Wirtschaftsminister Habeck: Taktieren beim Lieferkettengesetz

Der Kaffee, den wir trinken, das T-Shirt, das wir tragen, könnten unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert worden sein. Das deutsche Lieferkettengesetz soll genau dagegen Abhilfe schaffen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte Anfang Juni angekündigt, das Lieferkettengesetz zu „pausieren“. Inzwischen wurde daraus ein „reduzieren“: die Bundesregierung arbeitet an Erleichterungen bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes. Der Bundesverband für Nachhaltige Wirtschaft kritisiert diesen Vorschlag scharf.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
8 Minuten
Halbtotale. Wirtschaftsminister Robert Habeck steht vor schwarzem Hintergrund. In seiner linken Hand hält er ein schwarzes Mikrofon. Seine rechte Hand hält er mit der Innenfläche nach außen, wie zur Begrüßung. Er lächelt leicht.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) hatte am 7. Juni überraschend vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für zwei Jahre auszusetzen. „Wenn das EU-Gesetz zügig in deutsches Recht überführt wird, sollten wir aber pragmatisch beim Anpassungsprozess vorgehen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettengesetz, so lange bis das EU-Recht umgesetzt ist, zu pausieren beziehungsweise deutlich zu reduzieren.“ Nun wurde daraus ein „reduzieren“.

Das belegt ein gemeinsames Papier von Wirtschafts- und Arbeitsministerium, das RiffReporter vorliegt. Es trägt den Titel „Optionen für untergesetzliche Maßnahmen zur praxisnahen Anwendung des LkSG, auch im Lichte der Vorgaben der CSDDD“ und wurde kürzlich an verschiedene Wirtschaftsverbände versandt. Das LkSG biete „in seiner aktuellen Form Spielraum“, einige Bestimmungen bereits jetzt in der Prüfpraxis des BAFA zur Anwendung zu bringen, steht in dem Papier.

Es gibt – und das macht die Sache etwas komplizierter – zwei Lieferkettengesetze, ein deutsches und eines der EU. Das sogenannte EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz: CSDDD) wurde am 24. Mai 2024 final beschlossen. Die Mitgliedstaaten müssen diese europäische Richtlinie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) soll dem aktuellen Entwurf nach durch Weisungen der Ministerien angehalten werden, die Verwaltungspraxis zur Durchsetzung des Lieferkettengesetzes bereits an die „praxisnahen und wirtschaftsfreundlichen“ Bestimmungen der CSDDD-Richtlinie anzupassen, bevor diese in rund zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden muss. Das Bafa soll etwa seine Prüfpraxis an den „risikobasierten Ansatz“ der CSDDD angleichen. Damit ließe sich auch die „verbreitete Praxis eindämmen, flächendeckend alle Zulieferer anzuschreiben oder die gesetzlichen Anforderungen Eins-zu-Eins weiterzugeben“, heißt es in dem Papier.

Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) geht auf Nachfrage von RiffReporter davon aus, dass durch die Anpassung des deutschen Lieferkettengesetzes an die CSDD-Richtlinie, die erst 2026 auf nationaler Ebene umgesetzt werden muss, hier vorher die LkSG-Berichtspflichten ausgesetzt werden. Zudem seien nicht alle Berichtspflichten nach CSRD, die der Entwurf erwähnt, national definiert.

„Wir warnen davor, die Berichtspflichten gemäß Lieferkettengesetz auszusetzen“, so Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des BNW. Die Berichtspflichten – sie sind der springende Punkt. Denn während das deutsche Lieferkettengesetz Berichtspflichten der Unternehmen bereits einfordert, müssen die Mitgliedsstaaten die CSDDD zunächst in nationales Recht umsetzen. Die ersten Unternehmen würden demnach „frühestens 2027, verpflichtet sein, Berichte abzugeben“, sagt Karolin Fitzer, Associated Partner von der Wirtschaftskanzlei Noerr.

Mit Blick auf das aktuelle Papier von BMWK und BMAS kritisiert Katharina Reuter vom BNW: „Der neue, gemeinsame Vorschlag aus dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium zum Lieferkettengesetz ist keine Lösung der Debatte. Die vorgeschlagenen Flexibilisierungen, insbesondere bei der Risikobewertung und den Audit-Prozessen, könnten zu Schlupflöchern führen und das Gesetz deutlich abschwächen.“

Was das deutsche Lieferkettengesetz verlangt

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz, LkSG) ist bereits seit dem 1. Januar 2023 in Kraft. Galt es bisher nur für Firmen ab 3000 Mitarbeitern, verpflichtet es seit dem laufenden Jahr auch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern, Risiken von Menschenrechtsverletzungen und bestimmten Umweltschäden zu analysieren und in ihren Berichten transparent zu machen. Firmen müssen Präventionsmaßnahmen umsetzen, Beschwerdemechanismen einrichten und bei Verstößen den Missstand beheben. Auch alle nationalen und internationalen Vertragspartner und Zulieferer mit weniger Mitarbeitenden müssen sich daran halten.

Die zuständige Kontrollbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), geht zum derzeitigen Zeitpunkt davon aus, dass rund 5200 Unternehmen unter das LkSG fallen. „Das BAFA unterhält keine Liste von Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) fallen und berichtspflichtig sind“, sagte ein Sprecher des BAFA.

Die betroffenen Firmen müssen jährlich einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr erstellen. Im Jahr 2023 haben sich das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesarbeitsministerium (BMAS) bereits darauf geeinigt, die Berichtspflichten zu vereinfachen: Die Berichte müssen nun weniger umfangreich und detailliert ausfallen, der bürokratische Aufwand verringerte sich.

Das BAFA hatte zudem die Abgabefrist für den ersten LkSG-Bericht verlängert, Berichte für 2023 und 2024 werden somit erst zum 1. Januar 2025 fällig. Hintergrund der Verlängerung ist, dass Deutschland die europäische Richtlinie CSDDD derzeit in nationales Recht umsetzt.

Doch trotz dieser reduzierten Berichtspflichten beklagen sich einige Wirtschaftsverbände weiter über das Gesetz: angeblich sei es zu teuer, zu aufwendig und nachteilig für die deutsche Wirtschaft. Stimmt das?

Deutsche Wirtschaft steht mehrheitlich hinter dem Gesetz

Eine Studie der Unternehmensberatung wmp consult zeigt: Gut zwei Drittel der großen börsennotierten Unternehmen erfüllen schon heute im Wesentlichen die Anforderungen des LkSG. Eine repräsentative Umfrage des Handelsblatt Research Institute bei 2.000 Unternehmen in Deutschland aus diesem Jahr belegt: Nur sieben Prozent der Betriebe lehnen die Verpflichtung ab, die große Mehrheit steht hinter dem LkSG.

Die Zahlen und Umfragen bestätigen also: Die deutsche Wirtschaft steht mehrheitlich hinter dem Gesetz.

„Ob ein solcher Schritt zu einer breiten Entlastung führt, erscheint zweifelhaft“

Auch die deutsche Großkanzlei Noerr, die Unternehmen zu ihren Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten berät, kritisiert Habecks Vorstoß. „Ob ein solcher Schritt zu einer breiten Entlastung führt, erscheint zweifelhaft“, schreibt die Kanzlei auf ihrer Webseite. Der Großteil der verpflichteten Unternehmen habe bereits seit Längerem die Umsetzung des LkSG geplant und signifikante finanzielle und sachliche Ressourcen eingesetzt, heißt es weiter.

Spätestens zum 01. Januar 2024 mussten etwa Unternehmen der zweiten Umsetzungsrunde – also mit einer Größe ab 1000 Mitarbeitern - interne Ressourcen für die Überwachung des Risikomanagements bereitstellen, also etwa einen Menschenrechtsbeauftragten einstellen, und ein LkSG-Beschwerdeverfahren einrichten. Ab dem gleichen Tag mussten diese Unternehmen beginnen, die restlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen. So verlangen es bislang die von BMWK, BMAS und BAFA gemeinsam erarbeiteten Pflichten.

Warum eine Regelung wie das LkSG überhaupt notwendig wurde, ist ein offenes Geheimnis. Denn das Prinzip der Freiwilligkeit, also dass Firmen freiwillig die Menschenrechte entlang der Lieferketten achten sollen, war im Vorfeld krachend gescheitert. Im Dezember 2016 verabschiedete die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP, 2016–2020). Doch nur ein Bruchteil der Unternehmen erfüllte damals die Sorgfaltspflicht.

Gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte tragen Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten. Auch Wirtschaftsminister Habeck will daran nicht rütteln: „Waren, die unter elenden Umständen produziert werden, für die Kinder schuften müssen, Erwachsene leiden, Umwelt zerstört wird, sollten nicht bei uns verkauft werden.“

Doch Habecks Äußerungen zum Lieferkettengesetz fallen in eine höchst angespannte Zeit. Die Union wurde stärkste Kraft bei der Europawahl, die AfD lag in der Gunst der Wählerinnen und Wähler noch vor SPD und den Grünen. Die Ampel ist angezählt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnt bereits vor einem Koalitionsbruch, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung lässt sie gar den Begriff Neuwahlen fallen.

Hinzu kommt: Bis Anfang Juli will sich die Koalition auf einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 einigen, ein zweistelliger Milliardenbetrag soll eingespart werden.

Die heiße Phase im Haushaltsstreit hat begonnen.

Die Forderungen nach dem Aussetzen des Lieferkettengesetzes durch Habeck entwickelten eine eigene Dynamik.

Hitzige Debatte um Sorgfaltspflichten

Die Union nutzt Habecks Äußerungen als Steilvorlage, das deutsche Gesetz zu attackieren. Dazu hatte die CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf „zur Aufhebung des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ (20/11752) vorgelegt.

Auch die FDP will das deutsche Lieferkettengesetz einfrieren. FDP-Fraktionschef Christian Dürr befürwortet Habecks Vorstoß. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht sich mit Robert Habeck auf einmal „auf einer Linie“: Auf X schreibt der Liberale: „Es wäre ein Baustein der Wirtschaftswende, wenn wir das Lieferkettengesetz (der GroKo) aufheben und die neue EU-Richtlinie später in schlanker Form umsetzen.“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hingegen hält nichts von Habecks Vorschlag. Es sei „gewohnte Praxis, nationale Regelungen an EU-Recht anzupassen. Bis dahin bleibt es aber beim gültigen Gesetz.“ Daher werde sich die SPD-Fraktion nicht an einer pauschalen Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes beteiligen.

Und die Grünen? Die wollen die Äußerungen von Habeck wieder einfangen. „Den Übergang vom deutschen zum europäischen Lieferkettengesetz müssen wir gerade für kleine und mittelgroße Unternehmen so einfach wie möglich gestalten“, sagt Anna Cavazzini – sie ist die grüne Verhandlerin im Handelsausschuss des EU-Parlaments. Das hieße aber nicht, dass das deutsche Lieferkettengesetz insgesamt pausiert würde. Auch Maik Außendorf (Grüne) spricht lieber von „harmonisieren“ – in einer Rede, die CDU/CSU-Abgeordnete mit Zwischenrufen wie „Pausieren“ und „‚Pausieren‘, war die Ankündigung!“ unterbrachen.

Wie es nach Habecks Plänen weitergehen soll

„Der Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards wird nur dann erfolgreich sein, wenn Vorgaben auch bei den Unternehmen Akzeptanz finden.“ So begründet Habeck seinen Vorstoß.

So kann man das verstehen. Eine andere Lesart aber ist: Der Wirtschaftsminister bietet der FDP eine Art Verhandlungsmasse an – inmitten sehr schwieriger Gespräche zum Haushaltsbudget für 2025. In einer Woche - bis zum 3. Juli - soll das Budget stehen. Die Verhandlungen gelten als große Belastungsprobe für die Ampel-Koalition.

Für das Lieferkettengesetz zuständig ist im Übrigen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Aus dessen Behörde heißt es, man strebe „eine möglichst einfache sowie praxisnahe Umsetzung des LkSG und der EU-Lieferkettenrichtlinie“ an. Konkret bedeutet das: Heil ist nicht gewillt, auf Habecks Vorstellungen einer Pausierung einzugehen, könnte aber im Umsetzungsprozess Zugeständnisse machen.

Das scheint jetzt mit dem 3-seitigen Papier „Optionen für untergesetzliche Maßnahmen zur praxisnahen Anwendung des LkSG, auch im Lichte der Vorgaben der CSDDD“ zu passieren, der jetzt öffentlich wurde. Katharina Reuter vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft kritisiert den Entwurf scharf: „Das ist nicht nur eine Abstrafung großer Teile der deutschen Wirtschaft, die in den letzten Jahren erhebliche Mittel in die Prüfung ihrer Lieferketten gesetzt hat, sondern auch ein Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Unternehmen, die ihre Lieferketten nicht unter Kontrolle haben, seien schon heute von internationalen Klagen bedroht – und die Regulierung nehme stetig zu, sagt Reuter.

Die Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie wird schrittweise erfolgen. Sie beginnt mit den größten Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz im Jahr 2027.

„Deutschland kann es sich nicht leisten, weitere zwei Jahre auf die Regulierung der EU zu warten und business as usual zu betreiben“, sagt Reuter vom BNW. Sie fordert: „Wir brauchen jetzt eine nachhaltige und verantwortungsvolle Gestaltung globaler Lieferketten. Nur so können wir die Wirtschaft von morgen mitgestalten, internationale Standards prägen und sicherstellen, dass ‚Made in Germany‘ Zukunft hat.“

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