Warum Long Covid Betroffene noch jahrelang auf Therapien werden warten müssen
Forschende haben viele neue Erkenntnisse gesammelt, wie Long Covid entsteht. MedizinerInnen und Betroffene entwickeln gemeinsam Ideen, welche Therapien in Studien wissenschaftlich untersucht werden sollten. Trotzdem sind die Fortschritte für Millionen Betroffene gering. Es fehlt Geld und manchmal sogar der Wille, etwas zu tun.
In Deutschland hat sich die Situation für Menschen, die an den Spätfolgen einer Corona-Erkrankung leiden, kaum verbessert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zwar die „Initiative Long-COVID“ seines Ministeriums als „beachtlichen Erfolg“ bezeichnet. Doch das finanziell auf 21-Millionen Euro geschrumpfte Programm zielt vor allem auf die dringend nötige Weiterbildung von HausärztInnen, Versorgungsforschung und aktualisierte Informationen für Betroffene auf einer neuen Webseite. Die Versorgungslage der PatientInnen bleibt weiter schlecht. Viele werden nur unzureichend medizinisch betreut. Noch enttäuschender fällt die Bilanz bei der Erforschung von Therapien aus: Derzeit laufen in Deutschland nur wenige Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten. Dabei wäre viel mehr möglich, aber es fehlt das Geld.
„Wir sind froh, dass wir 2022 die erste Finanzierung für Therapiestudien bekommen haben“, lobt Carmen Scheibenbogen die bewilligten Mittel für die Nationale Klinische Studien-Gruppe (NKSG). „Aber wenn wir die PatientInnen gezielt behandeln wollen, brauchen wir viel mehr Forschungs- und Therapiestudien“, sagt die Expertin für postinfektiösen Erkrankungen der Berliner Charité bei einem Vortrag vor der Leopoldina. „Die pharmazeutische Industrie ist bislang enttäuschend wenig aktiv, was die Entwicklung von Medikamenten angeht“, so Scheibenbogen. Klinische Studien seien teuer und aufwändig, nur eines der fünf Projekte der NKSG werde von einer Pharma-Firma unterstützt, sagt die Professorin.
Dabei gibt es viele gute Gründe, die den Aufwand für mehr Studien rechtfertigen.
Denn Long Covid ist eine häufige Erkrankung, mit teils schweren Verläufen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von 36 Millionen Fällen im Regionalbereich Europa (53 Nationen) aus. In Deutschland wird die Krankheit statistisch nur unzureichend erfasst. Eine große Studie in Großbritannien hat ermittelt, dass im März 2023 etwa drei Prozent der Bevölkerung mit Long Covid kämpfte. „69 Prozent davon sind schon länger als ein Jahr krank, 41 Prozent sogar länger als zwei Jahre“, berichtet Scheibenbogen. Jeder fünfte Patient beschreibt sich als so stark eingeschränkt in seinen Alltagsaktivitäten, dass daraus häufig eine Berufsunfähigkeit folgt. „Diese Daten zeigen aber auch, dass wir seit Sommer 2022 keine Zunahme von Long Covid mehr haben“, sagt Scheibenbogen.
Vermutlich 500.000 Schwerkranke in Deutschland
Überträgt man die britischen Zahlen auf Deutschland, so ergeben sich hierzulande 2, 5 Millionen Fälle, darunter etwa 500.000 schwerkranke Menschen, für die es derzeit keine Aussicht auf Heilung gibt. Die ÄrztInnen können Symptome lindern, mehr nicht. Die Zahlen sind alarmierend. Nicht nur wegen der menschlichen Schicksale, die dahinterstehen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte im November, er fürchte „eine soziale Katastrophe“, die die Gesellschaft und die Sozialversicherungssysteme angesichts der Kosten lange begleiten werde.
Jungen Menschen droht Berufsunfähigkeit
Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Das Altersspektrum liegt zwischen 19 und 66 Jahren mit einem Schwerpunkt bei Anfang 40, in einem Alter also, bei dem viele noch mitten im Berufsleben stehen. „Ich finde es ganz schlimm, dass wir so viele jungen Menschen jetzt in die Rente schicken“, sagt Scheibenbogen.
Überall, wo Carmen Scheibenbogen über Long Covid spricht, trifft sie auf Betroffene. Auch in ihrer Post-Covid-Fatigue Sprechstunde bei der Charité begegnet sie vielen, oft verzweifelten oder enttäuschten Menschen, die Hilfe erwarten. Einige gehen bereits in das dritte Krankheitsjahr und haben gelernt, sich selbst Therapien zu suchen. Die Corona-Langzeitkranken haben sich schon sehr früh in den sozialen Medien und Selbsthilfegruppen organisiert. Dort berichten sie über ihre Therapieversuche, veröffentlichen und sammeln die Ergebnisse bei Twitter und anderen sozialen Netzwerken. Diese Erkenntnisse mögen Hinweise liefern und als Strohhalm für Schwerkranke dienen, wissenschaftlichen Anforderungen halten sie nicht stand.
Teure Therapieversuche bei Long Covid
Oft fressen die Therapieversuche und die Berufsunfähigkeit die finanziellen Rücklagen der Betroffenen auf. Bei der Leopoldina tritt eine Frau ans Mikrofon. Sie berichtet, dass eine sechsmonatige Infusionstherapie mit Immunglobulinen ihr sehr geholfen habe. Ihr Zustand habe sich deutlich verbessert, aber die Krankenkasse lehne die Weiterführung der teuren Therapie ab, weil keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit vorlägen. Die Frau kann die Kosten nicht selbst zahlen.
Für Scheibenbogen ist sie kein Einzelfall, dabei sei der Ausweg aus diesem Dilemma einfach. „Wir müssen wissenschaftliche Therapiestudien zum Einsatz von Immunglobulinen machen, die als Vergleich eine Kontrollgruppe enthalten“, fordert sie. „Dann wüssten wir nach einem Jahr, in welchen Fällen diese Therapie wirksam ist, sie bekäme eine Zulassung und könnte dann eine Kassenleistung werden“, sagt die Professorin.
Der Einsatz von Immunglobulinen ist ein gutes Beispiel, wie ÄrztInnen derzeit nach möglichen Therapien für ihre PatientInnen suchen. Sie wollen erfolgreiche Therapien von anderen Erkrankungen auf Long Covid übertragen. Die Wirksamkeit von Immunglobulinen bei Autoimmunerkrankungen ist bekannt und viele Long-Covid-Fälle zeigen ähnliche Charakteristika.
Corona-Virus kann alle Zelltypen angreifen
Dieses Konzept kann erfolgreich sein, denn die Ursachenforschung hat bei Long Covid wichtige Fortschritte erzielt. Das Corona-Virus kann nicht nur die Lunge angreifen, sondern fast alle Zelltypen des menschlichen Körpers attackieren. Das kann dauerhafte Muskelschmerzen auslösen, den Kreislauf durcheinanderbringen, das Gehirn schädigen, zu chronischen Erschöpfungszuständen führen und viele andere Symptome auslösen. Derzeit sind mindestens zehn unterschiedliche Mechanismen bekannt, wie Long Covid entstehen kann. Das erklärt, warum die Krankheit mehr als 200 Symptome in zehn Organsystemen verursacht, die bisher unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst wurden.
Inzwischen ist klar: Long Covid ist nicht gleich Long Covid. Die Krankheit lässt sich in vier bis fünf Subtypen unterteilen, denen verschiedene Entstehungswege zugrunde liegen und die deshalb auf unterschiedliche Art therapiert werden müssen . Die Spezialambulanzen für Long Covid können dabei helfen, dass im Labor die richtigen Blutwerte und Biomarker bestimmt werden, damit ein großer Teil der Betroffenen endlich erfährt, zu welchem Subtyp er gehört.
Zugelassene Medikamente für Long Covid testen
Damit ist ein großer Schritt getan. „Wir haben im Jahr 2023 viele schon zugelassene Medikamente, die hochwirksam gegen diese Mechanismen helfen könnten“, sagt Carmen Scheibenbogen. „Wir müssen sie nur noch in klinischen Studien prüfen und zur Zulassung bringen.“ Doch genau das passiert viel zu selten. Die Betroffenen erleben eine unverständliche Situation. Der Weg, wie zumindest ein Teil der vermutlich 500.000 schwerkranken Menschen eine wirksame Therapie bekommen könnte, ist aufgezeigt. Medikamente, die schon eine Zulassung haben, könnten gestützt durch wissenschaftliche Kriterien auch bei Long Covid angewendet werden.
Aber dieser Weg wird bisher nicht gegangen. Im Streit um Kürzungen am Bundeshaushalt bleibt abzuwarten, wie viel Geld das Forschungsministerium (BMBF) am Ende für Therapieforschung ausgeben kann. Der schleppende Entscheidungsprozess strapaziert die Geduld der Forschenden und der PatientInnen. Die Vorbereitung einer klinischen Studie dauert in der Regel etwa ein Jahr. Bis Ergebnisse vorliegen, wird ein weiteres Jahr vergehen. Während dieser Zeit treffen bei den Versicherungen Monat für Monat neue Anträge auf Berufsunfähigkeitsrente ein.
Methylprednisolon und Vericiguat als Kandidaten
Die Studien, die derzeit im Rahmen der NKSG durchgeführt werden, zeigen wie es besser laufen könnte. Dort wird beispielsweise der Wirkstoff Methylprednisolon an PatientInnen mit verminderter kognitiver Gedächtnisleistung im Vergleich zu einer Gruppe getestet, die Placebos bekommt. Das synthetische Glucocorticoid kann entzündliche Vorgänge im zentralen Nervensystem unterdrücken und wird bereits bei Multiple Sklerose oder bei Rückenmarksverletzungen eingesetzt.
Der Bayer-Wirkstoff Vericiguat könnte Long-Covid-Patienten helfen, wenn diese an einer schlechten Durchblutung der Gefäße leiden, weil das Coronavirus die Zellen der Blutgefäße angegriffen hat.
Eine andere Studie richtet sich gezielt an Betroffene mit erhöhten Werten an (ß2 R)-Autoantikörpern, die sich gegen Adrenalinrezeptoren im Körper richten. Die Autoantikörper können mit Hilfe eines speziellen Filters aus dem Blut entfernt werden, die PatientInnen bekommen danach ihr eigenes gereinigtes Blut zurück. Diese sogenannte Immunadsorption wird schon seit einigen Monaten als Therapie diskutiert und von einigen PatientInnen bejubelt, während sie bei anderen keine nachhaltige Wirkung zeigt. Offenbar lassen sich die Misserfolge einfach erklären: Nicht jeder Long-Covid-Subtyp geht mit der Bildung von Autoantikörpern einher.
Long Covid als epidemische Hysterie?
Doch trotz aller Fortschritte muss Carmen Scheibenbogen noch immer Ärzte überzeugen, dass Long Covid als Erkrankung überhaupt existiert. Dabei sind Erkrankungen als Spätfolgen von Virusinfektionen kein neues Phänomen. „Sie wurden von der Medizin lange vernachlässigt und überhaupt nicht als schwere und häufige Erkrankungen gesehen“, sagt Scheibenbogen. Selbst heutzutage hat nur jede dritte Medizinerausbildung in Deutschland diese Erkrankungsform im Curriculum des Studiums. Diese Missachtung habe Wurzeln zurück bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts, sagt Scheibenbogen. Postinfektiöse Erkrankungen wurden häufig in einem Zusammenhang mit Depressionen und Burnout eingeordnet. Weil überwiegend Frauen erkrankt waren, prägte sich der Ausdruck der „epidemische Hysterie“. „Wir wissen heute, dass Frauen von Autoimmunerkrankungen deutlich häufiger betroffen sind, weil sie ein aktiveres Immunsystem haben“, so die Professorin.
KassenärztInnen sehen keinen Bedarf
Diese unterschiedliche Einordnung des Krankheitsbilds hemmt auch die Entwicklung von Therapien. Das Zentralinstitut kassenärztliche Versorgung berichtet in seiner aktuellen Statistik, dass im vierten Quartal 2022 in Deutschland 334.897 Erkrankte mit dem Post-COVID-19-Syndrom in vertragsärztlicher Behandlung gewesen sind. Hier werden aber nur die PatientInnen gezählt, bei denen der Arzt in den Abrechnungsdaten als Diagnose den ICD-Code U09.9 (Post-COVID-19-Zustand, nicht näher bezeichnet) angegeben hat. Das sind aber bei weitem nicht alle Betroffenen, denn es gibt andere Ziffern für Diagnosen, die ebenfalls zum Krankheitsbild gehören. Dennoch kommt der ZI-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried zu einer Schlussfolgerung, die viele Betroffene als Schlag ins Gesicht auffassen.„Unsere Daten zeigen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Post-COVID-Patientinnen und -Patienten keine spezielle medizinische Versorgung über einen längeren Zeitraum hinweg benötigt“, sagt er.
Die PatientInnen müssen nun weiter warten. Sie hoffen, dass im Budget des Bundeshaushalts Forschungsmittel bereit gestellt werden. Vielleicht bringt ein runder Tisch mit allen Beteiligten im September im Gesundheitsministerium Fortschritte für die Therapieforschung.
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