mir bislang nicht vorstellen, dass das funktionieren könnte: zeitgenössische Kunst, eingebettet in eine solche Ausstellung. Mir ist die Arbeit der in Südafrika geborenen Künstlerin Marlene Dumas aufgefallen. In der Nähe ihrer Aquarelle, die Porträts zeigen, habe ich die Haut-Farben-Tafel von Gustav Fritsch aus dem 19. Jahrhundert entdeckt. War dieser Zusammenhang geplant oder ist er zufällig entstanden?
Genauso war es gedacht. Für uns ist es wichtig, unser eigenes schwieriges Verhältnis zur Vergangenheit zu erkennen. Die Haut-Tafel war in unserem Depot, denn in dieser Institution gab es Forschungen zu physiologischer Anthropologie. Es ging damals darum, Unterschiede festzuhalten. Was wir versucht haben zu zeigen, ist, dass Marlene Dumas zwei Dinge versucht hat: Auf der einen Seite bringt sie uns dazu, uns erneut zu der Frage einer geteilten Welt zu verhalten, die auf Typen basiert. Sie bringt uns dazu, uns mit der Frage der Rasse zu befassen.
Für mich stellt Dumas Werk aber noch eine andere Frage, die auch eine Frage unserer Ausstellung ist: Emanzipiert uns die Sprache des Multikulturellen, die Sprache der Diversität, von der Frage der Rasse, von den Fragen der Vergangenheit – oder aber stellt sie ähnliche Kategorisierungen auf? Es war definitiv diese Resonanz, die sich bei mir einstellte. Das ist für mich schönes Kuratieren, wenn zwei Objekte zu einer dritten Aussage einladen. In diesem Sinne setzen wir Kunst in unseren Ausstellungen ein, um eine dritte Ebene einzufügen, um eine weitere Frage anzubieten.
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Ich würde gerne noch über den Bereich sprechen, der mit dem Wort „Home“ überschrieben ist, ein Themenbereich, der offenbar zusammenhängt mit der Betonung des „Wir“ im Ausstellungstitel. Viel Raum nimmt die für die Ausstellung geschaffene Arbeit der niederländischen Künstlerin Gladys Paulus ein. Was war die Idee dieses Ausstellungsbereichs?
Wir glauben an die globale als auch lokale Verortung unserer Ausstellungen. Das wichtigste Statement lautet: Kolonialismus spielt eine große Rolle bei der Gestaltung unseres täglichen Lebens. Er hat unser Leben genauso tiefgreifend verändert wie unsere vertraute Umgebung. Die Musik, die wir hören, unsere Essgewohnheiten. In den Niederlanden stammen Handmörser oftmals aus Indonesien. Und dann sind da noch die Gewürze, die Kleidung, vielleicht sogar ein gebatiktes Stück Stoff. Viele haben ein Ritualobjekt im Regal stehen. Die migrantischen und postmigrantischen Bürger nutzen sie, um sich hier ein Zuhause zu schaffen. Da geht es um Empfindungen, um Zugehörigkeit und die Tatsache, dass Du einen Großvater hast, der in Indonesien geboren wurde.
Dies wollte Gladys ausdrücken. Ihre Arbeit sagt für mich verschiedene Dinge: Sie spricht über das Verhältnis zu dem Ort, an dem sie heute lebt, Sommerset in England, und zu dem Namen des Schiffes, der S.S. Sommersetshire, auf dem ihre Eltern in die Niederlande kamen, und was das für sie bedeutet. Sie spricht über die Wolle, die sie benutzt hat, und in welcher Beziehung sie zu ihrer Herkunft steht. Aber es gibt noch etwas anderes, was ich an dieser Arbeit faszinierend finde. Und das ist ihre furchtbare Weichheit. Da ist etwas in der Textur, die für mich etwas aussagt über das Tröstende von Wohnlichkeit. Es geht aber nicht allein um den Trost, sondern auch um eine Kritikfähigkeit gegenüber dem Gemütlichen. Der Bereich „Home“ lädt die Besucher ein, darüber nachzudenken, wie sich ihr eigenes Zuhause hinsichtlich der Gegenwart und der Vergangenheit verhält. Das bringt uns dazu zu erkennen, dass der Kolonialismus fortlebt, dass es nichts gibt, was von uns getrennt ist.
Die Ausstellung ist äußerst vielschichtig. Anders als in vergleichbaren Ausstellungen habe ich mich nicht ständig angeklagt gefühlt.
Das könnte ein kritischer Punkt sein. Für manche Leute sollte mehr Anklage in der Ausstellung sein, für andere ist sie schon anklagend genug. Wir sagen an keiner Stelle in irgendeiner Weise, dass Kolonialismus gut war oder schlecht. Wir sagen, es gibt eine Menge Leute, die vom Kolonialismus profitiert haben. Es gibt viele Stimmen hier in Amsterdam, die meinen, die Argumentation könnte schärfer sein. Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Wie wollen nicht apologetisch sein und sagen, dass Kolonialismus Unterwerfung und Zerstörung ist. Wie wollen zwei Dinge sagen. Wir alle denken normalerweise nicht in Systemen, sondern als Individuen. Was wir hier im Museum erreichen wollen, ist, dass man sich gegenseitig hilft. Die Struktur des Kolonialismus besteht unsichtbar weiter, aber was wäre, wenn Menschen ihre Worte dazu neu aushandeln?
Wo steht die aktuelle Debatte um den Kolonialismus in Amsterdam?
Wir sind an einem ganz anderen Punkt als noch vor elf Jahren, als ich hierhergekommen bin. Damals kämpfte die Nation noch damit zu akzeptieren, dass Kolonialismus stattgefunden hat. Es herrschte das Narrativ vor, dass Kolonialismus gute Dinge getan hat, Schulen oder Krankenhäuser errichtet und Plantagen angelegt hat. Wir leben jetzt in einer anderen Phase, obwohl das alte Narrativ noch sehr verbreitet ist.
Die Stadt Amsterdam hat sich bereits entschuldigt für die koloniale Vergangenheit, während der Staat zumindest einige Gräueltaten der Vergangenheit anerkannt hat. Wir befinden uns also in einer neuen Phase, was nicht heißt, dass es schon eine breite Akzeptanz gibt. Wir bewohnen weiterhin einen Raum, in dem Rasse und Rassismus weiterhin eine Rolle spielen und Ungleichheit markiert wird durch Herkunft. Die Stadt tut sich noch immer schwer mit Leuten migrantischer Herkunft, sie kämpft noch immer mit der Vorstellung ihres nicht Hierhergehörens. Noch immer fühlen sich Menschen als Zweite-Klasse-Bürger. Es gab hier einen langen Streit darüber, wem die Institutionen gehören und wer dort arbeitet. Ich glaube, wir sind da ungefähr so weit wie Deutschland oder jeder andere Teil Europas. Mit der Ausnahme vielleicht, dass in den Niederlanden wirklich alle Institutionen von dieser Debatte erfasst sind.
Wir erleben derzeit einen Moment, in dem es eine größere Akzeptanz für Kolonialismus gibt. Dass er Realität war, dass er Auswirkungen hatte, dass wir damit umgehen müssen, aber da ist nach wie vor ein Leugnen. Und wie überall in Europa sind Spannungen in der Frage da, wie man damit umgeht. Ich bezeichne das als Moment der Angst vor der Frage, wie wir uns selbst definieren sollen, und wer Teil dieser Definition ist. Die Stadt Amsterdam hat sich bereits entschuldigt für die koloniale Vergangenheit, während der Staat zumindest einige Gräueltaten der Vergangenheit anerkannt hat. Wir befinden uns also in einer neuen Phase, was nicht heißt, dass es schon eine breite Akzeptanz gibt. Wir bewohnen weiterhin einen Raum, in dem Rasse und Rassismus weiterhin eine Rolle spielen und Ungleichheit markiert wird durch Herkunft. Die Stadt tut sich noch immer schwer mit Leuten migrantischer Herkunft, sie kämpft noch immer mit der Vorstellung ihres nicht Hierhergehörens.