„Lessons from Africa“: Technologische Lösungen für die nachhaltigen Entwicklungsziele

Von Ed-Tech bis Telemedizin – ein Jahr lang haben wir mit einer deutsch-afrikanischen Community über Entwicklungsziele und digitale Lösungen diskutiert – eine Bilanz.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
7 Minuten
Zwei Mädchen in der Schulbank, vor sich ein Tablett, das aufgestellt haben, um besser sehen zu können. Sie tragen gelbe T-Shirts und braune Kleider, ihre Schuluniform. Im Hintergrund sie weitere Kinder in der Klasse zu sehen.

Here you can find anEnglish version of this article for Download. Vous trouverez iciune version française de l'article à télécharger.

Ein Jahr lang haben wir an dieser Stelle technologische Lösungen afrikanischer Entwicklerïnnen vorgestellt. Ihr Ziel: Die Lebenssituation der Bevölkerung in unterschiedlichen Bereichen zu verbessern und so dazu beizutragen, dass wir als Weltbevölkerung die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) erreichen. Wir haben den Fokus bewusst auf Lösungen gerichtet, die auf dem Kontinent entwickelt wurden. Und nicht auf Projekte der Entwicklungszusammenarbeit oder auf Lösungsansätze, die im Globalen Norden erdacht wurden. Denn die Projekte der afrikanischen Entwicklerïnnen sind meist maßgeschneidert für die Herausforderungen, mit denen sich die Menschen in ihrem Umfeld konfrontiert sehen. Im Unterschied dazu gehen viele Projekte der internationalen Entwicklungszusammenarbeit an den lokalen Realitäten vorbei.

Im Rahmen unseres Rechercheprojektes „Lessons from Africa“ haben wir besonders auf Lösungen geschaut, die ein Erreichen der ersten sechs der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele anstreben:

Diese Lösungen haben wir mit einer deutsch-afrikanischen Community diskutiert – also mit Menschen von beiden Kontinenten, die sich für interkulturellen Austausch, für Entwicklungsziele, für Landwirtschaft oder die afrikanisch-europäische Zusammenarbeit interessieren. Heute lassen wir Entwicklerïnnen und Mitglieder der Community Bilanz ziehen.

Wir wollten von ihnen als erstes wissen, wie sie die Möglichkeiten einer lösungsorientierten Berichterstattung einschätzen. Können solche Berichte etwas verändern, sei es in der Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents, oder in Verbreitung von Lösungsansätzen? Die Reaktionen waren gemischt.

Abaas Mpindi schaut den Betrachtenden schräg von unten an. Er trägt ein dunkelblaues Hemd und eine Weste mit buntem, afrikanischem Muster.

„Journalistische Projekte wie dieses können denjenigen eine Stimme geben, die ansonsten keine Plattform haben, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen.“ Abaas Mpindi

Der Journalist Abaas Mpindi, Geschäftsführer der „Media Challenge Initiative“ in Uganda, ist davon überzeugt, dass lösungsorientierte Berichte „die Narrative über Afrika“ verändern können. Sprich: Das Bild von einem Kontinent der Krisen erweitern, den Blick auf Möglichkeiten öffnen. Mpindi ist Trainer für lösungsorientierten Journalismus.

Der Pfarrer Martin Schwarz äußerte sich dankbar für die Möglichkeit um direkten Austausch mit Menschen aus dem Globalen Süden durch das Projekt „Lessons from Africa“. Aus seiner Sicht braucht es aber noch mehr, damit es zu Veränderungen kommt. Er findet es „wesentlich, dass diejenigen mit Reichweite und Zugang zu Machtpositionen darauf achten, dass alle zu Wort kommen und ihre Bedürfnisse und gehört werden“. Journalistïnnen könnten dazu einen Beitrag leisten, aber auch andere Institutionen wie Sozialverbände oder politische Organisationen müssten das ihre tun und eine „anwaltschaftliche Rolle“ übernehmen. Diese sei aber „häufig noch stark von einer Expertïnnenrolle geprägt, die stellvertretende Interessen vertritt und weniger den Betroffenen selbst Gehör verschafft“. Eine solche Art der Interessenvertretung „stehe immer in Gefahr, Machtverhältnisse zu stabilisieren, selbst wenn es gelingt, marginalisierte Perspektiven einzubringen“, meint Schwarz. Sein Fazit: „Die Institutionen behalten ihre Gate-Keeper-Rolle.“ Das gilt auch für den Journalismus, selbst wenn er sich um lösungsorientierte und partizipative Perspektiven bemüht.

Noch kritischer äußerte sich Gerhard Karpiniec, der seit 55 Jahren Erfahrungen mit der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit sammelt. Um wirklich etwas verändern zu können, müssten Journalistïnnen „noch mehr Querdenken und Fakten miteinander verbinden“. Die wirtschaftlichen Interessen der Auftraggebenden verhinderten eine wirklich kritische Berichterstattung, denn die Inhalte der Berichterstattung orientierten sich vor allem an den erwarteten Auflagen- und Verkaufszahlen von Zeitungen – und nicht an der Frage, welche Informationen die Gesellschaft erhalten müsste.

Uns interessierte eine weitere Frage:

Was müsste Europa aus Sicht der Community-Mitglieder tun, um die SDGs zu erreichen?

„Ich glaube, dass Europa und Afrika zusammenarbeiten und sich gegenseitig ergänzen können, um die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen“, meinte Noxolo Mbokoma, ehemalige Geschäftsführerin des Zenzeleni-Community-Networks, dem ersten südafrikanischen Internetprovider, der einer Kooperative gehört. „Afrika hat den Markt, Europa hat Zugang zu Finanzmitteln. Warum sollten wir nicht beides miteinander verbinden und etwas Bemerkenswertes auf die Beine stellen?“

Der deutsche Agrarwissenschaftler Tobias Liemersdorf sieht allerdings auch in Europa Handlungsbedarf: Es sei „wichtig, dass Europa – die einzelnen Länder, die Politik und die Menschen in Europa – verstehen, dass die Welt nicht in entwickelte Länder und nicht-entwickelte Länder eingeteilt ist, und dass die SDGs auch für uns in Europa eine große Relevanz haben“. Denn auch in Deutschland hätten wir unter anderem „große Probleme damit, unser Handeln wirklich nachhaltig zu gestalten“. Liemersdorf arbeitet seit Jahren für ein Klimaschutzprojekt in Togo. Er hinterfragt auch das Interesse Deutschlands und anderer Staaten daran, Staaten des Globalen Südens Geld zu schicken, damit sie die SDGs bei sich erreichen. Dabei handele es sich nicht um reine Hilfe oder Wohltätigkeit. „Deutschland und Europa haben wegen ihrer Vergangenheit (Kolonialgeschichte) eine klare Verpflichtung, die ärmeren Länder bei der Erreichung der SDGs zu unterstützen. Sie haben ja auch selbst viele Vorteile davon.“ Viele Gelder, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gezahlt werden, fließen in Form von Gehältern oder durch den Ankauf von Fahrzeugen und anderen Materialien nach Europa zurück. Diese Erkenntnis hat sich laut Liemersdorf allerdings noch nicht durchgesetzt: „Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen in Deutschland uns in Deutschland immer noch als ‚Helfer‘ verstehen. Ich denke, dass es noch viel Sensibilisierungsarbeit braucht, um das zu ändern.“

Was würdet ihr unseren deutschen Lesern gerne mit auf den Weg geben?

„Überprüfen, alles auf Fehler analysieren und nicht mit ‚Helferaugen‘durch die Welt gehen, sondern mit klarem Kopf“, meint dazu Gerhard Karpiniec.

Ein Portrait der Bäuerin Lucy Muigai. Sie guckt freundlich in die Kamera, im Hintergrund ihre kräftig stehenden Maispflanzen.
Eine junge Frau mit langen, braunen Haaren. Sehr offener Blick, sie lächelt.

„Afrika ist keine geschlossene Einheit, in der überall die gleichen Lösungen wirksam sein können. Viele Medienberichte berücksichtigen die vielen Unterschiede nicht. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert.“ Lucy Mugenkenyi, Bio-Landwirtin, Kenia

„Wir können alle lernen, dass es in den afrikanischen Ländern viele Menschen gibt, die sich wirklich um die Zukunft sorgen und von vielen Lösungsmöglichkeiten wissen. Und dass ihnen die technologische Entwicklung trotz all der anderen Probleme am Herzen liegt.“

Nour Trabelsi, Studentin der Ingenieurswissenschaft, Tunesien

Wir haben auch die Entwicklerïnnen, deren Lösungen wir im Laufe der Serie vorgestellt haben, um einige Antworten gebeten.

Hier kommt eine Scroll Galerie. Wenn Sie Sound in den Videos hören möchten, sollten Sie dies hier aktivieren:


Ein Halbportrait. Martin Schwarz schaut den Betrachter leicht von der Seite lächelnd an. Er trägt einen grauen Pullover und einen bunten Wollschal, ist vielleicht Mitte/ Ende 40.
Eine junge Frau mit langen, braunen Haaren. Sehr offener Blick, sie lächelt.
Ein Mann schräg von der Seite im Halbportrait, offenbar im Zug. In der linken Bildhälfte ist ein Fenster, der Blick geht auf eine sehr karge Landschaft, im Hintergrund ein Tafelberg.

Eine App für „smarte“ Bewässerung, Düngung und Krankheitskontrolle bei Pflanzen.

Eine App, um die Freude am lernen zu fördern.

Digitale Jobvermittlung in Mosambik.

Ein „Uber“ für den Acker.

„Wir sollten aufhören, überall Lösungsansätze umsetzen zu wollen, die in Europa entwickelt wurden. Es gibt so viel, was wir von anderen lernen können und müssen: über den kulturellen Kontext, unterschiedliche Herangehensweisen bei der Lösung von Problemen und so weiter. Wir müssen lernen, lernend weiterzugehen.“ Martin Schwarz, Pfarrer, Deutschland

„Veränderung kann nicht auf einmal und mit einem Schlag erfolgen. Wir sollten einen Schritt zurücktreten um zu sehen, was die echten Prioritäten sind. Und dort Schritt für Schritt für Veränderung sorgen.“ Nour Trabelsi, Studentin, Tunesien

„Bei unseren Lösungen steht nicht die Dienstleistungsmentalität im Mittelpunkt, sondern das entwicklungsorientierte Denken. Ich hoffe, dass Europa von diesem Herangehen lernt. Und wir haben unsererseits durch die Serie einiges gelernt. Wir haben sehr viel über einige andere afrikanischen Initiativen im Zusammenhang mit digitalen Lösungen erfahren. Das hilft uns, noch besser darin zu werden, unser Ziel zu erreichen.“

Shaun Pather, ICT4 D-Professor an der University of the Western Cape, Südafrika

Das Projekt wurde gefördert von dem European Journalism Center, durch das Programm Solutions Journalism Accelerator. Dieser Fonds wird unterstützt von der Bill und Melinda Gates Foundation.

VGWort Pixel