Albaniens Mittelmeerküste: vom Strandparadies zur Betonburg?
Auf den Tourismusboom folgt der Bauboom – und selbst Naturschutzgebiete sind nicht mehr sicher. Erst recht nicht, wenn milliardenschwere Investoren wie Trump-Schwiegersohn Jared Kushner auftauchen.
Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“.
Fotos: Ilir Tsouko
Albanien – ist das nicht der neue Urlaubs-Geheimtipp am Mittelmeer? Türkisklares Wasser, Traumstrände, nette Menschen und alles irre günstig? Nunja. Seit unzählige Reiseblogger und Influencerinnen über #albania schwärmen, hat sich das kleine Balkanland zum „place to go“ gewandelt: 2023 kamen mit zehn Millionen Tourist:innen bereits doppelt so viele wie 2021. Tendenz steigend: 2025 wird Albanien Gastland der weltgrößten Tourismusmesse in Berlin. 2030, so verkündete der albanische Premierminister Edi Rama gerade, hoffe er auf 20 Millionen Gäste, vielleicht würden es auch 30.
Selbst wenn nicht alle davon im Meer planschen wollen: Das klingt ziemlich gigantisch für gerade mal 362 Kilometer Küste.
Mal sandig, mal felsig zieht sie sich von Montenegro im Norden bis Griechenland im Süden. Dazwischen liegen rasant wachsenden Urlaubsorte wie Vlora oder Ksamil. Aber auch Meeresnationalparks, naturbelassene Flussdeltas, geschützte Lagunen mit weiten Stränden – so unberührt, wie man sie am westlichen Mittelmeer fast nirgends mehr findet.
Albanien lockt jedoch nicht nur Urlauber aus aller Welt, auch Investoren. Die kommen nicht mit Schaufel und Förmchen an den Strand, sondern mit Baggern und Beton. Und sie buddeln und bauen oder planen dort in einem Ausmaß, als wäre die Küste ihre persönliche Sandkiste. Neu im Club: Trump-Schwiegersohn Jared Kushner mit seiner milliardenschweren Investmentfirma Affinity Partners.
Was passiert da gerade am östlichen Mittelmeer? Was macht der Boom mit Albanien, seinen Stränden und seiner Küstennatur? Reisen Sie mit – und sehen Sie selbst.
1. Station: die Halbinsel Zvërnec bei Vlora, Landschaftsschutzgebiet Pishë-Poro - Narta
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Rechts das Mittelmeer, links die Narta Lagune: Die Halbinsel Zvërnec ist ein Naturidyll. Nur eine Schotterpiste führt zum einsamen Dalan-Beach. Er steht, wie die gesamte Gegend unter Schutz. Kaum zu glauben, dass Vlora mit seinen Hotelburgen (hinten links im Dunst) nur wenige Kilometer entfernt ist.
Rosa Flamingos sind die Stars der Narta-Lagune. Bis zu 3000 versammeln sich zum Futtern und Nisten, zusammen mit vielen anderen seltenen Wasservögeln. Für Zugvögel, die zwischen Europa und Afrika wandern, ist das flache Gewässer ein wichtiger Zwischenstopp auf ihrem Flug über die Adria.
Um all das zu bewahren – so könnte man meinen – ließ das Tourismus-Ministerium auf Zvërnec vor Kurzem Schilder errichten. „Schutzgebiet“ steht darauf. „Camping verboten“. Dieses hier steht an der Schotterpiste, die zum einsamen „Dalan-Beach“ führt.
Die Dünen am Beach, die Mini-Lagune und der Kiefernwald sind als „Nationales Naturdenkmal“ noch strenger geschützt. Hin und wieder treibt ein Hirte seine Kühe zum Grasen vorbei, ansonsten verirren sich nur wenige Menschen hierher. Bislang jedenfalls…
Erkennen Sie die Landschaft wieder? Ende März 2024 postete Jared Kushner auf X Bilder wie dieses und schrieb dazu: „Ich freue mich, ein paar erste Designs von Projekten zu teilen, die wir für die Küste Albaniens (…) entwickelt haben.“
10.000 Betten – macht eine neue Stadt
Kushners Projekt kleckert natürlich nicht: Hotelressorts, Luxusvillen, ein Yachthafen, Pools, Strandbars mit Sonnenliegen. Auch auf der Zvërnec vorgelagerten Insel Sazan will er bauen, ein 5-Sterne-Ressort. Geplante Zimmerzahl: 10.000. Macht etwa 20.000 Menschen. Macht eine neue Stadt – mitten im Schutzgebiet.
Noch existiert diese nur als 3D-Modell. Tourismus- und Umweltministerin Milena Kumbaro bestätigt gegenüber riffreporter.de Gespräche mit Kushner, konkret allerdings nur zu Sazan. Sie schreibt: „Die gute Nachricht für Albanien ist, dass sich ausländische Investoren für unseren Tourismus interessieren.“ Das ganze Projekt befinde sich noch „in einem sehr frühen Stadium“ und müsse grundsätzlich verschiedene Genehmigungsprozesse durchlaufen.
Die bunten Bildchen schlugen dennoch Wellen, weit übers Mittelmeer hinaus. Die New York Times berichtete, Kushner habe seine Milliarden aus Qatar und Saudi-Arabischen Staatsfonds und die politischen Connections aus seiner Zeit als außenpolitischer Berater von Schwiegervater Trump. Auf X wittert man Korruption auf höchster Ebene, sogar die Times of India sorgte sich wegen der „kontroversen Balkan-Deals“ um Albaniens Küstennatur.
2. Station: an der Narta-Lagune, Landschaftsschutzgebiet Pishë-Poro - Narta
Zurecht, sagt Joni Vorpsi. Der 29-jährige Geologe und Vogelexperte steht im Matsch auf einem Damm an der Narta-Lagune, um den Hals ein Fernglas, in der Hand die Kamera. Er arbeitet für Albaniens älteste Naturschutzorganisation PPNEA (Protection and Preservation of Natural Environment in Albania) und will Zvërnec und die Narta-Lagune unbedingt bewahren.
Sein Zorn richtet sich weniger gegen Kushner als gegen die eigene Regierung. „Sie verscherbelt gerade die letzten Naturschätze, die wir noch haben“, sagt er. Der Geologe liebt seinen Job, trotz der Rückschläge. Der jüngste und härteste kam im Februar aus dem eigenen Parlament. In nur sieben Minuten stimmte es mehrheitlich für eine „Änderung des Gesetzes Nr. 81/2017 über Schutzgebiete“, die Premierminister Edi Rama eingebracht hatte – und schaffte deren Schutzstatus damit quasi ab.
„Luxus-Ressorts und andere so genannte strategische Tourismus-Infrastrukturmaßnamen brauchen nun keine behördliche Genehmigung mehr“, erklärt Vorpsi. „Stattdessen entscheidet ein Rat, dem der Premierminister vorsitzt. Auf albanisch heißt das: Edi Rama entscheidet.“
Ratifiziert wurde das Gesetz wenige Tage, nachdem Kushners Pläne an die Öffentlichkeit kamen. Kein Zufall, ist Vorpsi überzeugt. Und ein doppelt geschickter Schachzug von Rama. „Es schafft ihm auch die juristischen Probleme mit seinem Flughafen vom Leib.“
Der Flughafen ist noch so ein ausländisches Investoren-Projekt mitten im Narta-Schutzgebiet, von der Schweizer Mabetex-Gruppe (zu ihr bei Station 6 noch mehr). PPNEA und die Albanische Ornithologie-Vereinigung AOS haben gegen seine Genehmigung geklagt. Dennoch befindet er sich bereits im Bau.
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Zwei Landebahnen, umgeben von Salzfeldern, direkt an der Narta Lagune: Seit 2021 entsteht der Flughafen „Vlora International“. Die Regierung gab ihn in Auftrag und strich dafür das Flughafengebiet aus der Schutzzone heraus. Bauen darf die Schweizer Mabetex-Group. Auch deren Chef hat politische Connections: Er war zwischendurch Außenminister im Nachbarland Kosovo.
Einige Vögel scheinen sich mit der Baustelle zu arrangieren, für die Umweltschützer ist der Zaun im Schutzgebiet schwer zu ertragen. PNNEA und AOS klagten gegen die Baugenehmigung. Die albanische Justiz hat das Verfahren bis heute verschleppt.
Nicht nur für die seltenen Krauskopf-Pelikane wäre der Flugverkehr ein Risiko – sie können ihrerseits Flugzeuge gefährden: Die Vögel werden bis zu 1,80 Meter groß. Auch zahlreiche große Zugvögel queren im Herbst und Frühjahr die Einflugschneise, wenn sie in dem Feuchtgebiet rasten.
Support aus dem Ausland: Annette Spangenberg von der Stiftung Euronatur in Radolfzell unterstützt die Klagen der albanischen Partner gegen den Flughafenbau. Insgesamt haben 36 europäische Umweltorganisationen in Brüssel gegen die Baugenehmigung protestiert. Ihre Hoffnung: Als EU-Beitrittskandidat muss Albanien EU-Naturschutzgesetze beachten.
Was hat Brüssel damit zu tun? Albanien ist EU-Beitrittskandidat, daher „erwartet die EU-Kommission, dass es seine Rechtsvorschriften im Umweltbereich anpasst und den Schutz der biologischen Vielfalt gewährleistet“, erklärt ein Sprecher der EU-Delegation in Tirana gegenüber riffreporter.de. Die albanische Regierung sei jüngst auch darauf hingewiesen worden, „dass die Rechtsvorschriften über strategische Investitionen Bedenken aufwerfen“.
Erwartungen und Hinweise aus Brüssel scheinen Regierungschef Edi Rama allerdings egal zu sein. Genau wie Mahnungen für den Flughafenbau, die mehrfach kamen: von Seiten der EU-Kommission, durch die Berner Konvention für europäischen Artenschutz, die Albanien unterzeichnet hat, vom EU-Parlament.
Umwelt- und Tourismusministerin Mirela Kumbaro Kumbaro sagt dazu gegenüber riffreporter.de, ihr Ministerium „wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die ökologische Integrität des Gebiets zu erhalten. “ Und: Es sei notwendig gewesen, das Schutzgebiets-Gesetz „zu aktualisieren, um auf die neuen Gegebenheiten in Albanien zu reagieren.“ Es stehe in Einklang mit internationalen Umweltschutzstandards.
Im Umfeld der Lagune sind die Stimmen geteilt. „Wir Menschen sind Teil der Natur und zerstören sie gleichzeitig“, sinniert ein älterer Kosovare, der vor dem Flughafen-Bauschild auf seinem Moped sitzt und mit dem Wachmann plaudert. „Ihr Deutschen seid so weit gekommen, weil ihr die Gesetze respektiert, das fehlt hier. Aber hier fehlen auch Investitionen.“
Im Straßendörfchen Akerni direkt gegenüber hat der Wirt sein Café in sattem Orange frisch gestrichen. Er und die Männer, die sich zu Backgammon und Bier treffen, finden den Flughafen allein deswegen gut, weil die Zufahrtstraße nun endlich asphaltiert und beleuchtet ist. „Vor ein paar Wochen war es nachts noch stockdunkel, und bald gibt’s einen Direktflug Akerni-New York“, scherzt einer. Und die Lagune? „Die Pelikane bleiben drüben im Wasser, die kommen nicht hierher.“ Der Wirt zuckt die Schultern: „Uns fragt doch eh niemand, das ist alles Big Business.“ Nur einer seiner Gäste hat einen Job auf der Flughafen-Baustelle gefunden, für 800 Euro im Monat. Die anderen arbeiten immer mal wieder ein paar Wochen schwarz auf dem Bau in Athen oder Hamburg, „da verdienen wir besser als hier.“
Auch Ismaël Krenari kann die Aufregung der Naturschützer:innen nicht so ganz nachvollziehen. Der Mitsechziger betreibt auf der anderen Seite der Lagune, in Zvërnec, eine kleine Reusenfischerei. Seinen Wolfsbarsch verkauft er an schicke Restaurants in Tirana, deren Menüs er nie bezahlen könnte. „Ich hab die Bilder von dem Luxus-Ressort im Fernsehen gesehen, sie haben mir gefallen“, sagt er. „Klar ist es wunderschön hier. Aber was sollen wir mit dem ganzen Gestrüpp anfangen? Ist doch gut, wenn endlich was passiert.“
Wieso sie so denken, erklärt sich vielleicht weiter südlich, an der „Albanischen Riviera“.
Station 3: Ksamil im Süden der Albanischen Riviera
Von Ksamil stammen viele der Fotos, die im Internet zu „Albanien“ aufpoppen – nur dass die Strände in echt voller sind. Zumindest im Sommer, wenn auf eine:n Einheimische:n bis zu 20 Tourist:innen kommen. Der Ort direkt gegenüber Korfu hat sich enorm verändert in den jüngsten Jahren.
Als sich das Land Ende der 1990er Jahre öffnete, nach Jahrzehnten der Abschottung, kamen nur Einheimische und einige wenige abenteuerlustige Ausländer:innen zum Urlauben her. Letztere entdeckten direkt gegenüber Korfu einsame Buchten, unerschlossene Sandstrände und Inselchen inmitten von glasklarem Wasser. Die Albaner:innen den Kapitalismus und dass sich mit Tourismus Geld verdienen lässt. Mehr Geld, wenn man ein guter Gastgeber ist und sich geschickt anstellt. Viel mehr, wenn man Land besitzt oder Leute kennt, die etwas zu sagen haben, die Baufirmen besitzen oder Baugenehmigungen verteilen; zur Not auch erst, wenn das neue Hotel längst fertig ist.
Die Saison ist kurz, die Löhne sind gering
Heute ist Ksamil einer der touristischen Hotspots Albaniens. Mit Gästen aus aller Welt, Nightlife, Strand- und Yachtparties – und Preisen, die längst nicht mehr irre günstig sind, sondern so hoch wie nebenan in Griechenland oder Italien. Diese Entwicklung weckt bei vielen Einheimischen Hoffnungen auf eine besser Zukunft. Albaniens Wirtschaft ist schwach. Um mit der Familie über die Runden zu kommen, arbeiten hunderttausende Albaner:innen im Ausland – ihre Diaspora ist eine der größten weltweit. Das muss man im Hinterkopf behalten, will man verstehen, warum vielen gut bezahlte Jobs wichtiger sind als Naturschutz.
Doch noch geht die Rechnung nicht auf. Die Saison ist kurz, und die Löhne im Bau oder Tourismus sind so gering, dass qualifizierte Albaner:innen lieber im Ausland arbeiten. Was tun, um die Lücke zu schließen? Die Regierung spielt die Karte der Globalisierung: Sie holt Arbeitskräfte aus noch ärmeren Ländern wie Sri Lanka oder Bangladesch.
Station 4: der Strand bei Dhërmi im Norden der Albanischen Riviera
Die Aussicht von der Bergstraße hinter dem Llogara-Pass ist spektakulär. Vor knapp zehn Jahren blickte man hinunter aufs blaue Meer und davor war alles grün: Orangenbäume, Olivenbäume, mediterrane Garrigue. Heute entsteht dort die „Green Coast“ …
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… eine Mega-Baustelle. Fast jeder Stein wird umgedreht. Ein neuer Autotunnel durchs Llogara-Gebirge endet hier, das Gelände am nördlichen Strand ist aufgeteilt zwischen verschiedenen „Developern“, die Ressorts mit Ferienanlagen, Villen und Luxushotels errichten, darunter ein Hyatt und Grand Mélia.
Weiter südlich finanzierte die Regierung für die Saison 2024 eine neue Promenade samt Steg. In erster, zweiter und dritter Reihe wachsen weitere mehrstöckige Hotels und Apartmentanlagen aus dem Boden.
Evi Gjikuria eröffnete vor acht Jahren ihre kleine Anlage „Drymades Bungalows“ direkt am Meer. „Der Strand war ruhig und wild“, erinnert sie sich. „Nun wird jedes Jahr verrückter gebaut. Woher kommt das ganze Geld? Ich habe als eine der wenigen hier kein gutes Gefühl mehr.“
Vor ihrer Bungalow-Anlage verläuft nun die neue Strandpromenade – ein Bagger pflanzt dafür alte Palmen und Olivenbäume um.
Auch der künstliche Sand muss rechtzeitig zum Saisonstart verteilt werden. Der natürliche Strand von Dhërmi besteht aus Kieselsteinen – und war viel breiter. Im Sommer wird hier ein Liegestuhl neben dem nächsten stehen.
Ein Blick in online-Reiseportale zeigt: Für diesen Sommer ist Dhërmi fast komplett ausgebucht. „Noch wichtiger ist, dass die Gäste auch wiederkommen“, sagt Elton Caushi diplomatisch. Der Gründer des „Boutique-Reisebüros“ AlbanianTrip war einer der ersten auf dem albanischen Reisemarkt und reist auch selbst viel um die Welt. Er kennt zugebaute Küsten wie die Costa Brava und Antalya – und „Länder wie Costa Rica, die es anders angehen.“ Er sagt: „Ich wünschte, mehr Albaner hätten diese Chance. Dann hätten wir auch andere Vorbilder als Betonstrände und Mega-Tourismus à la Dubai. Wir sind ja nicht doof, wir sind nur unerfahren.“
Seine Kunden sind keine Party- oder Billigtourist:innen, sondern entsprechen dem Publikum, das Tourismusministerin Kumbaro sich offiziell wünscht: Urlauber, die länger bleiben, mehr Geld ausgeben und sich umweltschonend verhalten. „Viele meiner Gäste staunen immer, wie ursprünglich die Natur in Albanien noch ist“, weiß Caushi. „Über diese Naturbegeisterung staunen wiederum viele Albaner. Vielen ist gar nicht bewusst, was für einen Schatz wir hier noch haben, gerade auch im Vergleich zum übrigen Mittelmeer. Aber wir werden voneinander lernen, bevor es zu spät ist. Ich bin da optimistisch.“
5. Station: Meeresnationalpark Karabarun-Sazan
Die Baustelle der „Green Coast“ endet am Llogara-Gebirge. Dahinter, Richtung Vlora, streckt sich dessen letzter Zipfel als Halbinsel Karabarun ins tiefe Blau. 17 Kilometer lang, maximal vier Kilometer breit, keine natürliche Wasserquelle. Die Küste steil und felsig, zersetzt von kleine Buchten und Karsthöhlen. Kurz: wunderschön – aber kein gutes Bauland. Karabarun hat keinen Schutzstatus, die vorgelagerte Insel Sazan, ein militärisches Sperrgebiet, auch nicht. Aber die Küstengewässer drumrum: Sie wurden 2010 zum marinen Nationalpark erklärt.
Dessen bester Kenner und Hüter ist Nexhip Hysolakoj. „Vor Karabarun trifft das tiefe, salzige Ionische Meer auf die eher flache, weniger salzhaltige Adria“, erklärt der Meeresexperte. „Deswegen haben wir hier eine ganz besondere Vielfalt mit seltenen Arten: Karetta- und Grüne Meeresschildkröten, Delfine, Blauhaie. Im Seegras gedeiht der Fischnachwuchs. Und die Mönchsrobbe, die im Mittelmeer sonst nur noch in Griechenland vorkommt, hat im Park eine Familie gegründet.“
Mit einem Patrouillenboot, einem Geschenk der italienischen Regierung, fährt er von einem kleinen Hafen auf Patrouille. Das Tauchequipment, mit dem er Studien über die Mönchsrobben-Familie oder die Fischbestände macht, finanziert eine Stiftung, lokale Fischer helfen ihm dabei. Der Nationalpark ist finanziell nicht gut aufgestellt, „der Appetit von allen Seiten groß“, wie Hysolakoj es ausdrückt. Harpunentaucher, Touristenboote, Beachparties, Müll: Alles nehme zu. „Doch noch schaffen wir es, die Balance zu halten zwischen Tourismus und Meereschutz.“
Wie sieht er die Zukunft von Karabarun? „Es klingt vielleicht banal, aber wenn der Ort in zehn Jahren noch so aussieht wie heute, bin ich zufrieden.“ Kein Wort zu den Plänen von Jared-Kushner, der auf Sazan ein 5-Sterne-Hotel in den Berg bauen will. Er zuckt nur die Schultern. „Was soll ich sagen, ich bin kein Politiker.“
6. Station: Divjakë-Karavasta Nationalpark
Einer, der etwas sagte, ist seit Sommer 2023 seinen Job los: Ardian Koçi, früherer Direktor des Nationalparks Karavasta-Divjakë. Lange galt dieser mit seiner Lagunenlandschaft, in der die berühmten Krauskopf-Pelikane nisten, als das beliebteste und am besten gemanagte Schutzgebiet des Landes. Dann stellte die Mabetex-Gruppe, die gerade den Flughafen in Vlora baut, Pläne für ihr „Divjaka-Resort“ am Strand vor: mit mehreren Hochhäusern, Hotels, Bootsstegen und Veranstaltungszentren, noch bombastischer als Kushners Plan für Zvërnec.
Koçi sprach sich dagegen aus, die Bevölkerung war auf seiner Seite, die Pläne blieben Pläne. Doch im Februar 2023 wurde er gefeuert – offiziell weil er ohne Erlaubnis von oben ein Interview gab. Nach öffentlichen Protesten holte Edi Rama persönlich ihn als Parkdirektor zurück, doch die Schutzgebiets-Behörde stellte ihn kalt, reagierte auf keinerlei Anfragen mehr. „Mir blieb nichts anderes übrig, als zu kündigen.“
Heute arbeitet der 59-jährige Naturschutz-Experte in einem Hotel, als Gärtner. „Ich sollte Karavasta verlassen, aber ich schaff es noch nicht“, sagt er, die Ringe unter seinen Augen sind tief. „Ich hätte dem Park so gerne eine Zukunft geboten, aber geordnet, im Einklang mit der Natur. Leider galt ich deswegen als ‚Verhinderer‘.“ Das neue Gesetz für die Schutzgebiete, ist Koçi überzeugt, biete sie Investoren an wie auf dem Tablett. Und es gäbe auch schon neue Interessenten für Divjaka. „Wer am meisten bietet, darf zugreifen.“ Gerade erst sei wieder ein Helikopter im Park gelandet, mit wichtigen Leuten drin. „Da liegt was in der Luft, ich spüre das.“
Auf seine Regierung zählt auch er nicht mehr, dafür auf andere Verbündete: Stechmücken, die in Myriaden in der Lagunenlandschaft hausen. Ein bitteres Lächeln huscht über sein Gesicht: „Vielleicht schaffen die es, die Immobilienentwickler zu vertreiben.“
7. Station: Vjosa-Nationalpark und Vjosa-Delta
Dass es in Albanien auch anders geht, zeigt das Beispiel Vjosa – Europas erster Fluss-Nationalpark. 2023 wurde er feierlich eingeweiht und weltweit gefeiert, sogar von Stars wie Leonardo Di Caprio. „Ein riesiger Erfolg“, sagt Besjana Guri, die sich als Sprecherin der Umweltorganisation EcoAlbania und mit internationalen Partnern wie Riverwatch jahrelang für den Schutz des Wildflusses engagierte. Für Ministerin Kumbaro spiegelt er heute „die Fortschritte der albanischen Politik, der Zivilgesellschaft und der Bürger wider.“
2024 folgt nun der nächste Schritt für die Flussschützer:innen: Auch das Vjosa-Delta, das bislang ausgegrenzt war, soll Nationalpark werden. Und das Pishë Poro - Narta Landschaftsschutzgebiet, an das es grenzt, gleich dazu. Ihre Forderung wird gestützt durch eine 2023 erschienene Studie der Universität Tirana, die das Vjosa-Delta als eines der letzten intakten und unverbauten Deltas im Mittelmeerraum auszeichnet.
Als einer der letzten wilden, unregulierten Flüsse Europas fließt die Vjosa von Griechenland über 270 Kilometer an die albanische Küste. Geschützt ist ihr Bett, das durch die Landschaft mäandert - aber auch nur das. Kleinere Zuflüsse und Uferbereiche sind ausgeklammert, ebenso das Mündungsdelta am Mittelmeer.
Ende April 2024 lud EcoAlbania zur „Science Week“ an die Vjosamündung. 40 Expert:innen von Universitäten aus Tirana, Wien, Graz, Leipzig etc. kamen und stachen gemeinsam „in See“. Ihr Ziel: die Biodiversität noch besser zu erforschen.
Das Delta vom oben: Über Jahrtausende haben die Strömungen von Fluss und Flut eine komplexe Landschaft geformt, mit einem einzigartigen Biotopmix aus Lagunen, Feuchtgebieten, Inselchen, Strand und Dünen.
Am Strand zwischen Vjosa und Narta-Lagune gibt es keine Bars, keine Liegestühle, keine Hotels. Nur ein paar alte Bunker stehen herum, dieser wurde zur Fischerhütte ausgebaut.
Umweltschützer:innen auf Stranderkundung: Besjana Guri (Mitte) mit ihren Mitstreitern von EcoAlbania und Riverwatch aus Österreich fordern gemeinsam: "Auch das Delta und die Narta-Lagune sollen Nationalpark werden!
Hat die Idee Aussicht auf Erfolg? „Ja!“, sagt Guri optimistisch, „sonst würden sich nicht so viele Menschen dafür einsetzen. Diese Landschaft hat europaweit Seltenheitswert. Und wir haben die Verantwortung, sie für unsere Kinder zu bewahren.“
Doch selbst wenn die Regierung von der Idee überzeugt werden könnten: Was bedeutet ein Erfolg, wenn ein Gesetz es erlaubt, jeglichen Schutz für „touristische Infrastruktur“ wieder auszuhebeln?
Damit wären wir wieder am Anfang der Reise angekommen: im Kiefernwald von Zvërnec, dem Nationalen Naturdenkmal. Wo bis vor Kurzem nur Glühwürmchen die Nacht erhellten, hat die Regierung gerade eine Baufirma beauftragt, Dutzende Laternen einzubetonieren. Kostenpunkt: 20 Millionen Lek (rund 200.000 Euro), sagt das Bauschild. Die stehen nun über Kilometer rechts und links der Straße, als könnten sie kaum erwarten, Tausenden Autos den Weg ins Schutzgebiet zu erleuchten.
Das Projekt „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.